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Alles an Edward Feathers ist ohne Fehl und Tadel - seine Garderobe, seine Manieren und sein Ruf als glänzender Anwalt. Nun ist er alt und muss mit dem Tod seiner Frau Betty zurechtkommen, so wie er immer mit allem zurechtgekommen ist. Nie hat er darüber gesprochen, wie es war, als Vierjähriger aus einer glücklichen Kindheit in Malaysia gerissen und zu einer hartherzigen Pflegemutter nach Wales verschickt zu werden. Seine perfekte Haltung täuscht alle und manchmal sogar ihn selbst. Doch mit Bettys Tod bricht etwas in ihm auf. Und so setzt er sich an einem Wintermorgen ans Steuer seines Wagens…mehr

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Produktbeschreibung
Alles an Edward Feathers ist ohne Fehl und Tadel - seine Garderobe, seine Manieren und sein Ruf als glänzender Anwalt. Nun ist er alt und muss mit dem Tod seiner Frau Betty zurechtkommen, so wie er immer mit allem zurechtgekommen ist. Nie hat er darüber gesprochen, wie es war, als Vierjähriger aus einer glücklichen Kindheit in Malaysia gerissen und zu einer hartherzigen Pflegemutter nach Wales verschickt zu werden. Seine perfekte Haltung täuscht alle und manchmal sogar ihn selbst. Doch mit Bettys Tod bricht etwas in ihm auf. Und so setzt er sich an einem Wintermorgen ans Steuer seines Wagens und fährt los, das eigene Leben zu erkunden.

Die Geschichte um Edward Feathers und das British Empire wird in Band zwei Eine treue Frau aus der Sicht seiner Ehefrau Betty erzählt.
Autorenporträt
Jane Gardam, geboren 1928 in North Yorkshire, schrieb ihr erstes Buch, »A Long Way from Verona«, im Alter von vierzig Jahren und gewann damit den Phoenix Award. Als einzige Schriftstellerin wurde sie zweimal mit dem Whitbread/Costa Prize ausgezeichnet. Mit »God on the Rocks« war sie 1978 für den Booker Prize nominiert, mit »Old Filth« stand sie auf der Shortlist des Orange Prize, und mit »Last Friends« auf der Shortlist des Folio Prize 2013. Sie ist Mitglied der Royal Society of Literature und lebt in East Kent.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.07.2016

