Nach der "Geschichte der Bienen" der neue Bestseller von Maja Lunde
Vom St. Petersburg der Zarenzeit über das Deutschland des Zweiten Weltkriegs bis in ein Norwegen der nahen Zukunft erzählt Maja Lunde von drei Familien, dem Schicksal einer seltenen Pferderasse und vom Kampf gegen das Aussterben der Arten. Wie verändert sich das Ganze, wenn ein Teil verschwindet? Ein bewegender, großer Roman über Freiheit und Verantwortung, die große Gemeinschaft der Lebewesen und die alles entscheidende Frage: Reicht ein Menschenleben, um die Welt für alle zu verändern?
Gelesen von Thomas Loibl, Meike Droste, Beate Himmelstoß, Susanne Schröder und Thomas M. Meinhardt.
(2 mp3-CD, Laufzeit: 13h 40)
Vom St. Petersburg der Zarenzeit über das Deutschland des Zweiten Weltkriegs bis in ein Norwegen der nahen Zukunft erzählt Maja Lunde von drei Familien, dem Schicksal einer seltenen Pferderasse und vom Kampf gegen das Aussterben der Arten. Wie verändert sich das Ganze, wenn ein Teil verschwindet? Ein bewegender, großer Roman über Freiheit und Verantwortung, die große Gemeinschaft der Lebewesen und die alles entscheidende Frage: Reicht ein Menschenleben, um die Welt für alle zu verändern?
Gelesen von Thomas Loibl, Meike Droste, Beate Himmelstoß, Susanne Schröder und Thomas M. Meinhardt.
(2 mp3-CD, Laufzeit: 13h 40)
buecher-magazin.deDass sich auch der dritte Teil des Klimaquartetts von Maja Lunde auf der „Spiegel“-Bestsellerliste wiederfindet, verwundert nicht, hat die Norwegerin doch schon zuvor bewiesen, dass sie eine außerordentlich begabte Schriftstellerin ist. Sie trifft mit ihren Romanen den Nerv der Zeit. Virtuos verwebt sie in „Die Letzten ihrer Art“ erneut verschiedene Erzählstränge zu einem großen Ganzen. Das gelingt ihr auf eine so elegante Weise, dass man zu keinem Zeitpunkt den Faden verliert. Jeder Erzählstrang ist geprägt von einer ganz eigenen Sprache, einem eigenen Rhythmus. Da ist zum einen Michail, der 1881 im Zoo in St. Petersburg arbeitet und von wilden Urpferden in der Mongolei erfährt. Eine Attraktion für den Zoo! Zeitsprung: Norwegen 2064: Der Klimakollaps hat inzwischen stattgefunden und Isa und ihre Mutter Eva kämpfen nicht nur um ihr eigenes Überleben – auch um das der Wildpferde. Und schließlich begleiten wir Karin, eine Tierärztin, die 1992 versucht, Przewalskipferde auszuwildern, um den Artenbestand zu sichern. Der Mensch hat alles zerstört, und dennoch geben Einzelne nicht auf. Jedes noch so kleine Samenkorn ist wichtig und kann etwas bewirken. Apropos Samenkörner: Im vierten Teil der Bestseller-Reihe soll es wohl genau um eben jene gehen.
© BÜCHERmagazin, Tanja Lindauer (lin)
© BÜCHERmagazin, Tanja Lindauer (lin)
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.11.2019Schön, grausam, sprachlos und vital
In Maja Lundes drittem Bestseller „Die letzten ihrer Art“ erlöst sich die Menschheit von sich selbst
und fällt in den Naturzustand zurück. Wie populäre Literatur die Dogmen der Klimakrise predigt
VON THOMAS STEINFELD
Vom Jahr 2064 erzählt die norwegische Autorin Maja Lunde in ihrem Roman „Die Letzten ihrer Art“. Da geben drei Frauen und ein männlicher Säugling ihr bis dahin sesshaftes Leben auf einem Hof in der Nähe von Bergen auf und werden zu Nomaden. Bis dahin sind sie, so scheint es, die letzten Menschen gewesen, die an einer bäuerlichen Existenz festhielten, die letzten, die noch nicht, „von verzweifeltem Hunger“ getrieben, über die sich langsam auflösenden Landstraßen ziehen, unterwegs nach Norden oder irgendwo anders hin, wo es vielleicht noch etwas zu essen gibt.
