Produktdetails
- Verlag: DHV Der HörVerlag
- ISBN-13: 9783895844577
- Artikelnr.: 25333066
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.03.1998Welches Hühnchen braucht der Mensch?
"Die Hauswaffe": Nadine Gordimers Eloge auf den Rechtsstaat / Von Tanya Lieske
Etwas Schreckliches ist geschehen." Einst schrieb der Junge im Internat diesen Satz an die Eltern. Ein Kommilitone hatte sich erhängt. Du kannst immer zu uns kommen, versicherten ihm die Eltern damals. Nun, gut zwei Jahrzehnte später, steht der Satz am Anfang einer ganz anderen Geschichte. Die Eltern werden an ihr Versprechen erinnert: Hat es selbst dann noch Gültigkeit, wenn das Schreckliche ein Mord, wenn der Täter der eigene Sohn ist?
In Nadine Gordimers neuem Roman "Die Hauswaffe" geht es um Recht, Unrecht und um das Gesetz, jenes formelhafte, von der Gesellschaft bestimmte Bindeglied zwischen beiden. Das Gesetz kann Menschen retten, wenn sie an den Rand ihrer Existenz getrieben werden. So geschieht es Claudia und Harald Lindgard, zwei erfolgreichen Menschen in der Mitte ihres Lebens. Das Ehepaar gehört zur weißen, liberalen Intelligenzija, ihre Stadt ist Johannesburg, ihre Zeit die späten neunziger Jahre. Die Frau behandelt als Ärztin weiße wie schwarze Patienten, der Mann ist Vorstandsmitglied einer Versicherungsgesellschaft, in seiner Freizeit pflegt er musische Interessen. Wie in allen Romanen Nadine Gordimers sind die Koordinaten der Protagonisten klar dargelegt, ihre Motivationen einsehbar, denn sie spiegeln als Mikrokosmos eine ganze Gesellschaft.
Mit dem Ende der Apartheid verwirklichen sich die Ideale des Ehepaars Lindgard. Alle Menschen sind gleich, haben sie ihrem Sohn Duncan immer erklärt. Nun haben Schwarz und Weiß zueinandergefunden, ohne daß die Lindgards auf die Straße gehen oder je ihren Kopf riskieren mußten. Ihre Ideale werden auf die Probe gestellt, als sie sich in der Hand eines Schwarzen befinden: Ihr Sohn Duncan, ein erfolgreicher Architekt, hat einen Mann erschossen. Sein Verteidiger, Motsamai, hat sich aus den Townships hochgearbeitet. "Sein Auftreten machte geltend, daß das Gericht für ihn da war, für diesen kleinen Mann mit dem faltigen Gesicht, das an einen dunklen, oft getragenen Handschuh erinnerte . . . Aus all den Jahren, in denen er ausgeschlossen gewesen war, auf der ,anderen Seite' des Gesetzes gestanden hatte, leitet er nun das Recht ab, der Würde des Gerichts mit Arroganz gegenüberzutreten."
Die Rollen haben sich verkehrt: Motsamai ist der Mächtige, von seinem Können, seinem juristischen Fachwissen, hängt die Zukunft des Sohnes ab. Jüdische und indische Anwälte verstehen sich am besten auf die Finessen des Gesetzes, teilt uns der Roman nebenbei mit. Nur wer durch die Brille der Apartheid schaut, kann das Ende der Apartheid ermessen. Nadine Gordimers Stärke ist es, daß sie dem Leser ebendiese Brille aufsetzt. Mit dem Ehepaar Lindgard durchlebt man die Vorbehalte gegen Motsamai und eine zögernde Annäherung. Im Laufe dieses Prozesses heben Claudia und Harald ihre Werte auf den Prüfstand, sezieren sie mit moralischem Rigorismus: Warum konnte Duncan töten, da doch christliche und humanistische Prinzipien seine Erziehung begründeten? Und: Ab wann wird ein Kompromiß untragbar? Darf man ein Hühnchen aus der Legebatterie essen oder Aktien der Tabakindustrie besitzen?
Duncan Lindgard leugnet seine Tat nicht. Bereits auf Seite 52 steht fest, daß der Roman sich nicht bis zum Ende von der Suche nach dem Täter nähren kann, auch die Frage nach dem Motiv wird erst einmal ausgeklammert. "Die Hauswaffe" bedient ein rares Genre, den Gerichtsthriller. Dessen Klimax funktioniert nach einem Prinzip, das man gut aus dem amerikanischen Kino kennt. Alle Parteien versammeln sich im Gerichtssaal, es folgen die Gutachten der Experten, die Plädoyers von Verteidigung und Staatsanwalt. Am Ende neigt sich die Waage der Justitia so, daß auch dem Leser Genugtuung widerfährt: Der Staat manifestiert sich als Gemeinschaft, in der individuelles Rechtsempfinden und kollektive Rechtsprechung übereinstimmen. Nadine Gordimer hat eine Eloge des Rechtsstaates geschrieben. Mit auktorialer Macht fegt sie dabei die Todesstrafe hinweg und bestätigt ihren Ruf als Autorin, die zur Lage der Nation das Wort ergreift.