Sonnenseiten
dieses
Lesesommers
Für alle, die noch nicht wissen, welches
Buch sie in den Urlaub mitnehmen sollen –
hier die Empfehlungen der SZ-Redaktion
für Strandtasche, Rucksack und Reisekoffer.
21 Antworten auf die Frage:
Was soll ich lesen?
Die Botschaft des
Wächters
Als junger Anwalt verteidigt er einen Schwarzen, der wegen Vergewaltigung angeklagt ist, und zieht damit Wut, Spott und Verachtung der ganzen Stadt auf sich. Nur seine Tochter „Scout“ bewundert ihn für seinen Mut. Doch als sie zwanzig Jahre später von New York in ihre Heimat nach Alabama zurückkehrt, entdeckt sie in ihrem Vater Atticus Finch plötzlich einen kleinkarierten, verbissenen Rassisten. Wer nach den tödlichen Schüssen von Falcon Heights, Baton Rouge und Dallas versucht, den Rassenhass in den Vereinigten Staaten aus der Geschichte des Landes heraus zu verstehen, liest unruhig und fasziniert „Gehe hin, stelle einen Wächter“. Das Buch, das fast fünfzig Jahre lang verschollen war und erst 2014 wiederentdeckt wurde, erzählt vom alltäglichen Rassismus in den Südstaaten der Fünfzigerjahre und knüpft an Harper Lees Welterfolg „Wer die Nachtigall stört“ von 1960 an, der lange für ihr einziges Werk gehalten wurde. Verstörend, witzig, ernst, kurzweilig – alles auf einmal ist dieser Roman. Wunderbar, dass das „Wächter“-Manuskript kurz vor Harper Lees Tod in diesem Frühjahr noch gefunden wurde.
 WOLFGANG KRACH
Vom Dandy zum
Kriegsgegner
Dieses Buch ist hundert Jahren alt und doch zum Fürchten aktuell. Es ist
leidenschaftlich, es ist humorvoll, es ist zum Verzweifeln; es ist menschlich. Der junge katalanische Journalist Agusti Calvet (1887 – 1964), er nennt sich Gaziel, reist im Auftrag seiner Zeitung in den Krieg, nach Griechenland und weiter nach Serbien; er reist durch das zerfallende Osteuropa. Er berichtet dabei genau von den Gespenstern, die heute wieder wach geworden sind. Sein Tagebuch erzählt vom Wahn, „die Erde als parzellierte Landkarte zu betrachten und in jedes Feld stolze oder einfach nur wohlklingende Namensschilder zu stecken“. Es berichtet von den Flüchtlingen auf der Balkanroute des Jahres 1915: „Nichts hat mich so erschüttert wie diese Scharen von Bauern, halbnackt, in Lumpen
gekleidet, die aus ihrer Heimat gejagt wurden wie menschlicher Abfall“.
Gaziel, der ein koketter Dandy war und auf dieser Reise ein klarsichtiger Kriegsgegner wurde, schildert eine Welt vor dem Untergang. Sein Buch „Nach Saloniki und Serbien“ ist nun erstmals auf Deutsch erschienen. Statt neuer Badelatschen kaufe man sich dieses Buch. HERIBERT PRANTL
Eisblumen
der Liebe
Im Sommer ein Buch über Franz Schuberts „Winterreise“ zu lesen, ist gar nicht abkühlend, denn in diesem Zyklus von 24 Liedern geht es schließlich um die Liebe eines Zurückgewiesenen. Er wandert fort, durch schneeknirschende Landschaften, schreit seine Gefühle hinaus und wispert sie in sich hinein. Selbst wer Wilhelm Müllers von Schubert vertonte Gedichte auswendig kann, wird sie ganz neu hören und sprechen, wenn er Ian Bostridges Buch gelesen hat. Bostridge ist Historiker, aber auch ein großer Liedsänger, weshalb er nicht nur Schuberts Welt und Zeit beleuchten und die Deutungslinien bis in die Gegenwart ziehen kann, er tänzelt auch zwischen Malerei, Literatur, Musik und den Naturwissenschaften so leichtfüßig hin und her, dass es eine Wonne ist. RENATE MEINHOF
Der Tod
steht ihr gut
Ein Buch über den Tod – nein, kein Krimi – als Sommerlektüre? Jawoll, geht. Denn mit Leichen kann man viel erleben. Und lernen kann man von ihnen noch mehr. Die Autorin dieser „Lektionen aus dem Krematorium“, Caitlin Doughty, ist erst 23 – jung, schön und gebildet. Dass sie zudem über warmherzigen Witz verfügt, kann man auch auf ihrem Youtube-Kanal sehen: „Ask A Mortician“ hatte in den USA schon Kultstatus, bevor sie ihre Erfahrungen als Einäscherungsgehilfin niederschrieb. Ihr Buch ist klug und unterhaltsam wie eine gute Tragikomödie. Keiner muss Angst haben, in diese Seiten des Lebens einzutauchen. 
SUSANNE HERMANSKI
Die große Stadt
als Schicksal
In einer Zeitung findet George Baldwin die Meldung, dass es am Bahnübergang Eleventh Avenue wieder einen Unfall gegeben habe, ein Milchkutscher wurde verletzt. Daraus ließe sich doch, denkt der junge Anwalt, dem es an Mandanten fehlt, „eine hübsche kleine Schadenersatzklage“ machen. Er findet die Familie des Kutschers McNiel, beginnt eine Affäre mit dessen Frau, erstreitet eine stolze Entschädigungssumme. Der Milchmann steigt auf, wird Gewerkschaftsführer, der Anwalt hat Erfolg und findet doch nirgends richtig Halt. Dies sind nur zwei von vielen Lebensläufen, die John Dos Passos in seinem New-York-Panorama erzählt und durcheinanderwirbelt. „Manhattan Transfer“ erschien 1925 und machte den Autor sofort berühmt. Die Fülle der Schauplätze, Charaktere, Perspektiven, die Technik der Montage, das Spiel mit Tonfällen, der Appell an den Voyeurismus des Lesers – alles dient der Schilderung der großen Stadt zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Sie ist das Schicksal und gleichgültig gegenüber den Schicksalen ihrer Bewohner. Dirk van Gunsteren hat „Manhattan Transfer“ neu übersetzt: eine Einladung, sich lustvoll zu verlieren, in der Stadt und im Roman. 
JENS BISKY
Die feinen
Unterschiede
Ein Vater stirbt. Ein Sohn macht sich auf die Suche. Was nach einem Roman- oder Filmanfang klingt, ist der autobiografische Kern eines unglaublich spannenden und bestürzend aktuellen soziopolitologischen Sachbuchs: Didier Eribon, kosmopolitischer, schwuler Pariser
Soziologe, hatte mit seiner homophoben Familie radikal gebrochen. Mit über fünfzig kehrt er erstmals in seine Heimatstadt Reims zurück, sucht, mit der Mutter das Fotoalbum durchgehend, nach Spuren seiner proletarischen Kindheit. Eine Studie über Herkunftsverleugnung, sexuelle und soziale Scham und die alles entscheidenden feinen Unterschiede in der französischen Elite. Ein autobiografischer Text, der sehr diskret und nie narzisstisch ist. Vor allem aber findet Eribon, als er sich in Reims umsieht, eine politisch verwüstete Landschaft vor: Die einfachen Arbeiter, die früher im Kollektiv links gewählt haben, sind nun, jeder für sich, zum Front National gewechselt. Aus „Notwehr“, wie
Eribon konstatiert: Die unteren Schichten versuchen so, ihre Lebensdemütigungen zu kompensieren. Beunruhigend und aufschlussreich in Zeiten von Brexit und Populismus. ALEX RÜHLE
Mit einem Fauchen
im Herzen
Elf Jahre nach ihrem Tod 2004 wurde sie – nein, nicht wiederentdeckt, dazu war sie zu unbekannt, sondern überhaupt erst entdeckt als die wohl beste amerikanische Erzählerin ihrer Generation. Eine Auswahl der rund achtzig Shortstorys, die Lucia Berlin geschrieben hat, erschien 2015 in den USA und wurde zum Bestseller. Antje Rávic Strubel hat den Band nun ins Deutsche übersetzt. Es sind harte, lakonische Geschichten aus den Eingeweiden Amerikas, literarische Polaroids von Frauen, die nah am Abgrund balancieren und sich umso fester ans Leben krallen: mit grimmigem Humor und „einem heftigen Fauchen im Herzen“. Große Absturz-
