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An einem verschlafenen Sommertag des Jahres 1984 begegnet die junge Holly Sykes einer alten Frau, die ihr im Tausch für "Asyl" einen kleinen Gefallen tut. Jahrzehnte werden vergehen, bis Holly Sykes genau versteht, was die alte Frau für ihre Existenz bedeutet. Die Knochenuhren folgt den Wendungen von Holly Sykes Leben von einer tristen Kindheit am Unterlauf der Themse bis zum hohen Alter an Irlands Atlantikküste, in einer Zeit, da Europa das Öl ausgeht. Ein Leben, das gar nicht so ungewöhnlich ist und doch punktiert durch seltsame Vorahnungen, Besuche von Leuten, die sich aus dem Nichts…mehr

Produktbeschreibung
An einem verschlafenen Sommertag des Jahres 1984 begegnet die junge Holly Sykes einer alten Frau, die ihr im Tausch für "Asyl" einen kleinen Gefallen tut. Jahrzehnte werden vergehen, bis Holly Sykes genau versteht, was die alte Frau für ihre Existenz bedeutet. Die Knochenuhren folgt den Wendungen von Holly Sykes Leben von einer tristen Kindheit am Unterlauf der Themse bis zum hohen Alter an Irlands Atlantikküste, in einer Zeit, da Europa das Öl ausgeht. Ein Leben, das gar nicht so ungewöhnlich ist und doch punktiert durch seltsame Vorahnungen, Besuche von Leuten, die sich aus dem Nichts materialisieren, Zeitlöcher und andere kurze Aussetzer der Gesetze der Wirklichkeit. Denn Holly - Tochter, Schwester, Mutter, Hüterin - ist zugleich die unwissende Protagonistin einer mörderischen Fehde, die sich in den Schatten und dunklen Winkeln unserer Welt abspielt - ja, sie wird sich vielleicht sogar als deren entscheidende Waffe erweisen. Metaphysischer Thriller, moralische Betrachtung und Chronik unseres selbstzerstörerischen Handelns - dieser kaleidoskopische Roman mit seiner Vielfalt von Themen, Schauplätzen und Zeiten birst vor Erfindungsreichtum und der Intelligenz, die David Mitchell zu einem der herausragenden Autoren seiner Generation gemacht haben.
Autorenporträt
Mitchell, David
David Mitchell wurde 1969 in Southport, Lancaster, geboren, studierte Literatur an der University of Kent, promovierte in Komparatistik, lebte in Sizilien, Japan und zur Zeit in Irland. Er gehört zu jenen polyglotten jungen britischen Autoren, deren Thema nichts weniger als die Welt ist. Für sein Werk wurde er u.a. mit dem Llewelyn Rhys Prize ausgezeichnet, zweimal stand er auf der Booker Shortlist. David Mitchell lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Clonakilty, Irland.

Oldenburg, Volker
Volker Oldenburg lebt als freier Übersetzer in Hamburg. Er hat unter anderem Oscar Wilde, T. Cooper und Dinaw Mengestu übersetzt. Für seine Arbeiten wurde er mehrfach ausgezeichnet.

Steck, Johannes
Johannes Steck besuchte die Schauspielschule in Wien und arbeitete nach seinem Abschluss zwei Jahre an verschiedenen Theatern. Das Sprechen faszinierte ihn zunehmend. Er wurde zunächst gefragter Sprecher für Werbetexte, Trailer und Ähnliches; außerdem lieh er zahlreichen Produktionen verschiedener Rundfunkanstalten seine Stimme. Er produzierte u. a. das Piratenhörspiel Long John Silver mit 30 Sprechern. Als Schauspieler spielte er die Hauptrolle des Dr. Kreutzer in der ARD-Erfolgsserie In aller Freundschaft und in der Serie Die Anrheiner. Heute liegt sein Lebensmittelpunkt in der Nähe von München, wo er mit seiner Frau und seinen Kindern lebt und arbeitet. Er spricht und produziert vor allem Hörbücher und Hörspiele - er gilt als einer der bekanntesten und hervorragendsten Sprecher in Deutschland.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2016

Seelenfresser, bitte melden

David Mitchell führt mit seinem Roman "Die Knochenuhren" in abgründig-verworrene Fantasy-Gefilde.

