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"Leo Gursky lebt - noch. Er klopft jeden Abend an die Heizungsrohre seiner New Yorker Wohnung, damit sein Nachbar von oben das auch weiß. Aber so trostlos war sein Leben nicht immer: Vor sechzig Jahren verliebte sich Leo in seinem polnischen Heimatdorf in ein Mädchen und schrieb ein Buch. Ohne dass Leo es weiß, hat dieses Buch ebenfalls überlebt und hat die seltsamsten Folgen nach sich gezogen. Die vierzehnjährige Alma wurde beispielsweise nach einer Figur in diesem Buch benannt. Und obwohl sie alle Hände voll zu tun hat - ihren Bruder Bird beobachten, der glaubt, er sei der Messias, und…mehr

Produktbeschreibung
"Leo Gursky lebt - noch. Er klopft jeden Abend an die Heizungsrohre seiner New Yorker Wohnung, damit sein Nachbar von oben das auch weiß. Aber so trostlos war sein Leben nicht immer: Vor sechzig Jahren verliebte sich Leo in seinem polnischen Heimatdorf in ein Mädchen und schrieb ein Buch. Ohne dass Leo es weiß, hat dieses Buch ebenfalls überlebt und hat die seltsamsten Folgen nach sich gezogen. Die vierzehnjährige Alma wurde beispielsweise nach einer Figur in diesem Buch benannt. Und obwohl sie alle Hände voll zu tun hat - ihren Bruder Bird beobachten, der glaubt, er sei der Messias, und Überlebenstechniken trainieren - stürzt sie sich in das Abenteuer, den Autor des Buches zu finden.Nicole Krauss verknüpft die Geschichten ihrer Figuren mit faszinierender Leichtigkeit. Ihr Roman ist wahrlich eine Geschichte der Liebe: Eine Erzählung, die vor Lachen, Ironie, Leidenschaft und außerordentlicher Einbildungskraft schier überquillt.Nicole Krauss' zweiter Roman, ""Die Geschichte der Liebe"", wird als der nächste große Wurf gehandelt, die Dreharbeiten für die Verfilmung sind bereits vor Erscheinen des Buchs in den USA begonnen worden und die Übersetzungsrechte wurden schon in 20 Länder verkauft."
Autorenporträt
Nicole Krauss wurde 1974 in New York, USA, geboren. Sie studierte Englische Literatur in Stanford und Oxford. "Die Geschichte der Liebe" ist ihr zweiter Roman nach "Man Walks Into a Room" und einigen Lyrikveröffentlichungen. Sie ist mit Jonathan Safran Foer verheiratet und lebt in New York.
Trackliste
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1Die Geschichte der Liebe00:05:14
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.09.2005

Einsamkeit einer unbeschriebenen Welt
Manuskript ohne Grenzen: Nicole Krauss bewahrt das jüdische Familienerbe im Roman

Mit dem Einstieg in einen Roman verhält es sich ähnlich wie mit dem Betreten eines fremden Hauses: Instinktiv mustert man die ungewohnte Umgebung, registriert Eigentümlichkeiten wie Geruch, Farben oder die Art der Stille. In manchen Büchern fühlt man sich schon nach nur wenigen Seiten, gar Sätzen gut aufgehoben, andere bedrängen einen mit überladener Dekoration oder einem aufgesetzten Minimalismus. Literarischer Stil teilt sich so unmittelbar mit wie die Atmosphäre eines Raums. Später, wenn man ein Buch und seine Bewohner bereits besser kennt, mag man leichter über die Schwelle treten, aber zunächst gilt es, Vertrauen zu fassen.

Als Leser der "Geschichte der Liebe" von Nicole Krauss fühlt man sich sofort wohl, obwohl es alles andere als heimelig oder sorglos zugeht. Leopold Gursky lebt in New Yorks Lower East Side in einer winzigen Wohnung, ein alter Jude mit schwachem Herzen und lebhafter Phantasie, der mit allen Mitteln gegen das Verschwinden ankämpft: Im Laden läßt er absichtlich das Wechselgeld fallen, damit ihm die Umstehenden beim Aufheben der Münzen zuschauen; im Kino kauft er Popcorn, um es gegebenenfalls zu ähnlichen Zwecken umstoßen zu können, und in seinem überlebenswichtigen Verlangen danach, Blicke auf sich zu ziehen, stellt er sich als Aktmodell für einen Zeichenkurs zur Verfügung.

