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Christian Krachts neuer Roman führt uns mitten in die wilden, fiebrigen Jahre der Weimarer Republik, als die Filmkultur ihre frühe Blüte erlebte. In Berlin versucht ein Schweizer Filmregisseur, angestachelt von Siegfried Kracauer und Lotte Eisner, den UFA-Tycoon Hugenberg zur Finanzierung eines Film zu überreden, genauer gesagt: eines Gruselfilms, genauer gesagt: in Japan. Das überschneidet sich mit ebensolchen Plänen im dortigen Kaiserreich, mit denen man dem entstehenden Hollywood-Imperium Paroli bieten will. Plänen, die durch den Nationalsozialismus, der am Himmel von Berlin dämmert, eine…mehr

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Produktbeschreibung
Christian Krachts neuer Roman führt uns mitten in die wilden, fiebrigen Jahre der Weimarer Republik, als die Filmkultur ihre frühe Blüte erlebte. In Berlin versucht ein Schweizer Filmregisseur, angestachelt von Siegfried Kracauer und Lotte Eisner, den UFA-Tycoon Hugenberg zur Finanzierung eines Film zu überreden, genauer gesagt: eines Gruselfilms, genauer gesagt: in Japan. Das überschneidet sich mit ebensolchen Plänen im dortigen Kaiserreich, mit denen man dem entstehenden Hollywood-Imperium Paroli bieten will. Plänen, die durch den Nationalsozialismus, der am Himmel von Berlin dämmert, eine völlig neue Wendung bekommen. Ein Roman, der das Geheimnis des Films als Kunstwerk der Moderne genauso feiert wie seine großen Meister - von Charlie Chaplin über Heinz Rühmann bis Fritz Lang.Ungekürzte Lesung mit Wanja Mues4 CDs ca. 5 h 16 min
Autorenporträt
Christian Kracht, 1966 in der Schweiz geboren, zählt zu den modernen deutschsprachigen Schriftstellern. Seine Romane 'Faserland', '1979', 'Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten', 'Imperium', 'Die Toten' und 'Eurotrash' sind in über 30 Sprachen übersetzt. 
Rezensionen

buecher-magazin.de - Rezension
buecher-magazin.de

Kein lebender deutschsprachiger Autor polarisiert so sehr wie Christian Kracht. Für die einen schreibt er Stuss, andere halten ihn für politisch gefährlich, weil angeblich rassistisch, antimodern, demokratiefeindlich und totalitär. Andere lieben seine Prosa. Der Schweizer Kosmopolit macht es seinen Lesern nicht leicht, er möchte es gar nicht. Selbst dann nicht, wenn er nur vorgibt, seine Bücher seien leichte Unterhaltung. Sie sind es nicht. Auch nicht seine Referenz an die Geschichte des Kinos zu Zeiten des Endes der hypernervösen Weimarer Republik. Kracht erweckt Menschen wie Siegfried Kracauer und Lotte Eisner, den UFA-Tycoon Alfred Hugenberg und Filmschaffende wie Fritz Lang und Heinz Rühmann zum Leben. Das Kino ist für ihn Projektionsfläche seiner eigenen intellektuellen Spielereien. Sie sind antiwestlich und vormodern romantisch. Aber entschieden gegen das Dritte Reich gerichtet. Die Stimme von Wanja Mues passt bestens, weil sie sich nicht aufdrängt. Sie konzentriert den Roman auf seinen Inhalt. Mues ist zudem ein toller Leser mit dem passenden Tempo, den richtigen Phrasierungen, dem angemessenen Maß an Stille zwischen den Sätzen und Wörtern.

© BÜCHERmagazin, Michael Knoll (kn)

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.09.2016

Die Beschimpfung des deutschen Walds
Christian Krachts neuer Roman "Die Toten" bohrt sich in die Vergangenheit. Und findet Furcht und Schrecken

Manchmal, wenn man diesen Text sehr aufmerksam und völlig nüchtern liest, noch unberauscht und kaum beeindruckt von der Geschichte, den Figuren und der leicht verzögert eintretenden suggestiven Wirkung dieser Prosa, manchmal glaubt man hinter diesen Sätzen deren Autor zu sehen und zu hören, den längst auch aus dem Fernsehen bekannten Schriftsteller Christian Kracht, wie er grinst und kichert, womöglich auch mal lacht, laut und dreckig, über die Lektoren, die Kritiker, die Leser, die Fans, die ihm, da er eben allseits als sicherer Stilist bewundert wird, noch den schrecklichsten Stuss als fein gedrechselte Prosa abkaufen.

