A digital girl in a digital world
Das Leben der 23-jährigen Graphikdesignerin April May ändert sich abrupt, als sie eines Nachts mitten in Manhattan auf die mysteriöse Skulptur eines gigantischen Roboters stößt, den sie »Carl« nennt und von dem sie und ihr bester Freund Andy noch in der Nacht ein Video drehen und ins Netz stellen. Als klar wird, dass weltweit in zig Städten identische Carl-Skulpturen aufgetaucht sind, verbreitet sich das Video binnen kürzester Zeit millionenfach im Netz und macht April schlagartig berühmt. In der weltweiten Hysterie, die nun ausbricht, befindet sich April im Zentrum der Aufmerksamkeit: Sie tingelt von Talkshow zu Talkshow, verbreitet alles, was ihr widerfährt, auf sozialen Netzwerken. Und jede ihrer Bewegungen wird genauestens beobachtet.
Das Leben der 23-jährigen Graphikdesignerin April May ändert sich abrupt, als sie eines Nachts mitten in Manhattan auf die mysteriöse Skulptur eines gigantischen Roboters stößt, den sie »Carl« nennt und von dem sie und ihr bester Freund Andy noch in der Nacht ein Video drehen und ins Netz stellen. Als klar wird, dass weltweit in zig Städten identische Carl-Skulpturen aufgetaucht sind, verbreitet sich das Video binnen kürzester Zeit millionenfach im Netz und macht April schlagartig berühmt. In der weltweiten Hysterie, die nun ausbricht, befindet sich April im Zentrum der Aufmerksamkeit: Sie tingelt von Talkshow zu Talkshow, verbreitet alles, was ihr widerfährt, auf sozialen Netzwerken. Und jede ihrer Bewegungen wird genauestens beobachtet.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.03.2019Wenn die Person zur Personality wird
Der erste Roman des Youtube-Stars Hank Green erzählt von den Schattenseiten des Ruhms
Was macht das Internet aus dem Menschen? Dieser Frage, einer der brisantesten unserer Zeit, nachzugehen, scheint der Literatur schwerzufallen. Sieht sie sich doch – nachvollziehbarer- und mitunter berechtigterweise – häufig als Antagonistin der neuen Medien. Nicht zufällig spielt das Internet in zeitgenössischen Romanen vor allem dann eine Rolle, wenn diese Dystopien erzählen. Der alte Wettstreit der Künste und der Medien bricht wieder auf. Aber ist das mehr als ein Reflex? Verlieren mit der Digitalisierung Bücher tatsächlich ihre Anziehungskraft?
Immerhin droht das Internet den Verlagen eine ganze Generation von Lesern abspenstig zu machen. Die 20- bis 30-Jährigen, die mit dem Internet sozialisiert wurden und von den Älteren Digital Natives genannt werden, sind für Buchverlage eine schwierige Kundschaft. Es wird höchste Zeit, dass man sich um sie bemüht. Der dtv-Verlag versucht das nun mit einer eigenen Reihe: „Bold“ lautet deren Titel, zu Deutsch: kühn, frech, verwegen, zugleich auch typografische Bezeichnung für Fettgedrucktes. Zwar ist das mehr Selbstvergewisserung als Programmatik – eine publizistisch richtige Entscheidung ist es dennoch, sich zu öffnen. Zum Start der Reihe erscheint ein Buch, das symptomatisch dafür steht, dass und wie junge Leute fürs Lesen wiederzugewinnen sind: Der Roman „Ein wirklich erstaunliches Ding“ von Hank Green ist ein Debüt – aber nicht von irgendwem, sondern von einem Internet-Unternehmer, dem Millionen 20- bis 30-Jährige auf Youtube zuhören.
Hank ist der Bruder von John Green, dem Autor von Jugendbuchbestsellern wie „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ und „Margos Spuren“. Zusammen sind die beiden die „Vlogbrothers“, Autoren und Protagonisten der gleichnamigen Youtube-Serie. Die Greens haben ihr Spektrum in den vergangenen Jahren ständig erweitert, bieten inzwischen auch naturwissenschaftliche und historische Erklärvideos oder politische Diskussionen. Sie haben eine Art hippes Telekolleg im Netz aufgebaut, die Zielgruppe ist jung. Acht Millionen Abonnenten folgen Hank Green auf den diversen Kanälen, in Deutschland hat er an die 100 000 treue Fans. John und er sind eine Marke im Netz.
