Ein Wesen, das die Menschen verzaubert: ein kleiner rosaroter Elefant, der in der Dunkelheit leuchtet. Plötzlich ist er da, in der Höhle des Obdachlosen Schoch. Wie das seltsame Geschöpf entstanden ist und woher es kommt, weiß nur einer: der Genforscher Roux. Er möchte eine weltweite Sensation daraus machen. Allerdings wurde es ihm entwendet. Denn es gibt auch Leute, die es beschützen wollen, etwa der burmesische Elefantenflüsterer Kaung.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.01.2017Durch dick
und dünn
Martin Suter bürdet einem kleinen, rosafarbenen
Elefanten schwere philosophische Lasten auf
VON THOMAS STEINFELD
EEiner der vielen scheinbar rätselhaften Sätze in Franz Kafkas Tagebüchern lautet: „Wunder gab ich leichter zu als wirklichen Fortschritt.“ Er schreibt ihn, als er über die Möglichkeiten nachdenkt, die Welt zu verändern. Von Traurigkeit und Furcht sei dieses Nachdenken begleitet, von Traurigkeit, „weil die Gegenwart so traurig war“, und von Furcht, weil er nicht die Kraft zu besitzen glaubte, die „große männliche Zukunft“ zu beurteilen. Und so verharrt er, wo er ist, und manchmal träumt er.
Der Elefant, von dem das jüngste Buch des Schweizer Schriftstellers Martin Suter handelt, ist ein Wunder in Franz Kafkas Sinn: höchstens vierzig Zentimeter lang und dreißig hoch, mit einer rosafarbenen Haut, die gut zu einem Marzipanschwein gepasst hätte, und darüber hinaus leuchtet es im Dunkeln. Das Erstaunliche nimmt damit kein Ende, denn selbstverständlich ist das Wunder auch ein Lehrstück in höherer Metaphysik. Nicht nur, dass das kleine Tier anschmiegsam ist, gelegentlich Durchfall hat und sich mit dem Rüssel Wasser auf den Rücken spritzen kann: Es erzieht auch die Menschen in seiner Umgebung. Eingedenk des Wunders, dessen sie teilhaftig werden, verwandeln sie sich allmählich in bessere, und das heißt: verantwortungsvolle, liebende Menschen. Das gilt vor allem für den obdachlosen Trinker Schoch, in dessen Höhle der kleine Elefant eines Abends steht, aber auch für Valerie, die Veterinärin, die sich um die Tiere der „Randständigen“ kümmert.
Ein gutes Dutzend Kriminalromane hat der frühere Werbetexter und Kolumnist Martin Suter veröffentlicht, seit er mit „Small World“ (1997) zum ersten Mal die Geschichte eines Verbrechens nicht nur mit der Schilderung einer Krankheit, sondern auch mit der Beschreibung eines gesellschaftlichen Milieus verbunden hatte. Das Buch „Elefant“ folgt dieser Tradition, auch wenn es nicht um die Enthüllung eines Verbrechens, sondern um die Erhaltung eines Wunders geht: Da gibt es Schoch, den Mann mit einer exemplarisch gebrochenen Identität. Denn selbstverständlich ist da ein Grund, warum er die elementare Menschlichkeit im Alkohol und in der Gemeinschaft der Ausgestoßenen sucht. Da gibt es die feinen Leute mit einer Villa hoch oben auf dem Zürichberg, die alles besitzen, nur aber jene Menschlichkeit nicht. Da gibt es den skrupellosen Gentechniker, der – weniger aus Geldgier denn aus Rachsucht – unbedingt kleine rosa Elefanten herstellen will. Auch der gewalttätige Abgeordnete eines obskuren chinesischen Konzerns treibt sich bald am Ufer der Limmat herum, und Tote bleiben nicht aus.