Literatur! CHRISTOPHER SCHMIDT
Kein Ende
ohne Anfang
Die Britin Jane Gardam ist fast 90 Jahre alt, sie hat bereits 25 Bücher geschrieben, doch rätselhafterweise erschien erst im vergangenen Jahr „Ein untadeliger Mann“ auf Deutsch. Es erzählt die Lebensgeschichte eines Anwalts, der London verlässt, um in Hongkong Karriere zu machen – von seiner Jugend, Karriere und Liebe. All das wird vom Ende her betrachtet, man lernt „Old Filth“ (F.i.l.t.h. für „Failed in London try Hongkong“) als alten, schrulligen, also sehr klassischen Briten kennen. Sein Leben ist fast vollendet, und Old Filth blickt zurück, während er sich die letzten Meter vorwärts bewegt. Seine Frau ist gestorben, wird aber in seinen Erinnerungen lebendig. Ihre gleichzeitige An- und Abwesenheit ist ein Hauptmotiv des Romans. Von den ersten Zeilen an schwingt Bedauern mit, das von Seite zu Seite mehr ans Herz geht
– und doch nie in den Kitsch rutscht. Aber die ganz große Erzählkunst entfaltet sich in der Verschränkung von gestern und heute, darin, wie Jane Gardam im perfekten Rhythmus die Handlungsebenen wechselt. Und so melancholisch das Buch beginnt, so tröstlich endet es, auch wenn alles auf das Unvermeidliche hinläuft.
 DAVID PFEIFER
Im Vorzimmer
der BRD
Irma Nelles lernte Rudolf Augstein im Jahr 1973 kennen, sie hatte gerade als Sekretärin im Bonner Büro des Spiegel angefangen. Nelles ist eine junge Frau, seit ein paar Jahren verheiratet, Mutter von zwei Kindern und reichlich gelangweilt von ihrem Lebensentwurf. Zwischen Augstein, dem Herausgeber des berühmten Hamburger Nachrichtenmagazins, und der Sekretärin Nelles entwickelt sich in den folgenden Jahren eine Freundschaft, die einem oft sehr wunderlich erscheint. Viele Jahre später wird sie seine Büroleiterin – und beschreibt in ihrem Buch auf wunderbar sensationslose Weise einen der mächtigsten deutschen Journalisten. KATHARINA RIEHL
Warum es besser ist,
ein Offizier zu sein
Krieg ist furchtbar, mörderisch, absurd. Krieg kann aber auch komisch sein,
zumindest in der Literatur. Evelyn Waugh, geboren 1903 in London, im Juni 1966, also vor fünfzig Jahren, gestorben, war ein garstiger englischer Oberklasse-Intellektueller mit der Gabe, alles zu verspotten, auch sich selbst. Der Diogenes-Verlag legt seine Bücher neu auf, darunter das bewundernswerte „Ohne Furcht und Tadel“, ein dicker, enorm lesenswerter, nachgerade kurzweiliger Wälzer aus drei Teilen (erstmals erschienen in den Jahren 1952, 1955 und 1961). Es ist der autobiografisch unterfütterte Roman über die Kriegsjahre des Guy Crouchback, der dem Empire zwischen 1940 und 1945 unter anderem auf Kreta, in Ägypten und in Jugoslawien dient. Das Empire wiederum tritt Crouchback in Form heldenhafter oder grotesker, feiger oder überbürokratisierter Kameraden entgegen, die ihm das Leben meistens schwerer machen als die Deutschen. Man lernt in dieser Trilogie unter anderem, wie man nicht lieben sollte, warum es besser ist, ein Offizier zu sein, und wie man den Krieg gewinnt, obwohl das
Leben entweder langweilig oder gefährlich ist. KURT KISTER
Kraft der
Knappheit
Ein 16-Jähriger, der sich auf den Weg macht, nur weg von der Brutalität des Vaters und den Schrecken der Schule.
Ein alter Mann, der nach dem Tod der Tochter sein bürgerliches Leben hinter sich gelassen hat und als Penner in einem Bahnwagen vegetiert. Ein Mädchen, das nachts bei McDonald’s putzt, um seinem reichen Elternhaus zu entkommen. Sie alle treffen sich in einem kleinen Kaff in Australien, und sie werden sich gemeinsam aus Einsamkeit, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit retten. Trotz des berührenden Happy Ends schließt die Knappheit der lyrischen Sprache Steven Herricks jede Sentimentalität aus.
ROSWITHA BUDEUS-BUDDE
Manneskraft aus
der Savanne
Ein halbes Jahr war der junge Biologe Léo Grasset 2013 in der Savanne, im Hwange-Nationalpark in Simbabwe; von den Erfahrungen und Erkenntnissen dort erzählt er in „Giraffentheater“. Es ist eine fröhliche, gleichwohl dreckige Wissenschaft, die gern von der unerwarteten Seite her ihren Anlauf nimmt. „Der Honigdachs ist bekannt dafür, dass er, wenn er große Tiere angreift, vor allem auf deren Hoden losgeht.“ Aber auch: „Es heißt, er könne die Bedürftigen heilen: Ein Blick auf einen Honigdachs genüge, um wieder zu Stärke und Manneskraft zu finden.“ „Dirty Biology“ heißt Grassets Blog im Internet, irgendwie dreckig, trickreich, fies. FRITZ GÖTTLER
Fallen für Ratten,
Wölfe, Träume
Es gibt jede Menge unvergessliche Gestalten, den anarchischen Mo zum Beispiel, der noch jedes Eiapopeia-Menschenrechtsmeeting unterwandert, stiehlt, lügt und mit schlechten Antikriegsbildern dealt. Oder den Fallensteller aus der Titelgeschichte, der Fallen für alles hat, für Ratten, für Wölfe, auch für Träume. Oder aber auch den Laien-Zauberer aus dem Sägewerk, der mit stiller Entschlossenheit vor einem gnadenlos abgelenkten Publikum sein Zauberdebüt gibt. Aber wer auch nur ein bisschen Sympathie für unsere Freunde aus dem Osten hat, der wird den Russen in sein Herz schließen, einen mäßig guten Billardspieler, die Zähne gebleicht, Lyrik auf den Lippen, ein Vieh, ein Zar, „der seine Schwächen nicht versteckt, wie miese Herrscher es tun.“ Der Russe gewinnt die Billardpartie, mit Glück, ist eben ein Spieler, wie alle Figuren in Saša Stanišićs Erzählungsband „Fallensteller“. Stanišić, der 1992 aus den Resten Jugoslawiens nach Deutschland kam, hat Geschichten mit doppeltem Boden geschrieben, glitzernd wie der Schnee in der Uckermark. Sein größter Trick aber ist: eine unbändige Lust auf diese sensationelle Nummernrevue, die Leben heißt.
 SONJA ZEKRI
Gestochen
scharfer Nebel
Ein Bettler spricht einen russischen
Exilanten in einem Pariser Park an,
irgendwann in den Zwanzigerjahren. Der Bettler bekommt zehn Francs, verneigt sich und geht davon, und dem Exilanten bleibt die Szene im Gedächtnis: „Die Aprilsonne neigte sich schon, und meine Phantasie – wie eine schlechte Uhr ging sie ein paar Minuten vor – ließ entlang des Gitters am Jardin du Luxembourg jenes Dämmerlicht aufkommen, das ein wenig später anbrechen sollte und zu der Zeit noch gar nicht angebrochen war.“ Mit großer Präzision wandelt in solchen Sätzen ein Erzähler zwischen dem, was ist, und dem, was sein könnte – aber nicht ist. Er ist ein Meister im Entwerfen von sprachlich genau erfassten, aber dann wie in Nebelgebilden verschwimmenden Beobachtungen, und so wie dieser Satz ist schließlich die ganze
