Die Kunst des Verzeihens hat in allen Kulturen und Religionen dieser Erde eine lange Tradition. Doch leider gerät diese dem Leben zugewandte Seite im Alltag menschlichen Zusammenlebens häufig in den Hintergrund. Der XIV. Dalai Lama
offenbart im Dialog mit Victor Chan zum ersten Mal öffentlich seine Überlegungen zu diesem Thema, seine täglichen Meditationen und Übungen, um der Macht des Verzeihens weltweit zum Durchbruch zu verhelfen.
offenbart im Dialog mit Victor Chan zum ersten Mal öffentlich seine Überlegungen zu diesem Thema, seine täglichen Meditationen und Übungen, um der Macht des Verzeihens weltweit zum Durchbruch zu verhelfen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.09.2005Schenk mir einen Keks, Dalai Lama!
Wer sich heute in einer Buchhandlung einmal vor das "Fernöstliche Weisheiten"-Regal stellt, den schwindelt geradezu ob der unüberschaubaren Dalai-Lama-Literatur. Gibt es einen automatischen Titelgenerator? Oben wirft man ein Porträtfoto und Gutmenschs Lieblingsworte hinein, unten kommt blitzgeschwind ein neuer Buchtitel heraus. Als Grundeinstellung wähle man die Option Genitivkonstruktion, zu bilden aus "Weisheit", "Herz", "Mitgefühl", "Glück", "Frieden", "Freiheit", "Toleranz". Bei Bedarf ergänze man "golden" oder "menschlich". "Goldener Frieden des Glücks" und viele andere Werke suchen dringen noch Autoren. Dasselbe gilt für die Marke Dalai Lama verwertende Spin-off-Ratgeber wie "Die Dalai-Diät - Entschlacken mit Lotus", "Da lacht der Lama - 50 wirklich gute Witze" oder "Radschläge des Schmerzes - der siebte Sinn".
Den meisten dieser Bücher fehlt ein Beipackzettel, es muß nicht drin sein, was draufsteht. Wie sollte der Dalai Lama, der die Hälfte des Jahres dienstlich unterwegs ist, nebenbei die tibetische Exilgemeine regiert und sich seiner spirituellen Vervollkommnung widmet, auch mehr als zweihundert Bücher geschrieben haben? Es überwiegen also Sprüchesammlungen, Vortragsmitschriften, Dialogbücher und paraphrasierende Werke "im Geiste" des Dalai Lama. Inhaltliche Redundanz ist bei der kompilierenden Texterstellung aus oft mündlichem Material unausweichlich. Daß die Qualität der unter seinem Namen veröffentlichten Bücher - von buddhistischer Fachliteratur bis zu leichtverdaulichen Kalendersprüchen - variiert, entspricht vielleicht sogar der Pädagogik des Buddhismus. Sie fordert, die Vermittlung der Lehre an die intellektuellen Fähigkeiten der Zuhörer anzupassen. Leider bieten die zum Verwechseln ähnlichen Cover und Titel rund um den Dalai Lama oft kaum Hinweise auf Anspruch und Machart.
Mit ein paar Handgriffen ließe sich das ändern. Greifen wir aus der Fülle der dubiosen Dalai-Lama-Literatur das Buch "Die Weisheit des Verzeihens. Ein Wegweiser für unsere Zeit" heraus (Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach 2005. 254 S., geb., 16,90 [Euro]). Als Autoren prangen in goldgeprägten Lettern der "Dalai Lama mit Victor Chan" auf dem Schutzumschlag. Ehrlicher wäre: "Neulich beim Dalai Lama. Nähkästchengeschichten für den Nachttisch" oder "Wie der Dalai Lama mir einen Keks schenkte - eine wahre Geschichte". Auch sollte Victor Chan sich nicht zieren, sich zu seiner alleinigen Autorschaft zu bekennen. Denn in diesem Buch schreibt der Dalai Lama erstens nicht selbst. Er wird lediglich beobachtet und zitiert. Und zweitens vermag man auch bei aufmerksamster Lektüre nicht zu erkennen, wohin genau dieser Wegweiser denn nun weisen soll, was eigentlich neben west-östlicher Dampfplauderei der sachliche Gehalt ist. Ein paar O-Töne des Dalai Lama zu einer diffusen Projektionsfläche für westliche Sinnbedürfnisse zu montieren, ist jedenfalls kaum erkenntnisfördernd.
