Lion Feuchtwangers Leben ist ein einzigartiges Spiegelbild der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Als Erfolgsautor aus der Heimat vertrieben, war er einer von wenigen auch im Exil bedeutenden und anerkannten Schriftstellern. Gesellschaftlich verkehrte er mit Künstlern und Politikern und frönte im Privaten der Abenteuer- und Lebenslust. Seine Tagebücher der Jahre 1906 bis 1940 wurden Anfang der 1990er-Jahre in der Wohnung seiner Sekretärin entdeckt. Erst jetzt sind sie vollständig erschlossen und bieten faszinierende Einblicke in das Leben einer beeindruckenden Persönlichkeit und eines Schriftstellers von Weltrang.Lesung mit Jens Wawrczeck4 CDs ca. 5 h 12 min
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.01.2019Wenn es strindbergelt, droht Beziehungsdrama
Wie ein pointilistisches Gemälde: Lion Feuchtwangers Tagebücher erscheinen erstmals als Leseausgabe
Die "Frankfurter Zeitung" war lange seine größte Hoffnung. Seinen Aufsatz über Shylock, Shakespeares Judenfigur, auf den deutschen Bühnen nahm sie nicht nur zügig an und druckte ihn bereits nach gut vier Wochen; sie wies zwei Tage später sogar noch einmal "sehr anerkennend" und ausdrücklich auf diese "ausgezeichnete" Studie hin: "sehr zufriedenstellend", wie der Münchner Autor, fünfundzwanzigjährig und voll heißer Ambition, sich einen Platz im literarischen Establishment zu schaffen, festhält. Weniger zufrieden ist er mit der Honorierung seiner Arbeit durch die Zeitung: "Höchste Geldnot!", liest man einige Zeit später. "Das Honorar von der F.Z., das ich schrecklich nötig brauche, kommt nicht." Zu dieser Notlage trägt allerdings der Umstand bei, dass der aufstrebende Jungautor trotz bester Vorsätze, wie ebenfalls im Tagebuch notiert ("festen Entschluss, keine Karte mehr zu berühren"), seiner Spielsucht nicht entkommt. Dagegen kommen Zahlungen selbst der renommiertesten Zeitung nicht an.
So sind die frühen Jahre seiner regen Auftrags- und Gelegenheitsschriftstellerei - neben Theaterstücken, die mit einigem Erfolg gespielt werden, entstehen viele Feuilletons und Rezensionen - lang und entbehrungsreich, nicht zuletzt weil er die Einkünfte oft schnell wieder verspielt. Auch die Romanfassung "Jud Süß", zu der er sein Bühnenskript erweitert hat, bringt zunächst keine Besserung, da in den frühen zwanziger Jahren kein Verlag ein derart heißes Thema bringen will. Als der Roman 1925 doch erscheint, braucht es erst die internationale Anerkennung durch die englische Ausgabe, um ihn endlich auch in Deutschland durchzusetzen. Fast über Nacht wird Lion Feuchtwanger (1884 bis 1958) zu einem der erfolgreichsten, produktivsten und meistgelesenen deutschen Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts. Zwanzig Jahre nach dem Warten auf das Zeitungshonorar kann er daher notieren: "Ich genieße viel Respekt."
Fünfzehn Romane, mehr als ein Dutzend Schauspiele, dazu viele Erzählungen und Reportagen sowie unzählige Rezensionen, Kritiken und Berichte hat er in rastloser Schreibarbeit verfasst und sich damit - neben Millionen Lesern in rund zwanzig Sprachen - Respekt und Freundschaft so unterschiedlicher Kollegen wie Bertolt Brecht und Thomas Mann, mit denen er zeitweise das Exil in Südfrankreich sowie Kalifornien teilte, verschafft. Nun muss der Kanon seiner Werke um ein weiteres ergänzt werden, das nie zur Veröffentlichung bestimmt war und sechzig Jahre nach Feuchtwangers Tod jetzt erstmals in einer bestens präsentierten Leseausgabe vorliegt: die Tagebücher, in denen er fast täglich Begegnungen und Vorkommnisse festhielt.
