Unsere öffentlichen Debatten sind vergiftet. Gerüchte und Falschmeldungen verbreiten sich rasend schnell, Menschen werden angepöbelt und diffamiert. Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen und der Kommunikationspsychologe Friedemann Schulz von Thun, zwei prominente Vertreter ihres Fachs, analysieren die kommunikative Krise und zeigen Auswege aus der Polarisierungsfalle. Sie erklären die Voraussetzungen für gelingende Gespräche und entwerfen - in dialogischer Form - eine Ethik des Miteinander-Redens, die Empathie und Wertschätzung mit der Bereitschaft zum Streit und zur klärenden Konfrontation verbindet. Konkret und mit anschaulichen Beispielen, wie etwa dem Kommunikationsquadrat, das Schulz von Thun bereits 1974 im Rahmen seiner Lehrtätigkeit entwickelte, leiten sie dazu an, den Ablauf von Debatten und Diskussionen zu verbessern. Ein Hörbuch, wie wir es in Zeiten der großen Gereiztheit und der populistischen Vereinfachungen dringend brauchen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.03.2020Selbstverschuldete Ruhelosigkeit
Bernhard Pörksen und Friedemann Schulz von Thun im Dialog
Ein Zeitdiagnostiker ist dann so richtig erfolgreich, wenn er nicht nur von anderen zitiert wird, sondern sich selbst zitierend seine Diagnose in verschiedenen Formen ausführen kann. Andererseits verhält es sich mit den gesellschaftlichen Diagnosen nicht viel anders als mit denen in der Medizin. Das Reden darüber wird bald zur Belastung für alle Beteiligten, wenn kein Behandlungsplan und keine Genesung erfolgt. Der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen hat 2018 ein klassisches Zeitdiagnosenwerk mit dem Titel „Die gereizte Gesellschaft“ veröffentlicht, ein ziemlich interessantes Buch. Darin konstatierte er im Einklang mit der Wahrnehmung vieler anderer Medienbürger ein aggressives „Kommunikationsklima“. Nun hat er sich mit dem Kommunikationspsychologen Friedemann Schulz von Thun für ein Buch „Über den Dialog in Gesellschaft und Politik“ zusammengetan.
Es gelte, die „Gefährdung von Gespräch und Diskurs“ zu klären, erklärt Pörksen im Einleitungskapitel, das in einem wortreichen Sprachwimmelbild-Stil geschrieben ist: „die Grammatik der Digitalisierung“, die „Architektur der Kommunikation“, „der Aufstieg aus der selbstverschuldeten Ruhelosigkeit“! Über vierzig Seiten geht das so, und auf jeder Seite muss man sich zusätzlich mindestens ein halbaktuelles Beispiel aus dem Silicon Valley, von Donald Trump, einer wo auch immer angesiedelten „Political-Correctness-Bewegung“, Facebookstudien oder Polit-Talkshows der letzten fünf Jahre reinziehen. Das ist Kopfnick-Reflex-Lektüre für Bildungsbürger mit zu vielen offenen Browsertabs. Wenn man Pörksen bereits gelesen hat, bekommt man den Eindruck des intellektuellen Selbst-Recyclings. Aber selbst wenn nicht: Wer sollte ein Buch lesen, das sich mit der „Kunst des Miteinanderredens“ befasst, der nicht ohnehin schon begriffen hat, dass es um diese nicht zum Besten steht? Wozu so wahnsinnig viel Problembeschreibung?
Was die nächste Frage an das Buch eröffnet, nämlich wer hier eigentlich miteinander reden soll. In der allgemeinen Setzung von Dialog, Politik, Gesellschaft liegt ein Schwachpunkt des Schreibens über das Reden. Wie Schulz von Thun selbst an einer Stelle sagt: „Es kommt auf den Kontext an.“ Die Autoren vermischen aber sämtliche Formen der Verständigung, die Vermittlung von Information durch Massenmedien, den öffentlichen Meinungsaustausch, die institutionelle Kommunikation. Alles wird in einen großen Topf geworfen, der „Dialog“ heißt, aber so gut wie nie einer ist. Anders ist das im Buch selbst. Die beiden Experten schreiben im Gespräch über „Polarisierung“, „Grenzen des Dialogs“, „Transparenz und Skandal“ und „Desinformation“. Der ältere Schulz von Thun gibt den Sokrates zu Platon Pörksen, mit der Lebensklugheit des Psychologen und diversen „Wertediagrammen“ ausgestattet (dabei handelt es sich um Begriffsvierecke, deren Hauptfunktion darin besteht, dass Kommunikationstrainer sie an White Boards malen können).
In diesen Dialogen findet sich analytische Schärfe, psychologische Intelligenz und auch Witz. Etwa, wenn Pörksen ganz ungeniert wie ein junger Hund an einem Thesenknochen kaut, den Schulz von Thun als hohl entlarvt: „Für dieses Beispiel mussten Sie aber jetzt ins Südkorea des Jahres 2005 reisen.“ Umgekehrt macht es Spaß, wie der positionierungsfreudige Pörksen seinen dauerbesonnenen und abgeklärten Gesprächspartner aus der Reserve lockt.