Manchmal, wenn man wieder ein paar sehr elegant geschriebene Absätze gelesen hat, meist im Tempo und im Rhythmus des späten Thomas Mann, felixkrullhaft leicht und ein bisschen redundant, mit einer absolut unmodernen Fülle von Adjektiven, die aber alle so präzise gewählt und so geschickt plaziert sind, dass immer offen bleibt, ob Christian Kracht hier seine Figuren verspottet oder vor allem sich selbst; und ob er mit dieser altmodischen Ironie sich seine Figuren und deren Schicksale nur deshalb vom Hals hält, weil er viel zu empfindsam ist, mehr Nähe zu verkraften - manchmal kommt dann wieder so ein schiefer, falscher, fast schon vulgärer Satz, dass man denkt: Das kann doch gar nicht sein, dass einem Autor wie Kracht solche Sätze unterlaufen sind. Aber wenn er sie geplant hat: Was ist das für ein Plan?

Das war ja schon in "Imperium", Krachts letzten Roman, die Frage: Warum der insgesamt so feingestimmten Prosa dieses Buchs ein so hässlicher, kaputter, völlig unbrauchbarer erster Satz im Weg stand. Als Warnung womöglich, dieser Sprache nicht jedes Wort zu glauben? Das ist im neuen Buch, das "Die Toten" heißt, noch heftiger: "Es war der nasseste Mai seit Jahrzehnten in Tokio; das schlierige Grau des bewölkten Himmels hatte sich seit Tagen in ein tiefes, tiefes Indigo verfärbt, kaum jemand vermochte sich jemals an derartig katastrophale Wassermengen zu erinnern; kein Hut, kein Mantel, kein Kimono, keine Uniform saß noch, wie sie sollte . . ." - der Satz ist noch lange nicht zu Ende, und schon hat er sich drei krasse Verstöße gegen die Regeln der Grammatik erlaubt: Und erst wenn man "Die Toten" zu Ende gelesen hat, glaubt man zu spüren, dass in der Form dieses ersten, absolut unironischen Satzes und in seinem Misslingen schon das Thema des ganzen Buchs gewissermaßen aufgehoben ist. Die Sehnsucht und die Anstrengung, in der Sprache nicht nur die Beschreibung, sondern den gültigen Ausdruck, ja die Wahrheit eines Gefühls zu finden. Und die Erkenntnis, dass das nur scheitern kann.

Das Buch erzählt von zwei Männern, einem Schweizer und einem Japaner, die, auch wenn sie hier Protagonist und Antagonist sind, sich erst auf Seite 167 treffen werden, im Tokio des Jahres 1932. Der Schweizer heißt Emil Nägeli, ist Filmregisseur und berühmt für Werke von geradezu heiliger Langeweile - und Alfred Hugenberg, der Besitzer der Ufa, hat ihn mit sehr viel Geld ausgestattet und nach Japan geschickt, damit er (den die Ufa kurzerhand ins deutsche Kino eingebürgert hat) dort einen Film drehe und den Japanern einen Eindruck von der Überlegenheit deutscher Filmkunst und deutscher Filmtechnik vermittle. Der Japaner heißt Masahiko Amakasu, ist hoher Beamter eines ungenannten Ministeriums, welches anscheinend für Japans Kultur und deren Selbstbehauptung zuständig ist, spricht Deutsch und kennt die deutsche Kultur und hat einen Brief an Hugenberg geschrieben, in welchem er die Deutschen um Beistand gebeten, ja sogar eine kinematographische Achse vorgeschlagen hat, weil man sich anders gegen die kommerzielle Überlegenheit der Amerikaner nicht wehren können werde. Zum Zeichen, wie ernst es ihm damit ist, hat Amakasu seiner Post einen kleinen Dokumentarfilm beigelegt; ein junger Offizier hat sepukku, den rituellen Selbstmord begangen, und die Kamera hat ihn durch ein Loch in der Wand beobachtet. Es ist eine Szene, die das Buch, gleich am Anfang, sehr genau beschreibt. Um eigentlich nicht mehr darauf zurückzukommen.