Anfang der neunziger Jahre waren sie ein Zufalls- und ein Sensationsfund: die schlichten schwarzen Hefte, eng beschrieben, die sich im Nachlass von Feuchtwangers letzter Sekretärin fanden. Auf öffentliche Nachfrage hatte der Autor 1931 ausdrücklich bestritten, dass er Tagebuch führe, und sich mit einigem Spott über die Akte von Selbststilisierung und Wunschprojektion ausgelassen, zu denen dieses Genre üblicherweise verführe. Seine eigene Praxis darin hielt er denn auch strikt geheim: Er verwendete Kurzschrift, und er verbarg die erhaltenen Hefte mutmaßlich bei der Sekretärin, um in der McCarthy-Ära als staatenloser linker Sympathisant, der sich sein Zuhause in Pacific Palisades geschaffen hatte, nichts Kompromittierendes zu bieten. Was also bieten sie uns, wenn wir sie jetzt Jahrzehnte später lesen?
Erstaunlich viel und Faszinierendes, gerade weil sie fast durchweg in äußerst dürren Worten daherkommen: "Bei herrlichem Wetter nach Cannes gefahren. Marta sehr nett. Eva an der Bahn. Erst beiderseitig ein bißchen Befangenheit. Dann spazierengegangen. Besonders nett zu Abend gegessen. Furchtbar gevögelt. Großartig." So lautet der Eintrag vom 25. April 1937. Knochentrocken und lakonisch hält er noch die größten Erschütterungen, die man vielleicht erahnen mag, ganz unbeeindruckt fest, als habe Feuchtwanger seine eigentlich barocke Wortgewalt, von der seine Erzählwerke so reichlich zeugen, für Wichtigeres aufgehoben. In den Tagebüchern findet sich dagegen, wie Klaus Modick im Vorwort schreibt, "nicht das leiseste Zwinkern in Richtung Nachwelt". So lesen wir wie über des Autors Schulter, was er sich allein mitzuteilen hat.
Dazu verwendet er zum Teil ganz eigenes Vokabular: das Verb "strindbergeln" beispielsweise, das sich regelmäßig in Verbindung mit seiner Ehefrau findet: "Marta strindbergelt leicht", heißt es da, oder "strindbergelt furchtbar" oder auch "kleine Strindbergiade beiderseits". Tatsächlich nehmen die Beziehungsdramen - neben seiner Frau war Feuchtwanger jahrzehntelang mit mindestens zwei Geliebten und zahllosen wechselnden Gelegenheitsdamen verbunden - bemerkenswert großen Raum ein und drängen das politische Geschehen in den Hintergrund. Erst zwei Monate vor dem Cannes-Ausflug war er in Moskau, wo auch Stalin ihn empfangen hat. Hitler steht auf dem Zenit seiner Macht, die Welt vor dem Krieg. Der Exilant jedoch notiert, mit wem er essen und ins Bett geht. Noch die größten Lebensumwälzungen werden derart knapp protokolliert, dass es uns den Atem nimmt: "Eine neue Schreibmaschine gekauft. Neues Leben" steht am 24. März 1933, dem Beginn seines Exils. Feuchtwanger war von der Amerika-Reise vorsorglich nicht mehr nach Deutschland zurückgekehrt. Sechs Wochen später wurden dort seine Bücher verbrannt.
Selbstreflexionen oder Schilderungen finden sich nur ganz vereinzelt. Den größten Raum in den hier nachlesbaren Einträgen (erhalten sind die Aufzeichnungen 1906 bis 1921 und 1931 bis 1940, von deren Umfang rund die Hälfte präsentiert wird) nehmen persönliche Begegnungen ein, private ebenso wie literarische, sexuelle ebenso wie professionelle. So gut wie alle davon bleiben knapp und pointiert ("der widerliche Arnold Zweig", "Ein junger Mensch bringt ein ausgezeichnetes Stück. Bert Brecht", "zu einer Hure. Billig und ganz nett", "mit einem Kölner Kaufmann zusammen, einem fixen, gutmütigen Kerl, Antisemit") und lassen sich oft nur durch Hilfestellung der Herausgeber (allein ihr Personenverzeichnis erstreckt sich über 75 Seiten) überhaupt erschließen.
Wie ein pointilistisches Gemälde aber setzen diese vielen kleinen Punkte sich zu einem großen Panorama von wahrhaft weltgeschichtlichem Ausmaß zusammen. Wo immer man beginnt, man liest sich fest und liest am liebsten sogleich weiter in den Feuchtwanger-Romanen, die man viel zu lange nicht gelesen hat.
TOBIAS DÖRING.
Lion Feuchtwanger: "Ein möglichst intensives Leben". Die Tagebücher.
