Eine katastrophale Liebesgeschichte
Er ist Musiker, Mitte vierzig und mit seinem glanzlosen Leben eigentlich nicht unzufrieden. Die Träume von der künstlerischen Karriere sind längst begraben.
Da lernt er Vanessa kennen, Schauspielerin, ganz jung, strahlend schön. Und sie interessiert sich für ihn. Erstaunlich, dass sie seine Musik kennt. Mehr noch, sie ist ein großer Fan. Und nun versucht sie, ihn zu überreden, es noch einmal zu wagen. Er verliebt sich in sie. Wie lächerlich.
Sie beginnen eine Affäre. Er verlässt seine Freundin. Es wird immer größer: das Glück und das Chaos. Er kommt nicht los von Vanessa und ihren Dämonen. Liegt das am Ende gar nicht an ihr, sondern an ihm selbst?
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Er ist Musiker, Mitte vierzig und mit seinem glanzlosen Leben eigentlich nicht unzufrieden. Die Träume von der künstlerischen Karriere sind längst begraben.
Da lernt er Vanessa kennen, Schauspielerin, ganz jung, strahlend schön. Und sie interessiert sich für ihn. Erstaunlich, dass sie seine Musik kennt. Mehr noch, sie ist ein großer Fan. Und nun versucht sie, ihn zu überreden, es noch einmal zu wagen. Er verliebt sich in sie. Wie lächerlich.
Sie beginnen eine Affäre. Er verlässt seine Freundin. Es wird immer größer: das Glück und das Chaos. Er kommt nicht los von Vanessa und ihren Dämonen. Liegt das am Ende gar nicht an ihr, sondern an ihm selbst?
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Die verlorene Melodie
Heinz Strunk hat einen trostlosen Liebesroman geschrieben, in dem nur noch die Ironie des Wahnsinns hilft: "Es ist immer so schön mit dir".
Heinz Strunk, war das nicht der große Einfühler, Lakoniker, der mit dem Wirtshausmörder? Der die in sich Eingesperrten mit ihren menschenverzehrenden Fantasien naturgetreu und maximal trostlos beschreiben kann?
Dieser Strunk also hat einen Liebesroman geschrieben. Natürlich darf auch ein Liebesroman ganz und gar trostlos sein. Nichts gegen eine unerfüllte, ausweglose, zersetzende Romanze, die einen schaudern lässt angesichts allem, was einem noch erspart geblieben ist. "Toxisch" sollte auf dem Umschlag stehen oder im Verlagsprogramm, für die Abgrenzung von annehmbaren Abhängigkeiten, Triggerwarnung vor Blitzen, die einen besser nie treffen. Erkenntnisinteresse: Was kettet Menschen aneinander, wenn es doch keine Liebe ist? Irgendetwas lässt sich eigentlich immer mitnehmen für daheim, irgendwas wiedererkennen für den eigenen Gebrauch. Sofern sich eine Erkenntnis anbahnt.
Ein Mann also in mittleren Jahren, Toningenieur in der Großstadt, den seine Beziehung langweilt. Kein Sex mehr, zu viel Gemütlichkeit. Die Geräusche der Freundin im Schlaf sind ihm lästig geworden. Wenn sie läuft, sieht es nicht mehr frisch aus, sie schlurft jetzt eher. Und dann diese fade Selbstgenügsamkeit. Sie ist heimlich alt geworden neben ihm: "Vom Teenie zur Muhme".
Solche Sätze, die ihn älter wirken lassen, als er ist, denkt der Mann häufig. Weil er sich selbst und sein Leben nicht leiden kann, schaut er auf andere mit Ekel. Sein eigener, sich gerade erst ankündigender Verfall macht ihm Angst. Wenn er in einem Konzert ein paar Stunden steht, schmerzt der Rücken, in der Theaterprobe der Hintern. Er ist "groggy". Noch während die Beziehung vor sich hin stirbt, lernt er auf einer Filmpremiere eine Neue kennen. Vanessa, Schauspielerin: "ein echter Hingucker". Obwohl er sich ziemlich dumm anstellt, bekommt er ihre Nummer.