Was aber, als Trick und ästhetisches Verfahren, schon darauf hinweist, dass Kracht hier vom Kino nicht nur erzählt; dass sein Schreiben vom Kino hier geradezu durchdrungen ist. Der Satz, wonach ein Revolver, der im Text erwähnt wird, irgendwann einmal abgefeuert werden müsse, ist ja ein bisschen spießig und gilt eigentlich nur für Agatha-Christie-Romane. Ein Film dagegen, der in der ersten Szene in den Lauf einer Schusswaffe schaut oder ein Schwert sieht, das die Eingeweide des Selbstmörders durchschneidet, muss im Folgenden kein großes Drama daraus machen, wie es weitergeht mit dem Revolver, dem Schwert. Das Bild wird sich über die Wahrnehmung aller folgenden Bilder legen.

So scheint auch Kracht diese Anfangsszene zu meinen: Es geht, aller Ironie zum Trotz, immer um Leben und Tod in diesem Text. Er erzählt von seinen Figuren so, als wäre jeder Tag, den sie haben, nur dem aufgeschobenen Selbstmord abgerungen.

In einem insgesamt eher dämlichen Fernsehinterview hat Christian Kracht einen Satz gesagt, den man ihm gerne glauben mag: dass er gerne Filmregisseur geworden wäre; immerhin hat er ein paar Semester Film studiert in Amerika; und für "Finsterworld", den Film seiner Frau Frauke Finsterwalder, hat er das Drehbuch geschrieben. Früher, als die Schocks des Kinos neu waren, maß sich der Einfluss, den die neue Kunst auf das Schreiben hatte, an der Lakonie, der Ungerührtheit einer Sprache, die nur noch protokollieren, registrieren wollte, quasi wie eine Kamera: Aktion, Dialoge, Oberflächen. Kein Blick hinein in die Köpfe, keine Mitschrift von Gedanken und Gefühlen.

Kracht betreibt das genaue Gegenteil. Man kann ihm, zumindest was den ersten, längsten Teil des Buches angeht, gern vorwerfen, dass sein Stil hier einen Hang ins Gespreizte, Gekünstelte, Gesuchte habe. Man kann diesen Teil, der aufgebaut ist wie eine Parallelmontage im Film, Nägeli hier, Amakasu dort, wie sie wurden, was sie dann sind, wenn sie sich begegnen - man kann das aber auch so lesen, als kostete der Autor hier alles aus, was die Sprache kann, die Kamera aber nicht. Er schaut in die Köpfe hinein. Und erschrickt. Er kommentiert, suggeriert, lässt ironisch in der Schwebe, was im Film nur als Eindeutigkeit denkbar wäre. Und all die Adjektive, die vielen Adjektive, über die keine Kamera verfügen kann. In "bürgerlicher Symmetrie", schreibt Kracht, stünden die Tische in einem protestantischen Pfarrhaus.

Sie sind keine sympathischen Männer, Emil Nägeli und Masahiko Amakasu, der Autor selbst scheint sie nicht besonders zu mögen, seine Ironie wird eisig, wenn er die Schwächen, die Selbst- und die Weltverachtung beschreibt, Nägeli hat keine Idee von sich selbst und keine für den nächsten Film, nur einen lächerlichen Stolz auf längst überholte Werke seiner früheren Jahre, Amakasu hält sich für klüger als alle anderen und verachtet sich selbst für seine Einsamkeit. Den Kampf uns Eigene, um kulturelle Selbstbehauptung gegen die Übermacht Amerikas, den haben sie beide längst verloren gegeben. Charlie Chaplin, der eine wichtige Nebenrolle spielt in diesem Buch, tourt durch Japan, erobert das Publikum und demonstriert ganz lässig die Überlegenheit einer Kultur, der es nicht ums Eigene, schon gar nicht ums Heilige, sondern um dessen Gegenteil, das Profane, das Menschliche, das Allgemeine geht.