Für ihre Botschaften haben sie eigentlich genug Verbreitungsmöglichkeiten, möchte man meinen: Webseiten, Foren, Videos, Podcasts – alles das, was Verlage seit einigen Jahren neben dem bedruckten Papier aufbieten, um junge Leute zu erreichen, bespielen sie bereits perfekt; haben die Formen zum Teil mitgeprägt. Ein Buch zu schreiben, erscheint wenig naheliegend für einen Medienunternehmer, der im Internet gutes Geld verdient, einen Emmy gewonnen hat, und zu einem Interview mit Barack Obama ins Weiße Haus geladen war. Dennoch zog es Hank Green zum bedruckten Papier.
Und die im Vergleich geradezu antiquiert wirkende Form der linearen Erzählung ist für ihn offenbar nicht bloß Spielerei: „Es gab ein paar Dinge, die ich nicht anders ausdrücken konnte als in der Fiktion“, sagte er dem Guardian. „Und außerdem: Jeder will ein Buch schreiben, oder nicht? Ist das nicht die coolste Sache der Welt?“
Bücherschreiben, die coolste Sache der Welt? Da traut einer der Vorreiter des neuen Infotainments und Storytellings dem alten Medium mehr zu als dem Netz. Man wünscht sich diese Kühnheit auch bei Verlagen, die um junge Leser werben. Natürlich gibt es Dinge, die sich in einem Roman besser verhandeln lassen als in einem Web-Video. Die Frage, was das Internet aus dem Menschen macht, zum Beispiel; denn der Medienwechsel hilft bei der Reflexion.
In den Videos der Vlogbrothers inszenierte sich Hank lange als naturwissenschaftlicher Geek, der Gegenpart zum musisch begabten Jugendbuchautor John. Einmal gab er sogar zu, die Bücher im Englischunterricht nie zu Ende gelesen zu haben; weil er zu langsam vorankam, las er am Ende einfach immer nur die Zusammenfassungen. Er habe eine leichte Form der Leseschwäche gehabt, erzählte er. Im Studium belegte er Biochemie.
Doch das ist nur die halbe Geschichte: Das erste Vlogbrothers-Video, das viral ging, war ein Fansong auf „Harry Potter“. Bücher spielten immer wieder eine Rolle in Greens Karriere; seinen Emmy bekam er für eine Web-Serien-Adaption von Jane Austens „Stolz und Vorurteil“. Sein Erfolg zeigt, wie fehlgeleitet die Pauschaldiagnose ist, dass das Internet dem Buch quasi zwangsläufig den Rang abläuft.
Sein Romandebüt „Ein wirklich erstaunliches Ding“ erkundet nun die Verlockungen und Abgründe sozialer Medien wie kaum ein Buch zuvor. Nicht, weil es sprachlich besonders subtil vorgeht – Green imitiert die Jugendsprache im Netz authentisch, trotzt ihr aber keine Metaebene ab –, sondern schlicht deswegen, weil die zeitgenössische Literatur hier ein großes Defizit hat. Es ist nicht wahnsinnig schwer, ein interessantes Buch übers Internet zu schreiben, wo es so wenige Bücher übers Internet gibt. Hauptfigur der Erzählung ist die 23-jährige Grafikdesignerin April May, die quasi über Nacht durch ein Video, das sie ins Netz stellt, zu einer Internetberühmtheit wird. So berühmt, dass sie in Talkshows eingeladen wird, ein Buch schreiben soll und sogar von der US-Präsidentin zum Gespräch gebeten wird.
April May ist, das ist unschwer zu erkennen, stark autobiografisch geprägt. Und dennoch handelt es sich bei dem Roman nicht um Autofiktion. Zu groß ist die Leidenschaft des Autors für Science Fiction, als dass er sich hätte entgehen lassen, für sein Debüt bei diesem Genre Anleihen zu machen: Das Video, das April online stellt und das die Handlung in Gang setzt, zeigt eine riesige, aus offenbar extraterrestrischem Material geformte Statue, die ein bisschen wie ein schwarzer Power-Ranger aussieht. Dieser Erscheinung gibt April den Namen „Carl“. Als auch an anderen Orten der Erde solche Carls auftauchen, ist April plötzlich Expertin für die außerirdische Lebensform, die dahinter vermutet wird.