Zunächst ist unklar, ob die junge Frau sein Verlangen bloß ausnutzt. Sie lässt ihn warten, sitzen, zahlen. Dann die Überraschung: Vor Jahren war er einmal Musiker in einer Band, sie hat als Kind mit ihrem Vater seine Konzerte gesehen und erinnert sich noch heute. Von seiner Pop-Vergangenheit ist nichts geblieben, nur eine leichte Verbitterung. Kein Song, kein Poster, keine dahingepfiffene Melodie mehr in seinem Alltag, kein Rest Bühnencharisma. Die Musikerkarriere dient hier nur einem einzigen Zweck: Eines Tages soll sie Vanessas Anziehung für den Ambitionslosen begründen.
Er leidet schwer in der neuen Konstellation. Jeder Satz klingt dumm, jeder Schritt ist ein Fehltritt. Warum es ihm nicht gelingt, in ihrer Nähe zu sich zu finden, ist schwer zu ergründen, denn Vanessa ist zwar kühl und desinteressiert, aber in ihrer Geisterhaftigkeit nicht überlegen. Früh fällt ihm auf, wie sie beim Erzählen den Faden verliert, sich widerspricht, Langeweile verbreitet. Wie sie ihre Wirkung ausnutzt: schändlich. Statt Filmrollen werden ihr Messejobs angeboten. Dem verzweifelt Liebenden wird also die Rolle des Tollpatsches mit dem Hang zur Phrase zuteil, in der er ungestört seiner Betrachtung des fremden Frauenwesens nachgehen kann. Zu seiner Verteidigung lässt sich auch anführen, dass er nicht einmal seinen Freunden richtig zuhört. Warum er so ist: nach Strunk'scher Tradition eigentlich unerheblich. Und doch ist da die Erinnerung an eine unglückliche Jugendliebe und die Andeutung eines Versuchs, das Schicksal zu überlisten: "Die Schönen tun sich zusammen. Die Dicken tun sich zusammen. Die Krummen tun sich mit den Schiefen zusammen. Und eine Jüngere ist noch nie wegen einer Älteren sitzengelassen worden." Er hofft, die verwundete Prinzessin doch noch in Besitz zu nehmen, sie sich zu verdienen. Vanessa hat nämlich auch Probleme, sie wurde als Jugendliche missbraucht. Wie das eine mit dem anderen zusammenhängt, braucht der Tollpatsch nicht zu verstehen. Fünfzig Seiten weiter, und wieder laufen alle Fäden im Triebhaften zusammen. Ihr Körper, ihre magere Gestalt, ihre Geheimnisse, sein Verlangen. Die Spannung auf die große Wendung wächst.
Die Umgebung in dieser toxischen Welt ist entweder klirrend kalt oder unbeschreiblich heiß, Strunks Sprache wie so oft schrill und selbst voller dünstender Phrasen, der Mensch eine Zumutung. Meistens stinkt jemand nach Schweiß, Nikotin oder ungewaschenen Füßen, jemand bestellt zu viele Nachos, Männer, die Torsten oder Holger heißen, verlorene Kreaturen, trinken den sehnenden Mann unter den Tisch. Er, der Toningenieur, sieht überall nur Schattenrisse. In der nächsten Bar: "Menschen mit Gesichtern wie leere Teller". Beim Trennungsgespräch: "Allgemeinplätze." "Nullsätze." Man wünscht sich, endlich mehr zu sehen und zu spüren als er.
Es funktioniert immer dann, wenn sich der emotionale Ausnahmezustand mit der grenzenlosen Belanglosigkeit vereint, wenn jedes Maß verloren geht und das Tierische übernimmt und die Ironie des Wahnsinns hervortritt. Wenn also einer frisst und tropft und geiert und nur noch Trieb ist, wird es wahrhaftig, dann treten die Kerkermauern zutage, die jede von Strunks Figuren um sich errichtet hat, die Verzweiflung, der Wahn. Jeder Mann, der sich Vanessa nähert, und sei er noch so abstoßend, ist ein Tier, das sie bespringen will, jede ihrer Nachrichten nach Stunden der Stille ein Segen für den darauf Wartenden: "Bei mir läuft alles so weit. Wie sieht es am Wochenende bei dir aus?"
Und gerade dann, als sich die Chance ergibt auf eine Wendung, eine echte Überraschung, etwas an dieser grob gezeichneten Frau, das wirklich unerwartet wäre, rafft Strunk die Zeit, spult vor, bis der traurige Tollpatsch sich besäuft, statt ihre Familie zu unterhalten. So hat er sich doch noch ihrem magischen Einfluss entzogen. Und Vanessa? Sagt am Ende des Tages über ihre Schwester: "Du magst sie ja nervig finden, aber sie ist kein böser Mensch." Beschwert sich, dass er einer anderen nachgeschaut hat. Und weint.