Eine eigene literarische Technik hat Martin Suter für seine Geschichten entwickelt, und darin bildet „Elefant“ keine Ausnahme. Drei Teile hat das Buch und über hundert Kapitel, von denen selten eines länger als fünf Seiten ist und die meisten deutlich kürzer sind. Die Reihen von kurzen Sätzen werden gelegentlich von einem Satz mit Komma unterbrochen, aber das Verhältnis liegt, doppelte Hauptsätze als getrennte gezählt, bei mindestens drei zu eins: „Valerie grinste. Der Mann wollte sie auf den Arm nehmen. Oder er war nicht ganz richtig im Kopf. Das kam oft vor in der Suchtszene. Doch dann bewegte sich das Spielzeug. Der Rüssel schlängelte sich, der kleine Körper zog sich zusammen, und etwas floss ihm aus dem Mund. Das Wesen erbrach sich.“ So entsteht ein sachlicher, nahezu nachrichtlicher Ton, der sich hervorragend dazu eignet, das eigentlich nicht Kompatible einander kompatibel zu machen. Das Wunderbare fügt sich dann zum Alltäglichen, das Kriminalistische zur frommen Legende, die Liebesgeschichte zur technischen Beschreibung der Implantation eines gentechnisch veränderten Embryos in der Gebärmutter eines Elefanten.
Sogar über die Passagen, in denen es mit der Plausibilität ein wenig hakt – warum sollten sich plötzlich lauter Menschen, die sich nicht kennen und die nichts miteinander zu tun haben, ausgerechnet mit Miniaturelefanten beschäftigen? –, führt dieser Ton souverän hinweg.
Die lakonische Sprache verbirgt nur schlecht – und soll vermutlich auch gar nicht verbergen, im Gegenteil –, dass dieses Buch mehr und anderes sein will als eine spannende Geschichte. Zu bemerken ist das schon in der Beschreibung des Milieus, in dem obdachlose Trinker leben. Eine sehr gründliche Recherche scheint darin eingeflossen zu sein, nicht nur zu Orten und Verhaltensweisen, sondern auch zur Anziehungskraft des Sixpacks. Die Recherche dient sicherlich auch der Wahrhaftigkeit, doch zugleich geht es um Höheres: um das Heraustreten aus einer immer wieder vergeudeten, weil einem vermeintlichen persönlichen Fortschreiten gewidmeten Zeit.
Den Pennern wohnt in diesem Buch eine Hoffnung auf profane Erlösung inne, und das gilt sogar für Bolle, den Einäugigen, der sich seines Verstandes eigentlich schon entledigt hatte. Bald gelten nicht nur die Penner, sondern auch die Tiere im Allgemeinen und die Elefanten im Besonderen als Garanten des Wahren im Falschen. Und irgendwann in der zweiten Hälfte des Buches, spätestens an der Stelle, an der geriebener Parmesan über Ravioli gestreut wird, bildet die Jagd nach dem rosa Elefanten nur noch eine Seite des Romangeschehens, während die andere sich den Fragen nach einem lebenswerten Leben, ja nach der Schöpfung überhaupt zuwendet.
In diesem Sinne muss schließlich die Sache mit dem Wunder verstanden werden: als Versuch einer Intervention im Absurden, weil der Mut, der Verstand und die Kraft nicht auszureichen scheinen. Jedes kleine Fortschreiten, hatte Franz Kafka geschrieben, komme ihm „wie eine Fälschung“ vor, „das Nächste unerreichbar“. Dann lieber aufs Ganze gehen, ins Unwahrscheinliche und Fantastische – und einen kleinen rosa Elefanten in die Welt schicken. Martin Suters Buch ist leicht. Es ist über längere Strecken unterhaltsam. Aber der Elefant bekommt, so klein und rosa, wie er ist, philosophische Gewichte aufgebürdet, die nicht nur für ihn viel zu schwer sind.
Martin Suter: Elefant. Roman. Diogenes Verlag, Zürich 2017. 352 S., 24 Euro. E-Book 20,99 Euro.
Den Ausgestoßenen wohnt
in diesem Buch eine Hoffnung
auf profane Erlösung inne
Interventionist des Wunderbaren:
Martin Suter. Foto: picture alliance
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
und dünn
Martin Suter bürdet einem kleinen, rosafarbenen
Elefanten schwere philosophische Lasten auf
VON THOMAS STEINFELD
EEiner der vielen scheinbar rätselhaften Sätze in Franz Kafkas Tagebüchern lautet: „Wunder gab ich leichter zu als wirklichen Fortschritt.“ Er schreibt ihn, als er über die Möglichkeiten nachdenkt, die Welt zu verändern. Von Traurigkeit und Furcht sei dieses Nachdenken begleitet, von Traurigkeit, „weil die Gegenwart so traurig war“, und von Furcht, weil er nicht die Kraft zu besitzen glaubte, die „große männliche Zukunft“ zu beurteilen. Und so verharrt er, wo er ist, und manchmal träumt er.
