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In sieben Erzählungen, die die Autorin selbst vorträgt, schildert sie Frauenschicksale zwischen Liebe, Sexualität und Gewalt zur Zeit des Wirtschaftswunders.

Produktbeschreibung
In sieben Erzählungen, die die Autorin selbst vorträgt, schildert sie Frauenschicksale zwischen Liebe, Sexualität und Gewalt zur Zeit des Wirtschaftswunders.
Autorenporträt
Alissa Walser, geboren 1961, studierte in New York und Wien Malerei. Seit 1987 lebt sie als Übersetzerin und Malerin in Frankfurt am Main. Für ihre Erzählung "Geschenkt" wurden ihr 1992 der Ingeborg-Bachmann-Preis und der Bettina-von-Arnim-Preis verliehen. Als Übersetzerin hat Alissa Walser die Tagebücher von Sylvia Plath sowie Theaterstücke u. a. von Joyce Carol Oates, Edward Albee, Marsha Norman und Christopher Hampton ins Deutsche übertragen. 2009 erhielt sie für Ihre Übersetzung der Gedichte Sylvia Plaths den Paul-Scheerbart-Preis. Ihre eigenen Erzählungen wurden in englischer Übersetzung u.a. in literarischen Zeitungen wie Open City und Grand Street veröffentlicht.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.05.2000