Früher war Leopold Gursky Schlosser, und noch viel früher ein sehr verliebter Junge im polnischen Slonim. Eigentlich jedoch ist Leo Schriftsteller, ein geborener Erzähler, der sein Leben lang nur eines getan hat: Wörter abzuwiegen, sie auf ihre Frische, ihre Schönheit, ihre schmerzliche Triftigkeit zu prüfen und aufzuschreiben. Nachdem er die geliebte Frau vor langer Zeit an einen anderen verloren hat, erfüllt sein Wörterhorten einen elementaren Zweck: "Ich wollte die Welt beschreiben, weil es zu einsam war, in einer unbeschriebenen Welt zu leben." Schreibend bleibt er seiner Liebe treu, auch nachdem er sie verloren hat. Angefangen hatte es, als die Nationalsozialisten seinen Heimatort überfielen und Familie und Freunde ermordeten. Damals hatte Leo im Wald auf dem Rücken gelegen und an Alma gedacht, die rechtzeitig nach Amerika entkommen war. "In den folgenden Jahren wurde der Junge ein Mann, der sich unsichtbar machte. So entrann er dem Tod." Mit seinen achtzig Jahren hat Leo beschlossen, dem Sterben zu entgehen, indem er sichtbar bleibt.

Nicole Krauss, geboren 1974 in New York, ist die Enkelin von vier europäischen Emigranten, deren Porträts vorne im Roman zu sehen sind, und von denen einer aus Slonim stammt. Sie hat "Die Geschichte der Liebe" nicht nur ihrem Mann, dem Schriftsteller Jonathan Safran Foer, gewidmet, sondern auch ihren Großeltern, die sie "das Gegenteil von Verschwinden" lehrten. Auch wenn sie dies bestimmt nicht im Hinblick auf künftigen Ruhm gemeint hat, wird Nicole Krauss durch ihr Werk sichtbar für Leser in aller Welt. "Die Geschichte der Liebe" ist ein außergewöhnlicher Roman, lebensprall, klug und poetisch, von eigenwilligem, verhaltenem Charme, staunenswerter Anschaulichkeit und gesegnet mit einem zärtlichen Humor. Ganz wie die Liebe, die es im Titel trägt, macht dieses Buch glücklich und traurig zugleich.

Es erzählt die Geschichte eines Romanmanuskripts mit dem Titel "Die Geschichte der Liebe", das Leopold Gursky einst in Slonim schrieb, um das geliebte Mädchen zu erfreuen und zu beeindrucken. Er ahnt nicht, daß es die Leben mehrerer Menschen verändern wird - nach jener Alma, für die er es geschrieben hat, und die dennoch in Amerika einen anderen heiratete: Dem Freund Zvi Litvinoff, dem Leo das Manuskript zur Aufbewahrung gegeben hatte, verschafft es die Zuneigung seiner angebeteten Rosa. Von Litvinoff nach Chile geschmuggelt, aus dem Jiddischen ins Spanische übersetzt und als sein eigenes Werk ausgegeben, erscheint das Buch schließlich in einer Auflage von zweitausend Exemplaren. Eines davon entdeckt ein junger Israeli in einem Antiquariat und schenkt es seiner amerikanischen Frau. Das Paar nennt seine Tochter nach der Hauptfigur des Romans im Roman, und die Aufzeichnungen dieser Alma Singer bilden das zweite Herzstück von Krauss' Buch.

Auch Alma ist in New York zu Hause, und ganz wie Leo Gurskys ist auch ihr Leben von Liebe und Verlust geprägt: Seit dem frühen Krebstod des Vaters beobachtet Alma voller Sorge die zunehmende Isolation der Mutter, während ihr kleiner Bruder Bird sich für einen Propheten hält. Seit ein geheimnisvoller Mann ihre Mutter schriftlich gebeten hat, "Die Geschichte der Liebe" für ihn zu übersetzen, ist Alma von der Idee besessen, ihre darin vorkommende Namensschwester ausfindig zu machen - und so ihre Mutter vor dem Verschwinden in die Einsamkeit zu bewahren. So gibt es schließlich drei Fassungen der "Geschichte der Liebe", Leo Gurskys jiddisches Original, das verschwunden ist, Zvi Litvinoffs spanische und Mrs. Singers englische Übersetzung.

