Eine Erzählung von Liebe und Hass, Unterdrückung und Leidenschaft - und ein grandioses Panorama Syriens.
Über dem Tor der Pauluskirche in Damaskus hängt eines Morgens ein ermordeter muslimischer Offizier. Gerade nimmt Kommissar Barudi die Ermittlungen auf, da wird ihm der Fall auch schon vom Geheimdienst entzogen. Heimlich recherchiert er weiter und bald weiß er, dass der Mord Teil einer Blutfehde zwischen zwei Clans ist.
Rafik Schami spannt hier einen großen schillernden Erzähl-Bogen über ein Jahrhundert syrischer Geschichte, in dem Politik und Religion das Volk nicht zur Ruhe kommen lassen. Gleichzeitig erzählt er vom Mut zweier Liebender, die es nicht zulassen wollen, dass Hass und Gewalt sie trennen
Über dem Tor der Pauluskirche in Damaskus hängt eines Morgens ein ermordeter muslimischer Offizier. Gerade nimmt Kommissar Barudi die Ermittlungen auf, da wird ihm der Fall auch schon vom Geheimdienst entzogen. Heimlich recherchiert er weiter und bald weiß er, dass der Mord Teil einer Blutfehde zwischen zwei Clans ist.
Rafik Schami spannt hier einen großen schillernden Erzähl-Bogen über ein Jahrhundert syrischer Geschichte, in dem Politik und Religion das Volk nicht zur Ruhe kommen lassen. Gleichzeitig erzählt er vom Mut zweier Liebender, die es nicht zulassen wollen, dass Hass und Gewalt sie trennen
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.06.2005Geradlinig ist nur der Tod
Lieben mit Erschwerniszulage: Rafik Schamis Damaskus-Roman
Der Roman hat 304 Kapitel und neunhundert Seiten. Sein Inhalt läßt sich kurz zusammenfassen: Er schildert Liebe unter schwersten Bedingungen, "Romeo und Julia" in Syrien. Die unmögliche Liebe zwischen Rana Schahin und Farid Muschtak, den Kindern verfeindeter Clans aus dem Bergdorf Mala, ist der Stoff des Zauberteppichs. Er ist nicht frei von Webfehlern, ausfransenden Fäden und ausufernder Ornamentik, und doch werden die tausendundein Erzählstränge zu einem Muster verknüpft: Damaskus-Erlebnisse, hell und dunkel. Rafik Schami, 1946 in Damaskus geboren und 1970 vor Militärdienst und politischer Verfolgung nach Deutschland geflüchtet, verknotet zwei Liebesgeschichten: So wie Farid und Rana ihre verbotene Liebe gegen Gewalt, Mißtrauen, Trennung und Zweifel behaupten, ist auch er seiner Heimat im Exil treu geblieben.
"Die dunkle Seite der Liebe" beschwört die Farben, Gerüche und Gerüchte von Damaskus, die Straßen und Cafés, in denen sich in den fünfziger und sechziger Jahren liberale Intellektuelle, Kommunisten, Nationalisten und Moslembrüder stritten, prügelten und gegen Armee und Geheimdienst zusammenrauften. Der Roman belauscht die Verschwörer im Untergrund und in den Folterkellern, die "Mondfrauen" im Bad, die Zöglinge in der Klosterschule, die Händler und Kamelschlachter in den Suks. Er erzählt das tolldrastische Schnurren von Omar, dem Bügler, und Mansur, dem Mäusefänger, von Sodomiten und zickigen höheren Töchtern; rührende und schreckliche Geschichten von Ehrenhändeln, Stammesfehden, Blutrache und Mord. Wir erfahren, wie Farid, der entlaufene Jesuitenschüler, mit dem Kommunismus kokettiert und in die Hölle der Straflager absteigt, wie seine Freundin zum "Kaktus" verdorrt und in der Psychiatrie landet. Gesellschaft, Geschichte und Politik zeichnen das Paar an Leib und Seele mit tragischem Pathos; der Erzähler, bei allem Zorn humaner und milder gestimmt, läßt die beiden mit dem Leben und der Liebe davonkommen.
