Am 21. November 1947 wurde das Stück an den Hamburger Kammerspielen uraufgeführt, einen Tag nach dem Tod des Autors, der nur 26 Jahre alt wurde. Mit dem Frontsoldaten Beckmann, der aus der russischen Kriegsgefangenschaft heimkehrt und im zivilen Leben nicht wieder Fuß fassen kann, identifizierte sich eine ganze Generation. Beckmann wird von seiner Frau verjagt und auch die Elbe, in die er sich stürzt, will ihn nicht haben... Borchert hatte die Rolle des Beckmann dem Schauspieler Heinz Quest auf den Leib geschrieben.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.11.2020Warum stellt denn keiner Fragen?
Erfolg im Nebel: Im Februar 1947 sendete der Nordwestdeutsche Rundfunk Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“
Die Jugend habe allen Beschwörungen zum Trotz geschwiegen, nun aber „spricht sie. Hier ist was sie zu sagen hat. Hören Sie“. So kündigte der Chefdramaturg des Nordwestdeutschen Rundfunks am 13. Februar 1947 das Hörspiel „Draußen vor der Tür“ von Wolfgang Borchert an. Er sagte nicht, dass dieser in der Wehrmacht wegen „Selbstverstümmelung“ angeklagt und später wegen einer Goebbels-Parodie zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden war, die zur „Fronbewährung“ ausgesetzt wurde, dass er sich in Hamburg als Schauspieler durchzuschlagen versuchte. Chefdramaturg Ernst Schnabel erklärte den 1921 geborenen, schwer kranken Autor zur Stimme der 25-Jährigen, die zum Leben nicht erwachen durften, sondern kalt, unerbittlich geweckt wurden. Zustimmend zitiert er die peinlich großspurige und doch bloß abgekupferte Geste des Untertitels „Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will“.
Es ist bekanntlich anders gekommen. Das Hörspiel wurde viel diskutiert, das Theaterstück erlebte am 21. November 1947 unter der Regie von Wolfgang Liebeneiner seine Uraufführung an den Hamburger Kammerspielen.
Sein Verfasser war am Tag zuvor in Basel gestorben. Dass der kluge Berliner Kritiker Friedrich Luft einige Monate darauf von der Qual sprach, „ein neurotisches Lamento bis zum vagen Ende mitanhören zu müssen“, hat den Siegeszug des Dramas nicht aufgehalten. Die Geschichte des Heimkehrers Beckmann wurde zum Klassiker der Nachkriegszeit, wird bis heute im Unterricht gelesen, an Theatern gespielt.
Der Hörverlag hat das an einigen wichtigen Stellen vom Drama abweichende Hörspiel aus dem Februar 1947 wieder aufgelegt, samt der Einführungsworte Ernst Schnabels. „Draußen vor der Tür“ sei ein „Protestschrei gegen die zerstörerische Macht des Krieges“, heißt es in werbender Absicht. Im Begleitheft berichtet Hans-Ulrich Wagner, wie der Text zum Rundfunk kam, was sich Dramaturgen erhofften, wie die Hörer reagierten. Etwa 150 Hörerbriefe sind im Wolfgang-Borchert-Archiv der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg überliefert. Die einen verlangten Trost und Abwechslung statt Erinnerung an Krieg und Elend, die anderen erkannten sich in Borcherts Heimkehrer wieder, Beckmann, schrieben sie, „Du bist einer von uns“.
Das Hörspiel war gut besetzt und sehr gut inszeniert. Regie führte Ludwig Cremer. Er vertraute dem Text, ließ dem expressionistisch inspirierten, damals schon angestaubten Pathos ausreichend Hallraum. Hans Quest, dem Borchardt sein Drama widmete, schwankt zwischen Zorn und Verzweiflung und bleibt immer ins Ich des jungen Unteroffiziers gesperrt, der humpelt und sich umbringen will, weil ein anderer Mann mit seiner Frau im Bett liegt.