Geschichte: Gaito Gasdanows erstmals 1947 publizierter Roman „Die Rückkehr des Buddha“ ist – wiederentdeckt wie das ganze Werk des russischen Exilautors, der mit „Das Phantom des Alexander Wolf“ (1948) berühmt wurde – eine Art Kriminalgeschichte, deren eigentliches Geheimnis in der Sprache verborgen ist. THOMAS STEINFELD
Mit Diana von
Oxford nach Athen
Irgendwer schlägt vor, einen Abstecher zum Balkan zu machen. Also brechen drei junge Engländer, die sich aus Oxford kennen, Anfang August 1925 zu einer Reise auf den Kontinent auf. Ihr Automobil nennen sie Diana. Die Route führt von Hamburg über Bayern, Österreich und Italien nach Athen. Den Reisebericht verfasst Robert Byron, der seinen Vorfahren, Lord Byron, nicht mag. Er gibt, mal klug, mal altklug plaudernd, Einblick in den lässigen Snobismus der Reisenden – und in ein Europa, das vom Weltkrieg gezeichnet ist. Am Ende entdeckt Byron etwas Unerwartetes: „das Bewusstsein, nicht nur Engländer zu sein, sondern auch Europäer“.
 LOTHAR MÜLLER
Ein falsches
Lächeln
Der Albtraum überfällt Frau, Mann und Kind: Die Zähne fallen aus – Grusel im Schlaf. Die aus Mexiko stammende Autorin Valeria Luiselli hat das Gegenmittel auf den Markt gebracht, ein valentineskes Buch mit dem Titel „Die Geschichte meiner Zähne“. Das Werk ist auch Lesern zu empfehlen, die nie Albträume haben: Gustavo Sánchez ist ein erfolgreicher Auktionator, braucht aber ein neues
Gebiss. Er versteigert seine alten Zähne (und zwar als die von Platon, Montaigne, Rousseau) und besorgt sich neue, angeblich die von Marilyn Monroe. Valeria Luiselli hat eine traumhaft verrückte, lustige Geschichte geschrieben. Wer sich in der Literatur auskennt, wird doppelten Spaß haben. FRANZISKA AUGSTEIN
Sound des
Lebens
Zu den schönsten Momenten des Urlaubs gehört die Frage: Mit welchem Buch fange ich an? „Auerhaus“ von Bov Bjerg macht es einem da leicht. Von der ersten Zeile an entsteht ein so eigener, wunderbarer Sound, dass man ihn kaum je vergessen wird. Sechs Freunde – Höppner, Frieder, Vera, Cäcilia, Harry und Pauline – alle im Abiturientenalter, wollen ihrem Elternhaus oder der „Klapse“ entkommen. Gemeinsam beziehen sie ein heruntergekommenes Haus in der schwäbischen Provinz und beginnen „ein richtiges Leben mit Aufstehen und Frühstückmachen, mit Essenbesorgen“ – und mit den drängenden Fragen, die auf Heranwachsende einstürzen. Sie lesen Comics, Philosophen, Psychologen und Suizidanleitungen. Es geht um Eifersucht, Liebe und Sex, um Klauen als Wissenschaft, um Drogen, vor allem aber um das wahre Leben, das auch ein jähes Ende finden kann. So wie der Autor Rolf Böttcher sich mit „Bov Bjerg“ ein Pseudonym zugelegt hat, das beste Rockmusik verheißt, so hat er mit diesem Roman eine große Komposition aus Wahrhaftigkeit, Melancholie und Lebenswitz erschaffen, die keinen Ton zu viel und keinen Gedanken zu wenig hat. HENDRIK MUNSBERG
Das Geheimnis
der Witwe
Kann es sein, dass eine Lüge zur Wahrheit wird, wenn man nur lange genug daran festhält? Die Lebenslüge als wahres Leben? Diese Frage steht im Zentrum des Thriller-Debüts „Die Witwe“ von Fiona Barton. Die Autorin hat jahrelang für die Daily Mail als Gerichtsreporterin gearbeitet, sie kennt sich – das merkt man dem Roman an – bestens mit jenen Gespinsten aus, die Tatverdächtige als Fakten ausgeben. Die will man jetzt unbedingt von eben jener „Witwe“ erfahren. Jean heißt sie, eine unscheinbare Frau, die durch ihren Mann Glen mit einem schlimmen Verbrechen in Verbindung gebracht ist: Mord an einem Kind. Jedenfalls verdächtigt die Polizei ihn dringend. Doch dann stirbt Glen. Sofort stürzt sich eine bellende Presse auf die Witwe, jetzt kann sie es ja sagen, ob ihr Mann der Mörder war. Was weiß sie? Doch Jean tischt die gewünschte Geschichte nicht auf, spricht nur einmal davon, dass mit dem Gattentod „der Blödsinn endlich ein Ende“ habe. Ist sie Komplizin? Dumm? Oder selber Opfer? Lügt sie raffiniert – oder macht sie sich etwas vor? „Die Witwe“ zieht reichlich Suspense aus diesen kunstvoll in der Schwebe gehaltenen Fragen. 
BERND GRAFF
Keiner tut gern tun,
was er tun darf
Bernd Cailloux erzählt in seinen Büchern von den sogenannten wilden Jahren. Wäre man selbst ein wildes Jahr, würde man sich allerdings über Cailloux ärgern, denn er nimmt dem Leser die Illusion, früher sei alles toller gewesen. Jetzt hat der gloriose Erzähler Cailloux ein kleines Buch mit Haschisch-Geschichten gemacht. Aber für die blanken Hedonisten ist das nichts: Es geht um die verstohlenen Momente der Jugend, um die Sorge, entdeckt zu werden, um die Lächerlichkeit sowieso. Am Schluss kriegen die Legalisierungs-Spießer zum Glück auch noch eine rein: Haschischrauchen ist Abenteuer, sagt Cailloux, und muss deshalb verboten bleiben.
 HILMAR KLUTE
Deutsch lernen
mit den Schlümpfen
Diese Geschichtensammlung hat alles, was ein Strandbuch braucht: Sie ist kurz, kurzweilig, hat einen sommerlichen Umschlag, und lustig ist sie auch. Was allein schon als Leistung der 1984 geborenen syrischen Autorin Rasha Abbas gelten kann. Schließlich schreibt sie in „Die Erfindung der deutschen Grammatik“ über ein Thema, bei dem man eher Schwermut erwartet. Die meist ins Surreale überzogenen Ich-Texte handeln vom Ankommen als Geflüchtete in Deutschland. Mit einer Mischung aus Renitenz und Erfindungsreichtum nähert sich die Heldin ihrer neuen Heimat. Um Deutsch zu lernen, schaut sie die Schlümpfe. Und Behördengänge meistert sie im Computerspiel-Modus. 
VERA SCHROEDER
Immer dem
Milky Way folgen
Zum Überleben braucht der Mensch vier Dinge: Wasser, Essen, Wetterschutz und Wärme. Mehr nicht. Bekommt er dann mal ein Milky Way zwischen die Zähne, kann das pures Glück bedeuten – „wildes körperliches Glück“, ausgelöst durch einen Schokoriegel. Auch die Wonne einer warmen Dusche nach wochenlangem Marsch durch die Mojave-Wüste oder das Sierra-Nevada-Hochgebirge gehört zu dieser Sorte Glückserfahrung, wie sie Christine Thürmer in „Laufen. Essen. Schlafen.“ beschreibt, ihrem sehr anschaulichen Erfahrungsbericht als Langstreckenwanderin auf den drei
großen amerikanischen Hiking-Trails zwischen Mexiko und Kanada. Einst eine knallharte Unternehmenssaniererin mit Sekretärin und Dienstwagen, brach die Geschäftsfrau 2004, nachdem ihr selber gekündigt worden war, zu ihrem ersten Trip auf – allein. Wie sich die Fränkin als „German Tourist“ einen Namen erwandert in der Szene der „Thru-Hiker“, wie sie insgesamt 12 700 Kilometer zu Fuß zurücklegt und dabei Wind und Wetter, Moskitos und Bären trotzt, ist ein Abenteuer, dem man gerne folgt – vor allem, wenn man sich dabei entspannt zurücklehnen kann. 
CHRISTINE DÖSSEL
Harper Lee:Gehe hin,
stelle einen Wächter.
Roman. Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann.
DVA Verlag, München 2015,
320 Seiten, 19,99 Euro.
    