Einer solchen Littérature engagée haftet hierzulande der Ruch des Unkünstlerischen an. Dieser Vorwurf trifft nur bedingt, denn Nadine Gordimer bewegt sich mit erzählerischer Geschmeidigkeit in ihrem argumentativen Genre. So ist der Richterspruch von rhetorischer Schärfe, ein Kabinettstück dialektischen Denkens. Auch den Aussagen und Plädoyers folgt man interessiert bis ins letzte Komma: Sie liefern fast identische Versionen der gleichen Geschichte - Mann verläßt Haus, füttert Hund und erschießt den Liebhaber seiner Freundin. So könnte es gewesen sein. Oder auch anders. Die Wahrheit dessen, was sich im Geiste eines Menschen abspielt, sagt die Autorin, ist für Außenstehende nur bedingt erkennbar. Diese Botschaft ist nicht neu, im Südafrika der späten neunziger Jahre aber durchaus aktuell: Dort tagt immer noch eine Kommission, die die Worte "Wahrheit" und "Versöhnung" in ihrem Titel trägt.
Duncan ist in diesem Roman der einzige Mensch, der weiß, wie es gewesen ist. Seinen Eltern gegenüber schweigt er. Allein dem Leser gegenüber lüftet er das Geheimnis. In drei kurzen, einem inneren Monolog ähnelnden Passagen fördert er ziemlich verquastes Zeug zutage. Es geht um Eros und Tod, den Mord und den Selbstmord, um ein wenig Georges Bataille und ziemlich viel Freud. Duncan hat aus Leidenschaft getötet, aber referierte Leidenschaft ist wie destilliertes Wasser: sie schmeckt nicht. Nadine Gordimer mag das gemerkt haben, denn sie hat Liebe und Leidenschaft in Zitate gegossen, Thomas Mann und Dostojewskij kommen zu Wort, und schon Odysseus hat ja in blinder Rache die Freier erschossen. Duncans Rede beeinträchtigt einen Roman, der moralisch und gedanklich von großer Schärfe ist.
Es gibt ein Ende, sogar eines, das ins Kino kommen könnte. Die Strafe fällt milde aus, Duncan wird im Gefängnis arbeiten, die Eltern kehren zum Alltag zurück, und ein Baby ist geboren, das den Blick auf die nächste Generation lenkt. Auch der Optimismus gehört zum Werk der Nadine Gordimer, denn sie ist eine Stimme ihres Landes.
Nadine Gordimer: "Die Hauswaffe". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Susanne Höbel. Berlin Verlag, Berlin 1998. 368 S., geb., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Die Hauswaffe": Nadine Gordimers Eloge auf den Rechtsstaat / Von Tanya Lieske
Etwas Schreckliches ist geschehen." Einst schrieb der Junge im Internat diesen Satz an die Eltern. Ein Kommilitone hatte sich erhängt. Du kannst immer zu uns kommen, versicherten ihm die Eltern damals. Nun, gut zwei Jahrzehnte später, steht der Satz am Anfang einer ganz anderen Geschichte. Die Eltern werden an ihr Versprechen erinnert: Hat es selbst dann noch Gültigkeit, wenn das Schreckliche ein Mord, wenn der Täter der eigene Sohn ist?
In Nadine Gordimers neuem Roman "Die Hauswaffe" geht es um Recht, Unrecht und um das Gesetz, jenes formelhafte, von der Gesellschaft bestimmte Bindeglied zwischen beiden. Das Gesetz kann Menschen retten, wenn sie an den Rand ihrer Existenz getrieben werden. So geschieht es Claudia und Harald Lindgard, zwei erfolgreichen Menschen in der Mitte ihres Lebens. Das Ehepaar gehört zur weißen, liberalen Intelligenzija, ihre Stadt ist Johannesburg, ihre Zeit die späten neunziger Jahre. Die Frau behandelt als Ärztin weiße wie schwarze Patienten, der Mann ist Vorstandsmitglied einer Versicherungsgesellschaft, in seiner Freizeit pflegt er musische Interessen. Wie in allen Romanen Nadine Gordimers sind die Koordinaten der Protagonisten klar dargelegt, ihre Motivationen einsehbar, denn sie spiegeln als Mikrokosmos eine ganze Gesellschaft.
Mit dem Ende der Apartheid verwirklichen sich die Ideale des Ehepaars Lindgard. Alle Menschen sind gleich, haben sie ihrem Sohn Duncan immer erklärt. Nun haben Schwarz und Weiß zueinandergefunden, ohne daß die Lindgards auf die Straße gehen oder je ihren Kopf riskieren mußten. Ihre Ideale werden auf die Probe gestellt, als sie sich in der Hand eines Schwarzen befinden: Ihr Sohn Duncan, ein erfolgreicher Architekt, hat einen Mann erschossen. Sein Verteidiger, Motsamai, hat sich aus den Townships hochgearbeitet. "Sein Auftreten machte geltend, daß das Gericht für ihn da war, für diesen kleinen Mann mit dem faltigen Gesicht, das an einen dunklen, oft getragenen Handschuh erinnerte . . . Aus all den Jahren, in denen er ausgeschlossen gewesen war, auf der ,anderen Seite' des Gesetzes gestanden hatte, leitet er nun das Recht ab, der Würde des Gerichts mit Arroganz gegenüberzutreten."