Das eigentlich Spannende an „Ein wirklich erstaunliches Ding“ sind die Beobachtungen, die der Roman zu Viralität, sozialen Medien und Popularität macht. Green zeichnet nach, welche Dynamik Aprils Präsenz in den sozialen Medien, auf Twitter und Facebook, entwickelt. Hier hören ihr plötzlich Millionen Menschen zu. Und nicht alle sind ihr wohlgesonnen. Der Roman entwickelt die großen Fragen nach Authentizität und Identität – Fragen, denen sich Literatur schon immer gestellt hat. Dass sie hier ein Autor in die Gegenwart transponiert, macht Greens Buch auch über die Zielgruppe der 20- bis 30-Jährigen hinaus lesenswert.
Am Ende hat das scheinbar anachronistische Medium Buch über das vermeintlich avantgardistische Medium Internet eben doch einiges zu sagen. Zwischen den Zeilen und ganz ohne dystopische Übertreibung gibt „Ein wirklich erstaunliches Ding“ eine Antwort auf die Frage, was das Internet aus dem Menschen macht: Wenn die Person zur Personality wird, verliert der Mensch sein menschliches Antlitz. Am Ende macht das Internet den Menschen zum Carl.
KARIN JANKER
In Deutschland hat der Vlogger
Hank Green an
die 100 000 treue Fans
Green imitiert die Jugendsprache
im Netz authentisch
und ohne Metaebene
Hank Green: Ein wirklich erstaunliches Ding. Roman. Aus dem Englischen
von Katarina Ganslandt.
dtv, München 2019.
448 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Der erste Roman des Youtube-Stars Hank Green erzählt von den Schattenseiten des Ruhms
Was macht das Internet aus dem Menschen? Dieser Frage, einer der brisantesten unserer Zeit, nachzugehen, scheint der Literatur schwerzufallen. Sieht sie sich doch – nachvollziehbarer- und mitunter berechtigterweise – häufig als Antagonistin der neuen Medien. Nicht zufällig spielt das Internet in zeitgenössischen Romanen vor allem dann eine Rolle, wenn diese Dystopien erzählen. Der alte Wettstreit der Künste und der Medien bricht wieder auf. Aber ist das mehr als ein Reflex? Verlieren mit der Digitalisierung Bücher tatsächlich ihre Anziehungskraft?
Immerhin droht das Internet den Verlagen eine ganze Generation von Lesern abspenstig zu machen. Die 20- bis 30-Jährigen, die mit dem Internet sozialisiert wurden und von den Älteren Digital Natives genannt werden, sind für Buchverlage eine schwierige Kundschaft. Es wird höchste Zeit, dass man sich um sie bemüht. Der dtv-Verlag versucht das nun mit einer eigenen Reihe: „Bold“ lautet deren Titel, zu Deutsch: kühn, frech, verwegen, zugleich auch typografische Bezeichnung für Fettgedrucktes. Zwar ist das mehr Selbstvergewisserung als Programmatik – eine publizistisch richtige Entscheidung ist es dennoch, sich zu öffnen. Zum Start der Reihe erscheint ein Buch, das symptomatisch dafür steht, dass und wie junge Leute fürs Lesen wiederzugewinnen sind: Der Roman „Ein wirklich erstaunliches Ding“ von Hank Green ist ein Debüt – aber nicht von irgendwem, sondern von einem Internet-Unternehmer, dem Millionen 20- bis 30-Jährige auf Youtube zuhören.
Hank ist der Bruder von John Green, dem Autor von Jugendbuchbestsellern wie „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ und „Margos Spuren“. Zusammen sind die beiden die „Vlogbrothers“, Autoren und Protagonisten der gleichnamigen Youtube-Serie. Die Greens haben ihr Spektrum in den vergangenen Jahren ständig erweitert, bieten inzwischen auch naturwissenschaftliche und historische Erklärvideos oder politische Diskussionen. Sie haben eine Art hippes Telekolleg im Netz aufgebaut, die Zielgruppe ist jung. Acht Millionen Abonnenten folgen Hank Green auf den diversen Kanälen, in Deutschland hat er an die 100 000 treue Fans. John und er sind eine Marke im Netz.
