Javier Marías, der große Erzähler Spaniens, ist zurück. Keiner kennt so gut die verborgenen Winkel der Herzen. Die fesselnde Art, Spannungen aufzubauen und in unerwarteten Wendungen zu entladen, seine Kunst, unvergesslich von der Intensität der Gefühle zu erzählen: das hat Javier Marías weltberühmt gemacht. Hier ist sein neuer, packender Roman über die Grenzen von Wahrheit und Lüge, Liebe und Tod.
Luisa und Miguel sind das perfekte Paar. Das weiß vor allem María. Seit langem beobachtet sie heimlich die Liebenden. Doch dann stirbt Miguel auf mysteriöse Weise, und María gerät in einen Strudel erschreckender Ereignisse. Es eröffnet sich ihr die unheimliche Frage: Ist die Liebe ein Zustand, der alles erlaubt?
Eva Mattes liest mit einer Wärme und Intensität, die unwiderstehlich ist.
Luisa und Miguel sind das perfekte Paar. Das weiß vor allem María. Seit langem beobachtet sie heimlich die Liebenden. Doch dann stirbt Miguel auf mysteriöse Weise, und María gerät in einen Strudel erschreckender Ereignisse. Es eröffnet sich ihr die unheimliche Frage: Ist die Liebe ein Zustand, der alles erlaubt?
Eva Mattes liest mit einer Wärme und Intensität, die unwiderstehlich ist.
CD 1 | |||
1 | Das letzte Mal | 00:00:14 | |
2 | Das letzte Mal | 00:04:31 | |
3 | Vom ersten Tag an | 00:04:49 | |
4 | Miguel Desvern oder Deverne | 00:08:54 | |
5 | Ich beobachte sie | 00:07:23 | |
6 | Ein paar Tage lang | 00:06:47 | |
7 | Ein paar Tage lang | 00:06:28 | |
8 | Ein paar Tage lang | 00:05:55 | |
9 | Das war der einzige Vorteil | 00:04:28 | |
10 | Das war der einzige Vorteil | 00:07:41 | |
11 | Das war der einzige Vorteil | 00:05:58 | |
12 | "Ja, es war sein Geburtstag..." | 00:08:33 | |
CD 2 | |||
1 | Da beschloss ich | 00:04:43 | |
2 | Da beschloss ich | 00:05:39 | |
3 | "Am seltsamsten ist" | 00:04:58 | |
4 | "Am seltsamsten ist" | 00:08:50 | |
5 | "Es ist nicht an mir" | 00:06:45 | |
6 | "Es ist nicht an mir" | 00:06:18 | |
7 | Sie schwieg und schaute | 00:07:34 | |
8 | Sie schwieg und schaute | 00:07:57 | |
9 | Zwei Besucher kamen | 00:08:45 | |
10 | Zwei Besucher kamen | 00:04:44 | |
11 | Er war männlich | 00:04:21 | |
12 | Er war männlich | 00:06:41 | |
CD 3 | |||
1 | Er war männlich | 00:08:52 | |
2 | Er war männlich | 00:07:01 | |
3 | Sehr viel später erst | 00:07:17 | |
4 | Sehr viel später erst | 00:05:34 | |
5 | Ich war drauf und dran | 00:06:51 | |
6 | Ich war drauf und dran | 00:05:32 | |
7 | Dieses Gespräch wurde | 00:10:06 | |
8 | Vor mir verbarg | 00:07:01 | |
9 | Vor mir verbarg | 00:06:40 | |
10 | Er neigte stark | 00:06:39 | |
11 | Er neigte stark | 00:05:08 | |
CD 4 | |||
1 | Wenn jemand verliebt ist | 00:05:46 | |
2 | Wenn jemand verliebt ist | 00:05:06 | |
3 | Ich schöpfte noch nicht | 00:09:47 | |
4 | Wenn ich dazu imstande war | 00:06:56 | |
5 | Wenn ich dazu imstande war | 00:06:45 | |
6 | "Also, was ist los" | 00:07:38 | |
7 | "Also, was ist los" | 00:06:56 | |
8 | Aber in Wirklichkeit | 00:10:14 | |
9 | Ich atmete tief durch | 00:09:43 | |
CD 5 | |||
1 | Anders als vorhin | 00:07:27 | |
2 | Anders als vorhin | 00:06:28 | |
3 | "Ach, nur so, entschuldige" | 00:09:49 | |
4 | "Ach, nur so, entschuldige" | 00:08:01 | |
5 | In jeder ungleichen Beziehung | 00:08:27 | |
6 | In jeder ungleichen Beziehung | 00:06:43 | |
7 | Die Tage vergingen | 00:08:50 | |