Aus einer dank Erlebter Rede noch als radikale Innenperspektive lesbaren Projektion eines unergründlich frustrierten Mittelstandmannes ist das Mittelmaß einer Beziehung geworden. Seine Begeisterung, unter der sie erstrahlt ist, ist verflogen, ihr Glanz scheint erloschen. Diese Erkenntnis wäre die traurigste des ganzen Romans, hätte man Vanessa bis dahin wenigstens kennengelernt. Es gibt viele Arten von Gier. Strunk beherrscht die Darstellung der abgründigsten von ihnen. Eine trostlose Midlife-Crisis gehört nicht dazu.
ELENA WITZECK.
Heinz Strunk: "Es ist immer so schön mit dir". Roman.
Rowohlt Verlag, Hamburg 2021. 288 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Heinz Strunk hat einen trostlosen Liebesroman geschrieben, in dem nur noch die Ironie des Wahnsinns hilft: "Es ist immer so schön mit dir".
Heinz Strunk, war das nicht der große Einfühler, Lakoniker, der mit dem Wirtshausmörder? Der die in sich Eingesperrten mit ihren menschenverzehrenden Fantasien naturgetreu und maximal trostlos beschreiben kann?
Dieser Strunk also hat einen Liebesroman geschrieben. Natürlich darf auch ein Liebesroman ganz und gar trostlos sein. Nichts gegen eine unerfüllte, ausweglose, zersetzende Romanze, die einen schaudern lässt angesichts allem, was einem noch erspart geblieben ist. "Toxisch" sollte auf dem Umschlag stehen oder im Verlagsprogramm, für die Abgrenzung von annehmbaren Abhängigkeiten, Triggerwarnung vor Blitzen, die einen besser nie treffen. Erkenntnisinteresse: Was kettet Menschen aneinander, wenn es doch keine Liebe ist? Irgendetwas lässt sich eigentlich immer mitnehmen für daheim, irgendwas wiedererkennen für den eigenen Gebrauch. Sofern sich eine Erkenntnis anbahnt.
Ein Mann also in mittleren Jahren, Toningenieur in der Großstadt, den seine Beziehung langweilt. Kein Sex mehr, zu viel Gemütlichkeit. Die Geräusche der Freundin im Schlaf sind ihm lästig geworden. Wenn sie läuft, sieht es nicht mehr frisch aus, sie schlurft jetzt eher. Und dann diese fade Selbstgenügsamkeit. Sie ist heimlich alt geworden neben ihm: "Vom Teenie zur Muhme".
Solche Sätze, die ihn älter wirken lassen, als er ist, denkt der Mann häufig. Weil er sich selbst und sein Leben nicht leiden kann, schaut er auf andere mit Ekel. Sein eigener, sich gerade erst ankündigender Verfall macht ihm Angst. Wenn er in einem Konzert ein paar Stunden steht, schmerzt der Rücken, in der Theaterprobe der Hintern. Er ist "groggy". Noch während die Beziehung vor sich hin stirbt, lernt er auf einer Filmpremiere eine Neue kennen. Vanessa, Schauspielerin: "ein echter Hingucker". Obwohl er sich ziemlich dumm anstellt, bekommt er ihre Nummer.
Zunächst ist unklar, ob die junge Frau sein Verlangen bloß ausnutzt. Sie lässt ihn warten, sitzen, zahlen. Dann die Überraschung: Vor Jahren war er einmal Musiker in einer Band, sie hat als Kind mit ihrem Vater seine Konzerte gesehen und erinnert sich noch heute. Von seiner Pop-Vergangenheit ist nichts geblieben, nur eine leichte Verbitterung. Kein Song, kein Poster, keine dahingepfiffene Melodie mehr in seinem Alltag, kein Rest Bühnencharisma. Die Musikerkarriere dient hier nur einem einzigen Zweck: Eines Tages soll sie Vanessas Anziehung für den Ambitionslosen begründen.