Nicole Krauss hat den beliebten literarischen Topos vom Buch im Buch natürlich in erster Linie gewählt, um die lebensverändernde Kraft der Literatur zu beschwören, aber auch, um Menschen zu zeigen, die gegen die eigene Auslöschung anschreiben. Wie so oft bei dieser Konstruktion ist auch in ihrem Fall das Buch, das das Manuskript umhüllt, um vieles stärker als Leos schwärmerisches Jugendwerk. Seine Gefühlschronik der Menschheit, beginnend mit dem Stummzeitalter, ist in ihrer Unbeholfenheit rührend: "Die erste Sprache der Menschen waren Gesten. Diese Sprache, die ihnen aus den Händen floß, hatte nichts Primitives an sich. Während der Stummzeit kommunizierten die Menschen mehr, nicht weniger. Wenn eine Hand schützend vors Gesicht gehalten wurde, weil jemand über ein lautes Geräusch erschrak, wurde etwas gesagt, und wenn Finger aufhoben, was jemand hatte fallen lassen, wurde etwas gesagt, und sogar wenn die Hände ruhten, sagte das etwas."

Aus der Geschichte dieses Manuskripts hat Nicole Krauss keine handelsübliche Detektivgeschichte gesponnen, sondern ein zartes Netz von Beziehungen, das Menschen über Kontinente und Zeiten hinweg lesend und schreibend miteinander verbindet. Es ist eine komplizierte, verwirrende Geschichte, die sich aller Vereinfachung konsequent verweigert - und damit die Pathosfalle geschickt umgeht. Daß Nicole Krauss die Vielschichtigkeit von Motivationen, Gefühlen und Leben nicht auf eine schnurgerade Interpretation trimmt, macht ihr Buch weder leicht zu lesen, noch zu beschreiben, aber es verleiht ihm die Glaubwürdigkeit persönlicher Integrität. Lauter Schriftsteller bevölkern dieses in seinem Anspruch gewaltige, im Umfang vergleichsweise schmale - und von Grete Osterwald flüssig übersetzte - Buch: Leo, sein ferner Sohn Isaac Moritz, sein Sandkastenfreund Bruno, Zvi Litvinoff, Alma, ihre Mutter und ihr Bruder. Sie alle schreiben aus Einsamkeit, aus Liebe und Sehnsucht. Vielleicht, so scheinen die Figuren zu sagen, liegt in dieser Art zu schreiben der einzig mögliche Trost über den Verlust. "Hundert Dinge können dein Leben verändern, eines ist ein Brief", befindet Alma emphatisch, die mit ihrer Korrespondenz ein Männerherz für ihre Mutter gewinnen will.

Wer will, kann unter diesen schriftbesessenen Versehrten die Spuren von Bruno Schulz, Jorge Luis Borges, Isaak Babel oder Isaac Bashevis Singer ausmachen oder sich über den ein oder anderen Schlenker in die Gegenwartsliteratur amüsieren. Doch diese Referenzen sind lediglich Spielmaterial, augenzwinkernde Verneigungen dieser auch literaturwissenschaftlich glänzend bewanderten Autorin.

Handelte Nicole Krauss' erster Roman, "Man Walks into a Room" (2002), von einem Mann, der sein Gedächtnis verloren hat und sich um neue Erinnerungen bemüht, hat Leopold Gursky eher zu viele Erinnerungen. Er überlebt, weil er in seiner Phantasie Gesellschaft findet. Manche Erfindung ist sogar besser als die Realität, scheint er mit jener liebenswerten, typisch jiddischen Mischung aus genüßlicher Wichtigtuerei und bodenloser Verzweiflung zu sagen. Alma hingegen erkennt, daß man in der menschlichen Wildnis am besten überlebt, wenn man sich selbst genügt - und das richtige Buch gelesen hat. Ein solches Buch hat Nicole Krauss uns geschenkt.

