Was wäre, wenn? Wie sähe unser Land aus, wenn es von einer rechtsnationalen Partei regiert würde? Anton ist ein junger Soldat, der die neue Grenzmauer bewacht, die Deutschland umschließt. Er ist begeistert von der Nationalen Alternative, der neuen Regierungspartei, und vom Selbstbewusstsein seines Landes. Seinem besten Freund Noah dagegen ist das alles verhasst. Er ist weder für Atomkraft noch findet er es richtig, dass die Schulpflicht und gesetzliche Arbeitslosenhilfe abgeschafft und konservative Rollenbilder gefördert werden und Flüchtlingen keinerlei Schutz geboten wird. Flüchtlingen wie Fana. Sie flieht aus Äthiopien und trifft im letzten Flüchtlingslager Deutschlands auf Anton, der in einen Zwiespalt gerät und sich entscheiden muss: für Freundschaft oder eine nationale Ideologie.
Packend, brisant und exzellent recherchiertes, erschreckend realistisches Zukunftsszenario.
Packend, brisant und exzellent recherchiertes, erschreckend realistisches Zukunftsszenario.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.09.2017Wenn wir regieren, dann räumen wir auf
Wie es ist, wenn die Nationale Alternative an der Macht ist: Der Jugendbuchautor Martin Schäuble hat es durchgespielt. Sein Roman ist näher an den Versprechen der AfD, als vielen lieb ist.
Als Anton klarwird, warum sie ihn wirklich in das letzte verbliebene Lager für Leute eingeschleust haben, die früher einmal Flüchtlinge genannt wurden und jetzt Invasoren heißen, ist es schon zu spät: Dass die Bombe in der Halle hochgeht, kann er nicht mehr verhindern. Und alles, was ihm und Fana bleibt, ist, die Rauchmelder losgehen zu lassen und einen Satz an die Wand zu schreiben, der es den Attentätern später schwermachen wird, den Anschlag wie geplant den Flüchtlingen selbst in die Schuhe zu schieben: "Wir hassen euch raus!"
"Rausgehasst" hieß das erste Buch Martin Schäubles, vor mehr als zehn Jahren als Book-on-demand erschienen, eine Recherche unter Rechtsextremisten in der Sächsischen Schweiz. "Mit dem Aufstieg der AfD sind viele Bilder wieder hochgekommen, Dialoge, Gestalten", erzählt der Sach- und Jugendbuchautor dieser Tage beim Gespräch im Café der Stuttgarter Stadtbibliothek. Auch die Frage, was einen jungen Menschen dazu bringen kann, dieser Ideologie zu folgen, holte ihn wieder ein: "Ich wusste, ich wollte die AfD erkunden, vor allem die Begeisterung für die AfD."
Derlei Erkundungen sind die Stärke des promovierten Politikwissenschaftlers: In "Blackbox Dschihad", veröffentlicht im Jahr 2011, hat Martin Schäuble in minutiöser Recherche die Lebenswege zweier Jugendlicher nachgezeichnet, die alles Unislamische bekämpfen. Nach einer Reihe von Büchern über den Nahost-Konflikt geht es ihm jetzt um jene, für die der Islam der Feind ist. Und die Motive und Muster der Extremisten beider Lager ähneln einander überraschend, wie Schäuble berichtet. In "Endland", seinem zweiten Jugendroman, erschienen bei Hanser, zeichnet er ein Bild unseres Landes drei, vier Jahre nachdem eine Bewegung namens "Nationale Alternative" an die Regierung gekommen ist - zu einem Zeitpunkt also, "wenn die Partei", wie der Autor sagt, "das Land schon umgekrempelt hat und die Menschen bereit sind, weiter zu gehen als bisher".
Das heißt konkret: Deutschland hat sich hinter einer acht Meter hohen, mit Stacheldraht bewehrten Betonmauer verschanzt. Die Grenze wird von Rekruten mit Schießbefehl gesichert, vor den sogenannten Invasoren. Anton ist einer dieser jungen Soldaten, genauso wie sein Freund Noah - was bleibt ihnen auch anderes übrig? Während der eine sich mit den Zielen der Partei identifiziert, den schneidigen Ausbilder Stahlke schätzt und auf eine Dienstverlängerung hofft, zerstört der andere mutwillig sein Nachtsichtgerät und schießt sein Magazin lieber in die Luft als in Richtung der Eindringlinge, die sich vor ihnen in der nasskalten Dunkelheit im Unterholz verstecken.
