Ein Skandal erschüttert das friedliche Städtchen Aurora an der amerikanischen Ostküste: 33 Jahre nachdem die zauberhafte Nola dort spurlos verschwand, taucht sie wieder auf. Als Skelett im Garten ihres einstigen Geliebten, des hochangesehenen Schriftstellers Harry Quebert.
Als Harry Quebert verhaftet wird, ist der Einzige, der noch zu ihm hält, sein ehemaliger Schüler und Freund Marcus Goldman, inzwischen selbst ein erfolgreicher Autor. Überzeugt von der Unschuld seines Mentors - und auf der Suche nach einer Inspiration für seinen nächsten Roman - beginnt Goldman auf eigene Faust im Fall Nola zu ermitteln ...
Als Harry Quebert verhaftet wird, ist der Einzige, der noch zu ihm hält, sein ehemaliger Schüler und Freund Marcus Goldman, inzwischen selbst ein erfolgreicher Autor. Überzeugt von der Unschuld seines Mentors - und auf der Suche nach einer Inspiration für seinen nächsten Roman - beginnt Goldman auf eigene Faust im Fall Nola zu ermitteln ...
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Diese 700 Seiten gingen ihm runter wie Öl, schwärmt Joseph Hanimann nach der Lektüre dieses "schmissigen Krimis", der hinter einem vordergründig erzählten Schriftstellerschicksal eine ganze Fülle schicksalhafter Themen verhandelt. Vor allem staunt der Rezensent darüber, wie souverän sich der Autor durch den zeitlich komplex strukturierten Roman manövriert: So gesellt sich, je tiefer Dicker per Rückblenden in die vorangegangenen Ereignisse blickt, eine zweite, omnipräsente Erzählinstanz zur ersten, was dem Rezensenten zufolge ähnlich zur Spannung beiträgt wie die countdownartig bezifferten Kapitel. Zwar räumt Hanimann durchaus ein, dass manche Passage etwas zu lang und der eine oder andere Charakter eher unnötig sei, was ihn jedoch nicht davon abhält, zum Ende seiner Rezension Höchstnoten zu verteilen: Als komplex arrangierte Literatur ist das im übrigen exzellent übersetze Buch geglückt, als Krimi fesselnd.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.08.2013Das Alles-oder-nichts-Getue
Joël Dicker hat Frankreich begeistert - jetzt erscheint sein Roman bei uns
Nun liegt es also auf Deutsch vor, das Buch, über das im vergangenen Jahr in Frankreich so viel geredet worden ist wie über kein anderes. Nicht einmal Jérôme Ferrari, der mit dem Prix Goncourt den wichtigsten Literaturpreis des Landes gewann, konnte Joël Dicker und seinen gut siebenhundert Seiten starken Wälzer "Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert" ernsthaft aus den Schlagzeilen vertreiben. Zu groß war die Faszination für den Verkaufserfolg dieses damals gerade 27 Jahre alten Mannes aus Genf, der den Franzosen etwas zu bieten schien, was es lange nicht gab: einen französischen Bestseller, der man auf Augenhöhe mit der "Harry Potter"-Saga wähnte und der in der Publikumsgunst sogar die "Fifty Shades of Grey"-Trilogie zeitweise in die Schranken verwies.
Hinzu kam, gleichsam als Segnung durch höhere Instanzen, das Lob einiger großer Namen des Literaturbetriebs. Marc Fumaroli, der 1995 nach dem Tod von Eugène Ionesco dessen Sitz in der Académie Française einnahm, schrieb von "anhaltenden Adrenalinstößen", die ihm das Werk durch den Körper gejagt habe. Bernard Pivot zeigte sich beeindruckt von der Präzision, mit der Joël Dicker die auf mehreren Zeitebenen angesiedelten Handlungsfäden zusammenhalte, und lobte seine Beschreibung von Aurora, der fiktiven amerikanischen Kleinstadt, in der die Geschichte spielt. Schließlich wurde das Buch mit ein paar Preisen ausgezeichnet, und selbst wenn es den Goncourt am Ende doch nicht bekommen hat - dass es drei Wahlgänge überlebte und auf der Shortlist des Preises stand, war Ehrung genug. Der Roman verkaufte sich hervorragend, mehr als eine Million Exemplare sollen über die Theken gegangen sein. Von diesem warmen Rückenwind angetrieben, kommt Dickers Buch in dieser Woche bei uns auf den Markt. Man kann nicht anders als sich an die letzten französischen Exportschlager erinnert zu fühlen, an "Ziemlich beste Freunde" oder "Willkommen bei den Sch'tis", diese beiden überaus beliebten, heiteren und etwas belanglosen Filme.