Welche Handgriffe wären noch vonnöten, um dem Etikettenschwindel des Genres vorzubeugen? Im Falle von Chans Buch hätte man sich neben einem anderen Titel und einer genaueren Autorenangabe auch ein offenherzigeres Cover gewünscht, etwa so: im Vordergrund Victor Chan, wie er als chinesischer Hippie - bekleidet mit einer durchgewetzten Samthose, einem bestickten Baumwollhemd aus Kabul, einem in Marrakesch erstandenen Kapuzencape (alles schwarz) - 1972 zu seiner ersten Audienz beim Dalai Lama erscheint. Im Hintergrund der Dalai Lama, der angesichts des Fu-Manchu-Spitzbartes Chans (ein echtes Sorgenbärtchen, das viel zu dünn wuchs) in Kichern ausbricht.
Man kann Chan zugute halten, daß er nicht verschweigt, von seinem Idol als "hoffnungsloser Schüler" gescholten zu werden, der manchmal "ziemlich dumme Fragen" stelle. Man versteht sofort, was der Dalai Lama meint, wenn man von Chan scharfsinnige Beobachtungen wie diese präsentiert bekommt: "Es bereitet mir Vergnügen, das Gesicht des Dalai Lama zu betrachten. Es ist so anders als meins. Er hat sehr viele Falten", was im Alter ja zuweilen vorkommen soll, außer bei Chan: "Obwohl ich nur zehn Jahre jünger bin, ist mein Gesicht relativ glatt, Falten sind nur leicht angedeutet."
Ältere Menschen unter sich, da erfährt man auch Details über den Verdauungstrakt des Dalai Lama: heftige Magenschmerzen, Darmperforationen und enorme Blähungen. Der Nutzwert dieser Information erschließt sich wohl nur echten Buddhisten: Wer hier pfui ruft, vergißt, daß die Vergänglichkeit des Körpers und die damit verbundene Leidhaftigkeit irdischen Daseins klassische Meditationsthemen sind. Mönche etwa waren durchaus angehalten, sich die vom Buddha definierten Verwesungsstadien einer Leiche zu vergegenwärtigen. Das befreit zuverlässig von irdischen Anhaftungen. Zu Chans Ehrenrettung ließe sich auch anmerken, daß er, wenn auch unbeabsichtigt, seinen Lieblingslama näher an den betagten Buddha rückt. Die ältesten kanonischen Texte berichten, dieser habe im Alter ebenfalls über Verdauungsbeschwerden geklagt.
Chans unmögliches Buch steht leider für ein ganzes Genre. Explosionsartig vermehren sich hier unter fernöstlicher Flagge weitgehend buddhismusbereinigte Binsenweisheitsverschenkbücher. Die Quellenlage ist häufig ungeklärt, ebenso wie die tatsächliche Autorschaft. Was diese geballte Präsenz in Homestories oder Sprüchesammlungen dem eigentlichen Anliegen des Dalai Lama nutzt, bleibt unklar. Dies ist, bei aller Toleranz, schließlich nach wie vor die Förderung des tibetischen Buddhismus.
SABINE LÖHR
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wer sich heute in einer Buchhandlung einmal vor das "Fernöstliche Weisheiten"-Regal stellt, den schwindelt geradezu ob der unüberschaubaren Dalai-Lama-Literatur. Gibt es einen automatischen Titelgenerator? Oben wirft man ein Porträtfoto und Gutmenschs Lieblingsworte hinein, unten kommt blitzgeschwind ein neuer Buchtitel heraus. Als Grundeinstellung wähle man die Option Genitivkonstruktion, zu bilden aus "Weisheit", "Herz", "Mitgefühl", "Glück", "Frieden", "Freiheit", "Toleranz". Bei Bedarf ergänze man "golden" oder "menschlich". "Goldener Frieden des Glücks" und viele andere Werke suchen dringen noch Autoren. Dasselbe gilt für die Marke Dalai Lama verwertende Spin-off-Ratgeber wie "Die Dalai-Diät - Entschlacken mit Lotus", "Da lacht der Lama - 50 wirklich gute Witze" oder "Radschläge des Schmerzes - der siebte Sinn".
Den meisten dieser Bücher fehlt ein Beipackzettel, es muß nicht drin sein, was draufsteht. Wie sollte der Dalai Lama, der die Hälfte des Jahres dienstlich unterwegs ist, nebenbei die tibetische Exilgemeine regiert und sich seiner spirituellen Vervollkommnung widmet, auch mehr als zweihundert Bücher geschrieben haben? Es überwiegen also Sprüchesammlungen, Vortragsmitschriften, Dialogbücher und paraphrasierende Werke "im Geiste" des Dalai Lama. Inhaltliche Redundanz ist bei der kompilierenden Texterstellung aus oft mündlichem Material unausweichlich. Daß die Qualität der unter seinem Namen veröffentlichten Bücher - von buddhistischer Fachliteratur bis zu leichtverdaulichen Kalendersprüchen - variiert, entspricht vielleicht sogar der Pädagogik des Buddhismus. Sie fordert, die Vermittlung der Lehre an die intellektuellen Fähigkeiten der Zuhörer anzupassen. Leider bieten die zum Verwechseln ähnlichen Cover und Titel rund um den Dalai Lama oft kaum Hinweise auf Anspruch und Machart.