Nicole Krauss: "Die Geschichte der Liebe". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Grete Osterwald. Rowohlt Verlag, Reinbek 2005. 349 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.03.2006

Die Traurigkeit, nicht trauern zu können
Ein wenig zu nett: Nicole Krauss’ Roman „Die Geschichte der Liebe”
Gefragt, warum gerade in den letzten Jahren ein Boom an Familien-Romanen der jüdischen Enkel-Generation zu verzeichnen sei, antwortete Nicole Krauss, die mit ihrer „Geschichte der Liebe” jetzt selber ein Exempel beigesteuert hat, in einer soziologisch gut abgesicherten Formel: Die Generation der Großeltern habe oft erst vor kurzem ihr Schweigen gebrochen. Seither müssten die Enkel mit den Erinnerungen ihrer Vorfahren auf eigene Weise zurecht kommen.
Das mag in einer Vielzahl der Fälle zutreffen, und so ist es wohl auch bei Nicole Krauss’ Großeltern gewesen. Bei Krauss’ Romanfiguren jedoch fragt man sich oft, wovon sie so lange geschwiegen haben könnten. Das Grauen des Holocaust ist es nicht. Leo Gursky, der zentrale Protagonist und Erzähler aus Krauss’ zweitem Roman „Die Geschichte der Liebe” ist ein ärmlicher, achtzigjähriger US-Immigrant wie andere auch. Allenfalls sein Humor, der ins Groteske schießt, macht ihn zu einem klassischen Vertreter des jüdischen Witzes. Gursky wohnt in einer kleinen, zugemüllten Wohnung, die er sich gerne etwas größer macht. „Vom Klo zur Wohnungstür, unmöglich, da muss ich über den Küchentisch. Ich stelle mir mein Bett gern als Homeplate vor, das Klo als First, den Küchentisch als Second, die Wohnungstür als Third Base.”
Das sind eher holocaustfreie Galgenbetrachtungen eines New Yorkers mit winzigem Einkommen, und wenn Gursky bei Romanbeginn verhindern will, dass bei seinem Sterben niemand dabei ist, so hat auch das wenig mit den speziellen Schrecken der Opfergeneration zu tun. Wobei Krauss die Schraube der üblichen Angst vor der Alterseinsamkeit noch ein wenig weiter dreht: Gursky möchte immer gesehen werden. Also schleppt er sich auch zum Aktzeichnen, um dort, betont hässlich, Modell zu stehen. Während eines solchen Termins zu sterben, wäre, so Gurskys Phantasie, das Gegenteil der drohenden Verwesung in der eigenen Wohnung.
Zugegeben, es sind teilweise makabre Vorstellungen, die der Alte pflegt, dennoch bleibt Gursky ein durchweg sympathischer Kerl, der, und das ist wohl einer der Gründe für den beträchtlichen Erfolg des Buches in den USA und Deutschland, den Holocaust für seine Leser ins Gemütlich-Kauzige wenden kann. Denn auch jene Erinnerungen „an damals”, die Gursky am meisten Probleme bereiten, bleiben überdurchschnittlich „weich”, sind eher sentimentaler Natur. Sie haben mit Alma, Gurskys aus den Augen verlorenem Jugendschwarm, zu tun, sowie mit einem verschollenen Roman-Manuskript, eben jener pathetisch und vielversprechend übertitelten „Geschichte der Liebe”, die der halbwüchsige Gursky schrieb, um Alma von sich zu überzeugen: ein traditionelles Buch im Buch.
Doch warum dringt Nicole Krauss nicht weiter vor als bis zu dieser Art von „Holocaust light”? Neben der auch von US-Kritikern vorgebrachten Begründung, sie schiele nach dem amerikanischen Massenpublikum, gibt Krauss in einem Essay, „On forgetting”, der im Internet nachzulesen ist, eine andere Motivation an. Eine ihrer beiden Großmütter habe sie das Aufnahmegerät ausschalten lassen, als sie ihr erzählt habe, wie ihr Vater gezwungen worden sei, das Gras mit seinen Zähnen zu mähen. Sie habe die Großmutter zuerst nicht verstanden, bis ihr klar wurde: „Erinnern ja, aber nicht den Terror, mit dem sie versuchten, uns unsere Würde zu nehmen (. . .) Erinnere dich an das Leben, wollte sie sagen, erinnere dich daran, wie wir lebten.”