    
      
            
  
  
  
Gaziel: Nach Saloniki
und Serbien. Eine Reise in den Ersten Weltkrieg. Berenberg Verlag,
Berlin 2016.
272 Seiten, 25 Euro.
Ian Bostridge:
Schuberts Winterreise. Lieder von Liebe und Schmerz. Aus dem
Englischen von Anabel Zettel. Verlag C.H. Beck, München 2015.
405 Seiten, 29,95 Euro. E-Book 24,99 Euro.      
   
        
Caitlin Doughty: Fragen Sie ihren Bestatter.
Lektionen aus dem
Krematorium. Aus dem Englischen von Sky
Nonhoff. Verlag C.H.
Beck, München 2016.
270 Seiten, 19,95 Euro. E-Book 15,99 Euro.
John Dos Passos:
Manhattan Transfer.
Roman. Aus dem
Englischen von Dirk
van Gunsteren. Rowohlt
Verlag, Reinbek 2016.
544 Seiten, 24,95 Euro. E-Book 21,99 Euro.     
  
        
              
    
  
  
Didier Eribon: Rückkehr nach Reims. Aus dem
Französischen von Tobias Haberkorn. Suhrkamp
Verlag, Berlin 2014.
240 Seiten, 18 Euro.
                  
       
Lucia Berlin: Was ich
sonst noch verpasst
habe. Stories. Aus dem
Englischen von Antje
Rávic Strubel.
Arche Literatur Verlag, Zürich 2016. 384 Seiten, 22,99 Euro.
              
    
Jane Gardam:
Ein untadeliger Mann. Roman. Aus dem
Englischen von Isabel Bogdan. Carl Hanser
Verlag, München 2015.
352 Seiten, 22,90 Euro. E-Book 16,99 Euro.
                
      
  
Irma Nelles:
Der Herausgeber.
Erinnerungen an Rudolf Augstein. Aufbau Verlag, Berlin 2016. 320 Seiten, 22,95 Euro
E-Book 16,99 Euro
Evelyn Waugh:
Ohne Furcht und Tadel.
Aus dem Englischen
von Werner Peterich.
Diogenes Verlag,
Zürich 2016.
992 Seiten, 29 Euro,
E-Book 25,99 Euro.
      
Steven Herrick: Wir
beide wussten, es war was
passiert. Aus dem Englischen von Uwe-Michael Gutzschhahn.
Thienemann-Esslinger Verlag, Stuttgart 2016.
208 Seiten, 14,99 Euro. E-Book 11,99 Euro.
Léo Grasset: Giraffentheater.
Anekdoten aus der Savanne. Aus dem Französischen
von Till Bardoux. Klaus
Wagenbach Verlag, Berlin 2016. 144 Seiten, 17 Euro.
          
      
      
  
    
Saša Stanišić: Fallensteller. Erzählungen. Luchterhand Literaturverlag, München 2016. 288 Seiten, 19,99 Euro. E-Book 15,99 Euro
Gaito Gasdanow:
Die Rückkehr des Buddha. Roman. Aus dem
Russischen von Rosemarie Tietze. Carl Hanser Verlag,
München 2016.
224 Seiten, 19,90 Euro. E-Book 15,99 Euro.
              
              
    
    
    
Robert Byron: Europa 1925. Aus dem Englischen von Peter Torberg. Die Andere Bibliothek, Berlin 2016.
360 Seiten, 42 Euro.
Valeria Luiselli: Die
Geschichte meiner Zähne. Aus dem Spanischen
von Dagmar Ploetz.
Verlag Antje Kunstmann, München 2016.
192 Seiten, 18,95 Euro. E-Book 16,99 Euro.
    
    
  
            
Bov Bjerg:Auerhaus. Roman. Blumenbar
im Aufbau Verlag,
Berlin 2015. 240 Seiten,
18 Euro. E-Book
13,99 Euro.
Fiona Barton: Die Witwe. Ein liebender Ehemann oder ein kaltblütiger
Mörder . . . Was weiß sie wirklich? Roman.
Wunderlich Verlag,
Reinbek 2016.
432 Seiten, 16,99 Euro. E-Book 14,99 Euro.
                
      
      
 
   
Bernd Cailloux:
Surabaya Gold – Haschischgeschichten. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 139 Seiten, 10 Euro.
Rasha Abbas: Die Erfindung der deutschen Grammatik. Kurzgeschichten. Aus dem Arabischen von Sandra Hetzl. Orlanda Frauenverlag, Berlin 2016. 160 Seiten, 12,50 Euro. E-Book 3,99 Euro.
          
Illustration: Tina Berning
        
      
                  
Christine Thürmer: Laufen. Essen. Schlafen. Eine Frau, drei Trails und 12 700 Kilometer Wildnis. Malik Verlag, München 2016.
288 Seiten, 16,99 Euro. E-Book 12,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.08.2015

Starke Frauen sind das Gesetz

Sechs erstaunliche Bücher machen diesen Herbst zu einem Lesefest. Und das sind nicht einmal die erwartbar gewichtigen Romane großer Autoren, die ebenfalls zu dieser tollen Saison beitragen.

Dieser Bücherherbst dürfte selbst für Vielleser mit Schnelllesebegabung eine Herausforderung werden. Lange gab es keine ähnlich dicht mit Spitzentiteln gespickte Saison. Das Gerangel um Aufmerksamkeit wird dementsprechend beträchtlich sein; wie viel für die Verlage dabei auf dem Spiel steht, mag man auch daran erkennen, dass die in den letzten Jahren immer beliebter gewordene Strategie, einzelne besonders wichtige, also auch teure Titel erst nach der Buchmesse zu lancieren, damit sie im Weihnachtsgeschäft reüssieren, in diesem Jahr auffällig verbreitet ist.