Zwischen ihnen steht nicht nur der alte Haß zwischen den griechisch-orthodoxen Muschtaks und den katholischen Schahins, arabischer Chauvinismus und der Ehrenkodex der Clans, sondern fast ein Jahrhundert ethnischer, sozialer, religiöser und politischer Konflikte, vom Kampf gegen osmanische und europäische Kolonialherren bis zur Ausrufung der Republik 1947, von der Schreckensherrschaft der Putschgeneräle bis zur Machtübernahme von Hafiz al Assad 1970. Die Auseinandersetzungen zwischen Schaklanisten, Hablanisten und Baathisten, Alawiten, Schiiten und christlichen Sekten sind auch mit Hilfe des "Einlesebuchs" schwer nachzuvollziehen. Das Drama der Liebe um so leichter: Farid und Rana sind von Brüdern und Vätern, Spitzeln, Verrätern und Haßpredigern umzingelt, werden zu Heimlichkeiten und Kompromissen gezwungen, auseinandergerissen und um so fester zusammengeschweißt.
1962 wurde Schami Augenzeuge eines Ehrenmordes an einer Muslimin, die einen Christen geliebt hatte. Die Urszene ist im Roman zu einer Episode geschrumpft - und zu einer Enzyklopädie aller Liebschaften unter erschwerten Bedingungen aufgegangen. Fast vierzig Jahre hat Schami mit dem Stoff seines Lebens gerungen, der sich ihm mal entzog, dann wieder anschwoll. Lange experimentierte er mit einem uralten verrückten Erzähler; aber eine burleske Scheherazade schien ihm der falsche Ton. Jetzt hat Gibran, der Seemann, die Rolle des verrückten Märchenerzählers übernommen; aber auch Farid beherrscht die Kunst, die "Zunge zu satteln und davonzureiten". Den Stein des Weisen fand Schami am 14. August 1995, angeblich im Traum: Wie der Mosaikkünstler, bei dem er einst in die Lehre ging, wollte er fortan kalligraphisch bemalte Steine zu einem Bild ordnen, das sich erst aus der Distanz als Komposition zu erkennen gibt. Die Technik ist weder sonderlich originell noch spezifisch orientalisch. Aber mit diesem Roman ist Schami endgültig einer der am hellsten leuchtenden Steine im bunter werdenden Mosaik der deutschsprachigen Immigrantenliteratur geworden.
Ein großes Epos aus kleinteiligen Scherben zusammenzukleben birgt freilich auch Risiken. "Wenn man von Damaskus erzählen will", heißt es einmal, "muß man aufpassen, nicht zu versinken, denn Damaskus ist ein Meer von Geschichten. Die Stadt weiß das, deshalb behält sie bei aller Liebe der Araber für verwinkelte Straßen und Gassen eine einzige gerade Straße, die auch so heißt." Die Via recta ist die Orientierungslinie für Fußgänger und Erzähler, der Kompaß im verwirrenden Geflecht der Gassen, und seine Nadel zeigt seit mehr als dreitausend Jahren von Ost nach West. Inzwischen haben Händler die breite Paradeallee durch allerlei Vor- und Anbauten, Buden und Früchtepyramiden längst zu einem kurvigen Sträßchen verengt.
Doch für Schami ist der Slalom kein Umweg. Anders als der europäische Gesellschaftsroman, der, auf den Spuren von Baron Haussmann, schnurgerade Schneisen der Zerstörung ins Dickicht verwinkelter Städte schlug (auf daß der Flaneur freie Bahn und freie Sicht auf sein Spiegelbild in den Schaufenstern gewinne), bevorzugt er die arabesken Krümmungen, die unökonomischen Kurven und anekdotischen Bögen, und manchmal überspannt er den Bogen auch. "Leben hat mit Bögen zu tun. Der Olivenzweig biegt sich unter der Last seiner Früchte, der Bauch schwangerer Frauen ist ein Bogen, und die Zweige der Palme bilden eine Rundung. Geradlinig ist nur der Tod." Krümmung, schwört Schami, verkürzt, wenigstens für den Blick, die Entfernung.