Für ihre Botschaften haben sie eigentlich genug Verbreitungsmöglichkeiten, möchte man meinen: Webseiten, Foren, Videos, Podcasts – alles das, was Verlage seit einigen Jahren neben dem bedruckten Papier aufbieten, um junge Leute zu erreichen, bespielen sie bereits perfekt; haben die Formen zum Teil mitgeprägt. Ein Buch zu schreiben, erscheint wenig naheliegend für einen Medienunternehmer, der im Internet gutes Geld verdient, einen Emmy gewonnen hat, und zu einem Interview mit Barack Obama ins Weiße Haus geladen war. Dennoch zog es Hank Green zum bedruckten Papier.
Und die im Vergleich geradezu antiquiert wirkende Form der linearen Erzählung ist für ihn offenbar nicht bloß Spielerei: „Es gab ein paar Dinge, die ich nicht anders ausdrücken konnte als in der Fiktion“, sagte er dem Guardian. „Und außerdem: Jeder will ein Buch schreiben, oder nicht? Ist das nicht die coolste Sache der Welt?“
Bücherschreiben, die coolste Sache der Welt? Da traut einer der Vorreiter des neuen Infotainments und Storytellings dem alten Medium mehr zu als dem Netz. Man wünscht sich diese Kühnheit auch bei Verlagen, die um junge Leser werben. Natürlich gibt es Dinge, die sich in einem Roman besser verhandeln lassen als in einem Web-Video. Die Frage, was das Internet aus dem Menschen macht, zum Beispiel; denn der Medienwechsel hilft bei der Reflexion.
In den Videos der Vlogbrothers inszenierte sich Hank lange als naturwissenschaftlicher Geek, der Gegenpart zum musisch begabten Jugendbuchautor John. Einmal gab er sogar zu, die Bücher im Englischunterricht nie zu Ende gelesen zu haben; weil er zu langsam vorankam, las er am Ende einfach immer nur die Zusammenfassungen. Er habe eine leichte Form der Leseschwäche gehabt, erzählte er. Im Studium belegte er Biochemie.
Doch das ist nur die halbe Geschichte: Das erste Vlogbrothers-Video, das viral ging, war ein Fansong auf „Harry Potter“. Bücher spielten immer wieder eine Rolle in Greens Karriere; seinen Emmy bekam er für eine Web-Serien-Adaption von Jane Austens „Stolz und Vorurteil“. Sein Erfolg zeigt, wie fehlgeleitet die Pauschaldiagnose ist, dass das Internet dem Buch quasi zwangsläufig den Rang abläuft.
Sein Romandebüt „Ein wirklich erstaunliches Ding“ erkundet nun die Verlockungen und Abgründe sozialer Medien wie kaum ein Buch zuvor. Nicht, weil es sprachlich besonders subtil vorgeht – Green imitiert die Jugendsprache im Netz authentisch, trotzt ihr aber keine Metaebene ab –, sondern schlicht deswegen, weil die zeitgenössische Literatur hier ein großes Defizit hat. Es ist nicht wahnsinnig schwer, ein interessantes Buch übers Internet zu schreiben, wo es so wenige Bücher übers Internet gibt. Hauptfigur der Erzählung ist die 23-jährige Grafikdesignerin April May, die quasi über Nacht durch ein Video, das sie ins Netz stellt, zu einer Internetberühmtheit wird. So berühmt, dass sie in Talkshows eingeladen wird, ein Buch schreiben soll und sogar von der US-Präsidentin zum Gespräch gebeten wird.
April May ist, das ist unschwer zu erkennen, stark autobiografisch geprägt. Und dennoch handelt es sich bei dem Roman nicht um Autofiktion. Zu groß ist die Leidenschaft des Autors für Science Fiction, als dass er sich hätte entgehen lassen, für sein Debüt bei diesem Genre Anleihen zu machen: Das Video, das April online stellt und das die Handlung in Gang setzt, zeigt eine riesige, aus offenbar extraterrestrischem Material geformte Statue, die ein bisschen wie ein schwarzer Power-Ranger aussieht. Dieser Erscheinung gibt April den Namen „Carl“. Als auch an anderen Orten der Erde solche Carls auftauchen, ist April plötzlich Expertin für die außerirdische Lebensform, die dahinter vermutet wird.