Aber diese Stellen muss man suchen. Dazwischen wird viel gelabert, fast immer aus der Perspektive des Coaches oder Wissenschaftlers. Das hat den Beteiligten sicher Vergnügen gemacht, deren Beruf es ist, sich auf der Metaebene mit Kommunikation zu beschäftigen. Es hilft aber nicht denen, die Dialoge aus anderen Gründen führen, um etwas zu erreichen, beispielsweise, oder um etwas zu verhindern. Vor allem aber führt dieser Dialog über den Dialog vor Augen, dass zum Thema „Reden“ vielleicht langsam genug gesagt ist. Und dass an einer Gesellschaft vor allem die Verhältnisse interessant sind, innerhalb derer gesprochen wird, und nicht so sehr die Formen.
MEREDITH HAAF
Bernhard Pörksen, Friedemann Schulz von Thun: Die Kunst des Miteinander-Redens. Über den Dialog in
Gesellschaft und Politik.
Carl Hanser Verlag,
München 2020.
223 Seiten, 20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Bernhard Pörksen und Friedemann Schulz von Thun im Dialog
Ein Zeitdiagnostiker ist dann so richtig erfolgreich, wenn er nicht nur von anderen zitiert wird, sondern sich selbst zitierend seine Diagnose in verschiedenen Formen ausführen kann. Andererseits verhält es sich mit den gesellschaftlichen Diagnosen nicht viel anders als mit denen in der Medizin. Das Reden darüber wird bald zur Belastung für alle Beteiligten, wenn kein Behandlungsplan und keine Genesung erfolgt. Der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen hat 2018 ein klassisches Zeitdiagnosenwerk mit dem Titel „Die gereizte Gesellschaft“ veröffentlicht, ein ziemlich interessantes Buch. Darin konstatierte er im Einklang mit der Wahrnehmung vieler anderer Medienbürger ein aggressives „Kommunikationsklima“. Nun hat er sich mit dem Kommunikationspsychologen Friedemann Schulz von Thun für ein Buch „Über den Dialog in Gesellschaft und Politik“ zusammengetan.
Es gelte, die „Gefährdung von Gespräch und Diskurs“ zu klären, erklärt Pörksen im Einleitungskapitel, das in einem wortreichen Sprachwimmelbild-Stil geschrieben ist: „die Grammatik der Digitalisierung“, die „Architektur der Kommunikation“, „der Aufstieg aus der selbstverschuldeten Ruhelosigkeit“! Über vierzig Seiten geht das so, und auf jeder Seite muss man sich zusätzlich mindestens ein halbaktuelles Beispiel aus dem Silicon Valley, von Donald Trump, einer wo auch immer angesiedelten „Political-Correctness-Bewegung“, Facebookstudien oder Polit-Talkshows der letzten fünf Jahre reinziehen. Das ist Kopfnick-Reflex-Lektüre für Bildungsbürger mit zu vielen offenen Browsertabs. Wenn man Pörksen bereits gelesen hat, bekommt man den Eindruck des intellektuellen Selbst-Recyclings. Aber selbst wenn nicht: Wer sollte ein Buch lesen, das sich mit der „Kunst des Miteinanderredens“ befasst, der nicht ohnehin schon begriffen hat, dass es um diese nicht zum Besten steht? Wozu so wahnsinnig viel Problembeschreibung?
Was die nächste Frage an das Buch eröffnet, nämlich wer hier eigentlich miteinander reden soll. In der allgemeinen Setzung von Dialog, Politik, Gesellschaft liegt ein Schwachpunkt des Schreibens über das Reden. Wie Schulz von Thun selbst an einer Stelle sagt: „Es kommt auf den Kontext an.“ Die Autoren vermischen aber sämtliche Formen der Verständigung, die Vermittlung von Information durch Massenmedien, den öffentlichen Meinungsaustausch, die institutionelle Kommunikation. Alles wird in einen großen Topf geworfen, der „Dialog“ heißt, aber so gut wie nie einer ist. Anders ist das im Buch selbst. Die beiden Experten schreiben im Gespräch über „Polarisierung“, „Grenzen des Dialogs“, „Transparenz und Skandal“ und „Desinformation“. Der ältere Schulz von Thun gibt den Sokrates zu Platon Pörksen, mit der Lebensklugheit des Psychologen und diversen „Wertediagrammen“ ausgestattet (dabei handelt es sich um Begriffsvierecke, deren Hauptfunktion darin besteht, dass Kommunikationstrainer sie an White Boards malen können).
In diesen Dialogen findet sich analytische Schärfe, psychologische Intelligenz und auch Witz. Etwa, wenn Pörksen ganz ungeniert wie ein junger Hund an einem Thesenknochen kaut, den Schulz von Thun als hohl entlarvt: „Für dieses Beispiel mussten Sie aber jetzt ins Südkorea des Jahres 2005 reisen.“ Umgekehrt macht es Spaß, wie der positionierungsfreudige Pörksen seinen dauerbesonnenen und abgeklärten Gesprächspartner aus der Reserve lockt.
