In "Die Nacht ist aus Tinte gemacht" erzählt die Schriftstellerin Herta Müller ihre Kindheit im rumänischen Banat. Aus dem Gespräch heraus, ohne Manuskriptvorlage, erzeugt ihre behutsam sich vorantastende Stimme eine Atmosphäre dichter, spannungsreicher Intimität, in der vor dem Ohr des Hörers eine Welt zum Leben erweckt wird, die nur noch in der Erinnerung der Ausgewanderten existiert.
Das Leben der Banater Schwaben in Nitzkydorf ist geprägt von bäuerlichen Bräuchen und harter Arbeit. Die Abgeschlossenheit dieses kleinen Kosmos bekommt durch den Schulbesuch erste Risse: Im ständigen Wechsel zwischen Dialekt, Hochdeutsch und Rumänisch entdeckt das Kind, dass die Sprachen ganz unterschiedliche Augen haben, mit denen ganz unterschiedliche Dinge wahrgenommen werden können. Durch die Risse wird aber auch die Gewalt deutlicher erkennbar, die in den Körpern sitzt, derer sich die politischen Regime brutal ermächtigen. Für die 1953 Geborene sind die Folgen von Krieg, Deportation der Mutter in ein stalinistisches Straflager, Alkoholismus des Vaters und Enteignung der Familie alltäglich spürbar. So beschreibt Herta Müller ihre Kindheit - als sie von den späteren Nachstellungen der Securitate, dem gefürchteten Geheimdienst von Diktator Ceausescu spricht - als Einübung in die Angst, als Vorbereitung für die Angst aus politischen Gründen, die sie schließlich 1987 zur Ausreise in die Bundesrepublik treibt.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Das Leben der Banater Schwaben in Nitzkydorf ist geprägt von bäuerlichen Bräuchen und harter Arbeit. Die Abgeschlossenheit dieses kleinen Kosmos bekommt durch den Schulbesuch erste Risse: Im ständigen Wechsel zwischen Dialekt, Hochdeutsch und Rumänisch entdeckt das Kind, dass die Sprachen ganz unterschiedliche Augen haben, mit denen ganz unterschiedliche Dinge wahrgenommen werden können. Durch die Risse wird aber auch die Gewalt deutlicher erkennbar, die in den Körpern sitzt, derer sich die politischen Regime brutal ermächtigen. Für die 1953 Geborene sind die Folgen von Krieg, Deportation der Mutter in ein stalinistisches Straflager, Alkoholismus des Vaters und Enteignung der Familie alltäglich spürbar. So beschreibt Herta Müller ihre Kindheit - als sie von den späteren Nachstellungen der Securitate, dem gefürchteten Geheimdienst von Diktator Ceausescu spricht - als Einübung in die Angst, als Vorbereitung für die Angst aus politischen Gründen, die sie schließlich 1987 zur Ausreise in die Bundesrepublik treibt.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.10.2009Dann wirft jeder Gegenstand einen Schatten
Auszüge aus dem eindrucksvollen Hörbuch „Die Nacht ist aus Tinte gemacht. Herta Müller erzählt über ihre Kindheit im Banat”
Aus dem Gespräch heraus, ohne Manuskriptvorlage, hat Herta Müller für den Berliner Supposé-Verlag über ihre Kindheit und ihre Erinnerungen an Nitzkydorf im Banat berichtet. Wir dokumentieren hier Auszüge aus dem eindrucksvollen, atmosphärisch dichten Bericht (Herta Müller: Die Nacht ist aus Tinte gemacht. Dramaturgie und Regie: Thomas Böhm und Klaus Sander. Supposé Verlag, Berlin 2009, 2 Audio-CDs, 116 Min., 24,80 Euro) SZ
„Ich habe eine Weile an den Suizid gedacht und ich habe auch mehrmals Anläufe genommen. Aber ich hab’s nicht gemacht. Ich habe es an dem Punkt nie wieder versucht und ich habe es mir auch verboten – ich habe es vorher nicht gemacht und nachher habe ich es mir nicht mehr zugestanden, weil der Geheimdienst mir ständig gedroht hat, dass er mich umbringt. Dass sie mich, was weiß ich, in den Fluss schmeißen oder man sagt: Es gibt Verkehrsunfälle.