Und das war ja schon, unterschwellig zwar, aber doch deutlich spürbar, in "Imperium" das Motiv dafür, dass Kracht sich nicht nur mit seinen Sujets, sondern mit der Sprache, der Form, der ganzen geistigen Haltung hineinbohrt in eine Vergangenheit vor der Amerikanisierung, der Universalisierung und Globalisierung unserer Kultur. Es ist wohl so, dass Kracht, der Empfindsame, ein tiefes Unbehagen und einen Überdruss spürt an der Massenkultur der Gegenwart, was ja, wenn wir ehrlich sind, schon das wirkliche Thema von "Faserland" war. Es ist wohl auch so, dass er in der noch nicht amerikanisierten Vergangenheit der Sprache und des Denkens und Fühlens etwas sucht, eine Wahrheit und womöglich ein Glück, die er in der Gegenwart nicht finden kann. Aber das Bewundernswerte an dieser Suche ist der Umstand, dass Kracht weder sich selbst noch seine Leser belügt. Man kann nicht graben nach einer Hölderlinschen Schönheit, nach Thomas-Mannschem Geist. Und die Furcht, den Schrecken, die Unfreiheit einfach liegen lassen im Vergangenheitsschutt.

Es sind ja zwei Bohrungen, die Kracht hier versucht. Er schaut zurück auf die frühen Dreißiger. Und von dieser Zeit aus blendet der Text sich in die Kindheit seiner beiden Helden. Was so traurig ist, dass man manchmal heulen möchte, weil Kracht, das große, verrückte 49-jährige Kind, kaum etwas so gut skizzieren kann wie die Verrücktheit und die Sensibilität dieser beiden Jungs. Und das Erwachsenwerden als Vertrocknen und Verdorren. Es mag sein, dass ihm das eher unterlaufen ist, als dass er es so angelegt hätte - aber eine der besten Pointen seiner Erzählung ist doch die, dass Charlie Chaplin, der hier die amerikanische Kultur verkörpert, seine Überlegenheit dem Umstand verdankt, dass er Kind geblieben ist als Charlie, der Tramp und Clown und größte Star des amerikanischen Kinos.

Wenn die Erzählung in ihrer eigenen Gegenwart angekommen ist, wechselt Kracht den Tonfall und das Tempo, erzählt im Präsens, knapp und handlungsreich, filmisch möchte man fast sagen, und es ist spannend und schrecklich zugleich. Nägeli fährt nach Berlin, trifft Hugenberg, läuft Heinz Rühmann über den Weg, wird von Putzi Hanfstaengl, dem frühen Mentor Hitlers, in einen Stripteaseladen mitgenommen, macht dann die Nacht durch mit Lotte Eisner und Siegfried Kracauer, den Filmkritikern, mit denen der Text dann eine kleine Abschweifung macht, in den Zug, der sie nach Paris, ins Exil bringt, wo auch Fritz Lang schon im Speisewagen sitzt und eine Flasche Wein trinkt, und in einer der schönsten Passagen, der Zug ist schon auf französischem Terrain, beschimpft Lotte Eisner den deutschen Wald dafür, dass er so deutsch ist, lobt den französischen Wald dafür, dass er bloß Wald und kein mythischer Ort ist. Und dann ist Nägeli in Tokio, trifft Amakasu, der ihm die Freundin ausspannt. Und statt mit all dem deutschen Geld einen Riesenfilm zu drehen, besorgt sich Nägeli eine leichte Handkamera, filmt, was ihn gerade reizt und fasziniert. Und geht dann in Japan verloren.

Ach, Krachts neues Buch ist kein Thesenroman, dessen Botschaft sich so einfach auf den Satz bringen ließe, dass jene, die so dringend die eigene Kultur definieren und behaupten wollen, die Deutschen und die Japaner, ein paar Jahre später den Krieg und das Verbrechen als ihr Allereigenstes bestimmen. Dafür sind die Verhältnisse zu kompliziert, und zum Schluss hin fährt der Text mit dem Schiff nach Hollywood, das dem Autor, dem Leser und den Figuren des Textes auch wenig Trost zu bieten hat.