Das eigentlich Spannende an „Ein wirklich erstaunliches Ding“ sind die Beobachtungen, die der Roman zu Viralität, sozialen Medien und Popularität macht. Green zeichnet nach, welche Dynamik Aprils Präsenz in den sozialen Medien, auf Twitter und Facebook, entwickelt. Hier hören ihr plötzlich Millionen Menschen zu. Und nicht alle sind ihr wohlgesonnen. Der Roman entwickelt die großen Fragen nach Authentizität und Identität – Fragen, denen sich Literatur schon immer gestellt hat. Dass sie hier ein Autor in die Gegenwart transponiert, macht Greens Buch auch über die Zielgruppe der 20- bis 30-Jährigen hinaus lesenswert.
Am Ende hat das scheinbar anachronistische Medium Buch über das vermeintlich avantgardistische Medium Internet eben doch einiges zu sagen. Zwischen den Zeilen und ganz ohne dystopische Übertreibung gibt „Ein wirklich erstaunliches Ding“ eine Antwort auf die Frage, was das Internet aus dem Menschen macht: Wenn die Person zur Personality wird, verliert der Mensch sein menschliches Antlitz. Am Ende macht das Internet den Menschen zum Carl.
KARIN JANKER
In Deutschland hat der Vlogger
Hank Green an
die 100 000 treue Fans
Green imitiert die Jugendsprache
im Netz authentisch
und ohne Metaebene
Hank Green: Ein wirklich erstaunliches Ding. Roman. Aus dem Englischen
von Katarina Ganslandt.
dtv, München 2019.
448 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.06.2019Wie sich ein Mensch zur Marke macht
Hank Greens Debütroman handelt von den unseligen Nebenwirkungen des Ruhms
Kann das gutgehen? Nachdem sein großer Bruder John mit "Das Schicksal ist ein mieser Verräter" eines der erfolgreichsten Jugendbücher der vergangenen Jahre geschrieben hat, legt nun auch Hank Green einen Roman vor. Er heißt "Ein wirklich erstaunliches Ding", porträtiert den Alltag der Digital Natives und ist mithin durchzogen von autofiktionalen Momenten. Denn für den neununddreißigjährigen Green ist das Internet eine Art Atelier, in dem er sein Ich modelliert, zurechtstutzt, ja überhaupt erst hervorbringt. Er moderiert den Video-Blog "SciShow", hat gemeinsam mit John Green die Youtube-Kanäle "Vlogbrothers" sowie "Crash Course" gegründet und erreicht online mehr als acht Millionen Abonnenten. Die von ihm produzierte Web-Serie "The Lizzie Bennet Diaries" wurde mit einem Emmy ausgezeichnet.
Jetzt also Literatur. Die Vorbehalte liegen auf der Hand: Ist es Greens Absicht, die von ihm und seinem Bruder großgezogene und liebevoll gepäppelte Cashcow bis zum letzten Tropfen zu melken? Zeugt es von Chuzpe oder mangelnder Originalität, dass sich sein Roman ebenfalls an Teenager und junge Erwachsene richtet? Kann er überhaupt schreiben? Hat er etwas zu erzählen?
Kann er, hat er. "Ein wirklich erstaunliches Ding" ist in mancher Hinsicht das, was der Titel verheißt. Es ist ein Buch, in dem jener Bereich modernen Lebens soziologisch und psychologisch vermessen wird, den Kulturkritiker gerne als Hauptrivalen des Buchs brandmarken. Dabei müssen sich digitale und literarische Welt nicht ausschließen. Green sagt: "Ich wünsche mir nur, dass wir uns immer wieder gegenseitig daran erinnern, was für eine coole Sache Bücher sind."
Sein Debüt handelt von der Persönlichkeitsentwicklung einer Produktdesignerin namens April. Sie ist dreiundzwanzig Jahre alt und hat stets dagegen angearbeitet, süß gefunden zu werden. Nun bekommt sie die Gelegenheit, den Niedlichkeitsimperativ ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen, denn sie erlangt zunächst eine gewisse Popularität, dann größere Bekanntheit, anschließend den Status eines Idols und schlussendlich weltweite Prominenz. Jeden dieser Schritte kontrolliert sie mit mal ausgeklügelten, mal überstürzten Selbstdarstellungsstrategien. Ob Facebook oder Twitter, Youtube oder Instagram, April lässt ihre Follower nie lange warten. Dabei weiß sie doch eigentlich: "Der Trick, um wirklich cool rüberzukommen, besteht darin, dass einem die Meinung der anderen komplett scheißegal sein muss."