Von Tobias Döring

Ein abgewrackter Vorort Londons, am Unterlauf der Themse, ziemlich öde und verschlafen. Sommer 1984, eine Hitzewelle geht durchs Land. Auch politisch ist das Klima aufgeheizt: Thatchers Feldzug gegen die Gewerkschaften und alle Linken geht in seine letzte Phase. Doch von solchen großen Dingen ist man in Gravesend weit entfernt. Hier spielen sich, so scheint es, nichts als Alltagsdramen ab. Holly, eine selbstbewusste Fünfzehnjährige, erhält von ihrer Mutter Hausarrest, weil sie sich mit einem vierundzwanzigjährigen Motorradfahrer und Gitarrenspieler eingelassen hat. Da beschließt sie kurzerhand, die Eltern zu verlassen und zu ihm zu ziehen - nur um festzustellen, dass der Traummann längst mit ihrer besten Freundin im Bett liegt.

So beginnt der neue Roman David Mitchells, sein sechster, der dritte nach dem Welterfolg "Cloud Atlas". Kein exotischer Schauplatz, kein kurioses Personal, kein historisch entlegenes Setting, wie man es sonst von diesem Autor kennt, stattdessen Alltagsszenerie mit dem klassischen Konfliktpotential von Chicklit. Doch von der ersten Seite an ist man gefesselt. Denn die Geschichte, erzählt aus Sicht der jugendlichen Heldin, entwickelt sich rasant mit so viel schrägem Witz und disparatem Charme (und in Volker Oldenburgs zupackender Übersetzung mit so viel Sprachmacht), dass man ihr höchst eingenommen folgt.

Holly, deren Lebenstraum zerstört ist, tritt die Flucht ins Unbekannte an, wandert und trampt ziellos durchs hochsommerliche Flussgebiet. Unterwegs wird sie von seltsamen Visionen heimgesucht und trifft auf ein blutiges Gewaltverbrechen. Doch der eigentliche Schock tritt ein, als sie erfahren muss, dass am Tag ihrer Flucht zugleich auch ihr kleiner Bruder spurlos verschwunden ist. Dann folgt ein Schnitt und Zeitsprung. Eine neue Erzählstimme übernimmt, eine andere Geschichte in einem völlig anderen Milieu setzt ein - sie spielt 1991 unter schnöseligen Cambridge-Studenten - und braucht mehr als hundert Seiten, bis sie überraschend eine neue Sicht auf Holly, diesmal aus der Außenperspektive, freigibt.

Nach diesem Prinzip verfährt der ganze Roman, darin klar an "Cloud Atlas" erinnernd: Sechs Geschichten, von fünf verschiedenen Erzählfiguren übermittelt und sechs Jahrzehnte umspannend - die letzte spielt 2043, abermals erzählt von Holly -, setzen sich durch viele kleine Links zum großen Plot zusammen, der nicht nur den wechselvollen Lebenslauf der Heldin zeigt, sondern ein übergreifendes transhistorisch-kosmisches Menschheitsdrama entfaltet. Natürlich weiß der Autor, was er seiner internationalen Fangemeinde schuldet: einen Fantasy-Thriller. Eine Gruppe aufrechter Horologen tritt gegen eine Clique fleischfressender Anachoreten an, welche die psychovoltaischen Seelen unschuldiger Menschen verspeisen, um ihre eigene Unsterblichkeit zu nähren. Oder so ähnlich. Das Raffinierte aber ist, wie gekonnt Mitchell derlei juvenilen Stuss mit der detailgenauen Schilderung lebenspraller Welten unserer Wirklichkeit verquickt.

