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Etwas zu umrunden heißt von alters her, es in Besitz zu nehmen. Die Legenden darüber sind zahlreich. Der Bauer etwa, der seinen Sohn um sein Land herumführt, in einem rituellen Akt: Sieh, das wird einmal dir gehören. Wolfgang Büscher hat nichts anderes getan - er hat sein Land umrundet und es sich damit angeeignet. Drei Monate war er unterwegs. Zu Fuß, per Bus, per Anhalter oder auch mit dem Schiff, wie es gerade kam. Am Rhein bricht er auf und zieht, den Grenzen folgend, 3500 Kilometer um Deutschland. Er durchstreift allzu bekannte und fast vergessene Gegenden. Immer wieder liegen mythische…mehr

Produktbeschreibung
Etwas zu umrunden heißt von alters her, es in Besitz zu nehmen. Die Legenden darüber sind zahlreich. Der Bauer etwa, der seinen Sohn um sein Land herumführt, in einem rituellen Akt: Sieh, das wird einmal dir gehören. Wolfgang Büscher hat nichts anderes getan - er hat sein Land umrundet und es sich damit angeeignet. Drei Monate war er unterwegs. Zu Fuß, per Bus, per Anhalter oder auch mit dem Schiff, wie es gerade kam. Am Rhein bricht er auf und zieht, den Grenzen folgend, 3500 Kilometer um Deutschland. Er durchstreift allzu bekannte und fast vergessene Gegenden. Immer wieder liegen mythische Orte an seinem Weg, ob Peenemünde, der Königsstuhl oder Neuschwanstein. Und er stößt auf Charaktere, von denen er glaubte, sie seien bloß erfunden, wie den Schlossherrn, der an der böhmischen Grenze ein Doppelleben führt, oder den Schmuggler Orlando im Kleinen Walsertal. Am Ende hat Büscher ein Land erfahren, das unendlich viel eigenwilliger und sonderbarer ist, als wir alle glauben. Eine Reise wie ein lange vergessener Traum - glänzend erzählt und voller unglaublicher Entdeckungen.
Autorenporträt
Büscher, WolfgangWolfgang Büscher, geboren 1951 bei Kassel, ist Schriftsteller und Journalist. Für sein Werk wurde er vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Kurt-Tucholsky-Preis, dem Johann-Gottfried-Seume-Literaturpreis und dem Ludwig-Börne-Preis. Zuletzt erschienen seine Bücher »Hartland« (2011) und »Ein Frühling in Jerusalem« (2014).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.05.2006

Deutsche Grenzgänger
Reise als hybrides Genre

In Rückbesinnung auf Heinrich Heines "Harzreise" und das "Wintermärchen" hat sich mittlerweile eine neue Gattung von Deutschlandbüchern etabliert, die fröhlich an der Grenze zwischen Belletristik und Sachbuch entlangwandern, um die persönlichen, politischen und poetischen Zustände der deutschen Gegenwart zu ermessen.

Den Anfang machte im Jahre 2002 Roger Willemsens überaus erfolgreiche "Deutschlandreise" (Eichborn-Verlag), auf welcher der Autor nach seinem freiwilligen Abschied vom Status der Fernsehprominenz erkunden wollte, wie das Land aussieht, auf das er jahrelang sein Bild projiziert hatte. Er nahm den Zug und hörte den Leuten zu. Dabei fielen ihm Dinge auf, die wenig mit den großen nationalen Klischees zu tun hatten, aber mit großer Präzision Veränderungen der deutschen Lebenswelt beschreiben, etwa der Umstand, daß alle permanent irgendwas essen, die Leute so dicke Füße haben und daß sich manche Innenstädte mit Shopping-Malls von der Außenwelt abschneiden. Es wundert einen dann nicht mehr, wenn Jahre später der Berliner Hauptbahnhof im wesentlichen als eine von der Stadt isolierte Shopping-Mall mit lauter "Schlürfereien" gebaut wird und sogar die Kanzlerin vor allem die Dönerbuden lobend erwähnt. "Kein Geschmack im Essen, kein Sinn im Leben, keine Zeit, keine Zeit", faßte Willemsen seinen Eindruck des Landes zusammen.