Der Elefant, von dem das jüngste Buch des Schweizer Schriftstellers Martin Suter handelt, ist ein Wunder in Franz Kafkas Sinn: höchstens vierzig Zentimeter lang und dreißig hoch, mit einer rosafarbenen Haut, die gut zu einem Marzipanschwein gepasst hätte, und darüber hinaus leuchtet es im Dunkeln. Das Erstaunliche nimmt damit kein Ende, denn selbstverständlich ist das Wunder auch ein Lehrstück in höherer Metaphysik. Nicht nur, dass das kleine Tier anschmiegsam ist, gelegentlich Durchfall hat und sich mit dem Rüssel Wasser auf den Rücken spritzen kann: Es erzieht auch die Menschen in seiner Umgebung. Eingedenk des Wunders, dessen sie teilhaftig werden, verwandeln sie sich allmählich in bessere, und das heißt: verantwortungsvolle, liebende Menschen. Das gilt vor allem für den obdachlosen Trinker Schoch, in dessen Höhle der kleine Elefant eines Abends steht, aber auch für Valerie, die Veterinärin, die sich um die Tiere der „Randständigen“ kümmert.
Ein gutes Dutzend Kriminalromane hat der frühere Werbetexter und Kolumnist Martin Suter veröffentlicht, seit er mit „Small World“ (1997) zum ersten Mal die Geschichte eines Verbrechens nicht nur mit der Schilderung einer Krankheit, sondern auch mit der Beschreibung eines gesellschaftlichen Milieus verbunden hatte. Das Buch „Elefant“ folgt dieser Tradition, auch wenn es nicht um die Enthüllung eines Verbrechens, sondern um die Erhaltung eines Wunders geht: Da gibt es Schoch, den Mann mit einer exemplarisch gebrochenen Identität. Denn selbstverständlich ist da ein Grund, warum er die elementare Menschlichkeit im Alkohol und in der Gemeinschaft der Ausgestoßenen sucht. Da gibt es die feinen Leute mit einer Villa hoch oben auf dem Zürichberg, die alles besitzen, nur aber jene Menschlichkeit nicht. Da gibt es den skrupellosen Gentechniker, der – weniger aus Geldgier denn aus Rachsucht – unbedingt kleine rosa Elefanten herstellen will. Auch der gewalttätige Abgeordnete eines obskuren chinesischen Konzerns treibt sich bald am Ufer der Limmat herum, und Tote bleiben nicht aus.
Eine eigene literarische Technik hat Martin Suter für seine Geschichten entwickelt, und darin bildet „Elefant“ keine Ausnahme. Drei Teile hat das Buch und über hundert Kapitel, von denen selten eines länger als fünf Seiten ist und die meisten deutlich kürzer sind. Die Reihen von kurzen Sätzen werden gelegentlich von einem Satz mit Komma unterbrochen, aber das Verhältnis liegt, doppelte Hauptsätze als getrennte gezählt, bei mindestens drei zu eins: „Valerie grinste. Der Mann wollte sie auf den Arm nehmen. Oder er war nicht ganz richtig im Kopf. Das kam oft vor in der Suchtszene. Doch dann bewegte sich das Spielzeug. Der Rüssel schlängelte sich, der kleine Körper zog sich zusammen, und etwas floss ihm aus dem Mund. Das Wesen erbrach sich.“ So entsteht ein sachlicher, nahezu nachrichtlicher Ton, der sich hervorragend dazu eignet, das eigentlich nicht Kompatible einander kompatibel zu machen. Das Wunderbare fügt sich dann zum Alltäglichen, das Kriminalistische zur frommen Legende, die Liebesgeschichte zur technischen Beschreibung der Implantation eines gentechnisch veränderten Embryos in der Gebärmutter eines Elefanten.
Sogar über die Passagen, in denen es mit der Plausibilität ein wenig hakt – warum sollten sich plötzlich lauter Menschen, die sich nicht kennen und die nichts miteinander zu tun haben, ausgerechnet mit Miniaturelefanten beschäftigen? –, führt dieser Ton souverän hinweg.