Joël Dickers Roman ist zwar nicht heiter - belanglos ist er hingegen schon. Was für eine Ernüchterung! Wie falsch die Fährte, auf die der Vorschusslorbeer führt! Das einzig Positive, das sich über diesen Roman sagen lässt, ist auf einen Zufall zurückzuführen. Wer hätte vorhersagen mögen, dass die Karriere von Joël Dicker derjenigen seines Protagonisten Marcus Goldman, der mit seinen dreißig Jahren in den Vereinigten Staaten schon ein gefeierter Jungschriftsteller ist, auf so erstaunliche Weise ähneln würde? Im Nachhinein lesen sich gleich die ersten Seiten wie eine self-fulfilling prophecy, und das ist nicht ohne Reiz: "Die New Yorker Society schwärmte von meinem Buch. Es war kaum zwei Wochen zuvor erschienen und versprach bereits der größte Verkaufserfolg des Jahres auf dem amerikanischen Kontinent zu werden."
Die Geschichte, ein Krimi, ist aus Goldmans Perspektive geschrieben. Zwei Jahre nach dem Erscheinen seines ersten gefeierten Romans steckt er in einer Schaffenskrise und reist zu seinem Mentor und väterlichen Freund Harry Quebert nach New Hampshire. Quebert, seinerseits ein Schriftsteller-Star, gerät unter Mordverdacht, weil auf seinem Grundstück die Gebeine eines vor dreißig Jahren verschwundenen Mädchens ausgegraben werden. Goldman glaubt an Queberts Unschuld und stellt eigene Ermittlungen an, über deren Fortgang und Ergebnisse er schließlich sein neues - ebenfalls gefeiertes - Buch schreiben wird.
Der aus dieser Verschachtelung entstehende Roman im Roman wäre als Strukturprinzip gar nicht schlecht, wenn Dicker es nur unterlassen hätte, die albernen Ratschläge, die Harry Quebert seinem Schützling Goldman ständig erteilt, auch selbst zu befolgen. Da heißt es etwa: "Sie müssen boxen, wie Sie schreiben, und schreiben, wie Sie boxen: Sie müssen alles geben, was in Ihnen steckt, weil jeder Boxkampf der letzte sein kann - genau wie jedes Buch."
Dieses Alles-oder-nichts-Getue führt zu der paradoxen Situation, dass wir es in Dickers Roman einerseits mit einer stilistischen Übermotivierung vor allem in den Dialogen zu tun haben, die vor Redundanzen strotzen (allein Nola, die Lolita dieses Buches, sagt dem Mann, den sie liebt, gefühlte fünfzig Mal: "Oh, allerliebster Harry, ich bin ja so glücklich!"). Andere Personen und ihre Motive bleiben eigentümlich unscharf. Das gilt für allem für Harry Quebert, den großen Geheimnisträger, dessen Entzauberung am Ende nur den Sinn hat, den Plot um eine weitere unglaubwürdige Wendung zu bereichern.
Joël Dickers Buch ist kein großer amerikanischer Roman, wie es seine Freunde in Frankreich glauben machen wollen, auch wenn sein Protagonist zuweilen an Philip Roths Nathan Zuckerman erinnert. Es ist auch kein Bildungsroman, nur weil es dem naseweisen Protagonisten gelingt, einen Kriminalfall zu lösen und darüber ein Buch zu schreiben. Er ist ein Unterhaltungsroman für den Strand. Dagegen wäre kaum etwas einzuwenden, handelte es sich nicht um eine Übersetzung, für die viel Geld ausgegeben wurde, das wiederum an anderer Stelle fehlt.
