Sieben Jahre nach ihrem Skandalerfolg 'Das sexuelle Leben der Catherine M.' bricht Catherine Millet nun wieder ein Tabu. Diesmal sind es keine expliziten sexuellen Details, mit denen sie schockt, sondern eine Haltung, die einer untreuen Ehefrau eigentlich nicht zusteht: rasende Eifersucht! Zufällig entdeckt sie das Foto einer fremden Frau auf dem Schreibtisch ihres Mannes, bald durchforstet sie Schubladen Tagebücher und Briefe. Doch je mehr sie in
Erfahrung bringt, desto qualvoller wird ihre Eifersucht.
Schonungslos ehrlich beschreibt Catherine Millet ihre Obsession und erzählt damit nicht zuletzt von einer großen Liebe - der zu ihrem Ehemann.
Erfahrung bringt, desto qualvoller wird ihre Eifersucht.
Schonungslos ehrlich beschreibt Catherine Millet ihre Obsession und erzählt damit nicht zuletzt von einer großen Liebe - der zu ihrem Ehemann.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.03.2010Hohe Schule der Distanz
Die condition féminine am Ende der Illusion: Catherine Millets kühles und kühnes Geständnisbuch zeigt, was geschieht, wenn Theorie und Praxis in der Katastrophe kollabieren.
Von Rose-Maria Gropp
Es sind die zwei Seiten einer Medaille. Im Jahr 2001 hat die französische Kunsthistorikerin Catherine Millet einen Text veröffentlicht, der "Das sexuelle Leben der Catherine M." heißt. Als aller Tabus entkleidete Schilderung multipler Sexualitäten und hemmungsloser Praktiken einer Frau, die aus der Ich-Perspektive schreibt, ist das Buch bis heute einzigartig. Es ist keine Autobiographie, höchstens ein biographischer Auf- und Ausriss. Es ist keine Pornographie, weil seine kalte Sprache, die wie ein starker Scheinwerfer die körperlichen Gemengelagen an den Rändern der Stadt, der Gesellschaft, der guten Sitten ohnehin ausleuchtet, lüsterne Lektüre unterbindet. Sein langer Schreibstrom ist eine Zumutung. Dass es zum internationalen Bestseller wurde und angeblich Millionenauflagen erzielte, ist eines jener Missverständnisse, die eigentlich witzig sind.
Aber diese "Vie sexuelle" war ein wichtiges Buch. Dort exerziert eine scharfsinnige Frau im Alter von dreiundfünfzig Jahren - ein praktizierendes Mitglied der Pariser Intelligenzija und Herausgeberin, damals wie heute, des Magazins "Art Press" - die sprachliche Vivisektion des Sexus am eigenen Körper. Freilich war auch vor knapp einem Jahrzehnt klar erkennbar, wes Geistes Kind dieser Selbstversuch ist, welche bittere Ironie da waltet: Unternimmt Millet doch die extrem mögliche Probe auf das Exempel, welche Auswirkungen der unbedingte Wille zum Wissen haben konnte. Ihr Text bildet gewissermaßen die Klimax von Michel Foucaults - schon 2001 gut eine Generation alter - Erkenntnis ab, dass es der schärfste Irrtum sei, das Reden über Sexualität für eine Befreiung zu halten.
So viel (und noch viel mehr) Theorie kannte Millet natürlich, als sie ihr Skandalbuch schrieb. Deshalb ist "Das sexuelle Leben der Catherine M." auch keine Beichte, kein persönliches Geständnis, sondern eine kalkulierte, im Wortsinn Unverschämtheit. Mehr noch: Millet beharrt überdies darauf, dass sie sich ihre allfällige Orgien-Empirie in den siebziger und achtziger Jahren aus einer "verspielten" Haltung heraus erarbeitete. Sie gibt die Libertinage als ihr Bedürfnis aus und identifiziert sie im selben Zug als ein Spiel mit strengen Regeln. Im Abstand von zwei Jahrzehnten wollte sie sich partout als das Mädchen, das sich im zerrütteten kleinbürgerlichen Elternhaus auf die Position der traumversponnenen Onanistin zurückgezogen hatte, schildern, als die junge Frau aus der Provinz, der es gelang, ins Zentrum des promisken Geschehens vorzustoßen.