Vor allem die internationale Literatur glänzt mit großen Namen und gewichtigen Umfängen: Den Anfang macht Kazuo Ishiguro mit dem mythisch aufgeladenen Kraftwerk aus der Frühzeit Britanniens, "Der begrabene Riese" (31. August, Blessing), gefolgt von Jonathan Franzen, der in "Unschuld" (4. September, Rowohlt) von der DDR durchs Internet bis nach Bolivien der unweigerlichen Verdunklung jugendlicher Ideale nachspürt. "Der schmale Pfad durchs Hinterland" (14. September, Piper), der mit dem letztjährigen Booker-Preis ausgezeichnete Roman des tasmanischen Autors Richard Flanagan, versetzt den Leser in ein japanisches Gefangenenlager während des Zweiten Weltkriegs. Der norwegische Schriftsteller Karl Ove Knausgård, der sich dem Leben ausliefert wie ein Extremsportler den Elementen, führt mit "Träumen" sein autobiographisches Erzählprojekt fort (21. September, Luchterhand). Der Spanier Javier Marías bietet in "So fängt das Schlimme an" (S. Fischer, 24. September) ein Mysterienspiel um Liebe und Eifersucht.

Sodann lässt Richard Ford sein Alter Ego Frank Bascombe in "Frank" (28. September, Hanser Berlin) die Nachwirkungen von Hurrikan Sandy für Amerika begutachten. Seit 2012 mit "Der weiße König" sein multiperspektivischer Einblick in die Ceausescu-Diktatur erschien, gilt der junge ungarisch-rumänische Autor György Dragoman als eine der ganz großen Stimmen Osteuropas: "Der Scheiterhaufen" (6. Oktober, Suhrkamp) wird zeigen, wie berechtigt diese Hoffnungen sind. Und gleich nach der Buchmesse erscheint das neueste Verwirrspiel von Italiens Großmeister Umberto Eco ("Nullnummer", 19. Oktober, Hanser).

Man kann diese - übrigens durchweg männliche - Phalanx großer Namen als Verheißung betrachten, aber auch als Bedrohung. Denn in ihrem Schatten - und jenem der Long- und Shortlists einflussreicher Preise - sind andere großartige Bücher leicht zu übersehen. Und weil es auf die ewige Frage "Was soll ich lesen?" in den nächsten Monaten viele einschlägige Antworten gibt, beschäftigt sich diese Vorschau auf den Herbst lieber mit sechs Lektüren für den zweiten Blick. Sie stammen von sechs erstaunlichen Autorinnen.

Den Anfang macht die Engländerin Jane Gardam, die mit 87 Jahren ihr Debüt auf dem deutschen Buchmarkt gibt: "Ein untadeliger Mann" (24. August, Hanser Berlin) erzählt von Sir Edward Feathers, genannt Old Filth. Der Ausdruck "Filth" steht in seinem Fall für "Failed in London, Try Hong Kong" und hat nichts Schmutziges an sich, im Gegenteil: Old Filth oder Sir Edward ist nicht nur äußerlich "sagenhaft sauber" bis zum reinweißen "Rand seiner alten Fingernägel", sondern erscheint auch sonst wie der dezent nach Blenheim Bouquet duftende Inbegriff des englischen Gentleman, diszipliniert, arbeitsam, wortkarg, als Anwalt und späterer Richter in seiner Zunft legendär.

Zu Beginn des Romans, der den Auftakt einer Trilogie über den Niedergang des Britischen Empire bildet, ist Filth frisch verwitwet, als ihn im Ruhestand auf dem englischen Land ein zweiter Schock ereilt: Ausgerechnet Terry Veneering, sein Rivale im Berufs- wie im Privatleben, zieht ins Haus nebenan. Doch diese alte Fehde bildet nur den Rahmen der eigentlichen Geschichte von Eddie Feathers, die von Malaysia nach Wales und auf eine englische Privatschule führt, wo der mutter- und recht eigentlich auch vaterlose Junge erstmals eine Art von Familie findet. Gardam erzählt die brutale Geschichte dieser Raj-Waise (auch Rudyard Kipling war eine solche), die sich überall fremd und "ohne Hintergrund" fühlt, auf mehreren Zeitebenen und in genau nuancierten Abstufungen von Sand, Creme und Beige mit viel Feingefühl und Empathie, aber zugleich jenem Gran urenglischer, stählerner Ironie, die diese Lektüre dunkler Erfahrungen zu einer hellen Freude macht.

"Wo sind Sie aufgewachsen? Welches ist Ihre Muttersprache? Wie viele Menschen gehörten zu Ihrer Familie? Wie sah die Wohnung, das Haus aus, in dem Sie aufwuchsen? Wie haben sich Ihre Eltern kennengelernt? Was gab es zu essen?" Das sind nur einige Fragen, die Richard, einen jüngst emeritierten Altphilologen, umtreiben, seitdem er zum ersten Mal bewusst Asylsuchende mitten in Berlin wahrgenommen hat. Sie treiben ihn in eine zum Flüchtlingsheim umfunktionierte Kreuzberger Schule und potenzieren sich dort noch: "Wann sind Sie aus Ihrer Heimat weggegangen? Warum? Haben Sie noch Kontakt zu Ihrer Familie? Was haben Sie mitgenommen? Wie haben Sie sich Europa vorgestellt? Was ist anders? Wie verbringen Sie Ihre Tage? Was vermissen Sie am meisten?" Richard, der Homer-Kenner, begibt sich auf seine eigene Odyssee, um Antworten zu bekommen: Jenny Erpenbeck, die geschätzte Autorin von Werken wie "Heimsuchung" und "Aller Tage Abend", hat mit "Gehen, ging, gegangen" (31. August, Knaus) einen beklemmend aktuellen Roman geschrieben über die neuen Nachbarschaften mitten im alten Europa, jenem Warteraum der Politik, in dem die provisorischen Leben der Eingereisten an die rundum eingerichteten, durchgetakteten Leben der Beheimateten grenzen. Doch der Roman ist weit mehr als ein Zeugnis von Nächstenliebe, Scham und Ratlosigkeit. Jenny Erpenbeck weicht den Konflikten, die die Annäherung der Kulturen mit sich bringt, nicht aus. Und was am Ende aufscheint, nämlich Gemeinschaft und Solidarität, erwächst nicht aus guten Absichten allein.

Die Werke der Israelin Zeruya Shalev strahlen stets etwas Unbeirrbares, ja Störrisches aus; es ist die geradezu zwanghafte Emotionalität ihrer Literatur, an der sich die Geister scheiden. Auch in "Schmerz" (14. September, Berlin Verlag) ist der Ton ihrer Ich-Erzählerin Iris rastlos: Seitdem sie vor zehn Jahren bei einem Terroranschlag schwer verletzt wurde, ist ständiger Schmerz ihr Begleiter. Ihre Ehe mit Micki, der an besagtem Tag wieder einmal zu sehr mit einer Partie Schach beschäftigt war, um die Kinder zur Schule zu bringen, scheint am Ende, die Tochter ist aus dem Haus, der Sohn auf dem Sprung. Just als sie das Vakuum im Inneren mit gesteigerter Gehetztheit zu verdrängen sucht, trifft Iris ihre Jugendliebe Eitan wieder, und mit einem Mal scheint ein Neuanfang in greifbarer Nähe. Stoff, Protagonistin, Sprache - zunächst scheint "Schmerz" ein typischer Shalev-Roman. Doch dann gerät mehr ins Wanken als Iris' Selbstgerechtigkeit. Diesmal geht es nicht allein um die Schuld, die fast jede neue Liebe unter Erwachsenen begleitet, sondern auch um die Notwendigkeit, ja sogar Genugtuung von Verzicht. Am Ende erweist sich Iris als die reifste Heldin, die Shalev bisher schuf.