Dass die beiden einander nicht an die Gurgel gehen, sondern zu überzeugen versuchen, verdankt sich einer langen Freundschaft, ja Liebe. Die auf die Probe gestellt wird, als Stahlke Anton einem Parteifreund vorstellt und mit einer Geheimmission der "Neuen Nationalen Alternative" betraut, den, wie die beiden Verschwörer dem jungen Mann erklären, kompromisslosen "erwachsenen Söhnen" der für ihren Geschmack zu zaghaften Mutterpartei. Anton wird nach Polen gebracht, schließt sich einer Flüchtlingsgruppe an, erlebt selbst die Todesangst in der stickigen Enge eines Kühltransporters, der kurz hinter der Grenze gestoppt wird, und wird am Straßenrand von der mit ihm geflüchteten Äthiopierin Fana versorgt, deren Hilfe er zunächst nur widerstrebend annimmt. Als er ihr schließlich nach Tagen im Lager vertraut, hat sie längst gemerkt, dass Anton nicht der ukrainische Flüchtling ist, für den er sich ausgibt.
Doch die Geschichte um die Explosion im Flüchtlingslager, den Kampf um deren Deutung, um die Defensive, in die die "Nationale Alternative" daraufhin gerät, um Fanas folgenreichen Fernsehauftritt und Antons Flucht, die ihn fürs erste nach Polen führt, ist nur der Antrieb von Martin Schäubles packendem Jugendbuch. Dem Autor geht es vor allem darum, das Bild eines Landes zu zeichnen, das sich verändert hat. Auch und gerade für die Wähler dieser Veränderung selbst.
"Wenn die AfD das, was sie in ihre Wahlprogramme geschrieben hat, auf Plakate druckte, würde sie einen Großteil ihrer Wähler abschrecken", sagt der promovierte Politikwissenschaftler. Und was immer in seinem Roman an politischen Neuerungen vorkommt, so befremdlich sie auch wirken mögen: All dies entspringt nicht etwa der blühenden Phantasie eines Schriftstellers, es ist nicht etwa überzeichnet, wie gerade erst die Rezension des Romans in einer Wochenzeitung suggerierte, sondern direkt aus Veröffentlichungen und Verlautbarungen der AfD abgeleitet - gelesen in den unterschiedlichen Programmen der Partei, gehört auf einer von Dutzenden Veranstaltungen, die der Autor in Stuttgart und im Nordosten Deutschlands besucht hat. "Das rechtlich abzusichern hat uns im Verlag am meisten Arbeit gemacht", erzählt Martin Schäuble.
Die Abschaffung der Erbschaftssteuer? Findet sich im Programm zur Bundestagswahl. Die Abschaffung der Schulpflicht? Kommt aus dem Landesparteiprogramm von Sachsen-Anhalt. Die Privatisierung der Arbeitslosenhilfe? Findet sich in einer ersten Fassung des Grundsatzprogramms und wurde im Frühjahr 2016 schnell gestrichen. Dort findet sich aber weiterhin, dass "die aktuelle Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus" zugunsten einer "erweiterten Geschichtsbetrachtung aufzubrechen" sei, die auch "die positiven, identitätsstiftenden Aspekte deutscher Geschichte" umfassen soll. Dass die Aussagen des Weltklimarats, Klimaänderungen seien vorwiegend menschengemacht, wissenschaftlich nicht gesichert seien und auch Deutschland das Pariser Klimaschutzabkommen kündigen solle, steht auf der Website der Partei.
"Wenn wir an der Macht sind, dann räumen wir auf" - diesen Satz hat Martin Schäuble mehrmals gehört. In "Endland" hat das Aufräumen bereits stattgefunden. In der Wirklichkeit indes sehe sich die AfD nicht gezwungen, umzusetzen, was sie fordere, sagt Schäuble. Und der Wähler werde nicht mit den Folgen konfrontiert. Er habe große Sorge, was nach der Wahl kommt. "In den Bundestag, in die Opposition kommt die AfD auf jeden Fall. Die Frage ist, ob das schon zur Entlarvung genügt. Es kann immer noch sein, dass die Wähler sich weiterhin missverstanden fühlen von den etablierten Parteien, den Altparteien, wie die AfD sagt - auch so ein Wort, das man dann einfach mitverwendet."