Aber Krümmungen, Bögen und Säulen, folkloristische Gestelle und Obstpyramiden können die gefühlte Erzählstrecke manchmal auch lang machen, wenigstens für den westlichen Schnelläufer, den der Wechsel vom gemächlichen Mäandern zu übermütigen Hüpfern und Zeitsprüngen leicht überfordert. Das erste Drittel des Romans ist jedenfalls eine Durststrecke durch die Wüste, auch wenn Schami am Wegrand immer wieder süßes Naschwerk, Kindheitserinnerungen und soziokulturelles Fladenbrot als Proviant reicht. Erst wenn er auf die breite Hauptstraße seiner Romeo-und-Julia-Geschichte einbiegt, kommt der rumpelnde Erzählkarren in Fahrt und auf die Spur.
Die westliche Kultur - Filme, Bücher, Ideologien - spielen eine große Rolle in Farids und Ranas Sozialisation; aber die größere Faszination geht von der islamischen Welt aus. Farids christlicher Vater war auch Zuckerbäcker und Hurenbock; aber Muslime sind einfach bunter, lauter, sinnlicher. Ihr Essen schmeckt besser, ihr Tee süßer, ihr Sex derber. In dieser Familiensaga wird mehr (und freizügiger) geliebt, gelacht und gestorben als in den "Buddenbrooks". Aber Schami ist kein Thomas Mann: Sein Roman steht der epischen Unschuld von "Tausendundeiner Nacht" näher als der reflektierten Ironie des alteuropäischen Romans. Nicht nur, weil seine Sprache noch dem Duktus mündlicher Überlieferung verpflichtet ist und die Dialoge ("Glaubst du wirklich, daß unsere Liebe die Chance hat, die Meute der Fanatiker zu überleben"?) gelegentlich eiern: Die Figuren sind keine psychologisch ausdifferenzierten Individuen, sondern noch im Aufbegehren Angehörige ihrer Clans. Gefühle, Stimmungen und Bewußtseinsströme werden, wenn überhaupt, nur von außen beschrieben, weder ästhetisch überhöht noch moralisch beurteilt.
Schami will "Die dunkle Seite der Liebe" nicht als politischen Roman verstanden wissen. Aber die Geschichte Syriens ist mehr als nur Kulisse oder Erschwerniszulage autonomer, absoluter Liebe. Religiöse Konflikte, familiäre Gewalt und Staatsterror sind in diesem Roman kein steiniger, unfruchtbarer Acker, sondern der Humus der Liebe, der Dünger, der alle Blumen von Koran und Bibel ins Kraut schießen läßt. So wie die Zensur die literarische und verschleierte Frauen die männliche Phantasie oft anspornen, wird Ranas und Farids Liebe von den Hemm- und Hindernissen überhaupt erst beflügelt, und das gilt auch für Schamis Erzähllust.
MARTIN HALTER
Rafik Schami: "Die dunkle Seite der Liebe". Roman. Hanser Verlag, München 2004. 896 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Lieben mit Erschwerniszulage: Rafik Schamis Damaskus-Roman
Der Roman hat 304 Kapitel und neunhundert Seiten. Sein Inhalt läßt sich kurz zusammenfassen: Er schildert Liebe unter schwersten Bedingungen, "Romeo und Julia" in Syrien. Die unmögliche Liebe zwischen Rana Schahin und Farid Muschtak, den Kindern verfeindeter Clans aus dem Bergdorf Mala, ist der Stoff des Zauberteppichs. Er ist nicht frei von Webfehlern, ausfransenden Fäden und ausufernder Ornamentik, und doch werden die tausendundein Erzählstränge zu einem Muster verknüpft: Damaskus-Erlebnisse, hell und dunkel. Rafik Schami, 1946 in Damaskus geboren und 1970 vor Militärdienst und politischer Verfolgung nach Deutschland geflüchtet, verknotet zwei Liebesgeschichten: So wie Farid und Rana ihre verbotene Liebe gegen Gewalt, Mißtrauen, Trennung und Zweifel behaupten, ist auch er seiner Heimat im Exil treu geblieben.