Ich hätte ja eigentlich die Drecksarbeit für die getan, indem ich mich selbst aus dem Weg räume. (. . .) Solche politischen Dinge in einem bewachten Land - und wenn man dann zur Zielscheibe geworden ist, die münden alle in das Intimste hinein, ins ganz ganz Persönliche. Also man hat nicht einmal mehr die Möglichkeit, es gibt keinen Freitod. Freitod heißt ja, dass du selbst entscheidest und du tust es, weil du freiwillig aus dem Leben gehst . . . Das wäre auch nicht mehr das gewesen. Ich hätte durch den Suizid bloß einen Auftrag erfüllen müssen, den sie, wenn sie mich hätten umbringen wollen einer anderen Person hätten übertragen müssen. Ich wäre nur mein Mörder geworden. Etwas anderes ging gar nicht. Ich wäre mein Mörder. Ich hätte es dann schon in ihrem Namen getan, ob ich das wollte oder nicht. Es wäre gar nichts mehr möglich gewesen.
(. . .) Ich wollte nicht mehr leben. Ich hätte gerne gehabt, dass es von sich aus geschieht. Dass es einfach so ist: Es gibt mich jetzt nicht mehr. Aber es ist ja nicht möglich. Wenn man aus dem Leben heraus möchte, weil man es nicht mehr aushält. Ich wollte ja gar nicht tot sein, aber ich konnte das Leben nicht mehr ertragen. Das ist ja was ganz anderes. Vielleicht auch, weil ich gerne gelebt habe. Aber vielleicht auch, weil ich überhaupt nicht mehr so leben konnte, wie ich leben möchte – weil ich ja keine Ruhe mehr hatte. Und ich hab mir damals gedacht: Wenn das so ginge, das man sich das wünschen könnte, dass man nicht mehr da ist, dann hätte ich es natürlich gemacht, aber man muss das ja dann selbst tun . . .
Ich habe in diesem Land nicht mehr leben können. Ich wurde so viel herumgezerrt. Die kamen in die Wohnung, wenn man nicht zu Hause war. Die haben die Zeichen hinterlassen. Die haben damals dieses Fuchsfell, das ich hatte, zerschnitten, wenn ich nicht da war. Dann ein Bild von der Wand genommen, aufs Bett gelegt. Ich habe diesen seltsamen Unfall mit dem Fahrrad gehabt. Und danach hat er mir gesagt: Es gibt Verkehrsunfälle. Oder wenn ich dann verhört wurde, hat man mir ständig gedroht. Ich habe das einfach nicht mehr ausgehalten. Ich habe nicht mehr die Kraft gehabt. Ich konnte nicht mehr ohne Angst leben. Ich hatte keine Selbstverständlichkeiten mehr. Ich hatte immer Angst, sie vergiften, wenn sie in der Wohnung waren, das Essen, ich gehe an den Kühlschrank und ich nehme mir irgendetwas aus dem Kühlschrank und . . . ich habe immer gedacht, dann wird es heißen, ich hätte mich vergiftet. Das hat es ja auch gegeben. Das hat man ja immer gehört. Die inszenierten Selbstmorde. Und ich war überzeugt, dass sie das irgendwie so machen werden. Nichts mehr ist das, was es wirklich ist. Dann wirft jeder Gegenstand, den du im Haus hast, einen Schatten. Die Verfolgung steckt überall drin. Die müssen ja gar nicht mehr da sein oder dich nicht grade bedrängen, aber sie haben die Dinge alle besetzt. Und die Dinge sind einfach dann alle von ihnen vegiftet. Du kannst noch so versuchen, es nicht zur Kenntnis zu nehmen. Wie sollst du das machen? Und wenn ich nach Hause kam, musste ich zuerst die Wohnung absuchen. Also wenn dir ein paar mal so was passiert, dass die Dinge im Haus verändert sind . . . Das wollen die ja auch. Es sind ja alles psychische Spiele. Das sind ja keine Dilettanten, die sind ja hoch professionell psychologisch ausgebildet. Die wissen ja, mit welchen Dingen man was verursacht.
Wir hatten diesen Himmelschlüssel im Vorzimmer hängen, diesen ganz großen, schwarzen Holzschlüssel mit dem Goldrand, vor dem ich immer so Angst hatte und der immer zugeschaut hat, was man macht, und der diese Komplizenschaft hatte mit den Erwachsenen. Jahre später, erst in Deutschland, habe ich das Wort Schlüsselkind gehört. Und zwar für die Kinder, die dann von der Schule gleich in die Wohnung dürfen, aber ihren eigenen Schlüssel um den Hals haben. Ich habe gedacht, ich war eigentlich mehr als die noch ein Schlüsselkind, weil ich Angst vor diesem großen Himmelsschlüssel hatte, weil ich diesem Schlüssel gehörte, weil der Schlüssel mich in der Hand hatte, weil er mich beobachtet hat, weil er den Erwachsenen gesagt hat, was ich alles anders mache, als ich es tun soll.