Andererseits könne man in den Landtagen, in denen die AfD sitzt, schon einen ganz guten Vorgeschmack auf das bekommen, was innerparteilich bevorsteht: "Die Grabenkämpfe intern, die jetzt auch im Großen ausgeführt werden von Petry gegen die Fraktion Weidel/Gauland, das merken auch die Wähler deutlich. Wer das beobachtet, der ahnt schon, dass es ihnen nicht wirklich um die Interessen der kleinen Leute geht." Außerdem könne sich die Partei nicht lange auf eine Wählerschaft verlassen, die ihr ihre Stimmen vor allem deshalb gibt, um den anderen zu zeigen, dass es so nicht geht. "In dem Sinne findet schon eine Art Entzauberung statt", sagt der Politikwissenschaftler, "und das ständige Wiederholen dieser Angstpolitik wird früher oder später auffallen."
In jedem Fall werde sich, sagt Martin Schäuble, die Atmosphäre im Bundestag verändern. "Man merkt ja jetzt schon, wie die Sprache auch im Alltag vergiftet wird durch diese Partei - durch Wörter wie ,Lügenpresse' oder ,Altparteien', das klingt nach Altwarenhändler, und das hört man jetzt auch schon mal von Freunden. Oder Volksverräter. Wenn diese Sprache der Verrohung im Bundestag einkehrt, dann kommt eine hetzende Stimmung herein, die uns nicht gut tut."
Dabei könne man in unserer Demokratie doch über alles reden, man dürfe alles lesen, Deutschland sei, so sagt es Schäuble, der viele Krisenregionen der Welt bereist hat, tatsächlich ein Paradies.
Auf der Website der AfD wird der Programmpunkt "Bildung / Schule" ausgerechnet mit einer Innenansicht der paradiesischen Stuttgarter Stadtbibliothek aufgemacht, in die sich Schäuble häufig zum Recherchieren und Schreiben zurückzieht. "Es war schon seltsam, hier zu sitzen und den Blick, den wir jetzt gerade haben, auf der AfD-Seite wiederzufinden", sagt der Autor. "Dabei würden Stadtbibliotheken wie diese zu den ersten Orten gehören, die schließen müssten, wenn die AfD an die Macht käme."
Auf der Fassade dieses großzügigen, geistreichen Baus eines Ausländers, des koreanischen Architekten Eun Young Yi, ist das Wort Bibliothek zu lesen, in vielen Sprachen, in vielen Schriften, unter anderem auf Arabisch: ein weithin sichtbares Zeichen für das Verbindende der Bildung und des Geistes, ohne das Kultur undenkbar ist. Und gewiss ein Dorn im Auge der AfD, auf deren Website zu lesen steht: ",Multi-Kultur' ist Nicht-Kultur".
FRIDTJOF KÜCHEMANN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie es ist, wenn die Nationale Alternative an der Macht ist: Der Jugendbuchautor Martin Schäuble hat es durchgespielt. Sein Roman ist näher an den Versprechen der AfD, als vielen lieb ist.
Als Anton klarwird, warum sie ihn wirklich in das letzte verbliebene Lager für Leute eingeschleust haben, die früher einmal Flüchtlinge genannt wurden und jetzt Invasoren heißen, ist es schon zu spät: Dass die Bombe in der Halle hochgeht, kann er nicht mehr verhindern. Und alles, was ihm und Fana bleibt, ist, die Rauchmelder losgehen zu lassen und einen Satz an die Wand zu schreiben, der es den Attentätern später schwermachen wird, den Anschlag wie geplant den Flüchtlingen selbst in die Schuhe zu schieben: "Wir hassen euch raus!"
"Rausgehasst" hieß das erste Buch Martin Schäubles, vor mehr als zehn Jahren als Book-on-demand erschienen, eine Recherche unter Rechtsextremisten in der Sächsischen Schweiz. "Mit dem Aufstieg der AfD sind viele Bilder wieder hochgekommen, Dialoge, Gestalten", erzählt der Sach- und Jugendbuchautor dieser Tage beim Gespräch im Café der Stuttgarter Stadtbibliothek. Auch die Frage, was einen jungen Menschen dazu bringen kann, dieser Ideologie zu folgen, holte ihn wieder ein: "Ich wusste, ich wollte die AfD erkunden, vor allem die Begeisterung für die AfD."
