Paris und ein Doppelmord an der Porte de la Chapelle - Kommissar Adamsberg auf nahezu einsamer Suche nach einem Mörder, der sich nur als Schatten zeigt. »Die dritte Jungfrau« ist eine Geschichte von großer tragischer Spannung, doch auch immer mit jenem sprühenden Funken Humor, der Vargas' Romane so unnachahmlich macht. Diesem erstklassigen wdr-Hörspiel mit Volker Risch, Christian Redl, Peter Fricke u. v. a. folgt man atemlos und vergnügt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.09.2007Beim Schweigen zuhören
Merkwürdige Knochenfunde: Fred Vargas erdolcht den Krimi
Sie schreibt, wie eine Verbrecherin mordet: Die derzeit wohl erfolgreichste französische Krimischriftstellerin Frédérique "Fred" Vargas signiert ihre Romane wie eine Mörderin, die am Ort des Verbrechens immer ein Markenzeichen hinterlässt. Ihr zehnter Kriminalfall, "Die dritte Jungfrau", trägt wie seine neun Vorgänger die sehr persönliche Handschrift der Autorin: eine rundweg unwahrscheinliche Handlung.
Kommissar Adamsberg steht auch in seinem neuen Fall vor einem ungeheuerlichen Verbrechen und jagt einen Schatten, der auf Friedhöfen sein Unwesen treibt. Die Motivation des Täters scheint sich aus dem mittelalterlichen Rezept für einen Unsterblichkeitstrank zu nähren. Um sich die Zutaten zu beschaffen, muss er drei Jungfrauen töten, zwei sind ihm bereits zum Opfer gefallen. Wenn das so stimmen sollte, müssen die Ermittler den schwierigen altertümlichen Text enträtseln, um dem Mörder auf die Spur zu kommen und die dritte Jungfrau zu schützen. Doch das ist eine Aufgabe, die Phantasie erfordert und für die Kriminalisten in Adamsbergs Truppe so schwierig ist, dass der Kommissar einmal mehr mit der drohenden Spaltung seiner Brigade zu kämpfen hat.
Adamsberg ist kein methodischer Denker, und die Positivisten zweifeln an der Intuition ihres Chefs, der als "Wolkenschaufler" in unstrukturierten Gedankenspiralen seine Schlüsse zieht und seinen cholerischen Kollegen Noël runter an die Seine schickt, um seinen Schädel auszulüften.
Als "Archäozoologin" liefert Fred Vargas ihren Lesern ein Kompendium skurrilen Wissens. Der Reliquien-Diebstahl führt den Kommissar zu der Entdeckung, dass nicht nur im Schweinerüssel ein Knöchelchen steckt; auch das Herz des Hirschen und der Penis des Katers weisen die begehrenswerte Trophäe auf. Da kräuseln sich dem Leser vor Ekel die Lippen, wenn die Schändung der Tiere ans Licht kommt. Die bizarre Mordserie bespielt die Pariser Schriftstellerin mit den für sie typischen kauzigen Charakteren, die eine wahre Fundgrube nicht nur für Frankophile sind. Als die Ermittlungen den Kommissar in das normannische Dorf Haroncourt führen, da analysiert er, der aus den Pyrenäen stammt, bis ins Detail die Sprechgewohnheiten der provinziellen Apéritif-Runde. In einem komischen Aperçu zeichnet Fred Vargas die Eigenheiten der ländlichen Rhetorik, die sie in einem Interview als eine Art antiken Chor ihrer Krimis bezeichnet, als eine erdverbundene und schwerfällige Stimme der Wahrheit. "Obwohl er an die getragene Musik dieser Männerrituale gewöhnt war, begriff Adamsberg, dass das Gespräch der Normannen ihrem Ruf gemäß schwieriger war als anderswo. Sie waren Schweiger. Hier hatten es die Sätze schwer."
Auch die übrigen Figuren haben ihre jeweils eigenen Manien. Adamsbergs Nachbarn Lucio juckt immer noch ein alter Spinnenbiss, obwohl dieser zusammen mit seinem Arm amputiert wurde. Und sein neuer Kollege Veyrenc wechselt nicht zum ersten Mal das Revier. Denn aus dem Lieutenant sprudeln unkontrolliert klassische Alexandriner hervor, weil seine Großmutter beständig den Tragödiendichter Racine rezitierte.
Spätestens seit Fred Vargas mit "Fliehe weit und schnell" im Jahr 2004 den deutschen Krimi-Preis gewonnen hat, haben sich ihre Bücher einen festen Platz auch in den deutschen Bestsellerlisten erobert. Nach dem etwas schwächeren, da vorhersehbaren Vorgängerroman "Der vierzehnte Stein" (F.A.Z. vom 8. August 2005) legt Vargas mit "Die dritte Jungfrau" nun wieder einen wahnwitzig undurchdringlichen Plot vor. Ihre Romane tragen die Unterschrift einer mordenden Autorin, die noch die kleinsten Varianten des Genres aufspießt, um sie mit eigener Signatur neu zu erfinden.