Nägeli aber taucht wieder auf und hat einen Film, so leicht und improvisiert, beweglich und bewegend, mitgebracht - sein Meisterwerk. Der Film, der hierfür das reale Vorbild war, wurde allerdings am Wannsee gedreht, er heißt "Menschen am Sonntag", ist sehr deutsch und sehr schön und wahrhaftig. Seine Schöpfer, Billy Wilder, Edgar Ulmer, Fred Zinnemann und Eugen Schüfftan sind dann auch nach Hollywood gegangen. Und haben dort ihre nächsten Filme gemacht. Sehr amerikanisch und sehr schön.

CLAUDIUS SEIDL

Christian Kracht: "Die Toten", Kiepenheuer und Witsch, 212 Seiten, 20 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.09.2016

Bitte oszillieren Sie
Der neue Roman von Christian Kracht, „Die Toten“, spielt
in der Filmindustrie zur Zeit der Machtergreifung der Nazis. Und alle
Welt darf wieder grübeln: Ist das ernst oder ironisch gemeint?
VON JENS-CHRISTIAN RABE
Jetzt ist es also doch wieder passiert. An diesem Donnerstag erscheint der neue Roman „Die Toten“ von Christian Kracht, und der Autor der deutschen Gegenwartsliteratur, der sich am hartnäckigsten konkreten Fragen zu seinen Büchern zu entziehen scheint (sogar seine Lesungen finden in der Regel kommentarlos statt), steht schon wieder turmhoch vor seinem Buch. Man darf also Methode vermuten. Und muss hier erst mal mit dem Mann beginnen, um zum Werk zu kommen. Genauer: mit dem Dandy mit den immer einen Hauch nachlässig getragenen feinen Schals und Tweedsakkos, der mit „Faserland“ in den Neunzigern berühmt wurde und mit seinem 2012 erschienenen Roman „Imperium“ endgültig zu einem der bedeutendsten deutschsprachigen Gegenwartsautoren promoviert wurde.
  Denn welcher Schriftsteller, der wirklich nur sein Werk sprechen lassen wollte, ließe die Berichterstattung mit einem Vorab-Fernsehinterview in den Hollywood Hills (vergangene Woche in der ARD bei Denis Scheck) beginnen? Und mit einem Vorab-Zeitungsporträt, aufgezeichnet bei Rindertartar im Züricher Café Odeon, in dem einst auch schon James Joyce und Italo Svevo verkehrten (im Feuilleton der Zeit)?
  Im Fernsehen trägt Krachtauch noch einen Vollbart samt angezwirbeltem Schnauzer, und seine Haare sehen beinahe so aus wie die von Emil Nägeli, der einen Hauptfigur, von der es im neuen Buch heißt: Ihm „gingen die hellblonden Haare aus, sowohl über der Stirn als auch am Hinterkopf; er hatte begonnen, sich eine langgewachsene Strähne von der Schläfe her seitwärts über die so verleugnete Glatze herüberzukämmen.“ Und als „mrchristiankracht“ hat der Autor dann ja auch noch für eine Woche den Instagram-Account seines Verlags Kiepenheuer & Witsch übernommen. Als Erstes postete er ein elegisches Foto von sich selbst, seitlich, vor dem golden schimmernden Fenster einer prunkvollen alten Villa.
  Andererseits sieht man den großen Ironiker Kracht schon vor sich, wie er sich dieser Tage bei der Durchsicht der Kritiken und Reaktionen still amüsiert über jeden Rezensenten, der stolz mit dem Literaturkritik-Einmaleins herumwedelt und beflissen darauf hinweist, dass man den Erzähler Kracht auf keinen Fall mit dem Autor Kracht verwechseln dürfe: Ach ja, wirklich, interessant, darf man nicht, ist das so?