Darin ist er, keine Frage, ein großer Epiker der Gegenwart: Durch seine Kunst des realistischen Erzählens gewinnen alle Einzelheiten und Figuren, die er sorgsam für uns ausmalt, eine derart plastische Präsenz und Dringlichkeit, ja Würde ihres Daseins, dass wir uns ihnen umso lieber hingeben, je mehr wir noch von ihnen wissen wollen. Entscheidendes nämlich spart Mitchell durch die Schnitttechnik der Gegenperspektiven gerne aus und fordert somit unsere Kombinationsgabe, es selbst auszutüfteln, ein. Dicht am Geschehen, stets im Erzähltempus des Präsens als Erlebnisaugenblick gestaltet, können wir uns immer mitten in der Szene fühlen.

Wahrhaft atemraubend sind die Bögen, die der Roman schlägt, und weit die Wirklichkeitsräume, die er dabei ebenso spielerisch wie einprägsam durchmisst. Besonders breiten Raum nimmt die vierte Passage ein; sie spielt im Milieu des internationalen Literatur-Jet-Sets - mit vielen satirischen Seitenhieben auf den Betrieb sowie einem herrlich parodistischen Porträt des britischen Autors Martin Amis angereichert - und erzählt von einem früheren Erfolgsschriftsteller, der sich an einem Literaturkritiker rächt.

All das liest sich gleichermaßen spannend und vergnüglich, es verträgt auch sämtliche Einbrüche des Irrealen, Unheimlichen oder düster Unerklärlichen, die das Wirklichkeitsgeschehen immer spürbarer durchsetzen. Im fünften Teil aber öffnet Mitchell alle Schleusen und macht einen jener Überzeitlichen aus der sogenannten Horologischen Gesellschaft, deren Seelen zwischen gewöhnlich sterblichen Körpern, den titelgebenden "Knochenuhren", ewig wandern und sich also stets aufs Neue inkarnieren, zum Erzähler. Damit eröffnet sich das ganze Arsenal des Abgedrehten, und das fraktioniert die Leserschaft. Chakren, Karnivoren, Katharer, Psychodekantierer, Telekinese, Labyrinthe und eine Kapelle der Dämmerung als Schauplatz des finalen Psychoduells: Entweder mag man über deren Tiefsinn lange nachgrübeln oder all das nur einfältig finden.

Da hilft es wenig, dass die Skepsis gegenüber Fantasy-Geschichten der Erzählung selbst eingeschrieben ist (in der Person des abgehalfterten Bestsellerautors, der darin eine letzte Ausflucht sucht) oder dass Mitchell etliche Figuren und Motive aus vorigen Werken, wie in einer weiteren Inkarnation, abermals auftreten lässt. Selbst die dystopische Szenerie des Schlussteils verspielt ihre eigentlich zutiefst verstörende Wirkung, wenn sie bloß der Nachklapp anderweitig längst entschiedener Geschehnisse ist.

Im Nachwort zur englischen Taschenbuchausgabe hat Mitchell die Romanform als eine Möglichkeit gottgleicher Welterschaffung gepriesen, die insbesondere zur Schaffung von komplexen Figuren einlade. Wie wenige Gegenwartserzähler nimmt er diese Herausforderung beherzt an und übertrifft sich, auch mit diesem sechsten Roman, neuerlich in solcher Schöpferkraft. Keine Frage, dass er mitreißend erzählen kann. Nach der Lektüre von "Die Knochenuhren" fragt man sich allerdings, was er eigentlich zu sagen hat.

David Mitchell: "Die Knochenuhren". Roman.

Aus dem Englischen von Volker Oldenburg.

Rowohlt Verlag, Reinbek 2016. 812 S., geb., 24,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Dass Mitchell mit diesem Werk völlig neue Maßstäbe des Erzählens setzt, so viel darf schon heute behauptet werden. Wiener Zeitung