Denn im Jahr 2064, meint Maja Lunde, seien die meisten Menschen auf dem europäischen Kontinent verdurstet, die Staaten aufgelöst, die technische Zivilisation erloschen, während im Süden Norwegens in einem nicht mehr enden wollenden Regen das Gras verfault. „Ganz Europa ging, ohne Richtung, ohne Ziel“, wobei, nach den zuvor geschilderten Katastrophen, von „ganz Europa“ offenbar auch ohne ansteigende Meeresspiegel nicht mehr viel übrig geblieben sein dürfte.
Es gibt offenbar viele Menschen, die wissen wollen, wie sich Maja Lunde den Zustand Europas im Jahr 2064 vorstellt: Das Buch „Die Letzten ihrer Art“ befindet sich knapp einen Monat nach Erscheinen auf dem siebten Rang der Bestsellerliste. Vielleicht kaufen die Menschen den Roman, weil sie sich fürchten und sich, zumindest in der Fantasie, vorbereiten wollen auf die finsteren Zeiten, die zu erwarten sind. Vielleicht kaufen sie das Buch, um sich ein wenig zu gruseln, während sie gleichzeitig hoffen oder sogar glauben, sie selbst, ihre Kinder oder Kindeskinder würden dem Verhängnis auf irgendeine Art entkommen.
Wahrscheinlicher aber ist etwas Drittes: Denn in den drei Frauen und dem männlichen Säugling fängt die Geschichte der Menschheit noch einmal von vorne an, im Nomadentum, im täglichen Kampf um die Nahrung. Und weil das so ist, schenken die drei Frauen den beiden Wildpferden, den letzten einer Herde, die Freiheit, die sie bis dahin, um der Erhaltung der urtümlichen Rasse willen, vor einem brünstigen Kulturhengst aus der Nachbarschaft geschützt hatten. Die allegorische Bedeutung dieser Szene kann auch dem schlichtesten Gemüt nicht entgehen: Der Mensch zieht sich von allen Versuchen zurück, die Natur beherrschen zu wollen, und er fällt selbst wieder der Natur anheim. Dieser Vorstellung wegen ist das Buch ein Erfolg.
Angesichts der Erwartung, in nicht allzu ferner Zukunft werde es eine ökologische Katastrophe geben, die zumindest menschliches Leben in weiten Teilen der Erde unmöglich macht, gibt es ein weitverbreitetes Missverständnis. Es besteht darin, das Reden von der Katastrophe bereits für den Widerstand gegen die Katastrophe zu halten. Vielleicht hängt sogar Maja Lunde diesem Missverständnis an. Doch mit einer Revolte hat dieses Buch nichts zu tun: Das Ende der Menschheit ist, aus der Perspektive des Romans betrachtet, zwar schrecklich. Zugleich aber ist es ein Traum von Erlösung: von der Geschichte, von der Technik, von Staat und Gesellschaft, von Zivilisation und Kultur und von allen anderen Errungenschaften, die ein Kollektivsubjekt namens Mensch sich in den vergangenen zehn- oder zwanzigtausend Jahren erworben hat. An ihre Stelle tritt eine Natur, wie sie gewesen sein muss, bevor ihr der Mensch mit Zäunen und Pflügen auf den Leib rückte: schön und grausam, vital und mörderisch, sprachlos und gedankenfrei. Fantasien der Ohnmacht und der Erlösung fallen in diesem Buch zusammen. Verbunden werden sie durch eine Radikalisierung aller gängigen Ideale einer ökologischen Lebensform, in der sich die Menschen als der eigentliche Störenfried erweisen. Hermann Löns’ Heimatroman „Der Wehrwolf“, im Jahr 1910 veröffentlicht und von den Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg auf den Index gesetzt, war eine Idylle gegen Maja Lundes „Die Letzten ihrer Art“.
In welchem Maß das gilt, ist in diesem Roman vor allem am Umgang mit eben diesen Menschen zu erkennen: Es fehlt ihm in jeder Hinsicht an Empathie, an Mitgefühl oder wie man das Interesse an seinem menschlichen Gegenüber nennen mag. Das gilt im Großen: Im Nachvollzug der Klimakatastrophe, die am Ende drei Frauen und einen Säugling auf einem nicht mehr zu bewirtschaftenden Hof bei Bergen zurücklässt, werden die Völkerschaften abgeräumt wie das Gras bei der jüngsten Heuernte (der letzten überhaupt, wie es sich versteht), ohne dass ihnen noch ein ganzer Satz gewidmet würde.