Ich glaube, den hat meine Mutter verschachert, als wir ausgewandert sind. Da musste man ja das ganze Haus leer dem Staat übergeben. Dann hat sie alles in kurzer Zeit, denn sie hatte ja wenig Zeit – sie wurde ja damals nur mit mir mitgepappt, ich glaube, drei Wochen, bevor ich den Pass bekommen hab, hat man sie gefragt, ob sie auch mitmöchte oder ob sie bleiben möchte, aber davor hat man natürlich dafür gesorgt, dass sie auch mitmöchte. Der Dorfpolizist hat sie zwei-, dreimal in sein Büro eingeschlossen, hat sie zu sich rufen lassen und hat sie dann den ganzen Tag dort eingeschlossen und ist weggegangen. Da ist sie verzweifelt. Sie hat nicht gewusst, was der will und warum sie dort sitzen muss (. . .). Insofern hat man ihr Angst gemacht. Man hat ihr suggeriert, was sie erwarten könnte, wenn sie sich untersteht, zu bleiben. Man hat sich auch an ihr gerächt, für das, was man mit mir abzurechnen hatte. Also hat man sie dann gefragt, und dann hat sie nicht mehr viel Zeit gehabt. Dann hat sie in sehr kurzer Zeit den ganzen Haushalt auflösen müssen und hat also alle möglichen Sachen . . . in der Nachbarschaft hat man ja schon gewusst, in den Dörfern dort und dort wandern Leute aus. In schnellstmöglicher Zeit hat sie alles verschachert, und dieser Schlüssel hat sie wahrscheinlich gar nicht mehr beschäftigt. Ich weiß nicht, was sie mit dem gemacht hat. Also ich wollte den auch nicht. Ich hätte ihn auch nicht mitgenommen, selbst wenn ich gewusst hätte, schon lange vorher, dass sie auch auswandert oder dass sie das Haus leerräumt. Ich hätte diesen Schlüssel nicht mitnehmen wollen: Einen Gegenstand, der sich so aufspielt, der sich so zur Instanz verwandelte, den möcht ich nicht haben. Ich möchte keinen Gegenstand, der mich bevormundet. Das wäre heute wahrscheinlich nicht mehr so, aber ich weiß, dass es diese Geschichte, diese Komplizenschaft zwischen mir und diesem Schlüssel gibt. Und darum möchte ich den nicht haben. Ich hätte diesen Schlüssel nicht mitgenommen. Auch wenn sie ihn hätte mitnehmen wollen, hätte ich das nicht zugelassen.
Wir hatten nur einen Koffer, und in diesen Koffer wäre dieser Schlüssel nicht reingekommen, da gibt es ganz andere Dinge.”
Herta Müller Foto: Jürgen Bauer
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Auszüge aus dem eindrucksvollen Hörbuch „Die Nacht ist aus Tinte gemacht. Herta Müller erzählt über ihre Kindheit im Banat”
Aus dem Gespräch heraus, ohne Manuskriptvorlage, hat Herta Müller für den Berliner Supposé-Verlag über ihre Kindheit und ihre Erinnerungen an Nitzkydorf im Banat berichtet. Wir dokumentieren hier Auszüge aus dem eindrucksvollen, atmosphärisch dichten Bericht (Herta Müller: Die Nacht ist aus Tinte gemacht. Dramaturgie und Regie: Thomas Böhm und Klaus Sander. Supposé Verlag, Berlin 2009, 2 Audio-CDs, 116 Min., 24,80 Euro) SZ
„Ich habe eine Weile an den Suizid gedacht und ich habe auch mehrmals Anläufe genommen. Aber ich hab’s nicht gemacht. Ich habe es an dem Punkt nie wieder versucht und ich habe es mir auch verboten – ich habe es vorher nicht gemacht und nachher habe ich es mir nicht mehr zugestanden, weil der Geheimdienst mir ständig gedroht hat, dass er mich umbringt. Dass sie mich, was weiß ich, in den Fluss schmeißen oder man sagt: Es gibt Verkehrsunfälle.
