Wo die Fäden zusammenlaufen
Fenia Xenopoulou, Beamtin in der Generaldirektion Kultur in Brüssel, steht vor einer schwierigen Aufgabe. Sie soll das Image der EU-Kommission aufpolieren. Aber wie? Sie beauftragt den Referenten Martin Susman, eine Idee zu entwickeln. Die Idee nimmt Gestalt an - die Gestalt eines Gespensts aus der Geschichte; David de Vriend dämmert in einem Altenheim seinem Tod entgegen. Als Kind ist er von einem Deportationszug gesprungen, der seine Eltern in den Tod führte. Nun soll er bezeugen, was er im Begriff ist zu vergessen. Auch Kommissar Brunfaut steht vor einer schwierigen Aufgabe. Er muss aus politischen Gründen einen Mordfall auf sich beruhen lassen; und Alois Erhart, Emeritus der Volkswirtschaft, soll in einem Thinktank der Kommission Worte sprechen, die seine letzten sein könnten. Und was macht Brüssel? Es sucht einen Namen - für ein Schwein, das durch die Straßen läuft.
Gelesen von Christian Berkel.
(2 mp3-CDs, Laufzeit: 14h 21)
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Fenia Xenopoulou, Beamtin in der Generaldirektion Kultur in Brüssel, steht vor einer schwierigen Aufgabe. Sie soll das Image der EU-Kommission aufpolieren. Aber wie? Sie beauftragt den Referenten Martin Susman, eine Idee zu entwickeln. Die Idee nimmt Gestalt an - die Gestalt eines Gespensts aus der Geschichte; David de Vriend dämmert in einem Altenheim seinem Tod entgegen. Als Kind ist er von einem Deportationszug gesprungen, der seine Eltern in den Tod führte. Nun soll er bezeugen, was er im Begriff ist zu vergessen. Auch Kommissar Brunfaut steht vor einer schwierigen Aufgabe. Er muss aus politischen Gründen einen Mordfall auf sich beruhen lassen; und Alois Erhart, Emeritus der Volkswirtschaft, soll in einem Thinktank der Kommission Worte sprechen, die seine letzten sein könnten. Und was macht Brüssel? Es sucht einen Namen - für ein Schwein, das durch die Straßen läuft.
Gelesen von Christian Berkel.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.09.2017Realistische Groteske
Robert Menasse in der Frankfurter Romanfabrik
Er kennt sich aus in Brüssel. Vier Jahre lang hat Robert Menasse in der belgischen Hauptstadt gelebt. Immer wieder hat er Essays über die Europäische Union und ihre Institutionen verfasst und für eine "Europäische Republik" auf dem Fundament eines Europas der Regionen plädiert. Jetzt hat er in der Frankfurter Romanfabrik endlich auch einen EU-Roman vorgestellt, der unter dem Titel "Die Hauptstadt" bei Suhrkamp erschienen ist. "Eine Groteske", befand Hausherr Michael Hohmann. Aber der Wiener Schriftsteller beharrte auf einem "realistischen Roman". Jedenfalls fand das sich drängende Publikum genug Anlässe, immer wieder laut aufzulachen. Und das nicht nur während des Prologs, in dem ein Schwein die Brüsseler Innenstadt heimsucht und dabei fast der gesamten Personage des Romans über den Weg läuft.
Brüssel, die Hauptstadt der Realsatire. Etwa, wenn "Xeno", die Leiterin eines Jubiläumsprojekts, dem Kabinettschef des Kommissionspräsidenten gegenübersitzt, um ihn von ihren Plänen zu überzeugen. Mit seinem Romulus Strozzi ist Menasse eine wunderbare Karikatur gelungen. Hauptberuflich Nachfahre adliger italienischer Faschisten und Kriegsverbrecher, begrüßt er die griechische Kollegin auf Altgriechisch und mit den ersten Worten des Johannes-Evangeliums. Einst hat er die olympische Bronzemedaille im Säbelfechten gewonnen. Den Finten und Paraden dieses EU-Beamten ist "Xeno" nicht gewachsen. Am Ende will Strozzi die Nationalstaaten in das Projekt einbeziehen, also statt an einem Strang zu ziehen ein ganzes Knäuel von Fäden in die Hand nehmen. Die EU-Kommission als Hüterin der Verträge und der Europäische Rat mit seinen nationalen Interessen - dieses Strukturproblem der Union nimmt Menasse köstlich auf's Korn.
Ein anderes Problem ist das Gewissen einzelner Beamter. Wie das des Patienten im Nadelstreifenpyjama, der keine Reden mehr für den Finanzkommissar schreiben kann, seit er weiß, dass die Selbstmordrate in Griechenland entsprechend der Sparauflagen gestiegen ist. Der Kommunikationsbeamte fühlt sich wie sein versagendes Kommunikationsorgan: "Ich bin sozusagen beruflich eine Milz." Menasse schreibt nicht nur geistreich und witzig, er trug seine sorgsam ausgewählten Passagen auch vor wie ein Kabarettist. Dabei liegt ihm die EU ernsthaft am Herzen und er hat Verständnis für ihre hochqualifizierten Beamten, nur: "Es sind Menschen."