Die Amerikanerin Dorothy Baker war zeit ihres Lebens "sehr traurig und ziemlich deprimiert" über ihre schiefe literarische Karriere. Zwar hatte ihr erster Roman "Young Man with a Horn" 1938 durchaus Erfolg und wurde sogar verfilmt, doch konnte sie mit ihren folgenden Büchern nie daran anknüpfen. Dass Carson McCullers zu den Bewunderern von "Zwei Schwestern" von 1962, ihrem vierten und letzten Roman, gehörte, verwundert nicht angesichts des zielstrebigen, unzimperlichen Tons und der philosophischen Grundierung des Werks, war aber für Baker kein Trost. Als die Autorin 1968 starb, hinterließ sie keine große Trauergemeinde.

Vor einigen Jahren wurden ihr erster und ihr letzter Roman in den Vereinigten Staaten neu aufgelegt, jetzt erscheint "Zwei Schwestern" auch bei uns (23. September, dtv). Es ist eine Art dramatische Variante des Filmklassikers "Die Nacht vor der Hochzeit". Erzählt wird - mal von der einen, dann von der anderen - die Geschichte der Zwillinge Cassandra und Judith, zugespitzt auf jenes Wochenende, an dem Judith heiraten will. Cassandra empfindet diesen Schritt als Aufkündigung der schwesterlichen Symbiose, die stets über solchen Durchschnittserwägungen existiert hatte; indem sie die schwesterliche Eintracht in all ihrer Intensität und Selbstgenügsamkeit noch mal heraufbeschwört, sucht sie Judith umzustimmen. Als dies misslingt, greift sie zu drastischeren Mitteln: Sie belauscht ein Telefonat zwischen Braut und Bräutigam, will den künftigen Schwager vom Zug abholen und sich als Judith ausgeben, schließlich erscheint eine Übersprunghandlung als letzte Chance.

"Sarahs Gesetz", das für mich beglückendste und klügste, zärtlichste und nachhallendste Buch dieser Saison, ist kein Roman (5. Oktober, S. Fischer), sondern ein Porträt, ja ein Doppelporträt. Es enthält wichtige Mosaiksteine der viel größeren Geschichte der Malerin Sarah Schumann, und zu dieser wiederum gehören signifikante Teile der Geschichte der Schriftstellerin Silvia Bovenschen. Seit vierzig Jahren teilen die beiden ihre Leben; zusammen in Berlin leben sie erst, seit ein weiterer Schub ihrer Multiple-Sklerose-Erkrankung es Silvia Bovenschen vor bald zehn Jahren unmöglich machte, in ihre Frankfurter Wohnung zurückzukehren.

Bovenschen verzichtet darauf, dieses Werk der Liebe und des Dankes, der Erinnerung und der Gegenwart an eine Begriffsleine zu legen, wie überhaupt in diesem Buch kein Wort zu viel gemacht wird. "Sarahs Gesetz" handelt vom Wesentlichen zwischen zwei Menschen: dem, was man voneinander wissen kann, dem, was verborgen bleiben muss, und dem, was erfühlt werden darf. Sie wolle nicht eine Wahrheit der Sarah Schumann ausstellen, schreibt Silvia Bovenschen. "Ich will einzig meine liebe Freundin als Erlebnis meines Lebens erstehen lassen." Das gelingt ihr, indem sie schlaglichtartig aus beider Leben erzählt, von den Kriegserlebnissen der zwölf Jahre älteren Gefährtin, von eigenen Kindheitserinnerungen, von Sarahs Weg zur Kunst, von ihrer Malerei, von einer kurzen Ehe und dem Versuch, sich als Frau allein in Italien durchzuschlagen.

Wer ihr "Älter werden" gelesen hat, weiß um Bovenschens Gabe, schreibend unter Tränen zu lachen. Auch "Sarahs Gesetz" ist ganz persönlich und dabei vollendet diskret, mal witzig, mal rauh, immer wahrhaftig. Die Intimität liegt im Ton, nicht im Mitgeteilten. Mit diesem Buch hat Silvia Bovenschen ein Gedächtnis-Bildnis geschrieben, wie Sarah Schumann sie malt und sie selbst sie einmal beschrieben hat: im Wechsel zwischen überscharfer Kontur und Schemenhaftigkeit den Menschen in seiner Einzigartigkeit vergegenwärtigend, immer changierend zwischen innerer Gewissheit und unfassbarer Flüchtigkeit.

Im Mittelpunkt von "Die Gestirne" (9. November, btb) - wenn man einen solchen denn überhaupt ausmachen kann in dieser Wundertüte von Roman, der in deutscher Übersetzung mindestens tausend Seiten haben wird - steht eine Liebesgeschichte, so unwahrscheinlich wie das Zusammenkommen von Sonne und Mond. Die komplexe Handlung, die von Sternbildern und Planetenstellungen überzeugend gesteuert wird, setzt ein am 27. Januar 1866 - "Merkur im Haus des Schützen" - im Rauchzimmer des Crown Hotels in Hokitika, einer Goldgräberstadt im wilden Südwesten Neuseelands. Die Ankunft des jungen Schotten Walter Moody nach langer und beängstigender Überfahrt bringt die Erzählung einer großangelegten Verschwörung in Fahrt, die sich in Duktus und Farbigkeit, Kapitelankündigungen und Namensgebungen lustvoll ostentativ an die große englische Literatur des neunzehnten Jahrhunderts anlehnt, von Dickens über Brontë bis Conrad, sich dann aber immer weiter und rasanter verästelt, so dass der Leser sich gelegentlich fragt, ob alles noch mit rechten Dingen zugeht: Die Protagonisten und Perspektiven wechseln, vermeintliche Gute erweisen sich als Fieslinge, Bösewichte als liebenswürdig, und außer auf die Astrologie scheint auf nichts Verlass.

Die junge Neuseeländerin Eleanor Catton - in wenigen Wochen wird sie dreißig - hat mit "Die Gestirne" einen so altmodischen wie berückend zeitgemäßen Roman über den uralten Dialog zwischen Zufall und Schicksal verfasst. Er wird gespeist aus einem staunenswerten Überfluss an Ideen und Talent, ist dabei gelehrt, unterhaltsam und sehr, sehr witzig.