"Die dunkle Seite der Liebe" beschwört die Farben, Gerüche und Gerüchte von Damaskus, die Straßen und Cafés, in denen sich in den fünfziger und sechziger Jahren liberale Intellektuelle, Kommunisten, Nationalisten und Moslembrüder stritten, prügelten und gegen Armee und Geheimdienst zusammenrauften. Der Roman belauscht die Verschwörer im Untergrund und in den Folterkellern, die "Mondfrauen" im Bad, die Zöglinge in der Klosterschule, die Händler und Kamelschlachter in den Suks. Er erzählt das tolldrastische Schnurren von Omar, dem Bügler, und Mansur, dem Mäusefänger, von Sodomiten und zickigen höheren Töchtern; rührende und schreckliche Geschichten von Ehrenhändeln, Stammesfehden, Blutrache und Mord. Wir erfahren, wie Farid, der entlaufene Jesuitenschüler, mit dem Kommunismus kokettiert und in die Hölle der Straflager absteigt, wie seine Freundin zum "Kaktus" verdorrt und in der Psychiatrie landet. Gesellschaft, Geschichte und Politik zeichnen das Paar an Leib und Seele mit tragischem Pathos; der Erzähler, bei allem Zorn humaner und milder gestimmt, läßt die beiden mit dem Leben und der Liebe davonkommen.
Zwischen ihnen steht nicht nur der alte Haß zwischen den griechisch-orthodoxen Muschtaks und den katholischen Schahins, arabischer Chauvinismus und der Ehrenkodex der Clans, sondern fast ein Jahrhundert ethnischer, sozialer, religiöser und politischer Konflikte, vom Kampf gegen osmanische und europäische Kolonialherren bis zur Ausrufung der Republik 1947, von der Schreckensherrschaft der Putschgeneräle bis zur Machtübernahme von Hafiz al Assad 1970. Die Auseinandersetzungen zwischen Schaklanisten, Hablanisten und Baathisten, Alawiten, Schiiten und christlichen Sekten sind auch mit Hilfe des "Einlesebuchs" schwer nachzuvollziehen. Das Drama der Liebe um so leichter: Farid und Rana sind von Brüdern und Vätern, Spitzeln, Verrätern und Haßpredigern umzingelt, werden zu Heimlichkeiten und Kompromissen gezwungen, auseinandergerissen und um so fester zusammengeschweißt.
1962 wurde Schami Augenzeuge eines Ehrenmordes an einer Muslimin, die einen Christen geliebt hatte. Die Urszene ist im Roman zu einer Episode geschrumpft - und zu einer Enzyklopädie aller Liebschaften unter erschwerten Bedingungen aufgegangen. Fast vierzig Jahre hat Schami mit dem Stoff seines Lebens gerungen, der sich ihm mal entzog, dann wieder anschwoll. Lange experimentierte er mit einem uralten verrückten Erzähler; aber eine burleske Scheherazade schien ihm der falsche Ton. Jetzt hat Gibran, der Seemann, die Rolle des verrückten Märchenerzählers übernommen; aber auch Farid beherrscht die Kunst, die "Zunge zu satteln und davonzureiten". Den Stein des Weisen fand Schami am 14. August 1995, angeblich im Traum: Wie der Mosaikkünstler, bei dem er einst in die Lehre ging, wollte er fortan kalligraphisch bemalte Steine zu einem Bild ordnen, das sich erst aus der Distanz als Komposition zu erkennen gibt. Die Technik ist weder sonderlich originell noch spezifisch orientalisch. Aber mit diesem Roman ist Schami endgültig einer der am hellsten leuchtenden Steine im bunter werdenden Mosaik der deutschsprachigen Immigrantenliteratur geworden.
Ein großes Epos aus kleinteiligen Scherben zusammenzukleben birgt freilich auch Risiken. "Wenn man von Damaskus erzählen will", heißt es einmal, "muß man aufpassen, nicht zu versinken, denn Damaskus ist ein Meer von Geschichten. Die Stadt weiß das, deshalb behält sie bei aller Liebe der Araber für verwinkelte Straßen und Gassen eine einzige gerade Straße, die auch so heißt." Die Via recta ist die Orientierungslinie für Fußgänger und Erzähler, der Kompaß im verwirrenden Geflecht der Gassen, und seine Nadel zeigt seit mehr als dreitausend Jahren von Ost nach West. Inzwischen haben Händler die breite Paradeallee durch allerlei Vor- und Anbauten, Buden und Früchtepyramiden längst zu einem kurvigen Sträßchen verengt.