Auch Wolfgang Büschers "Deutschland, eine Reise" (S. Fischer) etablierte in diesem Zusammenhang ein völlig neues Genre. Büscher lief einmal im Uhrzeigersinn um Deutschland herum und besichtigte mit Vorliebe jene Orte, die er als linker Student nicht zur Kenntnis nehmen wollte, seien es die Orte der deutschen Opfer im alliierten Bombenkrieg, seien es mythische Orte wie der Harz oder der Obersalzberg. Doch am nachhaltigsten sind seine Schilderungen von intakten Bräuchen, etwa der Gesangsabende in ländlichen Gaststätten, die er effektvoll mit den Verheerungen des Lebens rund um eine westdeutsche Fußgängerzone kontrastiert. Büscher kann bestens vermitteln, wie und in welcher Form die NS- und Kriegsvergangenheit in den Narben der Städte und dem Leben auch der heutigen Deutschen weiterwirkt.

Matthias Matusseks "Wir Deutschen" (S. Fischer) ist entgegen seinem Titel in seinen besten Teilen ein Reisebuch. Die Interviews mit den Herren von Dohnanyi und Harald Schmidt mögen sich in die Länge ziehen - denn man hatte ja, wenn man nicht wie der Autor die letzten Jahre im Ausland verbracht hat, weiß Gott die Gelegenheit, deren Meinung zu fast allem immerzu ausgiebig zu hören. Der historisch reflektierende Teil mag arg knapp geraten sein, doch die tagebuchartigen Passagen, in denen der Autor bissig seine Beobachtungen auf allerlei Abendessen, in Talkshows und bei Empfängen notiert, sind als Sittenbild des neuen Berlins durchaus lesenswert. Auch hier sind die grenzüberschreitenden Reflexionen über die persönliche Geschichte, die Familie am anrührendsten.