FRANZISKA BOSSY
Fred Vargas: "Die dritte Jungfrau". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Julia Schoch. Aufbau-Verlag, Berlin 2007. 474 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Merkwürdige Knochenfunde: Fred Vargas erdolcht den Krimi
Sie schreibt, wie eine Verbrecherin mordet: Die derzeit wohl erfolgreichste französische Krimischriftstellerin Frédérique "Fred" Vargas signiert ihre Romane wie eine Mörderin, die am Ort des Verbrechens immer ein Markenzeichen hinterlässt. Ihr zehnter Kriminalfall, "Die dritte Jungfrau", trägt wie seine neun Vorgänger die sehr persönliche Handschrift der Autorin: eine rundweg unwahrscheinliche Handlung.
Kommissar Adamsberg steht auch in seinem neuen Fall vor einem ungeheuerlichen Verbrechen und jagt einen Schatten, der auf Friedhöfen sein Unwesen treibt. Die Motivation des Täters scheint sich aus dem mittelalterlichen Rezept für einen Unsterblichkeitstrank zu nähren. Um sich die Zutaten zu beschaffen, muss er drei Jungfrauen töten, zwei sind ihm bereits zum Opfer gefallen. Wenn das so stimmen sollte, müssen die Ermittler den schwierigen altertümlichen Text enträtseln, um dem Mörder auf die Spur zu kommen und die dritte Jungfrau zu schützen. Doch das ist eine Aufgabe, die Phantasie erfordert und für die Kriminalisten in Adamsbergs Truppe so schwierig ist, dass der Kommissar einmal mehr mit der drohenden Spaltung seiner Brigade zu kämpfen hat.
Adamsberg ist kein methodischer Denker, und die Positivisten zweifeln an der Intuition ihres Chefs, der als "Wolkenschaufler" in unstrukturierten Gedankenspiralen seine Schlüsse zieht und seinen cholerischen Kollegen Noël runter an die Seine schickt, um seinen Schädel auszulüften.
Als "Archäozoologin" liefert Fred Vargas ihren Lesern ein Kompendium skurrilen Wissens. Der Reliquien-Diebstahl führt den Kommissar zu der Entdeckung, dass nicht nur im Schweinerüssel ein Knöchelchen steckt; auch das Herz des Hirschen und der Penis des Katers weisen die begehrenswerte Trophäe auf. Da kräuseln sich dem Leser vor Ekel die Lippen, wenn die Schändung der Tiere ans Licht kommt. Die bizarre Mordserie bespielt die Pariser Schriftstellerin mit den für sie typischen kauzigen Charakteren, die eine wahre Fundgrube nicht nur für Frankophile sind. Als die Ermittlungen den Kommissar in das normannische Dorf Haroncourt führen, da analysiert er, der aus den Pyrenäen stammt, bis ins Detail die Sprechgewohnheiten der provinziellen Apéritif-Runde. In einem komischen Aperçu zeichnet Fred Vargas die Eigenheiten der ländlichen Rhetorik, die sie in einem Interview als eine Art antiken Chor ihrer Krimis bezeichnet, als eine erdverbundene und schwerfällige Stimme der Wahrheit. "Obwohl er an die getragene Musik dieser Männerrituale gewöhnt war, begriff Adamsberg, dass das Gespräch der Normannen ihrem Ruf gemäß schwieriger war als anderswo. Sie waren Schweiger. Hier hatten es die Sätze schwer."
Auch die übrigen Figuren haben ihre jeweils eigenen Manien. Adamsbergs Nachbarn Lucio juckt immer noch ein alter Spinnenbiss, obwohl dieser zusammen mit seinem Arm amputiert wurde. Und sein neuer Kollege Veyrenc wechselt nicht zum ersten Mal das Revier. Denn aus dem Lieutenant sprudeln unkontrolliert klassische Alexandriner hervor, weil seine Großmutter beständig den Tragödiendichter Racine rezitierte.
Spätestens seit Fred Vargas mit "Fliehe weit und schnell" im Jahr 2004 den deutschen Krimi-Preis gewonnen hat, haben sich ihre Bücher einen festen Platz auch in den deutschen Bestsellerlisten erobert. Nach dem etwas schwächeren, da vorhersehbaren Vorgängerroman "Der vierzehnte Stein" (F.A.Z. vom 8. August 2005) legt Vargas mit "Die dritte Jungfrau" nun wieder einen wahnwitzig undurchdringlichen Plot vor. Ihre Romane tragen die Unterschrift einer mordenden Autorin, die noch die kleinsten Varianten des Genres aufspießt, um sie mit eigener Signatur neu zu erfinden.
FRANZISKA BOSSY
Fred Vargas: "Die dritte Jungfrau". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Julia Schoch. Aufbau-Verlag, Berlin 2007. 474 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main