Und es gilt im Kleinen. Jede der zehn oder zwölf Figuren, die, auf drei Zeitebenen verteilt, im Mittelpunkt dieses Romans stehen, ist auf eine je andere Art traumatisiert: eingeschlossen in die eigene Unfähigkeit, sich an einem größeren sozialen Gebilde oder gar an einer Gesellschaft zu beteiligen, um von so etwas wie einer bewusst eingegangenen Generationenfolge gar nicht erst anzufangen. In der Folge sitzen diese Figuren da und denken so unwahrscheinliche Dinge wie: „Was für ein Mensch war ich eigentlich, mich so sehr von diesen zerstörerischen Gefühlen vereinnahmen zu lassen?“
Der Finder jener Wildpferdherde, um das Jahr 1885 lebend, kann seine Homosexualität nur in der Verborgenheit der Wildnis leben. Die Hegerin der Tiere, in den Neunzigern des 20. Jahrhunderts versagt als Mutter, wie es auch die Herrin des Hofes tut – bis die Natur, in Gestalt des schreienden Säuglings, die Regie übernimmt. Einen Boden gibt es in diesem Buch nicht. Um so mehr herrschen Blut und Trieb.
Der Roman „Die Letzten ihrer Art“ ist das dritte Buch, das Maja Lunde einem Weltuntergang widmet, der durch Übergriffe des Menschen auf die Natur verursacht worden sein soll. Das erste dieser Werke galt den Bienen (der Roman war im Jahr 2017 das meistverkaufte Buch in Deutschland), das zweite dem Wasser. Das dritte nun erzählt vom Ende der Welt aus der Perspektive von Menschen, die sich um die Erhaltung der letzten Wildpferde verdient machen. Alle drei Werke sind nach demselben Muster verfasst. Es wird von der Vergangenheit, der Gegenwart und der vermeintlichen Zukunft eines paradigmatisch aufgefassten Stücks Natur berichtet, und das Ende ist jeweils absehbar: Es besteht in einem Weltgericht, wie es sich vollständiger kein protestantischer Eiferer ausdenken könnte.
Wer mag, kann in dieser Suite eine letztlich zynische Bewirtschaftung der Furcht vor einer nahenden Klimakatastrophe erkennen. Aber es ist schlimmer. Denn es gäbe diese zynische Bewirtschaftung nicht, wenn sich mit dem vermeintlichen „Kampf“ gegen die Klimakatastrophe nicht ein Dogmatismus ganz eigener Art verbände: dergestalt, dass jedes Bedenken, jeder Vorbehalt, jede reflexive Distanz angesichts dieses „Kampfes“ dasselbe seien wie eine Kollaboration mit den Verursachern jener Bedrohung. Oder anders gesagt: Der neueste Kreuzzug bringt offenbar sein eigenes Marketenderwesen hervor. Ein Einspruch wird nicht zugelassen.
Es ließe sich noch davon berichten, dass die programmatische Erlösung des Menschen von sich selbst durch die Rückkehr in ein Dasein als Jäger und Sammler offenbar erhebliche Schäden nicht nur in Satzbau und Grammatik, sondern auch in der Logik von Handlung und Erzählperspektive nach sich zieht, im norwegischen Original wie auch in der deutschen Übersetzung. Aber darauf kommt es angesichts eines dermaßen militanten Willens zur Rückkehr in den Weltursprung auch nicht mehr an.
Maja Lunde: Die Letzten ihrer Art. Roman. Aus dem Norwegischen von Ursel Allenstein. Btb Verlag, München 2019. 638 Seiten, 22 Euro.
Das Missverständnis: Man hält
das Reden von der Katastrophe
bereits für Widerstand
Ein Weltgericht, wie es sich kein
protestantischer Eiferer
vollständiger ausdenken könnte
Menschen? Besser geht es ohne sie, denkt sich auch das Norwegische Fjordpferd womöglich.
Foto: Marius Schwarz / imago
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In Maja Lundes drittem Bestseller „Die letzten ihrer Art“ erlöst sich die Menschheit von sich selbst
und fällt in den Naturzustand zurück. Wie populäre Literatur die Dogmen der Klimakrise predigt
VON THOMAS STEINFELD
Vom Jahr 2064 erzählt die norwegische Autorin Maja Lunde in ihrem Roman „Die Letzten ihrer Art“. Da geben drei Frauen und ein männlicher Säugling ihr bis dahin sesshaftes Leben auf einem Hof in der Nähe von Bergen auf und werden zu Nomaden. Bis dahin sind sie, so scheint es, die letzten Menschen gewesen, die an einer bäuerlichen Existenz festhielten, die letzten, die noch nicht, „von verzweifeltem Hunger“ getrieben, über die sich langsam auflösenden Landstraßen ziehen, unterwegs nach Norden oder irgendwo anders hin, wo es vielleicht noch etwas zu essen gibt.
