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Fortschritt, Technologie und Sprache, Information, Demokratie und Erziehung sind für Neil Postman die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. In seinem Buch präsentiert er verschiedene Handlungsmodelle, die den Umgang mit den zukünftigen Anforderungen erleichtern sollen. Die entscheidenden Anregungen dazu findet er im 18. Jahrhundert bei den Vertretern der Aufklärung. In ihren Ideen sieht der Autor einen Schatz, der für die Zukunft gehoben werden muss.

Produktbeschreibung
Fortschritt, Technologie und Sprache, Information, Demokratie und Erziehung sind für Neil Postman die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. In seinem Buch präsentiert er verschiedene Handlungsmodelle, die den Umgang mit den zukünftigen Anforderungen erleichtern sollen. Die entscheidenden Anregungen dazu findet er im 18. Jahrhundert bei den Vertretern der Aufklärung. In ihren Ideen sieht der Autor einen Schatz, der für die Zukunft gehoben werden muss.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.1999

Der brave Brückenbauer
Neil Postman ist schwer zu widersprechen / Von Martin Lhotzky

Neil Postman hört es gar nicht gern, wenn man ihn als postmodernen Denker apostrophiert. Zum Beweis dafür, dass er in der Moderne fest verankert ist, züchtigt er vorab Jean Baudrillard - und mit ihm seine Landsleute. Denn wenn, so räsoniert Postman, Baudrillard meinte, es gäbe überhaupt keine Realität, dann "erklärt dies nun endlich den unentschlossenen Widerstand der Franzosen gegen die deutsche Invasion ihres Landes im Zweiten Weltkrieg: Sie hielten sie nicht für real."

Postman glaubt nicht, dass das Projekt der Aufklärung, welches nach seiner Ansicht in der Renaissance die ersten Vorläufer hatte, bereits beendet oder gar, wie in letzter Zeit des Öfteren behauptet, gescheitert sei. In neun Kapiteln erzählt er die Geschichte der Aufklärung aus seiner Sicht und spart dabei nicht mit teilweise bissigen Kommentaren, die jedoch in ihrer Art eher in einem Vortrag Platz hätten, in einem Buch jedoch vielfach deplatziert und wie eine späte Abrechnung wirken.

"Die zweite Aufklärung" ist ein Buch für Amerikaner. Man merkt dies besonders an den Kapiteln, in denen es um Schule und Universität geht. Jochen Bußmann, dessen Übersetzung im Übrigen recht gut gelungen ist, hat aus diesem Grund bisweilen einige Mühe, entsprechende Äquivalente zu finden. "Die zweite Aufklärung" soll aber auch ein Buch für die Zukunft sein. Der Autor will, dass wir auf dem Weg ins einundzwanzigste Jahrhundert nicht ganz die Segnungen des achtzehnten aus den Augen verlieren und vielleicht doch die eine oder andere gute Idee aus dieser Zeit mitnehmen. "A Bridge to the Eighteenth Century" heißt das Original.

Über das achtzehnte Jahrhundert weiß Postman viel zu berichten. Es war freilich keine nur glückliche Zeit, denn es gab Sklaverei und Unterdrückung in jeder Form, sei sie ethnisch, nach dem Geschlecht oder wie auch immer motiviert. Aber damals, so Postman, sei zum ersten Mal darüber nachgedacht worden, ob dies so sein müsse oder zu rechtfertigen wäre. Und genau hier setzt seine schärfste Kritik an der modernen (wir dürfen hinzufügen: amerikanischen) Gesellschaft ein: Sie habe das Formulieren von Fragen - wichtigen, entscheidenden Fragen - verlernt oder könne es nicht mehr vermitteln.

Postman kann diese Fragen noch stellen. Eine davon betrifft Technik und Technologie: Wer sind die Verlierer, wer die Gewinner? So materialistisch das klingen mag, steht Postman dem Marxismus doch nicht nahe. Schließlich äußert er des Öfteren, dass er Faschismus, Nazismus und Kommunismus für die größten Verfehlungen des zwanzigsten Jahrhunderts hält. Freud, Marx und Darwin erwähnt er hin und wieder in einem Atemzug, und dies nicht immer in freundlicher Absicht.

Cui bono? Für Postman ist das eine politische Frage, die eigentlich nur im demokratischen Rahmen gelöst werden darf. Denn die meisten Antworten der Technologie "lösen irgendein Problem oder auch nur der meisten Leute Problem". Postmans entscheidendes Argument für eine demokratische Entscheidung in diesen Fällen ist geradezu amerikanisch, bodenständig und verblüffend simpel: Schließlich kostet eine Lösung dieser Aufgaben mit Förderung der Regierung unser aller Geld.

Auch Postman sieht die Menschheit in einer Informationsflut untergehen. Durch die Beschleunigung der Nachrichtenübermittlung, schreibt er, hätten wir ein großes Defizit in der Verarbeitung dieser Information geschaffen, so dass aus den einzelnen Fakten kaum mehr Wissen oder Erkenntnis entstehen könne. Er fasst das mit dem Begriff "Mythinformation" zusammen und vermutet, dass dieses Problem weiter vor uns hergeschoben werden wird, indem einfach immer bessere Maßnahmen erdacht werden, noch mehr Information noch schneller an noch entferntere Orte zu übermitteln. Der springende Punkt dabei wird freilich sein, dass wir zumeist nicht wissen, was mit dieser Fülle an Fakten anzufangen ist. Darum glaubt Postman auch, dass Zeitung oder Buch nicht ersetzt werden können, denn sie ermöglichen eine direkte Auseinandersetzung mit den einzelnen Informationen. Das Fernsehen bietet eine Menge von "Unds", Zeitungen hingegen, gute Zeitungen zumal, müssten, wollten sie bestehen, eine Menge von "Weils" beitragen.