Mit ein paar Handgriffen ließe sich das ändern. Greifen wir aus der Fülle der dubiosen Dalai-Lama-Literatur das Buch "Die Weisheit des Verzeihens. Ein Wegweiser für unsere Zeit" heraus (Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach 2005. 254 S., geb., 16,90 [Euro]). Als Autoren prangen in goldgeprägten Lettern der "Dalai Lama mit Victor Chan" auf dem Schutzumschlag. Ehrlicher wäre: "Neulich beim Dalai Lama. Nähkästchengeschichten für den Nachttisch" oder "Wie der Dalai Lama mir einen Keks schenkte - eine wahre Geschichte". Auch sollte Victor Chan sich nicht zieren, sich zu seiner alleinigen Autorschaft zu bekennen. Denn in diesem Buch schreibt der Dalai Lama erstens nicht selbst. Er wird lediglich beobachtet und zitiert. Und zweitens vermag man auch bei aufmerksamster Lektüre nicht zu erkennen, wohin genau dieser Wegweiser denn nun weisen soll, was eigentlich neben west-östlicher Dampfplauderei der sachliche Gehalt ist. Ein paar O-Töne des Dalai Lama zu einer diffusen Projektionsfläche für westliche Sinnbedürfnisse zu montieren, ist jedenfalls kaum erkenntnisfördernd.
Welche Handgriffe wären noch vonnöten, um dem Etikettenschwindel des Genres vorzubeugen? Im Falle von Chans Buch hätte man sich neben einem anderen Titel und einer genaueren Autorenangabe auch ein offenherzigeres Cover gewünscht, etwa so: im Vordergrund Victor Chan, wie er als chinesischer Hippie - bekleidet mit einer durchgewetzten Samthose, einem bestickten Baumwollhemd aus Kabul, einem in Marrakesch erstandenen Kapuzencape (alles schwarz) - 1972 zu seiner ersten Audienz beim Dalai Lama erscheint. Im Hintergrund der Dalai Lama, der angesichts des Fu-Manchu-Spitzbartes Chans (ein echtes Sorgenbärtchen, das viel zu dünn wuchs) in Kichern ausbricht.
Man kann Chan zugute halten, daß er nicht verschweigt, von seinem Idol als "hoffnungsloser Schüler" gescholten zu werden, der manchmal "ziemlich dumme Fragen" stelle. Man versteht sofort, was der Dalai Lama meint, wenn man von Chan scharfsinnige Beobachtungen wie diese präsentiert bekommt: "Es bereitet mir Vergnügen, das Gesicht des Dalai Lama zu betrachten. Es ist so anders als meins. Er hat sehr viele Falten", was im Alter ja zuweilen vorkommen soll, außer bei Chan: "Obwohl ich nur zehn Jahre jünger bin, ist mein Gesicht relativ glatt, Falten sind nur leicht angedeutet."
Ältere Menschen unter sich, da erfährt man auch Details über den Verdauungstrakt des Dalai Lama: heftige Magenschmerzen, Darmperforationen und enorme Blähungen. Der Nutzwert dieser Information erschließt sich wohl nur echten Buddhisten: Wer hier pfui ruft, vergißt, daß die Vergänglichkeit des Körpers und die damit verbundene Leidhaftigkeit irdischen Daseins klassische Meditationsthemen sind. Mönche etwa waren durchaus angehalten, sich die vom Buddha definierten Verwesungsstadien einer Leiche zu vergegenwärtigen. Das befreit zuverlässig von irdischen Anhaftungen. Zu Chans Ehrenrettung ließe sich auch anmerken, daß er, wenn auch unbeabsichtigt, seinen Lieblingslama näher an den betagten Buddha rückt. Die ältesten kanonischen Texte berichten, dieser habe im Alter ebenfalls über Verdauungsbeschwerden geklagt.
Chans unmögliches Buch steht leider für ein ganzes Genre. Explosionsartig vermehren sich hier unter fernöstlicher Flagge weitgehend buddhismusbereinigte Binsenweisheitsverschenkbücher. Die Quellenlage ist häufig ungeklärt, ebenso wie die tatsächliche Autorschaft. Was diese geballte Präsenz in Homestories oder Sprüchesammlungen dem eigentlichen Anliegen des Dalai Lama nutzt, bleibt unklar. Dies ist, bei aller Toleranz, schließlich nach wie vor die Förderung des tibetischen Buddhismus.
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