8 | Am vierzehnten Tag | 00:08:50 | |
9 | Am Ende hatte ich | 00:08:10 | |
10 | Endlich brachte ich genug | 00:06:38 | |
CD 6 | |||
1 | "Also, was ist so dringend" | 00:08:28 | |
2 | "Also, was ist so dringend" | 00:06:45 | |
3 | Es war zwecklos | 00:07:41 | |
4 | Es war zwecklos | 00:06:59 | |
5 | Sowenig es ihm auch | 00:06:21 | |
6 | Sowenig es ihm auch | 00:06:42 | |
7 | Seine Verblüffung hielt | 00:09:02 | |
8 | Seine Verblüffung hielt | 00:10:37 | |
9 | Ich schwieg länger | 00:09:07 | |
10 | Ich schwieg länger | 00:05:38 | |
CD 7 | |||
1 | Ich schwieg länger | 00:04:28 | |
2 | Nichts davon würde | 00:02:29 | |
3 | Nichts davon würde | 00:08:37 | |
4 | An einem anderen Tag | 00:07:04 | |
5 | An einem anderen Tag | 00:07:33 | |
6 | Ich kannte im Grunde | 00:07:56 | |
7 | Ich kannte im Grunde | 00:09:12 | |
8 | Ich kannte im Grunde | 00:09:21 | |
9 | Das war das letzte Mal | 00:09:01 | |
10 | Das war das letzte Mal | 00:06:39 | |
CD 8 | |||
1 | Alles verhallt | 00:03:55 | |
2 | Dieses Verhallen hatte | 00:07:25 | |
3 | Er reiht Kompliment | 00:08:36 | |
4 | Er reiht Kompliment | 00:05:47 | |
5 | Er reiht Kompliment | 00:05:30 | |
6 | Er reiht Kompliment | 00:05:01 | |
7 | Nun begann das lindernde | 00:04:38 | |
8 | Nun begann das lindernde | 00:05:42 | |
9 | Nun begann das lindernde | 00:05:08 | |
10 | Im Grunde wusste ich nicht | 00:07:29 | |
11 | Im Grunde wusste ich nicht | 00:07:06 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.03.2012Eine exklusive Liebe
Was geschah mit dem Traumpaar im Café? Javier Marías kehrt mit "Die sterblich Verliebten" an seine glorreichen Anfänge zurück - aber wozu?
Von Katharina Teutsch
Javier Marías gilt nicht zuletzt aufgrund seiner schwelenden Nobelpreisanwärterschaft als einer der wichtigsten, wenn nicht gar der wichtigste zeitgenössische Schriftsteller Spaniens. Zu den außerdem beliebtesten Autoren seines Landes zählt er, seitdem ihm 1996 ein weltweiter Überraschungserfolg gelang. Monatelang hielt sich "Mein Herz so weiß" - der Titel geht auf eines der für Marías so typischen Macbeth-Zitate zurück - auf den hiesigen Bestsellerlisten. So etwas hatte es bis dato noch kaum unter den Kassenschlagern gegeben: ein Buch, angesiedelt zwischen Chabrolschem Psychothriller und Almodóvarschem Melodram inklusive fundamental-ontologische Betrachtungsweisen der gemeinen Erzählsituation und was dergleichen mehr ist. Marías' jüngster Roman nimmt es damit abermals auf. In der deutschen Übersetzung von Susanne Lange heißt er "Die sterblich Verliebten", im Original "Die Verliebtheiten", was fast besser zum darin ausgestellten Pathos der Beiläufigkeit passt.
Seine Anhänger dürfte es freuen, dass Marías nach weitschweifigen Ausflügen ins epische Fach der Trilogie "Dein Gesicht morgen" nun zu seiner reduzierten Formatstärke zurückgefunden hat. Entstanden ist ein Roman, der die großen Themen des Madrilenen noch einmal aufgreift - und zwar als Destillat einer lang und sorgfältig gehegten Sprachskepsis. Vordergründig geht es um die Geschichte des perfekten Ehepaars Desvern. Jeden Morgen nimmt es in einem Madrider Bistro sein Frühstück ein und wird dabei von einer jungen Frau, der Ich-Erzählerin María, beobachtet: "Ich wünschte ihnen also das Allerbeste, wie den Figuren aus einem Roman oder einem Film, für die man von Anfang an Partei ergreift."