Die Kälte des Backfisches
Alles bleibt in der Schwebe: Neue Adoleszentinnen-Erzählungen von Alissa Walser
Graue Briefe mit halbtransparenten Umschlägen sind es, die Alissa Walser verschickt, elegante und indifferente Mitteilungen aus einer kunstvoll verrätselten Wirklichkeit. In den sieben Geschichten ihres zweiten Buches (eine davon heißt „Graue Briefe”) wird nichts erklärt, sondern nur angedeutet. Alles bleibt in der Schwebe, gerät zur Sache der Interpretation. Es ist dieselbe abgeklärte, in ihrer Kühle aufreizende Gleichgültigkeit, die bereits ihr Debüt „Dies ist nicht meine ganze Geschichte” von 1994 prägte. Auch damals wurden die knapp hundert Seiten von seriellen, vignettenartigen Zeichnungen der Autorin gedehnt und aufgelockert. Jetzt sind es schematisch dargestellte Festtagsbraten, Gänse mit Stopftrichter im Schnabel oder amorphe weibliche Akte.
An Walsers Stil und ihren Themen hat sich in der Zwischenzeit nichts geändert; eine erzählerische Entwicklung lässt sich somit nicht feststellen. Selbst der schwer fassliche Georg des ersten Buchs taucht wieder auf, diesmal als Empfänger der „Grauen Briefe” einer undurchsichtigen Institution. Dahinter steckt natürlich eine Frau – die designierte Nachfolgerin der betrogenen Ich-Erzählerin. In solchen resignativen Momenten wirkt die Hälfte des Himmels, die Hälfte der Welt, die den Frauen angeblich zusteht, eindeutig kleiner – nämlich von diesen selbst vorauseilend verkleinert.
Triebstau eines Handybesitzers
Wie von weit weg gesprochen schildert sie Figuren, die Masken anprobieren, Rollen übernehmen, sich in Provokationen versuchen. Sie beschreibt sich entwickelnde weibliche Ichs, die noch einmal in schönem Eigensinn auflodern, bis sie sich in einer Gesellschaft der allumfassenden Optimierung einfinden müssen. Dieses Schema bedingt, dass Walsers Handlungsträgerinnen in der Mehrzahl Adoleszentinnen sind. Nicht nur für die Heldin der Titelgeschichte, die ihre Mutter mit deren Liebhaber betrügt, gilt die Lebensweisheit: „Solche Blicke bekommt man, wenn man um die vierzehn ist, langes Haar hat und glaubt, man könne weder sterben noch erwachsen werden. ”
Die Walserschen Backfische gewinnen ihre Sentenzen allein durch distanziertes Beobachten. Stumm und kalt läuft dieser Prozess ab, ganz nach Art der Fische. So verfolgt eine nächtliche Anhalterin mit naturwissenschaftlichem Interesse, wie sich ihre Freundin auf dem Beifahrersitz an ihrer Stelle dem Triebstau eines Handybesitzers opfert („Die Lust der Gans am Gestopftwerden”). Im Hintergrund des Rastplatzes nimmt die Ich-Erzählerin gleichzeitig Toilettenhäuschen ins Visier: „Sie spülen und spülen, als seien sie allein die Überlebenden einer Katastrophe und versuchten nun, sich selbst wegzuspülen. ” In solchen ausgefallenen Metaphern spiegelt sich die latente Gewalt, die über vielen Szenen liegt. Es ist ein dezidiert weibliches Verhältnis zur – sexuellen – Gewalt, das sich als basso continuo durch die Texte zieht und fortwährend reflektiert wird.
Mit Lust wird sie andererseits von den Lauras, Leas, Pias selbst an Hummern, Bedienungen und sonstigen untergeordneten Geschöpfen exerziert. Die Männer als eigentlicher Widerpart, als diejenigen, die sich der direkten Auseinandersetzung der Geschlechter nach Möglichkeit entziehen, bleiben seltsam untangiert.
Alissa Walser, 1961 geborene Tochter von Martin Walser und ausgebildete Malerin, hat sich vor allem durch ihre Übersetzung der Tagebücher von Sylvia Plath besondere Verdienste erworben. In einem Aufsatz zum 65. Geburtstag der Lyrikerin 1997 ging Alissa Walser ausführlich auf Plath’ Beziehung zur Gewalt ein (Frankfurter Rundschau vom 25.10.97): Zeit ihres kurzen, von eigener Hand beendeten Lebens „wünschte sie sich, ein universelles Mann-Frau-Wesen” zu sein. Für die Dichterin habe Brutalität das Ergebnis einer Schmerzerfahrung wie auch eine Art persönliche und schöpferische Antriebskraft dargestellt, resümiert Walser. Diese Kraft habe Plath als aus sich selbst stammend empfunden, aber zugleich als von außen gegen sie gerichtet.
Die Erzählungen aus „Die kleinere Hälfte der Welt” – der Titel klingt nach dem banalen Schlagertrost „Du bist nicht allein auf dieser Welt” – erscheinen vor diesem Hintergrund wie Illustrationen des Plathschen Gewaltverständnisses, eines Faszinosums, dem offenbar auch ihre deutsche Übersetzerin anheim gefallen ist. Sie möbelt das Grundthema mit salopper Schmissigkeit und gesuchten Bildsymbolen auf, bis ein Sound entsteht, der die Nachtseite von Frauenzeitschriften der höheren Preiskategorie verkörpert. Der sehnlich und ängstlich erwartete Verlust der Unschuld wird zum „Gemetzel unterm Rock”, das ausführende Organ wirkt auf die pubertierende Heldin „wie ein kleines weiches Tiermaul, das er in eine rosa Folie packte. Ich sah ihm zu und fühlte mich frei. ”
Die verbalerotisch gespickte Vater-Tochter-Geschichte „Geschenkt”, mit der Alissa Walser 1992 den Ingeborg-Bachmann-Preis gewann, erhält im neuen Buch ihr Pendant in der titelgebenden Mutter-Tochter-Erzählung. Während die Mutter über ihre „kleinere Hälfte der Welt”, den häuslichen Garten, wacht beziehungsweise sich zur „Tatzeit” in der Redaktion aufhält, beginnt sich der sexuell unbeachtete Teenager freizuschwimmen. Die Tochter geht eine Liaison mit dem Nachbarn ein, einem schwammigen englischen Kammersänger. Derart klare und fassliche Schauplätze zeichnet Alissa Walser höchst selten. Die übrigen Geschichten versinken in einem Andeutungsnebel aus Restaurantbesuchen, Atelierwohnungen, launischer Gelegenheitsprostitution und Strandaufenthalten. Für das dritte Buch erhoffen wir uns mehr als eine weitere Variation der exquisiten kalten Fischhäppchen.
KATRIN HILLGRUBER
ALISSA WALSER: Die kleinere Hälfte der Welt. Erzählungen. Rowohlt Verlag, Reinbek 2000. 112 Seiten mit Illustrationen der Autorin, 26 Mark.
Alissa Walser Foto: Isolde Ohlbaum
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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"Es steckt etwas Unheimliches, Unberechenbares in fast allen diesen Geschichten. (FAZ)

Alissa Walser "ist eine Meisterin in der Kunst der harten Schnitte, der Blenden, denn - und das gibt ihren Geschichten, auch wenn einmal nicht viel geschieht, den Sog einer Spannung - sie schreibt auf der Höhe der angelsächsischen Dramaturgie." (Neue Züricher Zeitung)

"Alissa Walser besitzt ein ausgesprochenes Gespür für das sexuell Aufreizende, aber auch das Bedrohliche und Gemeine, das sich hinter ganz gewöhnlichen Sätzen, Gesten und Umgangsformen verbirgt." (Die Zeit)