Verlage brauchen Bestseller. Aber es ist schade, wenn diese nachvollziehbaren verlegerischen Kalkulationen dazu führen, dass uns zugunsten von Büchern, an die sich schon einen Tag nach der Lektüre kein Mensch mehr erinnern wird, andere, viel interessantere Titel vorenthalten bleiben. Erinnert sei in diesem Zusammenhang nur an das gleichfalls im Herbst 2012 in Frankreich erschienene "La théorie de l'information" von Aurélien Bellanger, einem 1980 geborenen Franzosen, der den Aufstieg des Internets in Frankreich in einen bemerkenswerten Roman hat einfließen lassen. Erinnert sei auch an den ebenfalls 1980 geborenen Tristan Garcia, einen Vertreter der noch jungen philosophischen Schule des spekulativen Realismus, der 2012 neben einem Science-Fiction-Roman wunderbare Kurzgeschichten über den Sport veröffentlicht hat. Nach Auskunft von Bellangers Verlag Gallimard sind die Rechte an seinem Roman aber nach Deutschland bisher nicht verkauft worden. Und auch Garcia hat derzeit keinen deutschen Verleger. Dabei hätten die beiden uns so viel mehr zu erzählen als Joël Dicker.
LENA BOPP
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Joël Dicker hat Frankreich begeistert - jetzt erscheint sein Roman bei uns
Nun liegt es also auf Deutsch vor, das Buch, über das im vergangenen Jahr in Frankreich so viel geredet worden ist wie über kein anderes. Nicht einmal Jérôme Ferrari, der mit dem Prix Goncourt den wichtigsten Literaturpreis des Landes gewann, konnte Joël Dicker und seinen gut siebenhundert Seiten starken Wälzer "Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert" ernsthaft aus den Schlagzeilen vertreiben. Zu groß war die Faszination für den Verkaufserfolg dieses damals gerade 27 Jahre alten Mannes aus Genf, der den Franzosen etwas zu bieten schien, was es lange nicht gab: einen französischen Bestseller, der man auf Augenhöhe mit der "Harry Potter"-Saga wähnte und der in der Publikumsgunst sogar die "Fifty Shades of Grey"-Trilogie zeitweise in die Schranken verwies.
Hinzu kam, gleichsam als Segnung durch höhere Instanzen, das Lob einiger großer Namen des Literaturbetriebs. Marc Fumaroli, der 1995 nach dem Tod von Eugène Ionesco dessen Sitz in der Académie Française einnahm, schrieb von "anhaltenden Adrenalinstößen", die ihm das Werk durch den Körper gejagt habe. Bernard Pivot zeigte sich beeindruckt von der Präzision, mit der Joël Dicker die auf mehreren Zeitebenen angesiedelten Handlungsfäden zusammenhalte, und lobte seine Beschreibung von Aurora, der fiktiven amerikanischen Kleinstadt, in der die Geschichte spielt. Schließlich wurde das Buch mit ein paar Preisen ausgezeichnet, und selbst wenn es den Goncourt am Ende doch nicht bekommen hat - dass es drei Wahlgänge überlebte und auf der Shortlist des Preises stand, war Ehrung genug. Der Roman verkaufte sich hervorragend, mehr als eine Million Exemplare sollen über die Theken gegangen sein. Von diesem warmen Rückenwind angetrieben, kommt Dickers Buch in dieser Woche bei uns auf den Markt. Man kann nicht anders als sich an die letzten französischen Exportschlager erinnert zu fühlen, an "Ziemlich beste Freunde" oder "Willkommen bei den Sch'tis", diese beiden überaus beliebten, heiteren und etwas belanglosen Filme.
Joël Dickers Roman ist zwar nicht heiter - belanglos ist er hingegen schon. Was für eine Ernüchterung! Wie falsch die Fährte, auf die der Vorschusslorbeer führt! Das einzig Positive, das sich über diesen Roman sagen lässt, ist auf einen Zufall zurückzuführen. Wer hätte vorhersagen mögen, dass die Karriere von Joël Dicker derjenigen seines Protagonisten Marcus Goldman, der mit seinen dreißig Jahren in den Vereinigten Staaten schon ein gefeierter Jungschriftsteller ist, auf so erstaunliche Weise ähneln würde? Im Nachhinein lesen sich gleich die ersten Seiten wie eine self-fulfilling prophecy, und das ist nicht ohne Reiz: "Die New Yorker Society schwärmte von meinem Buch. Es war kaum zwei Wochen zuvor erschienen und versprach bereits der größte Verkaufserfolg des Jahres auf dem amerikanischen Kontinent zu werden."