Herausgegeben von Nele Holdack, Marje Schuetze-Coburn und Michaela Ullmann unter Mitarbeit von Anne Hartmann und Klaus-Peter Möller. Vorwort von Klaus Modick. Aufbau Verlag, Berlin 2018. 639 S., geb., 26,- [Euro].
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Wie ein pointilistisches Gemälde: Lion Feuchtwangers Tagebücher erscheinen erstmals als Leseausgabe
Die "Frankfurter Zeitung" war lange seine größte Hoffnung. Seinen Aufsatz über Shylock, Shakespeares Judenfigur, auf den deutschen Bühnen nahm sie nicht nur zügig an und druckte ihn bereits nach gut vier Wochen; sie wies zwei Tage später sogar noch einmal "sehr anerkennend" und ausdrücklich auf diese "ausgezeichnete" Studie hin: "sehr zufriedenstellend", wie der Münchner Autor, fünfundzwanzigjährig und voll heißer Ambition, sich einen Platz im literarischen Establishment zu schaffen, festhält. Weniger zufrieden ist er mit der Honorierung seiner Arbeit durch die Zeitung: "Höchste Geldnot!", liest man einige Zeit später. "Das Honorar von der F.Z., das ich schrecklich nötig brauche, kommt nicht." Zu dieser Notlage trägt allerdings der Umstand bei, dass der aufstrebende Jungautor trotz bester Vorsätze, wie ebenfalls im Tagebuch notiert ("festen Entschluss, keine Karte mehr zu berühren"), seiner Spielsucht nicht entkommt. Dagegen kommen Zahlungen selbst der renommiertesten Zeitung nicht an.
So sind die frühen Jahre seiner regen Auftrags- und Gelegenheitsschriftstellerei - neben Theaterstücken, die mit einigem Erfolg gespielt werden, entstehen viele Feuilletons und Rezensionen - lang und entbehrungsreich, nicht zuletzt weil er die Einkünfte oft schnell wieder verspielt. Auch die Romanfassung "Jud Süß", zu der er sein Bühnenskript erweitert hat, bringt zunächst keine Besserung, da in den frühen zwanziger Jahren kein Verlag ein derart heißes Thema bringen will. Als der Roman 1925 doch erscheint, braucht es erst die internationale Anerkennung durch die englische Ausgabe, um ihn endlich auch in Deutschland durchzusetzen. Fast über Nacht wird Lion Feuchtwanger (1884 bis 1958) zu einem der erfolgreichsten, produktivsten und meistgelesenen deutschen Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts. Zwanzig Jahre nach dem Warten auf das Zeitungshonorar kann er daher notieren: "Ich genieße viel Respekt."
Fünfzehn Romane, mehr als ein Dutzend Schauspiele, dazu viele Erzählungen und Reportagen sowie unzählige Rezensionen, Kritiken und Berichte hat er in rastloser Schreibarbeit verfasst und sich damit - neben Millionen Lesern in rund zwanzig Sprachen - Respekt und Freundschaft so unterschiedlicher Kollegen wie Bertolt Brecht und Thomas Mann, mit denen er zeitweise das Exil in Südfrankreich sowie Kalifornien teilte, verschafft. Nun muss der Kanon seiner Werke um ein weiteres ergänzt werden, das nie zur Veröffentlichung bestimmt war und sechzig Jahre nach Feuchtwangers Tod jetzt erstmals in einer bestens präsentierten Leseausgabe vorliegt: die Tagebücher, in denen er fast täglich Begegnungen und Vorkommnisse festhielt.
Anfang der neunziger Jahre waren sie ein Zufalls- und ein Sensationsfund: die schlichten schwarzen Hefte, eng beschrieben, die sich im Nachlass von Feuchtwangers letzter Sekretärin fanden. Auf öffentliche Nachfrage hatte der Autor 1931 ausdrücklich bestritten, dass er Tagebuch führe, und sich mit einigem Spott über die Akte von Selbststilisierung und Wunschprojektion ausgelassen, zu denen dieses Genre üblicherweise verführe. Seine eigene Praxis darin hielt er denn auch strikt geheim: Er verwendete Kurzschrift, und er verbarg die erhaltenen Hefte mutmaßlich bei der Sekretärin, um in der McCarthy-Ära als staatenloser linker Sympathisant, der sich sein Zuhause in Pacific Palisades geschaffen hatte, nichts Kompromittierendes zu bieten. Was also bieten sie uns, wenn wir sie jetzt Jahrzehnte später lesen?