Ich hätte ja eigentlich die Drecksarbeit für die getan, indem ich mich selbst aus dem Weg räume. (. . .) Solche politischen Dinge in einem bewachten Land - und wenn man dann zur Zielscheibe geworden ist, die münden alle in das Intimste hinein, ins ganz ganz Persönliche. Also man hat nicht einmal mehr die Möglichkeit, es gibt keinen Freitod. Freitod heißt ja, dass du selbst entscheidest und du tust es, weil du freiwillig aus dem Leben gehst . . . Das wäre auch nicht mehr das gewesen. Ich hätte durch den Suizid bloß einen Auftrag erfüllen müssen, den sie, wenn sie mich hätten umbringen wollen einer anderen Person hätten übertragen müssen. Ich wäre nur mein Mörder geworden. Etwas anderes ging gar nicht. Ich wäre mein Mörder. Ich hätte es dann schon in ihrem Namen getan, ob ich das wollte oder nicht. Es wäre gar nichts mehr möglich gewesen.
(. . .) Ich wollte nicht mehr leben. Ich hätte gerne gehabt, dass es von sich aus geschieht. Dass es einfach so ist: Es gibt mich jetzt nicht mehr. Aber es ist ja nicht möglich. Wenn man aus dem Leben heraus möchte, weil man es nicht mehr aushält. Ich wollte ja gar nicht tot sein, aber ich konnte das Leben nicht mehr ertragen. Das ist ja was ganz anderes. Vielleicht auch, weil ich gerne gelebt habe. Aber vielleicht auch, weil ich überhaupt nicht mehr so leben konnte, wie ich leben möchte – weil ich ja keine Ruhe mehr hatte. Und ich hab mir damals gedacht: Wenn das so ginge, das man sich das wünschen könnte, dass man nicht mehr da ist, dann hätte ich es natürlich gemacht, aber man muss das ja dann selbst tun . . .
Ich habe in diesem Land nicht mehr leben können. Ich wurde so viel herumgezerrt. Die kamen in die Wohnung, wenn man nicht zu Hause war. Die haben die Zeichen hinterlassen. Die haben damals dieses Fuchsfell, das ich hatte, zerschnitten, wenn ich nicht da war. Dann ein Bild von der Wand genommen, aufs Bett gelegt. Ich habe diesen seltsamen Unfall mit dem Fahrrad gehabt. Und danach hat er mir gesagt: Es gibt Verkehrsunfälle. Oder wenn ich dann verhört wurde, hat man mir ständig gedroht. Ich habe das einfach nicht mehr ausgehalten. Ich habe nicht mehr die Kraft gehabt. Ich konnte nicht mehr ohne Angst leben. Ich hatte keine Selbstverständlichkeiten mehr. Ich hatte immer Angst, sie vergiften, wenn sie in der Wohnung waren, das Essen, ich gehe an den Kühlschrank und ich nehme mir irgendetwas aus dem Kühlschrank und . . . ich habe immer gedacht, dann wird es heißen, ich hätte mich vergiftet. Das hat es ja auch gegeben. Das hat man ja immer gehört. Die inszenierten Selbstmorde. Und ich war überzeugt, dass sie das irgendwie so machen werden. Nichts mehr ist das, was es wirklich ist. Dann wirft jeder Gegenstand, den du im Haus hast, einen Schatten. Die Verfolgung steckt überall drin. Die müssen ja gar nicht mehr da sein oder dich nicht grade bedrängen, aber sie haben die Dinge alle besetzt. Und die Dinge sind einfach dann alle von ihnen vegiftet. Du kannst noch so versuchen, es nicht zur Kenntnis zu nehmen. Wie sollst du das machen? Und wenn ich nach Hause kam, musste ich zuerst die Wohnung absuchen. Also wenn dir ein paar mal so was passiert, dass die Dinge im Haus verändert sind . . . Das wollen die ja auch. Es sind ja alles psychische Spiele. Das sind ja keine Dilettanten, die sind ja hoch professionell psychologisch ausgebildet. Die wissen ja, mit welchen Dingen man was verursacht.