Er leidet schwer in der neuen Konstellation. Jeder Satz klingt dumm, jeder Schritt ist ein Fehltritt. Warum es ihm nicht gelingt, in ihrer Nähe zu sich zu finden, ist schwer zu ergründen, denn Vanessa ist zwar kühl und desinteressiert, aber in ihrer Geisterhaftigkeit nicht überlegen. Früh fällt ihm auf, wie sie beim Erzählen den Faden verliert, sich widerspricht, Langeweile verbreitet. Wie sie ihre Wirkung ausnutzt: schändlich. Statt Filmrollen werden ihr Messejobs angeboten. Dem verzweifelt Liebenden wird also die Rolle des Tollpatsches mit dem Hang zur Phrase zuteil, in der er ungestört seiner Betrachtung des fremden Frauenwesens nachgehen kann. Zu seiner Verteidigung lässt sich auch anführen, dass er nicht einmal seinen Freunden richtig zuhört. Warum er so ist: nach Strunk'scher Tradition eigentlich unerheblich. Und doch ist da die Erinnerung an eine unglückliche Jugendliebe und die Andeutung eines Versuchs, das Schicksal zu überlisten: "Die Schönen tun sich zusammen. Die Dicken tun sich zusammen. Die Krummen tun sich mit den Schiefen zusammen. Und eine Jüngere ist noch nie wegen einer Älteren sitzengelassen worden." Er hofft, die verwundete Prinzessin doch noch in Besitz zu nehmen, sie sich zu verdienen. Vanessa hat nämlich auch Probleme, sie wurde als Jugendliche missbraucht. Wie das eine mit dem anderen zusammenhängt, braucht der Tollpatsch nicht zu verstehen. Fünfzig Seiten weiter, und wieder laufen alle Fäden im Triebhaften zusammen. Ihr Körper, ihre magere Gestalt, ihre Geheimnisse, sein Verlangen. Die Spannung auf die große Wendung wächst.
Die Umgebung in dieser toxischen Welt ist entweder klirrend kalt oder unbeschreiblich heiß, Strunks Sprache wie so oft schrill und selbst voller dünstender Phrasen, der Mensch eine Zumutung. Meistens stinkt jemand nach Schweiß, Nikotin oder ungewaschenen Füßen, jemand bestellt zu viele Nachos, Männer, die Torsten oder Holger heißen, verlorene Kreaturen, trinken den sehnenden Mann unter den Tisch. Er, der Toningenieur, sieht überall nur Schattenrisse. In der nächsten Bar: "Menschen mit Gesichtern wie leere Teller". Beim Trennungsgespräch: "Allgemeinplätze." "Nullsätze." Man wünscht sich, endlich mehr zu sehen und zu spüren als er.
Es funktioniert immer dann, wenn sich der emotionale Ausnahmezustand mit der grenzenlosen Belanglosigkeit vereint, wenn jedes Maß verloren geht und das Tierische übernimmt und die Ironie des Wahnsinns hervortritt. Wenn also einer frisst und tropft und geiert und nur noch Trieb ist, wird es wahrhaftig, dann treten die Kerkermauern zutage, die jede von Strunks Figuren um sich errichtet hat, die Verzweiflung, der Wahn. Jeder Mann, der sich Vanessa nähert, und sei er noch so abstoßend, ist ein Tier, das sie bespringen will, jede ihrer Nachrichten nach Stunden der Stille ein Segen für den darauf Wartenden: "Bei mir läuft alles so weit. Wie sieht es am Wochenende bei dir aus?"
Und gerade dann, als sich die Chance ergibt auf eine Wendung, eine echte Überraschung, etwas an dieser grob gezeichneten Frau, das wirklich unerwartet wäre, rafft Strunk die Zeit, spult vor, bis der traurige Tollpatsch sich besäuft, statt ihre Familie zu unterhalten. So hat er sich doch noch ihrem magischen Einfluss entzogen. Und Vanessa? Sagt am Ende des Tages über ihre Schwester: "Du magst sie ja nervig finden, aber sie ist kein böser Mensch." Beschwert sich, dass er einer anderen nachgeschaut hat. Und weint.
Aus einer dank Erlebter Rede noch als radikale Innenperspektive lesbaren Projektion eines unergründlich frustrierten Mittelstandmannes ist das Mittelmaß einer Beziehung geworden. Seine Begeisterung, unter der sie erstrahlt ist, ist verflogen, ihr Glanz scheint erloschen. Diese Erkenntnis wäre die traurigste des ganzen Romans, hätte man Vanessa bis dahin wenigstens kennengelernt. Es gibt viele Arten von Gier. Strunk beherrscht die Darstellung der abgründigsten von ihnen. Eine trostlose Midlife-Crisis gehört nicht dazu.