Die lakonische Sprache verbirgt nur schlecht – und soll vermutlich auch gar nicht verbergen, im Gegenteil –, dass dieses Buch mehr und anderes sein will als eine spannende Geschichte. Zu bemerken ist das schon in der Beschreibung des Milieus, in dem obdachlose Trinker leben. Eine sehr gründliche Recherche scheint darin eingeflossen zu sein, nicht nur zu Orten und Verhaltensweisen, sondern auch zur Anziehungskraft des Sixpacks. Die Recherche dient sicherlich auch der Wahrhaftigkeit, doch zugleich geht es um Höheres: um das Heraustreten aus einer immer wieder vergeudeten, weil einem vermeintlichen persönlichen Fortschreiten gewidmeten Zeit.
Den Pennern wohnt in diesem Buch eine Hoffnung auf profane Erlösung inne, und das gilt sogar für Bolle, den Einäugigen, der sich seines Verstandes eigentlich schon entledigt hatte. Bald gelten nicht nur die Penner, sondern auch die Tiere im Allgemeinen und die Elefanten im Besonderen als Garanten des Wahren im Falschen. Und irgendwann in der zweiten Hälfte des Buches, spätestens an der Stelle, an der geriebener Parmesan über Ravioli gestreut wird, bildet die Jagd nach dem rosa Elefanten nur noch eine Seite des Romangeschehens, während die andere sich den Fragen nach einem lebenswerten Leben, ja nach der Schöpfung überhaupt zuwendet.
In diesem Sinne muss schließlich die Sache mit dem Wunder verstanden werden: als Versuch einer Intervention im Absurden, weil der Mut, der Verstand und die Kraft nicht auszureichen scheinen. Jedes kleine Fortschreiten, hatte Franz Kafka geschrieben, komme ihm „wie eine Fälschung“ vor, „das Nächste unerreichbar“. Dann lieber aufs Ganze gehen, ins Unwahrscheinliche und Fantastische – und einen kleinen rosa Elefanten in die Welt schicken. Martin Suters Buch ist leicht. Es ist über längere Strecken unterhaltsam. Aber der Elefant bekommt, so klein und rosa, wie er ist, philosophische Gewichte aufgebürdet, die nicht nur für ihn viel zu schwer sind.
Martin Suter: Elefant. Roman. Diogenes Verlag, Zürich 2017. 352 S., 24 Euro. E-Book 20,99 Euro.
Den Ausgestoßenen wohnt
in diesem Buch eine Hoffnung
auf profane Erlösung inne
Interventionist des Wunderbaren:
Martin Suter. Foto: picture alliance
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.02.2017Am besten nichts dem Zufall überlassen
Wie man einem Elefanten die Prostata massiert: Martin Suter stellt im ausverkauften Schauspiel Frankfurt seinen neuen Roman vor.
Von Florian Balke
Der Titelheld ist klein, der Erfolg des Romans groß. Nicht einmal drei Kilo wiegt das Tier, von dem Martin Suter in "Elefant" erzählt, erst seit drei Wochen ist das Buch auf dem Markt und schon führt es die Bestsellerliste des "Spiegels" an. "Ich fühle mich prima", sagt Suter im Schauspiel Frankfurt. Vermutlich auch, weil die Sitzreihen vor ihm bis auf den letzten Platz gefüllt sind. Aber das mit den ausverkauften Häusern kennt er schon. Und das mit den Spitzenplätzen auch: "Ich versuche, mich nicht daran zu gewöhnen."
Gut geht es mit Suter vorne auf der Bühne aber auch dem Publikum. Denn der Autor tut alles dafür, dass seinen Büchern ihr gewohnter Erfolg erhalten bleibt, auch wenn er bisher nie über tapfere kleine Zwergelefanten mit rosafarbener Haut geschrieben hat, deren Erbmaterial ein böser Gentechniker so manipuliert hat, dass sie auch noch im Dunkeln leuchten. Dass Leuchten stammt aus den Erbanlagen der Glühwürmchen, das Rosa aus den Genen, die für die Hautpigmentierung des Mandrills zuständig sind. Suter versorgt seine Leser aber nicht nur mit unterhaltsamem Stoff zum Nachdenken, sondern achtet auch live darauf, dass sie bekommen, was sie wollen. Darüber, wie bewusst dosiert er dem allgemeinen Bedürfnis nach Spannung und Humor entgegenkommt, war an diesem Abend einiges zu erfahren, gerade weil die charmant nachfragende ZDF-Moderatorin Petra Gerster ihrem Gesprächspartner alles Persönliche immer wieder mühsam abringen musste.