  Also schleunigst ein paar Worte zum Buch. Es spielt um 1933. Und in drei Teilen führen 46 selten mehr als fünf Seiten lange Kapitel die zwei Hauptfiguren aufeinander zu, den Schweizer Filmregisseur Emil Nägeli und den japanischen Kulturbeamten Masahiko Amakasu, die es beide in ihrem Leben nicht leicht hatten. Amakasu verachtet den aufkommenden Tonfilm und möchte eine „zelluloidene Achse“ zwischen Berlin und Tokio gegen den aggressiven amerikanischen Kulturimperialismus in Stellung bringen, „dessen Ausformungen sich virengleich über das Kaiserreich der Showa-Herrschaft ausgebreitet“ hätten. Es sollen also deutsche „Fachleute“ in Japan „mit den exzellenten Objektiven von Carl Zeiss und dem allem überlegenen Agfa-Filmverfahren“ einen Film drehen. Angeführt am besten vom Bergfilm-Pionier Arnold Fanck, den es tatsächlich gab, oder wenigstens von Fritz Lang. Daraus wird jedoch nichts, aber er bekommt Emil Nägeli, der in seinem Film „Die Windmühle“ immerhin, wie Amakasu bemerkt, „innerhalb der Ereignislosigkeit das Heilige“ aufgezeigt habe.
  Figuren und Handlung bilden dabei letztlich vor allem Rampen für ein wildes Programm von Anspielungen, Verweisen, Chameo-Auftritten, Umdichtungen und delikaten Kracht-Spleens aller Art, für die Schilderung von Winkelzügen klassischer Großmachtdiplomatie, für Charlie Chaplin als Mörder und sonstiges mehr oder weniger glorreiches Filmhistorisches, für ein Attentat auf Japans Premierminister, für Erörterungen über Ritual-Selbstmorde und eine chinesische Todesfoltervariante namens Lingchi, für den legendären deutschen Filmkritiker Siegfried Kracauer, für Heinz Rühmann und Lotte Eisner, für Hollywood, die Schweiz und den antisemitischen deutschen Medien-Tycoon Alfred Hugenberg und für Berliner Szenen aus der Zeit der Machtergreifung der Nazis und judenfeindliche „Taxischofföre“.
  Was den literarischen Stil betrifft, so bleibt der einstige Reduktionist Kracht beim Thomas-Mann-haften, prätentiös-ausladenden, aber nicht immer ganz stilsicheren und rhythmisch etwas unzuverlässigen Plauderton, der schon die beiden Vorgänger „Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten“ und „Imperium“ auszeichnete: „Der Samen war also gepflanzt, einer schlafenden Rakete gleich, und nichts sollte sein dereinstiges Wachstum, seinen Sternenflug ersticken können, weder Masahikos vordergründige Verachtung der westlichen Welt noch die ganz offensichtlich auf Expansion und auf Erniedrigung anderer Völker ausgerichtete Seele Deutschlands, die der junge Mann so genau erfühlen konnte, als habe er wiederum seine Seele mittels ätherischer Konduktoren in sie eingestöpselt.“ Sonst ist Krachts Prosa diesmal gespickt mit Adjektiven, und zwar sprachconnaisseurhaft bis über die Grenze zur Parodie: Gebisse sind „obsidianfarben“, Atem ist „alraunig“, eine Kehle „kaminös“, Polizisten „kretinös“.
  Das Vertrackte ist nun, dass man mit all dem Überfluss weder glücklich wird, wenn man diese Prosa zu abgezockt ironisch liest, noch, wenn man sie zu ernst nimmt. Im ersteren Fall geht es dann irgendwann um gar nichts mehr außer um die nächste Runde auf der Geisterbahn der Uneigentlichkeit. Im letzteren geht einem der allzu ambitionierte Manierismus irgendwann doch ein wenig auf die zarten Nerven, und man beginnt wie Claudius Seidl in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung etwas arg unfroh an Grammatikfehlern und sonstigen irritierend offen ausgestellten stilistischen Unstimmigkeiten herumzuklügeln. Was tun?