Im Vorwort zu "Das sexuelle Leben" steht die Absicht glasklar: "Mich erstaunen jene Menschen, die über die ,Distanz' staunen, mit der ich meinen Bericht geschrieben habe. Kann ein denkender Mensch mit sich selbst eine andere Beziehung haben, als sich im Spiegel zu sehen? Da es sich um Sex dreht, hätte man eher erwartet, dass sich mein Bewusstsein ausschaltet wie in Ekstase? Aber würde man nicht die Empathie des Lesers heraufbeschwören, indem man zugesteht, dass man unter solchen Umständen schreiben kann? Im Übrigen ging es bei diesem Projekt nur darum, eine singuläre Sexualität darzustellen, die Sexualität der Catherine M."
Genau hier setzt ihr neues Buch ein. Es ist ein großartiges Werk, viel stärker und wahrhaftiger als das vorige. Denn Millet radikalisiert in "Eifersucht" ihre Subjektivität bis zur Schmerzgrenze. Doch wäre es ein Irrtum anzunehmen, dass sie dabei ihre Distanz verringert. Ihre Sprache ist in der Beschreibung der terroristischen Emotion und deren Verheerungen womöglich noch klarer, fast wie ein Skalpell des Wahns. Das französische Original schließt mit "Jour de souffrance" (Tag des Leidens) nicht an den reißerischen Vorgängertitel an, was der deutsche Titel mit "Eifersucht" schwach versucht. Was also geschieht?
Catherine Millet findet Fotos einer Geliebten ihres Mannes, Notizen von ihm dazu, die dieser vielleicht nicht nur vor ihr nicht verborgen hat, sondern vielmehr bewusst herumliegen ließ. Referenzpunkt ist da Poes berühmte Geschichte "Der entwendete Brief", in der sich die Offensichtlichkeit zunächst als sicherstes Versteck erweist. Die fatale Entdeckung zwingt Millet in die Bahn eines zynischen Paradoxes: Sie wird die "Detektivin", heimliche Wühlerin, Flehende und Inquisitorin ihres Mannes. Furchtbar verletzt, stürzt sie in zwanghafte Phantasien von immer mehr jungen Frauen, die ihr Mann, mit dem sie seit dreißig Jahren zusammen ist, an ihr vertraute Orte mitgenommen hat. Sie wird zur "Höhlenforscherin", legt ein inneres Archiv der Grausamkeiten an. Ihre Körpergrenze, ihr Territorium überhaupt, ist aufs Äußerste bedroht; sie flüchtet in groteske Selbstbefriedigungsrituale.
Manchmal kommt sie sich vor, als spiele sie schäbigen Boulevard, wo der eine immer zur einen Tür hereinkommt, wenn der andere den Raum gerade durch die andere Tür verlässt; dann wieder überfällt sie schlimme Paranoia. So ist das, ließe sich resümieren, wenn Theorie und Praxis in der Katastrophe kollabieren. Aber Millet destilliert daraus die atemraubende Schilderung einer jahrelangen Tunnelfahrt durch ihre "Krise" (ein Begriff, über den sie sich eigentlich mokiert). Während die Sexualität ihrer Kontrolle unterstellt und ihr äußerlich war, ist die Eifersucht ihrem rationalen Bewusstsein entzogen, sie entspringt der dunklen Welt des Triebs. Und "Trieb" ist auch das zentrale Kapitel überschrieben. Es handelt vom vorübergehend grundstürzenden Verlust der Identität, aber es enthält zugleich die radikalsten reflektierenden Passagen, Überlegungen zur Kunst vor allem.
Die zwei Seiten einer Medaille also: Es ist durchaus plausibel, dass Millet das "Sexuelle Leben" geschrieben hat, ohne es mit dem Drama, dem Jahre später (das Buch erschien in Frankreich 2008) "Eifersucht" gewidmet ist, zu durchtränken. Es ist ihr schon zu glauben, dass sie diese Sphären trennen musste, auch wenn sie chronologisch ganz eng miteinander verwoben sind. Der blanke Sexus kann nicht neben der entblößten Seele stehen. Millet ist eine Moralistin. Nun ist ihr eine phänomenale Introspektion in die condition féminine am Ende der Illusion gelungen, rückhaltlos und analytisch, hysterisch bisweilen, also hellsichtig genug. Ohne jeden Revisinismus ist es implizit auch ein Nachruf ohne Sentimentalität und Reue auf die - wenn nicht verfehlte, dann doch fragwürdige - Existenz à la theorie. Weshalb die, nur anscheinend naheliegende, Frage obsolet ist, wie ausgerechnet Millet, die begabte Polygame, dazu kommen konnte, von der Eifersucht befallen zu werden.