Denn in die Karten schauen lässt Suter sich gar nicht gerne. Die Gentechnik? Ist für ihn Fluch und Segen zugleich. Wäre ein süßer kleiner rosa Elefant wie der im Buch für ihn in Wirklichkeit eine moralische Grenzüberschreitung? Suter spricht lieber über die Mini-Schweine, die es in China schon gebe. Hat er beim Schreiben eine Lieblingsfigur gehabt? "Das ist eine Frage, die ich mir nie stelle." Die emotionale Bindung der Buchkäufer an Suters Werk wirkt an diesem Abend gelegentlich größer als die des Autors.
Mag sein, das ist nicht mehr ist als die Reserviertheit des schnell denkenden, aber überaus bedächtig formulierenden Schweizers. Aber da sind weitere Signale der Kühle. Auf die Idee zum "Elefanten" kam Suter vor zehn Jahren bei einem Besuch in Mathias Juckers Hirnforschungsinstitut in Tübingen. Jucker sagte ihm damals, bald sei die Herstellung eines winzigen rosa Leuchtelefanten kein Problem mehr. "Das wäre doch ein hübsches Spielzeug für saudische Prinzenkinder", dachte Suter sich und beschloss, über das Tierchen irgendwann zu schreiben. Auch aus einem anderen Grund allerdings, den er erst später erwähnt: "Ich habe natürlich schon gedacht, dass es ein bisschen drastischer ist, wenn es ein entzückendes Wesen ist und kein Frankenstein."
Suter ist berechnend und weiß es. Und seine Leser wissen es auch. "Er hat es faustdick hinter den Ohren", sagt der Mann auf dem Nebensitz. Den Zuhörern gefällt die kühle Gleichmütigkeit, mit der Suter beschreibt, wie der böse Genforscher Roux der Laborratte Miss Playmate einen Teil der Eierstockrinde einer in Sri Lanka ums Leben gekommenen jungen Elefantenkuh einsetzt, damit die Eizellen in der Ratte heranreifen und er sie für seine Experimente verwenden kann. Sie bewundern ihn für das diebische Vergnügen, mit dem er vorträgt, wie ein junger Mann in Schürze und Handschuhen hinter einen Elefantenbullen tritt, dem Tier beherzt den Dung aus dem Enddarm entfernt und anschließend ungerührt damit beginnt, ihm zur Entnahme seines Samens die Prostata zu massieren. Mit dem gewünschten Erfolg.
Wie er seinem Publikum die Körperstellen massiert, an denen es sich für das Kaufen eines seiner Bücher entscheidet, weiß Suter auch. "In diesem Buch ist nichts Zufall", sagt er und grinst. Der Saal lacht wissend. An E. T. A. Hoffmann, fügt Suter hinzu, schätze er, wie dieser nichts passieren lasse, wenn man etwas erwarte, und viel passieren lasse, wenn man nicht damit rechne. Bei ihm tritt zur kühlen Sicherheit der Ausführung daher die Wärme des Sentiments. Niedlich ist der kleine Elefant, nett der Obdachlose, dem das Tier begegnet. "Immer die Kleinen", sagt Gerster einfühlsam. "Genau", sagt Suter. Die gebrochenen Charaktere habe er wohl lieber? "Da haben Sie mich durchschaut." Auch da lachen die Zuhörer. Nichts ist schöner als das Einverständnis von Fans und Stars über das Befolgen von Erfolgsrezepten.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie man einem Elefanten die Prostata massiert: Martin Suter stellt im ausverkauften Schauspiel Frankfurt seinen neuen Roman vor.
Von Florian Balke
Der Titelheld ist klein, der Erfolg des Romans groß. Nicht einmal drei Kilo wiegt das Tier, von dem Martin Suter in "Elefant" erzählt, erst seit drei Wochen ist das Buch auf dem Markt und schon führt es die Bestsellerliste des "Spiegels" an. "Ich fühle mich prima", sagt Suter im Schauspiel Frankfurt. Vermutlich auch, weil die Sitzreihen vor ihm bis auf den letzten Platz gefüllt sind. Aber das mit den ausverkauften Häusern kennt er schon. Und das mit den Spitzenplätzen auch: "Ich versuche, mich nicht daran zu gewöhnen."