Aber diese Stellen muss man suchen. Dazwischen wird viel gelabert, fast immer aus der Perspektive des Coaches oder Wissenschaftlers. Das hat den Beteiligten sicher Vergnügen gemacht, deren Beruf es ist, sich auf der Metaebene mit Kommunikation zu beschäftigen. Es hilft aber nicht denen, die Dialoge aus anderen Gründen führen, um etwas zu erreichen, beispielsweise, oder um etwas zu verhindern. Vor allem aber führt dieser Dialog über den Dialog vor Augen, dass zum Thema „Reden“ vielleicht langsam genug gesagt ist. Und dass an einer Gesellschaft vor allem die Verhältnisse interessant sind, innerhalb derer gesprochen wird, und nicht so sehr die Formen.
MEREDITH HAAF
Bernhard Pörksen, Friedemann Schulz von Thun: Die Kunst des Miteinander-Redens. Über den Dialog in
Gesellschaft und Politik.
Carl Hanser Verlag,
München 2020.
223 Seiten, 20 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Rezensentin Sieglinde Geisel hat diesen Gesprächsband des Medienwissenschaftlers Bernhard Pörksen und des Kommunikationspsychologen Friedemann Schulz von Thun mit Gewinn gelesen. Die von den beiden Autoren vorgenommene Unterscheidung zwischen Mensch und Meinung ist der Kritikerin zwar nicht neu, auch "einfache Lösungen" haben die beiden nicht zu bieten, warnt Geisel vor. Die Dilemmata der Kommunikation mit Rechten, Verschwörungstheoretikern etc. können ihr die Autoren allerdings vor Augen führen. Die "Diskursverzerrung" etwa, die entsteht, wenn Fakten nur noch als Meinungen gelten. Auch den Ausführungen zum "Kommunikationsquadrat", das unter anderem aussagt, dass nur noch die Beziehungsbotschaft, nicht aber die Sachaussage gehört wird und Pörksen Kritik an der "therapieerfahrenen" Sensibilität des eigenen Milieus, folgt Geisel mit Interesse.
© Perlentaucher Medien GmbH
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'Wer immer schon mal Lust darauf hatte, sich wieder ganz grundsätzlich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie gelungene Kommunikation funktioniert, wird Pörksens und Thuns in vier Kapitel gefasste Dialoge mit Gewinn lesen." Barbara Tóth, Falter, 11.03.20
"Die Lektüre lohnt sich: In perfekt ausgearbeiteten fiktiven Rollenspielen gelingt es den beiden Gesprächspartnern, die Mechanismen eskalierender Gespräche so aufzuzeigen, dass man die Situation spontan auf die eigene Erfahrung überträgt, sei es am Familientisch oder in Talkshows." Sieglinde Geisel, Deutschlandfunk Kultur, 27.02.20
"Pörksen und Schulz von Thun vermitteln ihre Erkenntnisse anspruchsvoll und inspirierend anhand von Anekdoten, Gedankenexperimenten und Beispielen". Büchermagazin, 3/2020
"Ein sehr beeindruckendes Buch, das eine ehrwürdige antike philosophische Tradition wieder belebt: das Gespräch als Mittel der wissenschaftlichen Erkenntnis." Eberhard Oeckel, Muttersprache 2/2020
"... einedurchaus praxisnahe Anleitung für den Umgang mit Verschwörungstheorien, Vorurteilen und Hassparolen, für die Selbstbehauptung in einem medialen Wirrwarr von Wahrheitssuche, Propaganda und Lügen." Gunther Hartwig, Südwestpresse, 22.02.2020
"Die Lektüre lohnt sich: In perfekt ausgearbeiteten fiktiven Rollenspielen gelingt es den beiden Gesprächspartnern, die Mechanismen eskalierender Gespräche so aufzuzeigen, dass man die Situation spontan auf die eigene Erfahrung überträgt, sei es am Familientisch oder in Talkshows." Sieglinde Geisel, Deutschlandfunk Kultur, 27.02.20
"Pörksen und Schulz von Thun vermitteln ihre Erkenntnisse anspruchsvoll und inspirierend anhand von Anekdoten, Gedankenexperimenten und Beispielen". Büchermagazin, 3/2020
"Ein sehr beeindruckendes Buch, das eine ehrwürdige antike philosophische Tradition wieder belebt: das Gespräch als Mittel der wissenschaftlichen Erkenntnis." Eberhard Oeckel, Muttersprache 2/2020
"... einedurchaus praxisnahe Anleitung für den Umgang mit Verschwörungstheorien, Vorurteilen und Hassparolen, für die Selbstbehauptung in einem medialen Wirrwarr von Wahrheitssuche, Propaganda und Lügen." Gunther Hartwig, Südwestpresse, 22.02.2020