  Tja, womöglich hat man das größte Vergnügen mit den „Toten“, wenn man beim Lesen bereit ist zum mittleren Oszillieren.Wenn man also zulässt, nicht einfach nur souverän, distanziert zu lesen, sondern sich eher so hin- und herschwingen zu lassen zwischen Ironie und Ernst, zwischen Ästhetizismus und Albernheit, zwischen literarischem, cineastischem und zeitgeschichtlichem Spezialistentum und mutwilliger Fahrlässigkeit, zwischen Historischem und Fiktivem, Brüchen und derHeilung von Brüchen, zwischen dem Spielen eines Spiels und seiner Sabotage. Mark Twain stellte dem „Huckleberry Finn“ einst die Bemerkung voran: „Wer versucht, in dieser Erzählung ein Motiv zu finden, wird gerichtlich verfolgt; wer versucht, eine Moral darin zu finden, wird des Landes verwiesen; wer versucht, eine schlüssige Handlung darin zu finden, wird erschossen.“
  Der Drang zur Vereindeutigung der Lektüre bringt einen bei den „Toten“ genauso geradewegs in Teufels Küche wie etwa schon beim 2006 erschienenen Essay „Die totale Erinnerung“ über Krachts Besuch in Nordkorea, seinem bis heute wohl härtesten Flirt mit dem Totalitären. Das Land faszinierte ihnvor allem als virtuose Staatsinszenierung, als gigantischer Bluff, als „manischstes Projekt der Menschheit, ja als ihr größtes Kunstwerk“.
  Genießerhaft verwies jener Text darauf, dass die Züge der U-Bahn in Pjöngjang vom Typ „Gisela“ seien, einst hergestellt von „der Fabrik Vereinigter Schienenfahrzeugbau der DDR – VEB Lokomotivbau – Elektrotechnische Werke ,Hans Beimler‘ – Stammbetrieb Hennigsdorf, die im Ost-Berlin der Deutschen Demokratischen Republik (Typ ,Dora‘ in West-Berlin) zum Einsatz kamen“. Man erfuhr, dass Kim Jong Il, „wie auch sein Vater Kim Il Sung“, starke Flugangst hat, und dass seine Lieblingsmusik, „und dies wird kaum überraschen“, Pink Floyd ist. War das in seiner blasierten Lakonie nun eine Kritik an der Bombast-Kitsch-Band Pink Floyd? Oder an Kim Jong Il? Oder an beiden? Oder an gar nichts? Bitte oszillieren Sie.
  Es hilft fürs Erste aber auch schon, sich bei Gelegenheit einen Eindruck vom Rezitator Kracht zu machen, der etwa auf dem Münchner Literaturfest vor ein paar Jahren angelsächsische Lyrik von T. S. Eliots „Wüstem Land“ bis Allan Ginsbergs letztem Gedicht „Things I’ll Not Do (Nostalgias)“ im Original vortrug. Oder vom Vorleser Kracht, der im Hörbuch Truman Capotes „Frühstück bei Tiffany“ fast tonlos liest, betont gleichmütig, und es dabei doch fertigbringt, schamanenhaft eindringlich zu bleiben. Kein geborener Fabulierer ist da am Werk, sondern ein feierlicher Nivellierer, ein fast zwanghafter Veruneindeutiger.
  Man kann deshalb auch gut verstehen, warum Christian Kracht kein „Pop-Autor“ sein möchte. Also keiner von denen, die Ende der Neunziger dazu ernannt wurden, weil in ihren eher konventionell erzählten Texten irgendwie Leben und Werk so munter zusammen- und ein paar angesagte Marken- und Bandnamen vorkamen (auch bei Denis Scheck kam die scheinbar ewige Trottel-Frage der deutschen Literaturkritik wieder auf; Kracht drückte sich natürlich formvollendet um die Antwort).
  Ein Hardcore-Popist allerdings ist Kracht durch und durch. Das heißt: Er ist kein Spieler, sondern ein Anspieler, kein verbissener Durchdringer, sondern ein strahlender Überbringer, kein Bergender, sondern ein Borgender, kein Entdecker, sondern ein Wiederentdecker, kein Schöpfer im Rampenlicht des Genieverdachts, sondern ein Arrangeur mit Faible für die Erleuchtung, die das Zwielicht verspricht.