Die Rollen haben sich verkehrt: Motsamai ist der Mächtige, von seinem Können, seinem juristischen Fachwissen, hängt die Zukunft des Sohnes ab. Jüdische und indische Anwälte verstehen sich am besten auf die Finessen des Gesetzes, teilt uns der Roman nebenbei mit. Nur wer durch die Brille der Apartheid schaut, kann das Ende der Apartheid ermessen. Nadine Gordimers Stärke ist es, daß sie dem Leser ebendiese Brille aufsetzt. Mit dem Ehepaar Lindgard durchlebt man die Vorbehalte gegen Motsamai und eine zögernde Annäherung. Im Laufe dieses Prozesses heben Claudia und Harald ihre Werte auf den Prüfstand, sezieren sie mit moralischem Rigorismus: Warum konnte Duncan töten, da doch christliche und humanistische Prinzipien seine Erziehung begründeten? Und: Ab wann wird ein Kompromiß untragbar? Darf man ein Hühnchen aus der Legebatterie essen oder Aktien der Tabakindustrie besitzen?
Duncan Lindgard leugnet seine Tat nicht. Bereits auf Seite 52 steht fest, daß der Roman sich nicht bis zum Ende von der Suche nach dem Täter nähren kann, auch die Frage nach dem Motiv wird erst einmal ausgeklammert. "Die Hauswaffe" bedient ein rares Genre, den Gerichtsthriller. Dessen Klimax funktioniert nach einem Prinzip, das man gut aus dem amerikanischen Kino kennt. Alle Parteien versammeln sich im Gerichtssaal, es folgen die Gutachten der Experten, die Plädoyers von Verteidigung und Staatsanwalt. Am Ende neigt sich die Waage der Justitia so, daß auch dem Leser Genugtuung widerfährt: Der Staat manifestiert sich als Gemeinschaft, in der individuelles Rechtsempfinden und kollektive Rechtsprechung übereinstimmen. Nadine Gordimer hat eine Eloge des Rechtsstaates geschrieben. Mit auktorialer Macht fegt sie dabei die Todesstrafe hinweg und bestätigt ihren Ruf als Autorin, die zur Lage der Nation das Wort ergreift.
Einer solchen Littérature engagée haftet hierzulande der Ruch des Unkünstlerischen an. Dieser Vorwurf trifft nur bedingt, denn Nadine Gordimer bewegt sich mit erzählerischer Geschmeidigkeit in ihrem argumentativen Genre. So ist der Richterspruch von rhetorischer Schärfe, ein Kabinettstück dialektischen Denkens. Auch den Aussagen und Plädoyers folgt man interessiert bis ins letzte Komma: Sie liefern fast identische Versionen der gleichen Geschichte - Mann verläßt Haus, füttert Hund und erschießt den Liebhaber seiner Freundin. So könnte es gewesen sein. Oder auch anders. Die Wahrheit dessen, was sich im Geiste eines Menschen abspielt, sagt die Autorin, ist für Außenstehende nur bedingt erkennbar. Diese Botschaft ist nicht neu, im Südafrika der späten neunziger Jahre aber durchaus aktuell: Dort tagt immer noch eine Kommission, die die Worte "Wahrheit" und "Versöhnung" in ihrem Titel trägt.
Duncan ist in diesem Roman der einzige Mensch, der weiß, wie es gewesen ist. Seinen Eltern gegenüber schweigt er. Allein dem Leser gegenüber lüftet er das Geheimnis. In drei kurzen, einem inneren Monolog ähnelnden Passagen fördert er ziemlich verquastes Zeug zutage. Es geht um Eros und Tod, den Mord und den Selbstmord, um ein wenig Georges Bataille und ziemlich viel Freud. Duncan hat aus Leidenschaft getötet, aber referierte Leidenschaft ist wie destilliertes Wasser: sie schmeckt nicht. Nadine Gordimer mag das gemerkt haben, denn sie hat Liebe und Leidenschaft in Zitate gegossen, Thomas Mann und Dostojewskij kommen zu Wort, und schon Odysseus hat ja in blinder Rache die Freier erschossen. Duncans Rede beeinträchtigt einen Roman, der moralisch und gedanklich von großer Schärfe ist.
Es gibt ein Ende, sogar eines, das ins Kino kommen könnte. Die Strafe fällt milde aus, Duncan wird im Gefängnis arbeiten, die Eltern kehren zum Alltag zurück, und ein Baby ist geboren, das den Blick auf die nächste Generation lenkt. Auch der Optimismus gehört zum Werk der Nadine Gordimer, denn sie ist eine Stimme ihres Landes.
Nadine Gordimer: "Die Hauswaffe". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Susanne Höbel. Berlin Verlag, Berlin 1998. 368 S., geb., 39,80 DM.
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