Gut geht es mit Suter vorne auf der Bühne aber auch dem Publikum. Denn der Autor tut alles dafür, dass seinen Büchern ihr gewohnter Erfolg erhalten bleibt, auch wenn er bisher nie über tapfere kleine Zwergelefanten mit rosafarbener Haut geschrieben hat, deren Erbmaterial ein böser Gentechniker so manipuliert hat, dass sie auch noch im Dunkeln leuchten. Dass Leuchten stammt aus den Erbanlagen der Glühwürmchen, das Rosa aus den Genen, die für die Hautpigmentierung des Mandrills zuständig sind. Suter versorgt seine Leser aber nicht nur mit unterhaltsamem Stoff zum Nachdenken, sondern achtet auch live darauf, dass sie bekommen, was sie wollen. Darüber, wie bewusst dosiert er dem allgemeinen Bedürfnis nach Spannung und Humor entgegenkommt, war an diesem Abend einiges zu erfahren, gerade weil die charmant nachfragende ZDF-Moderatorin Petra Gerster ihrem Gesprächspartner alles Persönliche immer wieder mühsam abringen musste.
Denn in die Karten schauen lässt Suter sich gar nicht gerne. Die Gentechnik? Ist für ihn Fluch und Segen zugleich. Wäre ein süßer kleiner rosa Elefant wie der im Buch für ihn in Wirklichkeit eine moralische Grenzüberschreitung? Suter spricht lieber über die Mini-Schweine, die es in China schon gebe. Hat er beim Schreiben eine Lieblingsfigur gehabt? "Das ist eine Frage, die ich mir nie stelle." Die emotionale Bindung der Buchkäufer an Suters Werk wirkt an diesem Abend gelegentlich größer als die des Autors.
Mag sein, das ist nicht mehr ist als die Reserviertheit des schnell denkenden, aber überaus bedächtig formulierenden Schweizers. Aber da sind weitere Signale der Kühle. Auf die Idee zum "Elefanten" kam Suter vor zehn Jahren bei einem Besuch in Mathias Juckers Hirnforschungsinstitut in Tübingen. Jucker sagte ihm damals, bald sei die Herstellung eines winzigen rosa Leuchtelefanten kein Problem mehr. "Das wäre doch ein hübsches Spielzeug für saudische Prinzenkinder", dachte Suter sich und beschloss, über das Tierchen irgendwann zu schreiben. Auch aus einem anderen Grund allerdings, den er erst später erwähnt: "Ich habe natürlich schon gedacht, dass es ein bisschen drastischer ist, wenn es ein entzückendes Wesen ist und kein Frankenstein."
Suter ist berechnend und weiß es. Und seine Leser wissen es auch. "Er hat es faustdick hinter den Ohren", sagt der Mann auf dem Nebensitz. Den Zuhörern gefällt die kühle Gleichmütigkeit, mit der Suter beschreibt, wie der böse Genforscher Roux der Laborratte Miss Playmate einen Teil der Eierstockrinde einer in Sri Lanka ums Leben gekommenen jungen Elefantenkuh einsetzt, damit die Eizellen in der Ratte heranreifen und er sie für seine Experimente verwenden kann. Sie bewundern ihn für das diebische Vergnügen, mit dem er vorträgt, wie ein junger Mann in Schürze und Handschuhen hinter einen Elefantenbullen tritt, dem Tier beherzt den Dung aus dem Enddarm entfernt und anschließend ungerührt damit beginnt, ihm zur Entnahme seines Samens die Prostata zu massieren. Mit dem gewünschten Erfolg.
Wie er seinem Publikum die Körperstellen massiert, an denen es sich für das Kaufen eines seiner Bücher entscheidet, weiß Suter auch. "In diesem Buch ist nichts Zufall", sagt er und grinst. Der Saal lacht wissend. An E. T. A. Hoffmann, fügt Suter hinzu, schätze er, wie dieser nichts passieren lasse, wenn man etwas erwarte, und viel passieren lasse, wenn man nicht damit rechne. Bei ihm tritt zur kühlen Sicherheit der Ausführung daher die Wärme des Sentiments. Niedlich ist der kleine Elefant, nett der Obdachlose, dem das Tier begegnet. "Immer die Kleinen", sagt Gerster einfühlsam. "Genau", sagt Suter. Die gebrochenen Charaktere habe er wohl lieber? "Da haben Sie mich durchschaut." Auch da lachen die Zuhörer. Nichts ist schöner als das Einverständnis von Fans und Stars über das Befolgen von Erfolgsrezepten.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Martin Suter gilt als Meister einer eleganten Feder, die so fein geschliffen ist, dass man die Stiche oft erst hinterher spürt.« Monika Willer / Westfalenpost Westfalenpost