Wir hatten diesen Himmelschlüssel im Vorzimmer hängen, diesen ganz großen, schwarzen Holzschlüssel mit dem Goldrand, vor dem ich immer so Angst hatte und der immer zugeschaut hat, was man macht, und der diese Komplizenschaft hatte mit den Erwachsenen. Jahre später, erst in Deutschland, habe ich das Wort Schlüsselkind gehört. Und zwar für die Kinder, die dann von der Schule gleich in die Wohnung dürfen, aber ihren eigenen Schlüssel um den Hals haben. Ich habe gedacht, ich war eigentlich mehr als die noch ein Schlüsselkind, weil ich Angst vor diesem großen Himmelsschlüssel hatte, weil ich diesem Schlüssel gehörte, weil der Schlüssel mich in der Hand hatte, weil er mich beobachtet hat, weil er den Erwachsenen gesagt hat, was ich alles anders mache, als ich es tun soll.
Ich glaube, den hat meine Mutter verschachert, als wir ausgewandert sind. Da musste man ja das ganze Haus leer dem Staat übergeben. Dann hat sie alles in kurzer Zeit, denn sie hatte ja wenig Zeit – sie wurde ja damals nur mit mir mitgepappt, ich glaube, drei Wochen, bevor ich den Pass bekommen hab, hat man sie gefragt, ob sie auch mitmöchte oder ob sie bleiben möchte, aber davor hat man natürlich dafür gesorgt, dass sie auch mitmöchte. Der Dorfpolizist hat sie zwei-, dreimal in sein Büro eingeschlossen, hat sie zu sich rufen lassen und hat sie dann den ganzen Tag dort eingeschlossen und ist weggegangen. Da ist sie verzweifelt. Sie hat nicht gewusst, was der will und warum sie dort sitzen muss (. . .). Insofern hat man ihr Angst gemacht. Man hat ihr suggeriert, was sie erwarten könnte, wenn sie sich untersteht, zu bleiben. Man hat sich auch an ihr gerächt, für das, was man mit mir abzurechnen hatte. Also hat man sie dann gefragt, und dann hat sie nicht mehr viel Zeit gehabt. Dann hat sie in sehr kurzer Zeit den ganzen Haushalt auflösen müssen und hat also alle möglichen Sachen . . . in der Nachbarschaft hat man ja schon gewusst, in den Dörfern dort und dort wandern Leute aus. In schnellstmöglicher Zeit hat sie alles verschachert, und dieser Schlüssel hat sie wahrscheinlich gar nicht mehr beschäftigt. Ich weiß nicht, was sie mit dem gemacht hat. Also ich wollte den auch nicht. Ich hätte ihn auch nicht mitgenommen, selbst wenn ich gewusst hätte, schon lange vorher, dass sie auch auswandert oder dass sie das Haus leerräumt. Ich hätte diesen Schlüssel nicht mitnehmen wollen: Einen Gegenstand, der sich so aufspielt, der sich so zur Instanz verwandelte, den möcht ich nicht haben. Ich möchte keinen Gegenstand, der mich bevormundet. Das wäre heute wahrscheinlich nicht mehr so, aber ich weiß, dass es diese Geschichte, diese Komplizenschaft zwischen mir und diesem Schlüssel gibt. Und darum möchte ich den nicht haben. Ich hätte diesen Schlüssel nicht mitgenommen. Auch wenn sie ihn hätte mitnehmen wollen, hätte ich das nicht zugelassen.
Wir hatten nur einen Koffer, und in diesen Koffer wäre dieser Schlüssel nicht reingekommen, da gibt es ganz andere Dinge.”
Herta Müller Foto: Jürgen Bauer
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Nach dem Literaturnobelpreis erweist sich dies zunächst in kleinster Auflage geplante Gesprächs-Hörbuch mit Herta Müller als pekuniärer Glücksfall für den Verlag. Ein Glücksfall, so Felicitas von Lovenberg, ist es jedoch auch für jeden, der sich für Herta Müller, ihr Schreiben, ihr Leben und vor allem die Welt ihrer Herkunft, den Banat, interessiert. Sehr offen und freundschaftlich nämlich, dies der Eindruck, verlief das Gespräch, das die Interviewer mit der Schriftstellerin führten. Sie erzählt darin vom tiefen und unauslöschlichen Eindruck, den die Worte und die Sprache ihr von Kindheit an machten. Sie erzählt auch von einer Umwelt, die sie in erster Linie als "feindselig" erfuhr. Was insgesamt entstehe, lobt die Rezensentin, sei geradezu ein Bild nicht nur der Schrifststellerin, sondern geradezu eines von der "Persönlichkeit ihrer Sprache".
© Perlentaucher Medien GmbH
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