Ihren Ruhm verdankt April den Außerirdischen. Sie sind auf der Erde gelandet und haben an vierundsechzig Orten Skulpturen aufgestellt, die aus einem unbekannten Material bestehen und anmuten wie "Transformer in Samurai-Rüstung". April entdeckt als Erste den in New York plazierten Roboter, nennt ihn Carl und beginnt, über das Phänomen in sozialen Netzwerken zu berichten. Die Aliens versorgen die Menschen derweil mit komplizierten Denkspielen. Warum? Weiß keiner. Aber während es die einen wunderbar finden, die Weltbevölkerung im Rätselknackerfieber vereint zu sehen, wittern die anderen eine feindliche Übernahme des Planeten. April freut sich über den extraterrestrischen Besuch und tritt als Moderatorin und Zeremonienmeisterin des Geschehens hervor.
Mit stupender Einfühlung schildert Green, wie sie sich dabei von einem Menschen in ein Symbol und eine Marke verwandelt, wie sie einen ansehnlichen Größenwahn kultiviert, um dann wieder an sich zu zweifeln und zu verzweifeln. Die Selbstbespiegelung, der rasant zunehmende Narzissmus, die mit koketter Eigenwerbung betriebene Imagepflege - all das seziert der Autor so gründlich, bis die dahinter verschanzten Wünsche, Ängste und Affekte offen vor uns liegen. Am Ende ist April eine bedauerliche Marktschreierin.
Dass es bei solcher Kommunikation weniger um die Sach- denn um die Sozialdimension der Aufmerksamkeit geht, ist aus anderen Zusammenhängen bekannt, wird von Green aber besonders nachvollziehbar entfaltet. In Georg Francks 1998 erschienenem Buch "Ökonomie der Aufmerksamkeit" heißt es: "Die Aufmerksamkeit anderer Menschen ist die unwiderstehlichste aller Drogen." April formuliert es ähnlich: "Berühmtsein ist eine Droge." Auch die Lektüre von Greens Erstling entwickelt einen Sog, dem man sich nur schwer entziehen kann. Das Ende führt indes zu großer Ernüchterung. Nicht weil es missraten wäre, sondern weil es offenbleibt. Allerdings nicht mehr lange - das Sequel ist bereits in Planung.
KAI SPANKE
Hank Green: "Ein wirklich erstaunliches Ding". Roman.
Aus dem Englischen von Katarina Ganslandt. Dtv Bold, München 2019. 448 S., geb., 22,- [Euro]. Ab 14 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hank Greens Debütroman handelt von den unseligen Nebenwirkungen des Ruhms
Kann das gutgehen? Nachdem sein großer Bruder John mit "Das Schicksal ist ein mieser Verräter" eines der erfolgreichsten Jugendbücher der vergangenen Jahre geschrieben hat, legt nun auch Hank Green einen Roman vor. Er heißt "Ein wirklich erstaunliches Ding", porträtiert den Alltag der Digital Natives und ist mithin durchzogen von autofiktionalen Momenten. Denn für den neununddreißigjährigen Green ist das Internet eine Art Atelier, in dem er sein Ich modelliert, zurechtstutzt, ja überhaupt erst hervorbringt. Er moderiert den Video-Blog "SciShow", hat gemeinsam mit John Green die Youtube-Kanäle "Vlogbrothers" sowie "Crash Course" gegründet und erreicht online mehr als acht Millionen Abonnenten. Die von ihm produzierte Web-Serie "The Lizzie Bennet Diaries" wurde mit einem Emmy ausgezeichnet.
Jetzt also Literatur. Die Vorbehalte liegen auf der Hand: Ist es Greens Absicht, die von ihm und seinem Bruder großgezogene und liebevoll gepäppelte Cashcow bis zum letzten Tropfen zu melken? Zeugt es von Chuzpe oder mangelnder Originalität, dass sich sein Roman ebenfalls an Teenager und junge Erwachsene richtet? Kann er überhaupt schreiben? Hat er etwas zu erzählen?
Kann er, hat er. "Ein wirklich erstaunliches Ding" ist in mancher Hinsicht das, was der Titel verheißt. Es ist ein Buch, in dem jener Bereich modernen Lebens soziologisch und psychologisch vermessen wird, den Kulturkritiker gerne als Hauptrivalen des Buchs brandmarken. Dabei müssen sich digitale und literarische Welt nicht ausschließen. Green sagt: "Ich wünsche mir nur, dass wir uns immer wieder gegenseitig daran erinnern, was für eine coole Sache Bücher sind."