Denn im Jahr 2064, meint Maja Lunde, seien die meisten Menschen auf dem europäischen Kontinent verdurstet, die Staaten aufgelöst, die technische Zivilisation erloschen, während im Süden Norwegens in einem nicht mehr enden wollenden Regen das Gras verfault. „Ganz Europa ging, ohne Richtung, ohne Ziel“, wobei, nach den zuvor geschilderten Katastrophen, von „ganz Europa“ offenbar auch ohne ansteigende Meeresspiegel nicht mehr viel übrig geblieben sein dürfte.
Es gibt offenbar viele Menschen, die wissen wollen, wie sich Maja Lunde den Zustand Europas im Jahr 2064 vorstellt: Das Buch „Die Letzten ihrer Art“ befindet sich knapp einen Monat nach Erscheinen auf dem siebten Rang der Bestsellerliste. Vielleicht kaufen die Menschen den Roman, weil sie sich fürchten und sich, zumindest in der Fantasie, vorbereiten wollen auf die finsteren Zeiten, die zu erwarten sind. Vielleicht kaufen sie das Buch, um sich ein wenig zu gruseln, während sie gleichzeitig hoffen oder sogar glauben, sie selbst, ihre Kinder oder Kindeskinder würden dem Verhängnis auf irgendeine Art entkommen.
Wahrscheinlicher aber ist etwas Drittes: Denn in den drei Frauen und dem männlichen Säugling fängt die Geschichte der Menschheit noch einmal von vorne an, im Nomadentum, im täglichen Kampf um die Nahrung. Und weil das so ist, schenken die drei Frauen den beiden Wildpferden, den letzten einer Herde, die Freiheit, die sie bis dahin, um der Erhaltung der urtümlichen Rasse willen, vor einem brünstigen Kulturhengst aus der Nachbarschaft geschützt hatten. Die allegorische Bedeutung dieser Szene kann auch dem schlichtesten Gemüt nicht entgehen: Der Mensch zieht sich von allen Versuchen zurück, die Natur beherrschen zu wollen, und er fällt selbst wieder der Natur anheim. Dieser Vorstellung wegen ist das Buch ein Erfolg.
Angesichts der Erwartung, in nicht allzu ferner Zukunft werde es eine ökologische Katastrophe geben, die zumindest menschliches Leben in weiten Teilen der Erde unmöglich macht, gibt es ein weitverbreitetes Missverständnis. Es besteht darin, das Reden von der Katastrophe bereits für den Widerstand gegen die Katastrophe zu halten. Vielleicht hängt sogar Maja Lunde diesem Missverständnis an. Doch mit einer Revolte hat dieses Buch nichts zu tun: Das Ende der Menschheit ist, aus der Perspektive des Romans betrachtet, zwar schrecklich. Zugleich aber ist es ein Traum von Erlösung: von der Geschichte, von der Technik, von Staat und Gesellschaft, von Zivilisation und Kultur und von allen anderen Errungenschaften, die ein Kollektivsubjekt namens Mensch sich in den vergangenen zehn- oder zwanzigtausend Jahren erworben hat. An ihre Stelle tritt eine Natur, wie sie gewesen sein muss, bevor ihr der Mensch mit Zäunen und Pflügen auf den Leib rückte: schön und grausam, vital und mörderisch, sprachlos und gedankenfrei. Fantasien der Ohnmacht und der Erlösung fallen in diesem Buch zusammen. Verbunden werden sie durch eine Radikalisierung aller gängigen Ideale einer ökologischen Lebensform, in der sich die Menschen als der eigentliche Störenfried erweisen. Hermann Löns’ Heimatroman „Der Wehrwolf“, im Jahr 1910 veröffentlicht und von den Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg auf den Index gesetzt, war eine Idylle gegen Maja Lundes „Die Letzten ihrer Art“.