Allerdings endet so eine Parteinahme, zumal in einer Erzählung, selten gut. Wie bereits in "Mein Herz so weiß" spendiert Marías uns auch hier einen spektakulären Auftakt. Schoss sich einst eine Braut nach ihrer Hochzeitsreise scheinbar grundlos ins Herz, ist es jetzt Desvern, der, von Messerstichen übersät, auf einem Parkplatz liegt und seinen Angehörigen Rätsel um sein brutales Ende aufgibt. Ein geisteskranker Parkwächter wird verhaftet, doch es bleibt der Zweifel: Warum er, warum jetzt, wieso auf diese Weise? Eine späterer Besuch im Haus der Witwe lässt María immerhin vermuten: "Sie wird darüber hinwegkommen."
Am gleichen Tag lernt sie den besten Freund des Opfers kennen und beginnt eine Affäre mit ihm, obwohl dieser Díaz-Varela heimlich eine andere liebt. Beharrlich ebnet sich der Witwentröster den Weg zu deren Herzen. Anlass genug für die Skepsis, ob es sich bei dem Tod von Desvern nicht doch um einen kalt geplanten Eifersuchtsmord handelt.
Javier Marías versteht es, solche Zweifel zu schüren. Dazu wendet er einen bewährten Operetten-Trick an: Maria schlummert im Bett des Geliebten, just als eine dubiose Gestalt zu Besuch kommt, die sich partout im Flur über den Auftragsmord an Desvern unterhalten möchte. María belauscht einen Teil der Konversation, beschließt zunächst, nichts gehört zu haben und zu schweigen, entscheidet sich um, lauscht weiter, simuliert Schlaf, redet sich selbst Unwissenheit ein. Dann schlagen aufgeschnappte Satzfetzen um in Verdacht, Ressentiment und schließlich Angst vor dem möglicherweise mörderischen Geliebten.
Das erzeugt eine thrillerhafte Atmosphäre. Allerdings liest man derlei Wahrnehmungsexperimente bei Marías auch nicht zum ersten Mal. Was kann ich wissen, was soll ich tun, was darf ich hoffen?, scheint der Autor zu fragen. Und seine Reflexionen richten sich an ein Publikum, das gewissermaßen im Pluralis Majestatis in die hier ausgerufene Zweiflergemeinde aufgenommen wird: "Sobald wir wissen, dass etwas nicht für unsere Ohren bestimmt ist, setzen wir alles daran, es zu hören, und begreifen nicht, dass man uns manches zu unserem Besten verheimlicht", schreibt Marías an einer Stelle. Oder auch: "Die Versuchung, zu horchen, ist stärker als wir, auch wenn wir wissen, dass sie uns nicht bekommt."
Das Problem solcher an sich ja kluger Gedankenspiele ist, dass sie einer solch aufdringlichen Vermittlung gar nicht bedürften. Erst recht nicht, wenn es um das Wesen der Frau geht, als dessen Kenner sich Marías hier im Kostüm einer weiblichen Ich-Erzählerin geriert: "Wir Frauen neigen auch dazu, unseren Partnern eine Vielzahl verflossener Geliebter zuzuschreiben, und treffen nicht immer ins Schwarze."
Dass Javier Marías ebenfalls nicht immer ins Schwarze trifft, gehört zu seinem erzählerischen Programm. Abermals haben wir es in "Die sterblich Verliebten" mit einen Roman zu tun, der den Zweifel experimentell in seine Figuren einpflanzt. Der Autor sieht dabei zu, wie er sich anschließend im Leser breitmacht, und die Geschichte so ihrem notwendig zerstörerischen Ende entgegentreibt - oder eben auch nicht, was nicht verraten werden soll, aber bedeuten würde, dass wir auf dem Zweifel sitzenbleiben, weil, das will Javier Marías uns wieder und immer wieder mitteilen, niemand wissen kann, ob die Sprache, ob Erzählungen verlässliche Agenten der Wahrheit sind oder nur Werkzeuge der Verschleierung. "Wir hören ,nein'", schreibt er, "und immer kann es ,ja' bedeuten." Jein, möchte man da einwerfen. Denn auch, wenn Marías Zweifel an der Zuverlässigkeit der Rede explizit thematisiert, so erzählt uns er uns am Ende doch eine Geschichte, die von den Entscheidungen ihrer Figuren abhängt, sie damit zu Akteuren macht und also für die Dauer der Lektüre wahr ist.