Zurück zum Schwein. Diese "universale Metapher" sollte im Schweinsgalopp alles und alle zusammenführen: als Symbol des Glücks und der Sparsamkeit, aber auch als unreines Tier zweier Monotheismen. "Die europäische Politik besteht nun einmal aus Widersprüchen", sagte Menasse. Zu den Karriereschlüsseln in Brüssel gehöre es übrigens auch, das Lieblingsbuch des Kommissionspräsidenten im Smalltalk erwähnen zu können, in diesem Fall Musils "Der Mann ohne Eigenschaften". Deshalb habe auch er einige musilsche "Duftmarken" gesetzt, fügte er hinzu. Vielleicht gehören sie ja auch zu den Karriereschlüsseln im hiesigen Literaturbetrieb: Menasse steht mit seinem Roman immerhin auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises und wird daher neben vier der anderen fünf Shortlist-Autoren am Samstag von 18 Uhr an im Frankfurter Literaturhaus ebenfalls zu Gast sein. Die Lesung ist ausverkauft.
CLAUDIA SCHÜLKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Robert Menasse in der Frankfurter Romanfabrik
Er kennt sich aus in Brüssel. Vier Jahre lang hat Robert Menasse in der belgischen Hauptstadt gelebt. Immer wieder hat er Essays über die Europäische Union und ihre Institutionen verfasst und für eine "Europäische Republik" auf dem Fundament eines Europas der Regionen plädiert. Jetzt hat er in der Frankfurter Romanfabrik endlich auch einen EU-Roman vorgestellt, der unter dem Titel "Die Hauptstadt" bei Suhrkamp erschienen ist. "Eine Groteske", befand Hausherr Michael Hohmann. Aber der Wiener Schriftsteller beharrte auf einem "realistischen Roman". Jedenfalls fand das sich drängende Publikum genug Anlässe, immer wieder laut aufzulachen. Und das nicht nur während des Prologs, in dem ein Schwein die Brüsseler Innenstadt heimsucht und dabei fast der gesamten Personage des Romans über den Weg läuft.
Brüssel, die Hauptstadt der Realsatire. Etwa, wenn "Xeno", die Leiterin eines Jubiläumsprojekts, dem Kabinettschef des Kommissionspräsidenten gegenübersitzt, um ihn von ihren Plänen zu überzeugen. Mit seinem Romulus Strozzi ist Menasse eine wunderbare Karikatur gelungen. Hauptberuflich Nachfahre adliger italienischer Faschisten und Kriegsverbrecher, begrüßt er die griechische Kollegin auf Altgriechisch und mit den ersten Worten des Johannes-Evangeliums. Einst hat er die olympische Bronzemedaille im Säbelfechten gewonnen. Den Finten und Paraden dieses EU-Beamten ist "Xeno" nicht gewachsen. Am Ende will Strozzi die Nationalstaaten in das Projekt einbeziehen, also statt an einem Strang zu ziehen ein ganzes Knäuel von Fäden in die Hand nehmen. Die EU-Kommission als Hüterin der Verträge und der Europäische Rat mit seinen nationalen Interessen - dieses Strukturproblem der Union nimmt Menasse köstlich auf's Korn.
Ein anderes Problem ist das Gewissen einzelner Beamter. Wie das des Patienten im Nadelstreifenpyjama, der keine Reden mehr für den Finanzkommissar schreiben kann, seit er weiß, dass die Selbstmordrate in Griechenland entsprechend der Sparauflagen gestiegen ist. Der Kommunikationsbeamte fühlt sich wie sein versagendes Kommunikationsorgan: "Ich bin sozusagen beruflich eine Milz." Menasse schreibt nicht nur geistreich und witzig, er trug seine sorgsam ausgewählten Passagen auch vor wie ein Kabarettist. Dabei liegt ihm die EU ernsthaft am Herzen und er hat Verständnis für ihre hochqualifizierten Beamten, nur: "Es sind Menschen."
Zurück zum Schwein. Diese "universale Metapher" sollte im Schweinsgalopp alles und alle zusammenführen: als Symbol des Glücks und der Sparsamkeit, aber auch als unreines Tier zweier Monotheismen. "Die europäische Politik besteht nun einmal aus Widersprüchen", sagte Menasse. Zu den Karriereschlüsseln in Brüssel gehöre es übrigens auch, das Lieblingsbuch des Kommissionspräsidenten im Smalltalk erwähnen zu können, in diesem Fall Musils "Der Mann ohne Eigenschaften". Deshalb habe auch er einige musilsche "Duftmarken" gesetzt, fügte er hinzu. Vielleicht gehören sie ja auch zu den Karriereschlüsseln im hiesigen Literaturbetrieb: Menasse steht mit seinem Roman immerhin auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises und wird daher neben vier der anderen fünf Shortlist-Autoren am Samstag von 18 Uhr an im Frankfurter Literaturhaus ebenfalls zu Gast sein. Die Lesung ist ausverkauft.
CLAUDIA SCHÜLKE
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Paul Jandl fühlt sich mit Robert Menasses neuem Roman an Musils "Mann ohne Eigenschaften" erinnert. Hier wie da werden die Verhältnisse in ihrer Gefährlichkeit aufgedeckt, bei Menasse ist das vor allem die EU-Wirklichkeit im Abgleich mit ihren Möglichkeiten, erklärt Jandl. Dass Menasse Europa als Thema urbar gemacht hat, findet der Rezensent bemerkenswert, zumal der Autor hier geradezu einen Krimi um die europäische Fleischindustrie entwirft, wie Jandl feststellt. Geschichte und Gegenwart, Tragik und Komik, Hoffnung und Scheitern haben darin gleichermaßen ihren Platz, meint Jandl, ohne dass der Autor es allzu parodistisch oder milieuhaft angehen lässt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Eine grandiose ... Liebeserklärung an Europa und gleichzeitig eine blendend recherchierte Innenansicht über die Arbeit der Europäischen Kommission.« Denis Scheck Der Tagesspiegel 20171217