Derlei Erkundungen sind die Stärke des promovierten Politikwissenschaftlers: In "Blackbox Dschihad", veröffentlicht im Jahr 2011, hat Martin Schäuble in minutiöser Recherche die Lebenswege zweier Jugendlicher nachgezeichnet, die alles Unislamische bekämpfen. Nach einer Reihe von Büchern über den Nahost-Konflikt geht es ihm jetzt um jene, für die der Islam der Feind ist. Und die Motive und Muster der Extremisten beider Lager ähneln einander überraschend, wie Schäuble berichtet. In "Endland", seinem zweiten Jugendroman, erschienen bei Hanser, zeichnet er ein Bild unseres Landes drei, vier Jahre nachdem eine Bewegung namens "Nationale Alternative" an die Regierung gekommen ist - zu einem Zeitpunkt also, "wenn die Partei", wie der Autor sagt, "das Land schon umgekrempelt hat und die Menschen bereit sind, weiter zu gehen als bisher".
Das heißt konkret: Deutschland hat sich hinter einer acht Meter hohen, mit Stacheldraht bewehrten Betonmauer verschanzt. Die Grenze wird von Rekruten mit Schießbefehl gesichert, vor den sogenannten Invasoren. Anton ist einer dieser jungen Soldaten, genauso wie sein Freund Noah - was bleibt ihnen auch anderes übrig? Während der eine sich mit den Zielen der Partei identifiziert, den schneidigen Ausbilder Stahlke schätzt und auf eine Dienstverlängerung hofft, zerstört der andere mutwillig sein Nachtsichtgerät und schießt sein Magazin lieber in die Luft als in Richtung der Eindringlinge, die sich vor ihnen in der nasskalten Dunkelheit im Unterholz verstecken.
Dass die beiden einander nicht an die Gurgel gehen, sondern zu überzeugen versuchen, verdankt sich einer langen Freundschaft, ja Liebe. Die auf die Probe gestellt wird, als Stahlke Anton einem Parteifreund vorstellt und mit einer Geheimmission der "Neuen Nationalen Alternative" betraut, den, wie die beiden Verschwörer dem jungen Mann erklären, kompromisslosen "erwachsenen Söhnen" der für ihren Geschmack zu zaghaften Mutterpartei. Anton wird nach Polen gebracht, schließt sich einer Flüchtlingsgruppe an, erlebt selbst die Todesangst in der stickigen Enge eines Kühltransporters, der kurz hinter der Grenze gestoppt wird, und wird am Straßenrand von der mit ihm geflüchteten Äthiopierin Fana versorgt, deren Hilfe er zunächst nur widerstrebend annimmt. Als er ihr schließlich nach Tagen im Lager vertraut, hat sie längst gemerkt, dass Anton nicht der ukrainische Flüchtling ist, für den er sich ausgibt.
Doch die Geschichte um die Explosion im Flüchtlingslager, den Kampf um deren Deutung, um die Defensive, in die die "Nationale Alternative" daraufhin gerät, um Fanas folgenreichen Fernsehauftritt und Antons Flucht, die ihn fürs erste nach Polen führt, ist nur der Antrieb von Martin Schäubles packendem Jugendbuch. Dem Autor geht es vor allem darum, das Bild eines Landes zu zeichnen, das sich verändert hat. Auch und gerade für die Wähler dieser Veränderung selbst.
"Wenn die AfD das, was sie in ihre Wahlprogramme geschrieben hat, auf Plakate druckte, würde sie einen Großteil ihrer Wähler abschrecken", sagt der promovierte Politikwissenschaftler. Und was immer in seinem Roman an politischen Neuerungen vorkommt, so befremdlich sie auch wirken mögen: All dies entspringt nicht etwa der blühenden Phantasie eines Schriftstellers, es ist nicht etwa überzeichnet, wie gerade erst die Rezension des Romans in einer Wochenzeitung suggerierte, sondern direkt aus Veröffentlichungen und Verlautbarungen der AfD abgeleitet - gelesen in den unterschiedlichen Programmen der Partei, gehört auf einer von Dutzenden Veranstaltungen, die der Autor in Stuttgart und im Nordosten Deutschlands besucht hat. "Das rechtlich abzusichern hat uns im Verlag am meisten Arbeit gemacht", erzählt Martin Schäuble.