Hier wird freilich auch jene okzidentale Kurzsichtigkeit offenbar, mit der Postman auf einigen Seiten kokettiert hat. Wenn immer noch mehr als sechzig Prozent der Menschheit nicht einmal Zugang zum Telefon haben, scheint es vermessen, wenn der Autor für die globale Gesellschaft sprechen will. Immerhin räumt er ein, dass eine elektronische Gemeinschaft nur die Simulation einer Gemeinschaft darstellt, und entlarvt damit die Aussagen vom global village als Phrasen. Getreu seinem Motto "Besser, die Leser zu enttäuschen, als in die Irre zu führen" wagt er allerdings keine Antworten darauf zu geben. Nicht viel Neues unter der Sonne.

Die zweite Frage, die Postman seit langem beschäftigt, ist die nach der Zukunft der Kindheit und der Erziehung. Praktischerweise liefert uns "Die zweite Aufklärung" in einem Anhang eine Zusammenfassung von Postmans älteren Werken zu diesem Thema (hauptsächlich von "Das Verschwinden der Kindheit" und "Teaching as a Subversive Act"). Postman befürchtet, dass der radikale Wandel der Kommunikationsumwelt das Ende der Kindheit bewirken könnte, einer weiteren Errungenschaft des achtzehnten Jahrhunderts. Das Fernsehen mache die Geheimnisse der Erwachsenenwelt zunichte, da es keine Bildungsvoraussetzungen verlange und sein Publikum nicht selektiere, da es dieselbe Information an jedermann gleichzeitig kommuniziere, ohne Rücksicht auf Alter, Geschlecht oder Bildungsstand.

Das Werk ist auch eine ziemlich persönliche Schrift - es wimmelt von Formulierungen wie: "Ich will darauf hinaus" oder "Mir geht es darum" - und offenbart viel vom inneren Hader des Autors. Damit ist nicht so sehr gemeint, dass er seine Arbeiten lieber mit dem Federkiel zu Papier bringt, als seine Gedanken in den Personalcomputer zu hacken, ja nicht einmal eine Schreibmaschine benützt - das erzählt er gleich dreimal; vielmehr scheint er sich selbst als Ritter von der traurigen Gestalt zu sehen. Nur dass seine Windmühlen nicht einmal mehr für Riesen gehalten werden, sondern in der Gestalt von Zwergen daherkommen, die aber dennoch mit ihrem Griff die ganze Welt umspannen. Gemeint sind damit die Möglichkeiten der weltweiten Vernetzung. Für Postman sind wir gewissermaßen alle Indianer, die von den Lenkern des World Wide Web, also gewissermaßen Kolumbus, entdeckt worden sind und uns nicht zu wehren wissen.

Wenn er mit Lewis Munford, dem zufolge jede Zivilisation in einem Traum lebt, uns davor warnt, diesen Traum zu verlieren, dann verwandelt sich Postman in den Rufer in der Wüste. Er möchte gerne, dass die Gesellschaft in einer Art Traumzeit lebt, denn die große Kraft der Ursprungslegenden ist noch nicht überwunden und wird es seiner Meinung nach nie sein. Die Menschheit wird immer Antworten auf die Frage nach dem "Woher" brauchen, aber die Wissenschaft könne diese Antworten nicht mit der Überzeugungskraft der Mythen liefern. Ein Schelm, wer dabei doch an New Age und Postmoderne denkt.

Dass übrigens ein großer Mythos der Moderne vor nunmehr knapp einem Jahrzehnt ein Armenbegräbnis erhalten hat, ohne dass die Fragen, die er gestellt hat, zufriedenstellend beantwortet worden wären, erwähnt Postman nicht. Hingegen fordert er tatsächlich unter der Prämisse "Gute Wissenschaft hat von schlechter Wissenschaft nichts zu befürchten", dass Evolutionslehre und Schöpfungslehre in den Schulen als alternative Theorien präsentiert werden, weil auch Darwins Erklärung eben nur eine Theorie ist.

Man ist nicht ganz sicher, ob dies nicht vielleicht doch ironisch gemeint ist, denn immerhin fordert Postman, es müsse ein Ziel der Lehrpläne an Schulen sein, dass Schüler Technik benutzen, anstatt von ihr benutzt zu werden. Dem kann man ja nun nicht wirklich widersprechen. Und selbst wenn er verlangt, dass lieber in Lehrausbildung als in Geräte investiert werden soll, darf man allseits zufriedenes Kopfnicken erwarten (außer vielleicht bei Bill Gates).

Das Buch enthält nicht besonders viele neue Gedanken, bringt aber doch einige interessante Anregungen, uns wieder mehr mit der eigenen Vergangenheit zu beschäftigen. Manchmal ist eben doch die Botschaft die Botschaft.

Neil Postman: "Die zweite Aufklärung". Vom achtzehnten ins einundzwanzigste Jahrhundert. Aus dem Amerikanischen von H. Jochen Bußmann. Berlin Verlag, Berlin 1999. 252 S., geb., 38,- DM.

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