Der Satz "Ich wollte es nicht wissen" eröffnete den Bestseller von 1996. Am Schluss des neuen Buchs heißt es: "Letztendlich wird mich niemand richten, es gibt keine Zeugen meiner Gedanken." Das ist natürlich Koketterie, denn wir haben der Erzählerin ja Hunderte Seiten lang zugehört, sind Zeugen ihrer Geschichte geworden und damit, so die Rechnung von Marías, mitschuldig geworden. Doch den Dichtern sollte man, Platon ahnte es bereits, nicht trauen. Es fällt uns daher nicht sonderlich schwer, mit dem kleinen, uns anvertrauten Geheimnis zu leben - wenn nötig auch unter dem Siegel der Verschwiegenheit, denn dieses Buch ist schon geschwätzig genug.
Javier Marías: "Die sterblich Verliebten". Roman.
Aus dem Spanischen von Susanne Lange. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2012. 430 S., geb., 19,99 [Euro]
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was geschah mit dem Traumpaar im Café? Javier Marías kehrt mit "Die sterblich Verliebten" an seine glorreichen Anfänge zurück - aber wozu?
Von Katharina Teutsch
Javier Marías gilt nicht zuletzt aufgrund seiner schwelenden Nobelpreisanwärterschaft als einer der wichtigsten, wenn nicht gar der wichtigste zeitgenössische Schriftsteller Spaniens. Zu den außerdem beliebtesten Autoren seines Landes zählt er, seitdem ihm 1996 ein weltweiter Überraschungserfolg gelang. Monatelang hielt sich "Mein Herz so weiß" - der Titel geht auf eines der für Marías so typischen Macbeth-Zitate zurück - auf den hiesigen Bestsellerlisten. So etwas hatte es bis dato noch kaum unter den Kassenschlagern gegeben: ein Buch, angesiedelt zwischen Chabrolschem Psychothriller und Almodóvarschem Melodram inklusive fundamental-ontologische Betrachtungsweisen der gemeinen Erzählsituation und was dergleichen mehr ist. Marías' jüngster Roman nimmt es damit abermals auf. In der deutschen Übersetzung von Susanne Lange heißt er "Die sterblich Verliebten", im Original "Die Verliebtheiten", was fast besser zum darin ausgestellten Pathos der Beiläufigkeit passt.
Seine Anhänger dürfte es freuen, dass Marías nach weitschweifigen Ausflügen ins epische Fach der Trilogie "Dein Gesicht morgen" nun zu seiner reduzierten Formatstärke zurückgefunden hat. Entstanden ist ein Roman, der die großen Themen des Madrilenen noch einmal aufgreift - und zwar als Destillat einer lang und sorgfältig gehegten Sprachskepsis. Vordergründig geht es um die Geschichte des perfekten Ehepaars Desvern. Jeden Morgen nimmt es in einem Madrider Bistro sein Frühstück ein und wird dabei von einer jungen Frau, der Ich-Erzählerin María, beobachtet: "Ich wünschte ihnen also das Allerbeste, wie den Figuren aus einem Roman oder einem Film, für die man von Anfang an Partei ergreift."
Allerdings endet so eine Parteinahme, zumal in einer Erzählung, selten gut. Wie bereits in "Mein Herz so weiß" spendiert Marías uns auch hier einen spektakulären Auftakt. Schoss sich einst eine Braut nach ihrer Hochzeitsreise scheinbar grundlos ins Herz, ist es jetzt Desvern, der, von Messerstichen übersät, auf einem Parkplatz liegt und seinen Angehörigen Rätsel um sein brutales Ende aufgibt. Ein geisteskranker Parkwächter wird verhaftet, doch es bleibt der Zweifel: Warum er, warum jetzt, wieso auf diese Weise? Eine späterer Besuch im Haus der Witwe lässt María immerhin vermuten: "Sie wird darüber hinwegkommen."
Am gleichen Tag lernt sie den besten Freund des Opfers kennen und beginnt eine Affäre mit ihm, obwohl dieser Díaz-Varela heimlich eine andere liebt. Beharrlich ebnet sich der Witwentröster den Weg zu deren Herzen. Anlass genug für die Skepsis, ob es sich bei dem Tod von Desvern nicht doch um einen kalt geplanten Eifersuchtsmord handelt.