Doch für Schami ist der Slalom kein Umweg. Anders als der europäische Gesellschaftsroman, der, auf den Spuren von Baron Haussmann, schnurgerade Schneisen der Zerstörung ins Dickicht verwinkelter Städte schlug (auf daß der Flaneur freie Bahn und freie Sicht auf sein Spiegelbild in den Schaufenstern gewinne), bevorzugt er die arabesken Krümmungen, die unökonomischen Kurven und anekdotischen Bögen, und manchmal überspannt er den Bogen auch. "Leben hat mit Bögen zu tun. Der Olivenzweig biegt sich unter der Last seiner Früchte, der Bauch schwangerer Frauen ist ein Bogen, und die Zweige der Palme bilden eine Rundung. Geradlinig ist nur der Tod." Krümmung, schwört Schami, verkürzt, wenigstens für den Blick, die Entfernung.
Aber Krümmungen, Bögen und Säulen, folkloristische Gestelle und Obstpyramiden können die gefühlte Erzählstrecke manchmal auch lang machen, wenigstens für den westlichen Schnelläufer, den der Wechsel vom gemächlichen Mäandern zu übermütigen Hüpfern und Zeitsprüngen leicht überfordert. Das erste Drittel des Romans ist jedenfalls eine Durststrecke durch die Wüste, auch wenn Schami am Wegrand immer wieder süßes Naschwerk, Kindheitserinnerungen und soziokulturelles Fladenbrot als Proviant reicht. Erst wenn er auf die breite Hauptstraße seiner Romeo-und-Julia-Geschichte einbiegt, kommt der rumpelnde Erzählkarren in Fahrt und auf die Spur.
Die westliche Kultur - Filme, Bücher, Ideologien - spielen eine große Rolle in Farids und Ranas Sozialisation; aber die größere Faszination geht von der islamischen Welt aus. Farids christlicher Vater war auch Zuckerbäcker und Hurenbock; aber Muslime sind einfach bunter, lauter, sinnlicher. Ihr Essen schmeckt besser, ihr Tee süßer, ihr Sex derber. In dieser Familiensaga wird mehr (und freizügiger) geliebt, gelacht und gestorben als in den "Buddenbrooks". Aber Schami ist kein Thomas Mann: Sein Roman steht der epischen Unschuld von "Tausendundeiner Nacht" näher als der reflektierten Ironie des alteuropäischen Romans. Nicht nur, weil seine Sprache noch dem Duktus mündlicher Überlieferung verpflichtet ist und die Dialoge ("Glaubst du wirklich, daß unsere Liebe die Chance hat, die Meute der Fanatiker zu überleben"?) gelegentlich eiern: Die Figuren sind keine psychologisch ausdifferenzierten Individuen, sondern noch im Aufbegehren Angehörige ihrer Clans. Gefühle, Stimmungen und Bewußtseinsströme werden, wenn überhaupt, nur von außen beschrieben, weder ästhetisch überhöht noch moralisch beurteilt.
Schami will "Die dunkle Seite der Liebe" nicht als politischen Roman verstanden wissen. Aber die Geschichte Syriens ist mehr als nur Kulisse oder Erschwerniszulage autonomer, absoluter Liebe. Religiöse Konflikte, familiäre Gewalt und Staatsterror sind in diesem Roman kein steiniger, unfruchtbarer Acker, sondern der Humus der Liebe, der Dünger, der alle Blumen von Koran und Bibel ins Kraut schießen läßt. So wie die Zensur die literarische und verschleierte Frauen die männliche Phantasie oft anspornen, wird Ranas und Farids Liebe von den Hemm- und Hindernissen überhaupt erst beflügelt, und das gilt auch für Schamis Erzähllust.
MARTIN HALTER
Rafik Schami: "Die dunkle Seite der Liebe". Roman. Hanser Verlag, München 2004. 896 S., geb., 24,90 [Euro].
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