Die Abschaffung der Erbschaftssteuer? Findet sich im Programm zur Bundestagswahl. Die Abschaffung der Schulpflicht? Kommt aus dem Landesparteiprogramm von Sachsen-Anhalt. Die Privatisierung der Arbeitslosenhilfe? Findet sich in einer ersten Fassung des Grundsatzprogramms und wurde im Frühjahr 2016 schnell gestrichen. Dort findet sich aber weiterhin, dass "die aktuelle Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus" zugunsten einer "erweiterten Geschichtsbetrachtung aufzubrechen" sei, die auch "die positiven, identitätsstiftenden Aspekte deutscher Geschichte" umfassen soll. Dass die Aussagen des Weltklimarats, Klimaänderungen seien vorwiegend menschengemacht, wissenschaftlich nicht gesichert seien und auch Deutschland das Pariser Klimaschutzabkommen kündigen solle, steht auf der Website der Partei.
"Wenn wir an der Macht sind, dann räumen wir auf" - diesen Satz hat Martin Schäuble mehrmals gehört. In "Endland" hat das Aufräumen bereits stattgefunden. In der Wirklichkeit indes sehe sich die AfD nicht gezwungen, umzusetzen, was sie fordere, sagt Schäuble. Und der Wähler werde nicht mit den Folgen konfrontiert. Er habe große Sorge, was nach der Wahl kommt. "In den Bundestag, in die Opposition kommt die AfD auf jeden Fall. Die Frage ist, ob das schon zur Entlarvung genügt. Es kann immer noch sein, dass die Wähler sich weiterhin missverstanden fühlen von den etablierten Parteien, den Altparteien, wie die AfD sagt - auch so ein Wort, das man dann einfach mitverwendet."
Andererseits könne man in den Landtagen, in denen die AfD sitzt, schon einen ganz guten Vorgeschmack auf das bekommen, was innerparteilich bevorsteht: "Die Grabenkämpfe intern, die jetzt auch im Großen ausgeführt werden von Petry gegen die Fraktion Weidel/Gauland, das merken auch die Wähler deutlich. Wer das beobachtet, der ahnt schon, dass es ihnen nicht wirklich um die Interessen der kleinen Leute geht." Außerdem könne sich die Partei nicht lange auf eine Wählerschaft verlassen, die ihr ihre Stimmen vor allem deshalb gibt, um den anderen zu zeigen, dass es so nicht geht. "In dem Sinne findet schon eine Art Entzauberung statt", sagt der Politikwissenschaftler, "und das ständige Wiederholen dieser Angstpolitik wird früher oder später auffallen."
In jedem Fall werde sich, sagt Martin Schäuble, die Atmosphäre im Bundestag verändern. "Man merkt ja jetzt schon, wie die Sprache auch im Alltag vergiftet wird durch diese Partei - durch Wörter wie ,Lügenpresse' oder ,Altparteien', das klingt nach Altwarenhändler, und das hört man jetzt auch schon mal von Freunden. Oder Volksverräter. Wenn diese Sprache der Verrohung im Bundestag einkehrt, dann kommt eine hetzende Stimmung herein, die uns nicht gut tut."
Dabei könne man in unserer Demokratie doch über alles reden, man dürfe alles lesen, Deutschland sei, so sagt es Schäuble, der viele Krisenregionen der Welt bereist hat, tatsächlich ein Paradies.
Auf der Website der AfD wird der Programmpunkt "Bildung / Schule" ausgerechnet mit einer Innenansicht der paradiesischen Stuttgarter Stadtbibliothek aufgemacht, in die sich Schäuble häufig zum Recherchieren und Schreiben zurückzieht. "Es war schon seltsam, hier zu sitzen und den Blick, den wir jetzt gerade haben, auf der AfD-Seite wiederzufinden", sagt der Autor. "Dabei würden Stadtbibliotheken wie diese zu den ersten Orten gehören, die schließen müssten, wenn die AfD an die Macht käme."
Auf der Fassade dieses großzügigen, geistreichen Baus eines Ausländers, des koreanischen Architekten Eun Young Yi, ist das Wort Bibliothek zu lesen, in vielen Sprachen, in vielen Schriften, unter anderem auf Arabisch: ein weithin sichtbares Zeichen für das Verbindende der Bildung und des Geistes, ohne das Kultur undenkbar ist. Und gewiss ein Dorn im Auge der AfD, auf deren Website zu lesen steht: ",Multi-Kultur' ist Nicht-Kultur".
FRIDTJOF KÜCHEMANN
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Ein politischer Thriller für Jugendliche und Erwachsene, wie er aktueller nicht sein könnte. versalia.de 20190219