In welchem Maß das gilt, ist in diesem Roman vor allem am Umgang mit eben diesen Menschen zu erkennen: Es fehlt ihm in jeder Hinsicht an Empathie, an Mitgefühl oder wie man das Interesse an seinem menschlichen Gegenüber nennen mag. Das gilt im Großen: Im Nachvollzug der Klimakatastrophe, die am Ende drei Frauen und einen Säugling auf einem nicht mehr zu bewirtschaftenden Hof bei Bergen zurücklässt, werden die Völkerschaften abgeräumt wie das Gras bei der jüngsten Heuernte (der letzten überhaupt, wie es sich versteht), ohne dass ihnen noch ein ganzer Satz gewidmet würde.
Und es gilt im Kleinen. Jede der zehn oder zwölf Figuren, die, auf drei Zeitebenen verteilt, im Mittelpunkt dieses Romans stehen, ist auf eine je andere Art traumatisiert: eingeschlossen in die eigene Unfähigkeit, sich an einem größeren sozialen Gebilde oder gar an einer Gesellschaft zu beteiligen, um von so etwas wie einer bewusst eingegangenen Generationenfolge gar nicht erst anzufangen. In der Folge sitzen diese Figuren da und denken so unwahrscheinliche Dinge wie: „Was für ein Mensch war ich eigentlich, mich so sehr von diesen zerstörerischen Gefühlen vereinnahmen zu lassen?“
Der Finder jener Wildpferdherde, um das Jahr 1885 lebend, kann seine Homosexualität nur in der Verborgenheit der Wildnis leben. Die Hegerin der Tiere, in den Neunzigern des 20. Jahrhunderts versagt als Mutter, wie es auch die Herrin des Hofes tut – bis die Natur, in Gestalt des schreienden Säuglings, die Regie übernimmt. Einen Boden gibt es in diesem Buch nicht. Um so mehr herrschen Blut und Trieb.
Der Roman „Die Letzten ihrer Art“ ist das dritte Buch, das Maja Lunde einem Weltuntergang widmet, der durch Übergriffe des Menschen auf die Natur verursacht worden sein soll. Das erste dieser Werke galt den Bienen (der Roman war im Jahr 2017 das meistverkaufte Buch in Deutschland), das zweite dem Wasser. Das dritte nun erzählt vom Ende der Welt aus der Perspektive von Menschen, die sich um die Erhaltung der letzten Wildpferde verdient machen. Alle drei Werke sind nach demselben Muster verfasst. Es wird von der Vergangenheit, der Gegenwart und der vermeintlichen Zukunft eines paradigmatisch aufgefassten Stücks Natur berichtet, und das Ende ist jeweils absehbar: Es besteht in einem Weltgericht, wie es sich vollständiger kein protestantischer Eiferer ausdenken könnte.
Wer mag, kann in dieser Suite eine letztlich zynische Bewirtschaftung der Furcht vor einer nahenden Klimakatastrophe erkennen. Aber es ist schlimmer. Denn es gäbe diese zynische Bewirtschaftung nicht, wenn sich mit dem vermeintlichen „Kampf“ gegen die Klimakatastrophe nicht ein Dogmatismus ganz eigener Art verbände: dergestalt, dass jedes Bedenken, jeder Vorbehalt, jede reflexive Distanz angesichts dieses „Kampfes“ dasselbe seien wie eine Kollaboration mit den Verursachern jener Bedrohung. Oder anders gesagt: Der neueste Kreuzzug bringt offenbar sein eigenes Marketenderwesen hervor. Ein Einspruch wird nicht zugelassen.
Es ließe sich noch davon berichten, dass die programmatische Erlösung des Menschen von sich selbst durch die Rückkehr in ein Dasein als Jäger und Sammler offenbar erhebliche Schäden nicht nur in Satzbau und Grammatik, sondern auch in der Logik von Handlung und Erzählperspektive nach sich zieht, im norwegischen Original wie auch in der deutschen Übersetzung. Aber darauf kommt es angesichts eines dermaßen militanten Willens zur Rückkehr in den Weltursprung auch nicht mehr an.
Maja Lunde: Die Letzten ihrer Art. Roman. Aus dem Norwegischen von Ursel Allenstein. Btb Verlag, München 2019. 638 Seiten, 22 Euro.
Das Missverständnis: Man hält
das Reden von der Katastrophe
bereits für Widerstand
Ein Weltgericht, wie es sich kein
protestantischer Eiferer
vollständiger ausdenken könnte
Menschen? Besser geht es ohne sie, denkt sich auch das Norwegische Fjordpferd womöglich.
Foto: Marius Schwarz / imago
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»Ein Roman über die Verantwortung, die wir alle haben. Beim Lesen wird klar: Wir müssen handeln. Jetzt!« emotion