Catherine Millet, die am 1. April zweiundsechzig Jahre alt wird, hat überhaupt nichts Neues erkannt. Was sie als masochistische, bis an die Grenze der Lust reichende Erfahrung beschreibt, ist doch die uralte Spruchweisheit: Eifersucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft. Das haben schon unsere Großmütter gewusst, ohne sich für dieses Märchenwissen Hundertschaften fremder Männer hingegeben zu haben. Aber so über ihre Eifersucht geschrieben wie Catherine Millet hat noch keine Frau bisher. Dazu gehört wirklich Mut. Und darin liegt auch die Größe ihres Buches.
Catherine Millet: "Eifersucht". Aus dem Französischen von Sigrid Vagt. Hanser Verlag, München 2010. 218 S., geb., 21,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die condition féminine am Ende der Illusion: Catherine Millets kühles und kühnes Geständnisbuch zeigt, was geschieht, wenn Theorie und Praxis in der Katastrophe kollabieren.
Von Rose-Maria Gropp
Es sind die zwei Seiten einer Medaille. Im Jahr 2001 hat die französische Kunsthistorikerin Catherine Millet einen Text veröffentlicht, der "Das sexuelle Leben der Catherine M." heißt. Als aller Tabus entkleidete Schilderung multipler Sexualitäten und hemmungsloser Praktiken einer Frau, die aus der Ich-Perspektive schreibt, ist das Buch bis heute einzigartig. Es ist keine Autobiographie, höchstens ein biographischer Auf- und Ausriss. Es ist keine Pornographie, weil seine kalte Sprache, die wie ein starker Scheinwerfer die körperlichen Gemengelagen an den Rändern der Stadt, der Gesellschaft, der guten Sitten ohnehin ausleuchtet, lüsterne Lektüre unterbindet. Sein langer Schreibstrom ist eine Zumutung. Dass es zum internationalen Bestseller wurde und angeblich Millionenauflagen erzielte, ist eines jener Missverständnisse, die eigentlich witzig sind.
Aber diese "Vie sexuelle" war ein wichtiges Buch. Dort exerziert eine scharfsinnige Frau im Alter von dreiundfünfzig Jahren - ein praktizierendes Mitglied der Pariser Intelligenzija und Herausgeberin, damals wie heute, des Magazins "Art Press" - die sprachliche Vivisektion des Sexus am eigenen Körper. Freilich war auch vor knapp einem Jahrzehnt klar erkennbar, wes Geistes Kind dieser Selbstversuch ist, welche bittere Ironie da waltet: Unternimmt Millet doch die extrem mögliche Probe auf das Exempel, welche Auswirkungen der unbedingte Wille zum Wissen haben konnte. Ihr Text bildet gewissermaßen die Klimax von Michel Foucaults - schon 2001 gut eine Generation alter - Erkenntnis ab, dass es der schärfste Irrtum sei, das Reden über Sexualität für eine Befreiung zu halten.
So viel (und noch viel mehr) Theorie kannte Millet natürlich, als sie ihr Skandalbuch schrieb. Deshalb ist "Das sexuelle Leben der Catherine M." auch keine Beichte, kein persönliches Geständnis, sondern eine kalkulierte, im Wortsinn Unverschämtheit. Mehr noch: Millet beharrt überdies darauf, dass sie sich ihre allfällige Orgien-Empirie in den siebziger und achtziger Jahren aus einer "verspielten" Haltung heraus erarbeitete. Sie gibt die Libertinage als ihr Bedürfnis aus und identifiziert sie im selben Zug als ein Spiel mit strengen Regeln. Im Abstand von zwei Jahrzehnten wollte sie sich partout als das Mädchen, das sich im zerrütteten kleinbürgerlichen Elternhaus auf die Position der traumversponnenen Onanistin zurückgezogen hatte, schildern, als die junge Frau aus der Provinz, der es gelang, ins Zentrum des promisken Geschehens vorzustoßen.
Im Vorwort zu "Das sexuelle Leben" steht die Absicht glasklar: "Mich erstaunen jene Menschen, die über die ,Distanz' staunen, mit der ich meinen Bericht geschrieben habe. Kann ein denkender Mensch mit sich selbst eine andere Beziehung haben, als sich im Spiegel zu sehen? Da es sich um Sex dreht, hätte man eher erwartet, dass sich mein Bewusstsein ausschaltet wie in Ekstase? Aber würde man nicht die Empathie des Lesers heraufbeschwören, indem man zugesteht, dass man unter solchen Umständen schreiben kann? Im Übrigen ging es bei diesem Projekt nur darum, eine singuläre Sexualität darzustellen, die Sexualität der Catherine M."