mink

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.10.2005

Der nachgeschenkte Wein
Wo der geköpfte Karl Marx durch den Mund von Hagen von Tronje spricht: Wolfgang Büscher hat Deutschlands Grenzen umwandert und darüber ein Märchenbuch geschrieben
Von Gustav Seibt
Am Anfang durchquert er den Rhein. Es ist abends, es ist kalt, die Sonne sinkt. Wolfgang Büscher taucht am westlichen Ufer ein und schwimmt in eisigen Fluten auf einen Fabrikschlot auf der anderen Seite zu, auf dem „Oelmühle Germania” zu lesen ist. Von Holland her wirft die Abendsonne ihr rötliches Licht auf den breiten Strom: „Ich trieb in purem Gold.”
So wagnerianisch-siegfriedhaft beginnt ein hochpathetisches Unternehmen, mit dem dieser als Fahrensmann erprobte Schriftsteller ein denkbar hohes Risiko eingeht. Büschers Bericht von einer „Reise zu Fuß”, die ihn von Berlin nach Moskau führte, wurde 2003 zu einem großen und verdienten Erfolg. Die Verbindung von Abenteuererzählung im Eichendorff-Ton mit historischer Reflexion über die osteuropäischen Kriegsschauplätze reaktivierte die verschollene Wahrnehmungsform des „Deutschen in der Landschaft”: Dieser erfährt Natur und Geschichte, die lebenden Menschen und ihre vielfältigen Vergangenheiten am eigenen Leibe, mit allen nachdenklichen Sinnen.
So wurde Büschers Buch eine ganz individuelle Friedensfeier, trug er doch den nicht zuletzt von Deutschen geschundenen Landschaften eine der edelsten Erbschaften unserer Literatur an, die poetisch-selbstvergessene Versenkung des Wanderers in die schöne, schwermütige Fremde. Ja, das war auch kitschig, sätzeweise übersüß; aber das Bisschen Kitsch verbürgte eben auch, dass hier nicht einfach Kunstprosa abgeliefert wurde. Romantik ist uncool, sonst bleibt sie ein toter Manierismus.
Büscher hat nun ein ähnliches Verfahren auf das eigene Vaterland angewandt. Er ist, beginnend am Niederrhein und dem Uhrzeigersinn folgend, den heutigen deutschen Grenzen entlanggereist, über die Nordsee, Schleswig, die Ostseeküste, Oder und Neiße folgend, dann an den böhmischen Grenzgebirgen und den Alpen über den Bodensee zurück zum Rhein und zum Ausgangspunkt. Nicht alles hat er zu Fuß bewältigt; aber nie ist er mit dem Privatauto gefahren, sondern nur mit Bussen und Zügen, in kollektiven Verkehrsmitteln.
Seine Reise beginnt im kühlen Herbst und endet am Weihnachtstag. Seine Unterkünfte sind jene meist kleinstädtischen Wirtshäuser und Hotels, in denen sich heutzutage so etwas wie Volksgeist viel eher hält als in den gehobenen internationalen Hotelketten. Seine Methode ist wieder der Einsatz von Körper und Erfahrungsbereitschaft, nicht nur dem Wetter gegenüber, sondern vor allem den Leuten und ihren Geschichten. Es ist nicht nur Literatur, wenn man bei diesem Autor einen Wandervogelton vernimmt, der längst ausgestorben schien.
Genauer muss man sogar feststellen, dass das literarisch Beste seines Textes wohl aus einer gewissen verschütteten Jugendliteratur stammen mag: Das Bad im goldenen Rhein ist ja nicht originales Nibelungenlied, sondern eher Nibelungenbearbeitung für die Jugend; in Chemnitz fällt Büscher genau so etwas ein, wenn er den großen bronzenen Karl-Marx-Kopf betrachtet: „Marx hatte die Mundpartie und den rauschenden Bart eines Nibelungenhelden, Hagen von Tronje vielleicht und die Feldherrnaugen Dschingis Khans. Der mächtige Kopf auf seinem mächtigen Sockel wirkte abgeschnitten. Geköpft. Als habe er nie auf einem Körper gesessen.”
Das ist glänzend, sogar allegorisch; aber man bemerkt auch gleich, wie himmelweit dieser Reisende von nüchterner Beschreibung entfernt ist. Er verwandelt Deutschland in eine figurenreiche, grausame, schöne, innige Zauberwelt, in ein Märchenreich. Ja, der Kitschanteil ist noch einmal gestiegen, aber nicht ohne tieferen Sinn. Das deutsche Volksmärchen bewahrt von keinem historischen Ereignis so viele Spuren wie vom Dreißigjährigen Krieg. Büscher schreibt das Märchen von Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg.
Irgendjemand hat die Bundesrepublik und die DDR einmal unter den Stichworten „ironisch” und „tragisch” gegenübergestellt. Bei Büscher ist ganz Deutschland tragisch, gerade da, wo es am blankesten wiederaufgebaut wurde, trägt es die Narben der Zerstörung. In Chemnitz sagt er, worüber das ganze Buch reflektiert: „In dessen Mitte schlug gar kein Herz. Chemnitz hatte es verloren zur üblichen Zeit auf die übliche Art und sich lange nichts daraus gemacht.” Zuvor, in Görlitz, dem unzerstörten, waren ihm die Augen übergegangen: „Wie schön das Land gewesen sein muss. Was wir verloren haben. Ich lief durch eine unfassbar heile Stadt.” Und dann setzt er nach: „Großen Zerstörern gefällt es mitunter, ein Exemplar zu schonen und perfekt zu erhalten, wo alles in Asche sinkt: Seht es euch an, scheinen sie der Nachwelt zuzurufen, so groß war meine Macht. Ich besaß Gewalt über die Schönheit der Welt, ich konnte mit ihr tun und lassen, was ich wollte.” Büscher trauert um das alte Deutschland, er jubiliert, wo er es noch findet: in den Backsteinkirchen Wismars, in den Dörfern des Bayerischen Waldes, im katholischen Passau, am Bodensee. Vor allem findet er es in den Erzählungen der Menschen. Wie in „Berlin-Moskau” ist das zentrale Motiv der Frieden, das Überleben. „Nie wieder Krieg” - bei Entronnenen des Russensturms an der Oder ist das keine Phrase, auch nicht bei den Vertriebenen an der tschechischen Grenze oder bei den Allgäuern, die sagen: Die gute alte Zeit hat es früher nicht gegeben, die war gerade und geht schon wieder zuende.