FELICITAS VON LOVENBERG

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Cornelia Geissler ist begeistert von dieser Neuentdeckung. Jane Gardam ist zwar in England bekannt, bei uns kommt sie jedoch mit diesem Buch zum ersten Mal raus. Ganz zur Freude von Geissler, die in der Geschichte über aus Hongkong in die englische Heimat zurückkehrende Kronkolonisten feine Charakter- und Milieuzeichnungen vorfindet. Das Buch handelt von Vorurteilen und verdrängten Ängsten zwischen zwei Welten, erläutert Geissler, die der Roman von seinem Aufbau und seiner Dramatik her an Werke von Ian McEwan erinnert.

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"Jane Gardam mag 85 Jahre alt sein, aber sie schreibt kein bisschen altmodisch oder altbacken. Sie erzählt von einem Leben voller Dramen, bleibt dabei aber ganz leise, schafft mit ihrer Sprache eine ungeheuer gute Atmosphäre, ist nie rührselig, im Gegenteil. Sie hat einen unglaublich guten, staubtrockenen Humor, der einen laut auflachen lässt. ... Ein wunderbares Buch." Christine Westermann, WDR 2 Bücher, 24.01.16

"Das neue It-Girl der englischen Literatur heißt Jane Gardam und ist fast neunzig. ... Die Übersetzung von Isabel Bogdan ist ein großartiger Gegenbeweis zu der oft bemühten These, so leicht und witzig wie die Engländer könne man leider nicht sein, in diesem schweren Deutsch. ... So böse es auch wird in diesem Buch, man kann sich darauf verlassen, dass man lächeln muss oder gelegentlich laut lachen. Dabei ist das Schönste noch nicht berichtet, dass es sich um Band eins einer Trilogie handelt." Susanne Mayer, Die Zeit, 21.01.16

"Mit trockenem englischen Humor schildert Jane Gardam die Strategien und Techniken, mit denen Menschen versuchen, den Zumutungen zu begegnen, die das Leben mit all seinen Zwängen, Pflichten und Andorderungen stellt. ... Eine berührende Studie über die Einsichten. Melancholien, Verluste und Herausforderungen des Alters, darüber, wie man diese letzte Wegstrecke mit Würde, Selbstbestimmung und feiner Ironie zurücklegen sollte." Barbara von Becker, Bayern 2 Diwan, 16.01.16

"Jane Gardam schildert ihre Roman mit der für sie typischen Mischung aus Spott und Warmherzigkeit. In England wird die hierzulande bisher unbekannte Schriftstellerin schon lange verehrt - für die Leichtigkeit, mit der sie Jahrhunderte und Kontinente durchmisst, für ihrer witzigen Dialoge, aber vor allem für ihre Figuren, die alles sind: tadellos und fehlerhaft, kindisch und erwachsen, aber niemals langweilig." Brigitte, 11.11.15

"Ein Buch über Selbstdisziplin und den Schutz, den sie bietet, aber auch den Preis, den der Rückzug in die Unverletzlichkeit kostet. Charmant und klug - leichter kann man kaum nachdenken, über das Leben, verpasste Gelegenheiten und wie man im Alter, aller Mühsal zum Trotz, den Kopf oben behält. Sehr, sehr britisch." Edelgard Abenstein, Deutschlandradio Kultur, 10.11.15

"Jane Gardams 'Ein untadeliger Mann' ist ein großartiger Roman. Er beginnt wie eine possierliche Genregeschichte über blumenumrankte britische Lebensart und verwandelt sich im Seitenumdrehen in eine handlungsreiche von Klugheit und Empathie durchtränkte große Betrachtung über das Leben mit seinen unaustilgbaren Schmerzen, Kämpfen und Widersprüchen." Eberhard Falcke, SWR2 Buch der Woche, 09.11.15

"Jane Gardam erzählt mit so viel Witz und Feingefühl, dass man dieses Buch nicht mehr aus der Hand legen kann." Verena Gonsch, NDR, 08.11.15

"Ein erzählerisches Meisterstück: Melancholie und Witz gehen in diesem ungemein britischen, von Isabel Bogdan elegant übersetzten Roman eine perfekte Allianz ein. Das ist unterhaltsam, anrührend und hat literarische Finesse." Rainer Moritz, Die Welt, 10.10.15

"Filths Lebensbeichte wird keinen Leser aus den Fängen lassen. Die Geschichte klingt so fern und doch kommen wir alle darin vor. Kunstvoll sind alle Enden miteinander verknüpft, mit unfassbarer Leichtigkeit politische Hintergründe dezent vermittelt, die Einblicke ins Leben beharrlich, unbestechlich und von großer Zartheit und Würde. Große Romankunst." Annemarie Stoltenberg, NDR Kultur, 29.09.15

"Jane Gardam ist eine Entdeckung. Mit einer meisterlichen Balance aus Zuneigung und Distanz fächert Gardam das Leben ihres Helden auf, das auch ein Abbild der britischen Geschichte des 20. Jahrhunderts ist." Claudia Voigt, Literaturspiegel, 26.09.15

"Ein warmherziges, kluges und humorvolles Buch über das untergehende British Empire, geschrieben von einer Autorin mit großem Einfühlungsvermögen." Franziska Wolffheim, Brigitte Wir, 16.09.15

"Gardam dosiert Ironie und Psychologie meisterhaft. Zum einen erscheint Sir Ed wie der Inbegriff des englischen Gentleman, der mit steifer Oberlippe und einwandfreien Manieren seine emotionalen Defizite tarnt, was durchaus seine komischen Momente hat - gleichzeitig macht Gardam energisch die Überforderung kenntlich, mit der zum Ende seines Lebens die Vergangenheit auf ihn einstürzt. Es ist als würde ein geliebter Kaschmirpullover Masche um Masche aufgerippelt." Felicitas von Lovenberg, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.08.15

"Ein ergreifendes, wunderbares Buch." Dirk Liebenow, NDR Kulturspiegel, 25.08.15

"Gardam erzählt die brutale Geschichte dieser Raj-Waise, die sich überall fremd und 'ohne Hintergrund' fühlt, auf mehreren Zeitebenen und in genau nuancierten Abstufungen von Sand, Creme und Beige mit viel Feingefühl und Empathie, aber zugleich jenem Gran urenglischer, stählerner Ironie, die diese Lektüre dunkler Erfahrungen zu einer hellen Freude macht." Felicitas von Lovenberg, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.08.15
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Klasse! Sieglinde Neumann Express 20170716