Genau hier setzt ihr neues Buch ein. Es ist ein großartiges Werk, viel stärker und wahrhaftiger als das vorige. Denn Millet radikalisiert in "Eifersucht" ihre Subjektivität bis zur Schmerzgrenze. Doch wäre es ein Irrtum anzunehmen, dass sie dabei ihre Distanz verringert. Ihre Sprache ist in der Beschreibung der terroristischen Emotion und deren Verheerungen womöglich noch klarer, fast wie ein Skalpell des Wahns. Das französische Original schließt mit "Jour de souffrance" (Tag des Leidens) nicht an den reißerischen Vorgängertitel an, was der deutsche Titel mit "Eifersucht" schwach versucht. Was also geschieht?
Catherine Millet findet Fotos einer Geliebten ihres Mannes, Notizen von ihm dazu, die dieser vielleicht nicht nur vor ihr nicht verborgen hat, sondern vielmehr bewusst herumliegen ließ. Referenzpunkt ist da Poes berühmte Geschichte "Der entwendete Brief", in der sich die Offensichtlichkeit zunächst als sicherstes Versteck erweist. Die fatale Entdeckung zwingt Millet in die Bahn eines zynischen Paradoxes: Sie wird die "Detektivin", heimliche Wühlerin, Flehende und Inquisitorin ihres Mannes. Furchtbar verletzt, stürzt sie in zwanghafte Phantasien von immer mehr jungen Frauen, die ihr Mann, mit dem sie seit dreißig Jahren zusammen ist, an ihr vertraute Orte mitgenommen hat. Sie wird zur "Höhlenforscherin", legt ein inneres Archiv der Grausamkeiten an. Ihre Körpergrenze, ihr Territorium überhaupt, ist aufs Äußerste bedroht; sie flüchtet in groteske Selbstbefriedigungsrituale.
Manchmal kommt sie sich vor, als spiele sie schäbigen Boulevard, wo der eine immer zur einen Tür hereinkommt, wenn der andere den Raum gerade durch die andere Tür verlässt; dann wieder überfällt sie schlimme Paranoia. So ist das, ließe sich resümieren, wenn Theorie und Praxis in der Katastrophe kollabieren. Aber Millet destilliert daraus die atemraubende Schilderung einer jahrelangen Tunnelfahrt durch ihre "Krise" (ein Begriff, über den sie sich eigentlich mokiert). Während die Sexualität ihrer Kontrolle unterstellt und ihr äußerlich war, ist die Eifersucht ihrem rationalen Bewusstsein entzogen, sie entspringt der dunklen Welt des Triebs. Und "Trieb" ist auch das zentrale Kapitel überschrieben. Es handelt vom vorübergehend grundstürzenden Verlust der Identität, aber es enthält zugleich die radikalsten reflektierenden Passagen, Überlegungen zur Kunst vor allem.
Die zwei Seiten einer Medaille also: Es ist durchaus plausibel, dass Millet das "Sexuelle Leben" geschrieben hat, ohne es mit dem Drama, dem Jahre später (das Buch erschien in Frankreich 2008) "Eifersucht" gewidmet ist, zu durchtränken. Es ist ihr schon zu glauben, dass sie diese Sphären trennen musste, auch wenn sie chronologisch ganz eng miteinander verwoben sind. Der blanke Sexus kann nicht neben der entblößten Seele stehen. Millet ist eine Moralistin. Nun ist ihr eine phänomenale Introspektion in die condition féminine am Ende der Illusion gelungen, rückhaltlos und analytisch, hysterisch bisweilen, also hellsichtig genug. Ohne jeden Revisinismus ist es implizit auch ein Nachruf ohne Sentimentalität und Reue auf die - wenn nicht verfehlte, dann doch fragwürdige - Existenz à la theorie. Weshalb die, nur anscheinend naheliegende, Frage obsolet ist, wie ausgerechnet Millet, die begabte Polygame, dazu kommen konnte, von der Eifersucht befallen zu werden.
Catherine Millet, die am 1. April zweiundsechzig Jahre alt wird, hat überhaupt nichts Neues erkannt. Was sie als masochistische, bis an die Grenze der Lust reichende Erfahrung beschreibt, ist doch die uralte Spruchweisheit: Eifersucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft. Das haben schon unsere Großmütter gewusst, ohne sich für dieses Märchenwissen Hundertschaften fremder Männer hingegeben zu haben. Aber so über ihre Eifersucht geschrieben wie Catherine Millet hat noch keine Frau bisher. Dazu gehört wirklich Mut. Und darin liegt auch die Größe ihres Buches.
Catherine Millet: "Eifersucht". Aus dem Französischen von Sigrid Vagt. Hanser Verlag, München 2010. 218 S., geb., 21,50 [Euro].
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