  Und als ein solcher Popist weiß er (der Poptheoretiker Diedrich Diederichsen hat mit „Über Pop-Musik“ in Krachts Verlag Kiepenheuer & Witsch vor zwei Jahren ein ganzes Buch darüber geschrieben) natürlich auch ganz genau, dass nicht nur Pop-Musik mehr ist als bloß Musik, sondern im Grunde jede zeitgenössische Kunst längst mehr ist als bloß Kunst. Also auch die deutsche Gegenwartsliteratur, die ja nicht nur aus Büchern besteht, sondern längst ein Zusammenhang ist aus vielen Kunststücken, aus Büchern und Bildern, aus Interviews und Auftritten, aus Mode und Haaren. Und damit ein Format, das nicht nur vom Autor selbst, sondern von allen Beteiligten – von Autor, Verleger, Journalisten und Lesern – aus seinen Teilen immer wieder neu zusammengesetzt wird. Ob man das nun will oder nicht. Oder um es in einen leider sehr unkrachtigen Satz zu fassen: Die je individuelle Wahrnehmung des Kunstwerks ist selbst wesentlicher Teil des Kunstwerks. Allerdings nicht im trivialen theoretischen Sinn der guten alten Postmoderne. Sondern im medialen Echtzeit-Sperrfeuer der Gegenwart.
  Und wenn man das noch beeinflussen will, ist es eben nicht genug, einfach nur ein Buch zu schreiben. Dies ernst zu nehmen, und es damit trotzdem weder sich noch den Lesern leicht zu machen, obwohl die Oberfläche doch erst mal so schaurig und gemütlich funkelt (Chaplin! Die Dreißiger! Film-Tycoone! Kulturimperialismus! Die Machtergreifung der Nazis! Japanischer Ritual-Selbstmord! Hollywood!), das macht die Größe Krachts aus. Mit anderen Worten: Wer sich von diesem Autor in den Ohrensessel locken lässt, sollte sich nicht wundern, wenn das hübsche Möbel langsam aus dem Leim geht.
  Zu seinem zweiten Instagram-Bild, einer Szene mit ausgestopften Wölfen vor gemaltem Bergpanorama, notierte er übrigens einen Satz der amerikanischen Konzeptkünstlerin Jenny Holzer: „Symbols are more meaningful than things themselves.“ Symbole sind bedeutsamer als die Dinge selbst. Genau das ist die Poetik von Christian Kracht.
Der Stil ist prätentiös?
„Ach, ja? Wirklich? Interessant“,
würde Kracht antworten
Ein Arrangeur ist hier am Werk
mit Faible für die Erleuchtung,
die das Zwielicht verspricht
Delikate Spleens aller Art, gerne auch Erörterungen über chinesische Todesfoltervarianten oder japanische Ritual-Selbstmorde. – Zeichnung eines rituellen Selbstmords von Tsukioka Yoshitoshi, um 1880.
Foto: picture alliance/CPA Media Co.
Christian Kracht wurde 1966 in der Schweiz geboren und schrieb für die Zeitschrift Tempo, bevor er mit seinem Debütroman „Faserland“ 1995 als Schriftsteller berühmt wurde.
Foto: Kiepenheuer & Witsch
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»Kracht schreibt das kristallklarste Deutsch seit Gottfried Benn.« STERN

Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Zum "raffinierten Realismus" adelt Moritz Baßler die kontrastreiche Prosa Christian Krachts, der komplex und doch süffig Fakten und Fiktion mische, den "Glauben ans Unechte" mit der Liebe zum obskuren Detail verbinde und dabei auch noch alle Gegenstimmen zu Wort kommen lasse. Für Baßler ist das große Kunst und vor allem ein Kontrapunkt zu dem, was er als den "banalen Realismus" der Nachkriegsliteratur brandmarkt. Wem dagegen der literaturgeschichtlich und popkulturell aufgeladene Plot um Nazis und Film, Japan und Seppuku in den dreißiger Jahren nicht geheuer ist, der verwechsele Literatur mit Identitätspolitik, bescheidet Baßler möglichen Verächtern. Kracht nämlich verweigere dem Wirklichen das Anrecht auf die Sprache, stellt der Kritiker klar, der dies auch "links-politisch-korrekten" oder "pegidesk-empörten" Lesern empfiehlt.

© Perlentaucher Medien GmbH