Das Problem, das Nicole Krauss mit dieser Interpretation der Großmutter haben musste, ist offenkundig: Sie, Jahrgang 1974, gehört zur Urenkel-Generation: „Wenn meine Mutter, nach dem Krieg in London geboren, Roman Vishniacs Schtetl-Fotografien sah, spürte sie eine überwältigende Vertrautheit, als ob ihre Familienangehörigen auf den Bildern zu sehen seien, als ob sie selber dort gewesen sei. Wenn ich diese Fotos anschaue, fühle ich mich nur traurig.” Und es sei eine doppelte Traurigkeit, die sie ergreife: Die „Traurigkeit des Erinnerns” und die Traurigkeit, dass sie zur Trauer „nicht mehr in der Lage” sei.
So reden die Einwanderer
Das ist eine ziemlich überzeugende Argumentation, die zur Wahrnehmung dieses Buches gehört. Doch auch wenn man sie akzeptiert, muss man sehen, dass sie Krauss zu nichts anderem als dem Allerweltsmotiv „Erinnere dich, wie wir geliebt haben” gebracht hat. Dank Gurskys hohen Sympathiewerten liest sich der Roman dennoch eine Weile lang rührend und gut. Selbst der im Gegensatz zu ihrem Mann Jonathan Safran Foer geringe sprachliche Ehrgeiz - ein durchschnittlich aufgerautes Einwanderer-Amerikanisch bestimmt den Ton - wirkt nicht weiter störend, solange Gurskys Gegenwarts- und Erinnerungsplot die Hauptrolle spielt.
Doch als wolle Krauss die fehlende eigene Sprache vergessen machen, und ihrem Buch ein paar andere Stimmen und Geheimnisse geben, treibt sie das verschollene Manuskript in immer verworrenere Handlungskonstellationen, die ihre mühselig hergestellte Wahrscheinlichkeit im Wesentlichen der glücklichen Fügung eines auch im Sinne der Überlebensmöglichkeiten durchaus freundlichen Holocausts verdanken. Leo Gurskys „Geschichte der Liebe” erreicht ihn am Ende wieder, weil Zvi Litvinoff, der mit Gursky im polnischen Slonim aufgewachsen ist, das Manuskript nach Chile retten konnte. Litvinoff hat den Text jedoch nicht in Ehren gehalten, sondern, im Glauben an Gurskys Tod, dazu verwendet, sich einer Angebeteten gegenüber selber als Schriftsteller auszugeben.
Auch das wäre für sich genommen kein schlechter Einfall, doch Gurskys, von Litvinoff leicht verhunzte, schließlich ins Spanische übersetzte „Geschichte der Liebe” gerät, per Erläuterungen einer Übersetzerin aus dem Spanischen zu einem ganz anderen Buch geworden, in die Hände von Isaac Moritz. Der ist nicht nur Schriftsteller, sondern niemand anderes als der uneheliche Sohn von Gursky und der damals angebeteten Alma. Auch sie hielt Gursky für tot, suchte sich einen anderen Mann für den in ihrem Bauch nach Amerika mit emigrierten Sohn. Nach so vielen Zufällen macht es sicher Sinn, dass die Tochter der Übersetzerin, ein verschobenes Selbstporträt Nicole Krauss’, nach Gurskys Roman-Heldin Alma heißt, und am Ende den von ihr gesuchten Autor in New York zum erstenmal trifft, gewissermaßen als seelenvolle Wiedergängerin der Ur-Alma, die den Holocaust ebenfalls überlebte und vor kurzem in New York gestorben ist.
Betont nette jüdische Familiengeschichten aus dem zwanzigsten Jahrhundert lesen sich auf ganz andere Weise, aber nicht weniger deutlich phantastisch als nette deutsche.
HANS-PETER KUNISCH
NICOLE KRAUSS: Die Geschichte der Liebe. Roman. Aus dem Amerikanischen von Grete Osterwald. Rowohlt Verlag. Reinbek bei Hamburg 2005. 352 Seiten, 19,90 Euro.
Der Fotograf Roman Vishniac hielt um 1930 typische Szenen aus dem Schtetl-Leben fest.
Foto: KPA/PA
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