Die Geschichte, ein Krimi, ist aus Goldmans Perspektive geschrieben. Zwei Jahre nach dem Erscheinen seines ersten gefeierten Romans steckt er in einer Schaffenskrise und reist zu seinem Mentor und väterlichen Freund Harry Quebert nach New Hampshire. Quebert, seinerseits ein Schriftsteller-Star, gerät unter Mordverdacht, weil auf seinem Grundstück die Gebeine eines vor dreißig Jahren verschwundenen Mädchens ausgegraben werden. Goldman glaubt an Queberts Unschuld und stellt eigene Ermittlungen an, über deren Fortgang und Ergebnisse er schließlich sein neues - ebenfalls gefeiertes - Buch schreiben wird.
Der aus dieser Verschachtelung entstehende Roman im Roman wäre als Strukturprinzip gar nicht schlecht, wenn Dicker es nur unterlassen hätte, die albernen Ratschläge, die Harry Quebert seinem Schützling Goldman ständig erteilt, auch selbst zu befolgen. Da heißt es etwa: "Sie müssen boxen, wie Sie schreiben, und schreiben, wie Sie boxen: Sie müssen alles geben, was in Ihnen steckt, weil jeder Boxkampf der letzte sein kann - genau wie jedes Buch."
Dieses Alles-oder-nichts-Getue führt zu der paradoxen Situation, dass wir es in Dickers Roman einerseits mit einer stilistischen Übermotivierung vor allem in den Dialogen zu tun haben, die vor Redundanzen strotzen (allein Nola, die Lolita dieses Buches, sagt dem Mann, den sie liebt, gefühlte fünfzig Mal: "Oh, allerliebster Harry, ich bin ja so glücklich!"). Andere Personen und ihre Motive bleiben eigentümlich unscharf. Das gilt für allem für Harry Quebert, den großen Geheimnisträger, dessen Entzauberung am Ende nur den Sinn hat, den Plot um eine weitere unglaubwürdige Wendung zu bereichern.
Joël Dickers Buch ist kein großer amerikanischer Roman, wie es seine Freunde in Frankreich glauben machen wollen, auch wenn sein Protagonist zuweilen an Philip Roths Nathan Zuckerman erinnert. Es ist auch kein Bildungsroman, nur weil es dem naseweisen Protagonisten gelingt, einen Kriminalfall zu lösen und darüber ein Buch zu schreiben. Er ist ein Unterhaltungsroman für den Strand. Dagegen wäre kaum etwas einzuwenden, handelte es sich nicht um eine Übersetzung, für die viel Geld ausgegeben wurde, das wiederum an anderer Stelle fehlt.
Verlage brauchen Bestseller. Aber es ist schade, wenn diese nachvollziehbaren verlegerischen Kalkulationen dazu führen, dass uns zugunsten von Büchern, an die sich schon einen Tag nach der Lektüre kein Mensch mehr erinnern wird, andere, viel interessantere Titel vorenthalten bleiben. Erinnert sei in diesem Zusammenhang nur an das gleichfalls im Herbst 2012 in Frankreich erschienene "La théorie de l'information" von Aurélien Bellanger, einem 1980 geborenen Franzosen, der den Aufstieg des Internets in Frankreich in einen bemerkenswerten Roman hat einfließen lassen. Erinnert sei auch an den ebenfalls 1980 geborenen Tristan Garcia, einen Vertreter der noch jungen philosophischen Schule des spekulativen Realismus, der 2012 neben einem Science-Fiction-Roman wunderbare Kurzgeschichten über den Sport veröffentlicht hat. Nach Auskunft von Bellangers Verlag Gallimard sind die Rechte an seinem Roman aber nach Deutschland bisher nicht verkauft worden. Und auch Garcia hat derzeit keinen deutschen Verleger. Dabei hätten die beiden uns so viel mehr zu erzählen als Joël Dicker.
LENA BOPP
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Hier sind ein anspielungsreiches Form- und Motivpuzzle, ein fesselnder Krimi mit allem Zubehör von Blut und Verfolgungsjagd im Auto sowie ein erstaunlich durchgearbeitetes Themenpanorama zu einem gelungenen Buch zusammengewachsen.« Süddeutsche Zeitung 20130919