Javier Marías versteht es, solche Zweifel zu schüren. Dazu wendet er einen bewährten Operetten-Trick an: Maria schlummert im Bett des Geliebten, just als eine dubiose Gestalt zu Besuch kommt, die sich partout im Flur über den Auftragsmord an Desvern unterhalten möchte. María belauscht einen Teil der Konversation, beschließt zunächst, nichts gehört zu haben und zu schweigen, entscheidet sich um, lauscht weiter, simuliert Schlaf, redet sich selbst Unwissenheit ein. Dann schlagen aufgeschnappte Satzfetzen um in Verdacht, Ressentiment und schließlich Angst vor dem möglicherweise mörderischen Geliebten.
Das erzeugt eine thrillerhafte Atmosphäre. Allerdings liest man derlei Wahrnehmungsexperimente bei Marías auch nicht zum ersten Mal. Was kann ich wissen, was soll ich tun, was darf ich hoffen?, scheint der Autor zu fragen. Und seine Reflexionen richten sich an ein Publikum, das gewissermaßen im Pluralis Majestatis in die hier ausgerufene Zweiflergemeinde aufgenommen wird: "Sobald wir wissen, dass etwas nicht für unsere Ohren bestimmt ist, setzen wir alles daran, es zu hören, und begreifen nicht, dass man uns manches zu unserem Besten verheimlicht", schreibt Marías an einer Stelle. Oder auch: "Die Versuchung, zu horchen, ist stärker als wir, auch wenn wir wissen, dass sie uns nicht bekommt."
Das Problem solcher an sich ja kluger Gedankenspiele ist, dass sie einer solch aufdringlichen Vermittlung gar nicht bedürften. Erst recht nicht, wenn es um das Wesen der Frau geht, als dessen Kenner sich Marías hier im Kostüm einer weiblichen Ich-Erzählerin geriert: "Wir Frauen neigen auch dazu, unseren Partnern eine Vielzahl verflossener Geliebter zuzuschreiben, und treffen nicht immer ins Schwarze."
Dass Javier Marías ebenfalls nicht immer ins Schwarze trifft, gehört zu seinem erzählerischen Programm. Abermals haben wir es in "Die sterblich Verliebten" mit einen Roman zu tun, der den Zweifel experimentell in seine Figuren einpflanzt. Der Autor sieht dabei zu, wie er sich anschließend im Leser breitmacht, und die Geschichte so ihrem notwendig zerstörerischen Ende entgegentreibt - oder eben auch nicht, was nicht verraten werden soll, aber bedeuten würde, dass wir auf dem Zweifel sitzenbleiben, weil, das will Javier Marías uns wieder und immer wieder mitteilen, niemand wissen kann, ob die Sprache, ob Erzählungen verlässliche Agenten der Wahrheit sind oder nur Werkzeuge der Verschleierung. "Wir hören ,nein'", schreibt er, "und immer kann es ,ja' bedeuten." Jein, möchte man da einwerfen. Denn auch, wenn Marías Zweifel an der Zuverlässigkeit der Rede explizit thematisiert, so erzählt uns er uns am Ende doch eine Geschichte, die von den Entscheidungen ihrer Figuren abhängt, sie damit zu Akteuren macht und also für die Dauer der Lektüre wahr ist.
Der Satz "Ich wollte es nicht wissen" eröffnete den Bestseller von 1996. Am Schluss des neuen Buchs heißt es: "Letztendlich wird mich niemand richten, es gibt keine Zeugen meiner Gedanken." Das ist natürlich Koketterie, denn wir haben der Erzählerin ja Hunderte Seiten lang zugehört, sind Zeugen ihrer Geschichte geworden und damit, so die Rechnung von Marías, mitschuldig geworden. Doch den Dichtern sollte man, Platon ahnte es bereits, nicht trauen. Es fällt uns daher nicht sonderlich schwer, mit dem kleinen, uns anvertrauten Geheimnis zu leben - wenn nötig auch unter dem Siegel der Verschwiegenheit, denn dieses Buch ist schon geschwätzig genug.
Javier Marías: "Die sterblich Verliebten". Roman.
Aus dem Spanischen von Susanne Lange. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2012. 430 S., geb., 19,99 [Euro]
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
große Prosa, die [...] nichts anderes im Sinn hat, als im Leser die fiebernde Begierde zu wecken, nach dem Umweg durch die Erzählung zum Anfang zurückzukehren. Hermann Wallmann Westdeutscher Rundfunk, WDR 3 20120424