Sein Debüt handelt von der Persönlichkeitsentwicklung einer Produktdesignerin namens April. Sie ist dreiundzwanzig Jahre alt und hat stets dagegen angearbeitet, süß gefunden zu werden. Nun bekommt sie die Gelegenheit, den Niedlichkeitsimperativ ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen, denn sie erlangt zunächst eine gewisse Popularität, dann größere Bekanntheit, anschließend den Status eines Idols und schlussendlich weltweite Prominenz. Jeden dieser Schritte kontrolliert sie mit mal ausgeklügelten, mal überstürzten Selbstdarstellungsstrategien. Ob Facebook oder Twitter, Youtube oder Instagram, April lässt ihre Follower nie lange warten. Dabei weiß sie doch eigentlich: "Der Trick, um wirklich cool rüberzukommen, besteht darin, dass einem die Meinung der anderen komplett scheißegal sein muss."
Ihren Ruhm verdankt April den Außerirdischen. Sie sind auf der Erde gelandet und haben an vierundsechzig Orten Skulpturen aufgestellt, die aus einem unbekannten Material bestehen und anmuten wie "Transformer in Samurai-Rüstung". April entdeckt als Erste den in New York plazierten Roboter, nennt ihn Carl und beginnt, über das Phänomen in sozialen Netzwerken zu berichten. Die Aliens versorgen die Menschen derweil mit komplizierten Denkspielen. Warum? Weiß keiner. Aber während es die einen wunderbar finden, die Weltbevölkerung im Rätselknackerfieber vereint zu sehen, wittern die anderen eine feindliche Übernahme des Planeten. April freut sich über den extraterrestrischen Besuch und tritt als Moderatorin und Zeremonienmeisterin des Geschehens hervor.
Mit stupender Einfühlung schildert Green, wie sie sich dabei von einem Menschen in ein Symbol und eine Marke verwandelt, wie sie einen ansehnlichen Größenwahn kultiviert, um dann wieder an sich zu zweifeln und zu verzweifeln. Die Selbstbespiegelung, der rasant zunehmende Narzissmus, die mit koketter Eigenwerbung betriebene Imagepflege - all das seziert der Autor so gründlich, bis die dahinter verschanzten Wünsche, Ängste und Affekte offen vor uns liegen. Am Ende ist April eine bedauerliche Marktschreierin.
Dass es bei solcher Kommunikation weniger um die Sach- denn um die Sozialdimension der Aufmerksamkeit geht, ist aus anderen Zusammenhängen bekannt, wird von Green aber besonders nachvollziehbar entfaltet. In Georg Francks 1998 erschienenem Buch "Ökonomie der Aufmerksamkeit" heißt es: "Die Aufmerksamkeit anderer Menschen ist die unwiderstehlichste aller Drogen." April formuliert es ähnlich: "Berühmtsein ist eine Droge." Auch die Lektüre von Greens Erstling entwickelt einen Sog, dem man sich nur schwer entziehen kann. Das Ende führt indes zu großer Ernüchterung. Nicht weil es missraten wäre, sondern weil es offenbleibt. Allerdings nicht mehr lange - das Sequel ist bereits in Planung.
KAI SPANKE
Hank Green: "Ein wirklich erstaunliches Ding". Roman.
Aus dem Englischen von Katarina Ganslandt. Dtv Bold, München 2019. 448 S., geb., 22,- [Euro]. Ab 14 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensentin Karin Janker ist schwer angetan von diesem Buch des Youtube-Stars Hank Green. Dass der Internet-Unternehmer ausgerechnet mit einem Buch so richtig Fahrt aufnimmt, findet sie wirklich erstaunlich. Wie Green aus eigener Anschauung, aber mittels der fiktiven Figur der April May, die über Nacht zum Internet-Star wird, weil sie sich mit plötzlich die Erde bevölkernden extraterrestrischen Lebensformen auskennt, heiße Themen wie die Dynamik sozialer Medien, Identität und Personality angeht, findet Janker stark und lehrreich.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Mit 'Ein wirklich erstaunliches Ding' ist Vlogger Hank Green (Bruder von Bestsellerautor John Green) ein wirklich fesselnder Sociial-Media-Thriller gelungen. Schule 20190901