Die Elbe aber spuckt die „Rotznase von einem Selbstmörder“ wieder aus. Ein Mädchen nimmt sich seiner an, aber da ihn Gewissensbisse plagen wegen eines Befehls, den er im Krieg gab, macht er sich, dem Rat seines Alter Ego, des Anderen, folgend, auf den Weg zu einem Oberst, die Verantwortung abzugeben. Er dient sich einem Kabarettdirektor an, er erfährt vom Selbstmord seiner Eltern, träumt und findet das rechte nicht: „Warum schweigt ihr denn? Warum? Gibt denn keiner Antwort? Gibt keiner Antwort? Gibt denn keiner – keiner – Antwort?“
Nach diesen Schlusssätzen heult ein Wind und man möchte gern zurückfragen, warum Beckmann keine Fragen stellt außer den vagen nach Sinn. Was die Wehrmacht in der Sowjetunion zu suchen hatte? Wie sie da hin kam, was sie dort tat, wen sie erschoss, mordete, diese Fragen stellt Beckmann nicht, er spricht nur von sich, wie Erinnerung ihn quält und dass er sie gern los wäre. Dem Oberst erzählt er einen Traum von einem Blut schwitzenden Mann, der auf einem Xylophon aus Knochen spielt. Das Traumbild verdeutlicht sehr konventionell die Schrecken des Krieges, als dessen Opfer erscheinen allein die Wehrmachtssoldaten, Beckmann und die zwanzig Soldaten, denen er, dem Befehl des Obersts folgend, befahl, einen Wald bei Gorodok zu erkunden. Elf kamen dabei ums Leben, nur von deutschen Opfern ist die Rede. Das hoch moralisch klingende Pathos vermeidet es, genau hinzuschauen, flüchtet vor dem Konkreten ins Vage, ins nebulös Allgemeine.
Peter Rühmkorf hat Beckmann einen „Allround-Enttäuschten“ genannt. Jan Philipp Reemtsma erinnerte sich 1992 in seinem Vortrag „Generation ohne Abschied“, dass er von dem Stück, als er es fünfzehn- oder sechzehnjährig zum ersten Mal las, „seht angetan“ war. Das Ergebnis erneuten Lesens aber sei „katastrophal gewesen“: „Der Ton des Stückes passte so genau zu jener pubertären Neigung zum Kitsch in Gefühlen und Gedanken“. Für Reemtsma personifiziert Beckmann „die adoleszente Ambivalenz“, das zugleich von Trotz und Abhängigkeit.
„Wolfgang Borchert gehört zu denen, die 1933 in Quinta saßen“, begann Ernst Schnabel seine einführenden Worte. Borchert gehöre zu jenen, die „von der Schulbank ins Feld zogen und bis Kriegsende an der Front standen“. Als Schrei der geschundenen Jugend wurde „Draußen vor der Tür“ verstanden. Dieser Schrei verrät mehr über die Nöte der Nachkriegszeit als über den Krieg.
JENS BISKY
Wolfgang Borchert: Draußen vor der Tür. Hörspiel. Mit Hans Quest, Josef Dahmen, Gustl Busch, Maria Janke u.v.a. Nordwestdeutscher Rundfunk, 1947. Der Hörverlag, München 2020. 1 CD, ca. 83 Minuten, 16 Euro.
Viele erkannten sich in
Borcherts Kriegsheimkehrer
wieder
Peter Rühmkorf hat Beckmann
einen „Allround-Enttäuschten“
genannt
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Erfolg im Nebel: Im Februar 1947 sendete der Nordwestdeutsche Rundfunk Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“
Die Jugend habe allen Beschwörungen zum Trotz geschwiegen, nun aber „spricht sie. Hier ist was sie zu sagen hat. Hören Sie“. So kündigte der Chefdramaturg des Nordwestdeutschen Rundfunks am 13. Februar 1947 das Hörspiel „Draußen vor der Tür“ von Wolfgang Borchert an. Er sagte nicht, dass dieser in der Wehrmacht wegen „Selbstverstümmelung“ angeklagt und später wegen einer Goebbels-Parodie zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden war, die zur „Fronbewährung“ ausgesetzt wurde, dass er sich in Hamburg als Schauspieler durchzuschlagen versuchte. Chefdramaturg Ernst Schnabel erklärte den 1921 geborenen, schwer kranken Autor zur Stimme der 25-Jährigen, die zum Leben nicht erwachen durften, sondern kalt, unerbittlich geweckt wurden. Zustimmend zitiert er die peinlich großspurige und doch bloß abgekupferte Geste des Untertitels „Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will“.
Es ist bekanntlich anders gekommen. Das Hörspiel wurde viel diskutiert, das Theaterstück erlebte am 21. November 1947 unter der Regie von Wolfgang Liebeneiner seine Uraufführung an den Hamburger Kammerspielen.
Sein Verfasser war am Tag zuvor in Basel gestorben. Dass der kluge Berliner Kritiker Friedrich Luft einige Monate darauf von der Qual sprach, „ein neurotisches Lamento bis zum vagen Ende mitanhören zu müssen“, hat den Siegeszug des Dramas nicht aufgehalten. Die Geschichte des Heimkehrers Beckmann wurde zum Klassiker der Nachkriegszeit, wird bis heute im Unterricht gelesen, an Theatern gespielt.