Der Einwand, den dieses schmale, an Eindrücken, Geschichten, Gedanken so reiche Buch auf sich zieht, wird lauten: Dieses Deutschlandbild ist Teil des wachsenden Viktimismus, einer Verheultheit, die Deutschland als Opfer versteht, versehrt von Luftkrieg und Vertreibungen. Das liegt daran, dass Büscher den heutigen Grenzen folgt. Sie sind ein Resultat unserer selbstverschuldeten Niederlage. Es gäbe andere Reiserouten, die das kämpfende und tötende Deutschland zeigen würden, an der Maas, in Verdun oder tief in Polen, und niemand könnte diese Landstriche mit mehr Verstand und Gefühl durchstreifen als Büscher.
Aber sein Buch ist trotzdem nicht viktimistisch. Der Abschnitt über Flossenbürg zeigt ein denkbar unschematisches Grauen vor unseren Verbrechen. Knapp beschreibt Büscher das Konzentrationslager als Ort der absoluten Freiheit: nämlich für die Folterer. Wie er das macht, ist ganz neu und formelfrei, und so darf er im Satz über Chemnitz einfach weglassen, was in jeder Politikerrede sowieso gesagt wird. Bei aller jungenhaften Abenteuerlust steckt in diesem Text nämlich auch ein reiches und vielfältiges Wissen. Es tritt zu seiner Freude an individuellen Geschichten hinzu und macht diese hintergründig.
Wildfremd ist Deutschland! Wer es nicht ahnt, erfährt es hier. Der Böhmerwald hat noch eine Stiftersche Anmutung; in Altötting reden die Frauen laut mit der Madonna; am Bodensee wird Büscher von Unbekannten zu Apfelkuchen eingeladen, weil er am Wegrand sichtbar hungrig Lebensmittel verschlingt, die er zuvor einer Frauentanzgruppe in einem Schloss gestohlen hatte; bei Ramstein nimmt ihn ein gefasst melancholischer amerikanischer Soldat von tiefschwarzer Hautfarbe mit, der vor seinem Abflug in den Irak noch einmal schweigend über Land fahren wollte; die Bayern werden sehr treffend als geschmeidiges und erotisch hochaktives Völkchen beschrieben.
Im Ardennerwald ist der Reisende der letzte Gast eines einsamen Wirtshauses, in dem vor Jahrzehnten die Überlebenden der letzten Offensive des Zweiten Weltkriegs die Schlachtpläne immer wieder nachspielten. Die Wirtin, steinalt, macht eine gute Flasche auf, weil der Vorrat eh aufgebraucht werden muss, denn das Lokal wird aufgegeben. „Die Wirtin schenkte nach. Ihr Wein war gut. Und es war, als ob das Land nachschenkte, um das ich jetzt beinahe herum war, als ob es bei mir säße und mich festhielte und noch aufbleiben wollte ...”. Ein besonnenerer Autor hätte diesen Satz unbedingt weggelassen, diesem kann man ihn nicht übel nehmen.
Wolfgang Büscher
Deutschland, eine Reise
Verlag Rowohlt Berlin, Berlin 2005. 250 Seiten, 17,90 Euro.
Der Blick auf das offene Meer: Seit jeher ist ihm ein Sehnen nach einem freieren Ort eingeschrieben, der einem Versprechen gleich hinter dem Horizont auf den Betrachter wartet. Einen Assoziationsraum in Blau schuf Daniel Biskup, als er im Januar 1990 den nördlichsten Punkt der DDR, Gellort, fotografierte. Nachtgedanken. Das Schild, es versperrt den Ausblick, und noch immer markiert es die Grenze eines Staates, der seine Bewohner eingemauert hatte. Biskup durchstreifte in den Wendejahren Ostdeutschland, entstanden sind realitätsgesättigte Fotos, die - so Altkanzler Helmut Kohl in seinem Vorwort - den „Geist der Freiheit” atmen. Der Band „1989/1990. Fotografische Impressionen auf dem Weg zur Deutschen Einheit” versammelt nun Biskups Aufnahmen (Verlag Markus Böhm, Leipzig 2005. 144 Seiten, 29,80 Euro).
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Der Journalist Wolfgang Büscher hat bereits ein erfolgreiches Reise-Buch veröffentlicht, das ihn zu Fuß von Berlin nach Moskau führte, und das Rezensent Gustav Seibt damals offenbar gut gefallen hat. Büscher knüpft mit seinem neuen Buch an diesen Erfolg und seine Methode an, teilt Seibt mit, und wieder hat ihn das Ergebnis überzeugt. Büscher ist zu Fuß oder in öffentlichen Verkehrsmitteln, mit persönlichem Einsatz - und "allen nachdenklichen Sinnen", schwärmt Seibt - nicht etwa quer durch Deutschland, sondern die Grenzen des Landes entlang gereist. Der Kitschanteil des Buches liege teilweise noch höher als bei dem Russland-Buch, gesteht Seibt, schreibt dies aber dem pathetischen Unternehmungsgeist Büschers zu, der bei diesem Thema - Deutschland, eine Winterreise - ständig Futter geliefert bekommen habe. Bei Büscher sei Deutschland "tragisch", eine fremde, düstere Zauberwelt, eine Märchengeschichte, die von Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg erzählt. Man könnte das Buch für "viktimistisch" halten, das heißt der aktuellen Opferhaltung im Lande Vorschub leisten, baut Seibt Einwänden vor und setzt hinzu: man sollte es aber lassen, denn Büscher schreibe kenntnisreich, hintergründig und ohne ideologische Scheuklappen.

© Perlentaucher Medien GmbH
So melancholisch, so schön, so vielschichtig. NDR