Erstaunlich viel und Faszinierendes, gerade weil sie fast durchweg in äußerst dürren Worten daherkommen: "Bei herrlichem Wetter nach Cannes gefahren. Marta sehr nett. Eva an der Bahn. Erst beiderseitig ein bißchen Befangenheit. Dann spazierengegangen. Besonders nett zu Abend gegessen. Furchtbar gevögelt. Großartig." So lautet der Eintrag vom 25. April 1937. Knochentrocken und lakonisch hält er noch die größten Erschütterungen, die man vielleicht erahnen mag, ganz unbeeindruckt fest, als habe Feuchtwanger seine eigentlich barocke Wortgewalt, von der seine Erzählwerke so reichlich zeugen, für Wichtigeres aufgehoben. In den Tagebüchern findet sich dagegen, wie Klaus Modick im Vorwort schreibt, "nicht das leiseste Zwinkern in Richtung Nachwelt". So lesen wir wie über des Autors Schulter, was er sich allein mitzuteilen hat.
Dazu verwendet er zum Teil ganz eigenes Vokabular: das Verb "strindbergeln" beispielsweise, das sich regelmäßig in Verbindung mit seiner Ehefrau findet: "Marta strindbergelt leicht", heißt es da, oder "strindbergelt furchtbar" oder auch "kleine Strindbergiade beiderseits". Tatsächlich nehmen die Beziehungsdramen - neben seiner Frau war Feuchtwanger jahrzehntelang mit mindestens zwei Geliebten und zahllosen wechselnden Gelegenheitsdamen verbunden - bemerkenswert großen Raum ein und drängen das politische Geschehen in den Hintergrund. Erst zwei Monate vor dem Cannes-Ausflug war er in Moskau, wo auch Stalin ihn empfangen hat. Hitler steht auf dem Zenit seiner Macht, die Welt vor dem Krieg. Der Exilant jedoch notiert, mit wem er essen und ins Bett geht. Noch die größten Lebensumwälzungen werden derart knapp protokolliert, dass es uns den Atem nimmt: "Eine neue Schreibmaschine gekauft. Neues Leben" steht am 24. März 1933, dem Beginn seines Exils. Feuchtwanger war von der Amerika-Reise vorsorglich nicht mehr nach Deutschland zurückgekehrt. Sechs Wochen später wurden dort seine Bücher verbrannt.
Selbstreflexionen oder Schilderungen finden sich nur ganz vereinzelt. Den größten Raum in den hier nachlesbaren Einträgen (erhalten sind die Aufzeichnungen 1906 bis 1921 und 1931 bis 1940, von deren Umfang rund die Hälfte präsentiert wird) nehmen persönliche Begegnungen ein, private ebenso wie literarische, sexuelle ebenso wie professionelle. So gut wie alle davon bleiben knapp und pointiert ("der widerliche Arnold Zweig", "Ein junger Mensch bringt ein ausgezeichnetes Stück. Bert Brecht", "zu einer Hure. Billig und ganz nett", "mit einem Kölner Kaufmann zusammen, einem fixen, gutmütigen Kerl, Antisemit") und lassen sich oft nur durch Hilfestellung der Herausgeber (allein ihr Personenverzeichnis erstreckt sich über 75 Seiten) überhaupt erschließen.
Wie ein pointilistisches Gemälde aber setzen diese vielen kleinen Punkte sich zu einem großen Panorama von wahrhaft weltgeschichtlichem Ausmaß zusammen. Wo immer man beginnt, man liest sich fest und liest am liebsten sogleich weiter in den Feuchtwanger-Romanen, die man viel zu lange nicht gelesen hat.
TOBIAS DÖRING.
Lion Feuchtwanger: "Ein möglichst intensives Leben". Die Tagebücher.
Herausgegeben von Nele Holdack, Marje Schuetze-Coburn und Michaela Ullmann unter Mitarbeit von Anne Hartmann und Klaus-Peter Möller. Vorwort von Klaus Modick. Aufbau Verlag, Berlin 2018. 639 S., geb., 26,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Mein Ziel also sehe ich darin, ein möglichst intensives Leben zu führen... Der negative Pol dieser Intensität ist der Tod, der positive die Liebe.« Lion Feuchtwanger