Der Hörverlag hat das an einigen wichtigen Stellen vom Drama abweichende Hörspiel aus dem Februar 1947 wieder aufgelegt, samt der Einführungsworte Ernst Schnabels. „Draußen vor der Tür“ sei ein „Protestschrei gegen die zerstörerische Macht des Krieges“, heißt es in werbender Absicht. Im Begleitheft berichtet Hans-Ulrich Wagner, wie der Text zum Rundfunk kam, was sich Dramaturgen erhofften, wie die Hörer reagierten. Etwa 150 Hörerbriefe sind im Wolfgang-Borchert-Archiv der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg überliefert. Die einen verlangten Trost und Abwechslung statt Erinnerung an Krieg und Elend, die anderen erkannten sich in Borcherts Heimkehrer wieder, Beckmann, schrieben sie, „Du bist einer von uns“.
Das Hörspiel war gut besetzt und sehr gut inszeniert. Regie führte Ludwig Cremer. Er vertraute dem Text, ließ dem expressionistisch inspirierten, damals schon angestaubten Pathos ausreichend Hallraum. Hans Quest, dem Borchardt sein Drama widmete, schwankt zwischen Zorn und Verzweiflung und bleibt immer ins Ich des jungen Unteroffiziers gesperrt, der humpelt und sich umbringen will, weil ein anderer Mann mit seiner Frau im Bett liegt.
Die Elbe aber spuckt die „Rotznase von einem Selbstmörder“ wieder aus. Ein Mädchen nimmt sich seiner an, aber da ihn Gewissensbisse plagen wegen eines Befehls, den er im Krieg gab, macht er sich, dem Rat seines Alter Ego, des Anderen, folgend, auf den Weg zu einem Oberst, die Verantwortung abzugeben. Er dient sich einem Kabarettdirektor an, er erfährt vom Selbstmord seiner Eltern, träumt und findet das rechte nicht: „Warum schweigt ihr denn? Warum? Gibt denn keiner Antwort? Gibt keiner Antwort? Gibt denn keiner – keiner – Antwort?“
Nach diesen Schlusssätzen heult ein Wind und man möchte gern zurückfragen, warum Beckmann keine Fragen stellt außer den vagen nach Sinn. Was die Wehrmacht in der Sowjetunion zu suchen hatte? Wie sie da hin kam, was sie dort tat, wen sie erschoss, mordete, diese Fragen stellt Beckmann nicht, er spricht nur von sich, wie Erinnerung ihn quält und dass er sie gern los wäre. Dem Oberst erzählt er einen Traum von einem Blut schwitzenden Mann, der auf einem Xylophon aus Knochen spielt. Das Traumbild verdeutlicht sehr konventionell die Schrecken des Krieges, als dessen Opfer erscheinen allein die Wehrmachtssoldaten, Beckmann und die zwanzig Soldaten, denen er, dem Befehl des Obersts folgend, befahl, einen Wald bei Gorodok zu erkunden. Elf kamen dabei ums Leben, nur von deutschen Opfern ist die Rede. Das hoch moralisch klingende Pathos vermeidet es, genau hinzuschauen, flüchtet vor dem Konkreten ins Vage, ins nebulös Allgemeine.
Peter Rühmkorf hat Beckmann einen „Allround-Enttäuschten“ genannt. Jan Philipp Reemtsma erinnerte sich 1992 in seinem Vortrag „Generation ohne Abschied“, dass er von dem Stück, als er es fünfzehn- oder sechzehnjährig zum ersten Mal las, „seht angetan“ war. Das Ergebnis erneuten Lesens aber sei „katastrophal gewesen“: „Der Ton des Stückes passte so genau zu jener pubertären Neigung zum Kitsch in Gefühlen und Gedanken“. Für Reemtsma personifiziert Beckmann „die adoleszente Ambivalenz“, das zugleich von Trotz und Abhängigkeit.
„Wolfgang Borchert gehört zu denen, die 1933 in Quinta saßen“, begann Ernst Schnabel seine einführenden Worte. Borchert gehöre zu jenen, die „von der Schulbank ins Feld zogen und bis Kriegsende an der Front standen“. Als Schrei der geschundenen Jugend wurde „Draußen vor der Tür“ verstanden. Dieser Schrei verrät mehr über die Nöte der Nachkriegszeit als über den Krieg.
JENS BISKY
Wolfgang Borchert: Draußen vor der Tür. Hörspiel. Mit Hans Quest, Josef Dahmen, Gustl Busch, Maria Janke u.v.a. Nordwestdeutscher Rundfunk, 1947. Der Hörverlag, München 2020. 1 CD, ca. 83 Minuten, 16 Euro.
Viele erkannten sich in
Borcherts Kriegsheimkehrer
wieder
Peter Rühmkorf hat Beckmann
einen „Allround-Enttäuschten“
genannt
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