ELENA WITZECK.
Heinz Strunk: "Es ist immer so schön mit dir". Roman.
Rowohlt Verlag, Hamburg 2021. 288 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Julia Schröder hält das blanke Elend dieser Geschichte einer Midlife-Crisis überhaupt nur aus, weil Heinz Strunk das Ineinandergleiten von Tragik und Komik so gut beherrscht. Wie sich ein Endvierziger in diesem Text noch einmal mächtig spreizt, um eine viel jüngere Schauspielerin zu beglücken, wie das natürlich schiefgeht und in Tränenströmen und Trümmerfeldern endet, vermittelt Strunk laut Schröder mit viel Sinn für szenischen Witz und noch mehr Kenntnis der Abgründe "prekärer Männlichkeit". Die Geschichte ist nicht besonders originell, räumt Schröder ein, aber verdammt gut erzählt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.08.2021Existenziell
Der Hamburger Schriftsteller Heinz Strunk hat einen Liebesroman geschrieben: Ein mittelalter Mann, der sich für gescheitert hält, was nichts an seinem Sendungsbewusstsein ändert, für das er sich schämt, was wiederum alles schlimmer und das Gefühl seiner Unzulänglichkeit größer macht, eine typische Heinz-Strunk-Figur also lernt eine viel jüngere Schauspielerin kennen. Die er für unerreichbar hält, gemessen an seiner existenziellen Underperformance. Und doch werden die beiden ein Paar, ein so unwahrscheinlicher Vorfall im Leben dieses hadernden Mannes, dass es dann auch nichts an dessen Leben ändert, weil er sich selbst nicht genug dafür traut. Die Frau, Vanessa, hat eine schlimme Vorgeschichte und selbst einen Knacks davongetragen, und wie die beiden mit ihren Mängeln klarzukommen versuchen und am Ende doch daran scheitern, aneinander glücklich zu werden: Das hätte ein eigenwilliger Roman werden können, der nächste Schritt im immer weiter werdenden Gesamtwerk des Autors, Musikers, Schauspielers und Entertainers Heinz Strunk. Aber der interessiert sich viel stärker für den mittelmäßigen, anmaßenden, namenlosen Mann als für die Geschichte, die der mit Vanessa hat, oder überhaupt für diese Vanessa. Und auch wenn es keinen zweiten deutschen Autor gibt, der solche Typen so genau beschreiben könnte wie Strunk, bleibt, gemessen an der Tiefe dieses Männerpsychogramms, die Liebesgeschichte in "Es ist immer so schön mit dir" (Rowohlt) undeutlich. tob
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Hamburger Schriftsteller Heinz Strunk hat einen Liebesroman geschrieben: Ein mittelalter Mann, der sich für gescheitert hält, was nichts an seinem Sendungsbewusstsein ändert, für das er sich schämt, was wiederum alles schlimmer und das Gefühl seiner Unzulänglichkeit größer macht, eine typische Heinz-Strunk-Figur also lernt eine viel jüngere Schauspielerin kennen. Die er für unerreichbar hält, gemessen an seiner existenziellen Underperformance. Und doch werden die beiden ein Paar, ein so unwahrscheinlicher Vorfall im Leben dieses hadernden Mannes, dass es dann auch nichts an dessen Leben ändert, weil er sich selbst nicht genug dafür traut. Die Frau, Vanessa, hat eine schlimme Vorgeschichte und selbst einen Knacks davongetragen, und wie die beiden mit ihren Mängeln klarzukommen versuchen und am Ende doch daran scheitern, aneinander glücklich zu werden: Das hätte ein eigenwilliger Roman werden können, der nächste Schritt im immer weiter werdenden Gesamtwerk des Autors, Musikers, Schauspielers und Entertainers Heinz Strunk. Aber der interessiert sich viel stärker für den mittelmäßigen, anmaßenden, namenlosen Mann als für die Geschichte, die der mit Vanessa hat, oder überhaupt für diese Vanessa. Und auch wenn es keinen zweiten deutschen Autor gibt, der solche Typen so genau beschreiben könnte wie Strunk, bleibt, gemessen an der Tiefe dieses Männerpsychogramms, die Liebesgeschichte in "Es ist immer so schön mit dir" (Rowohlt) undeutlich. tob
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.07.2021Kleiner Trost
Heinz Strunks Roman „Es ist immer so schön mit dir“ ist ein traurig-komisches Buch über
die Wehleidigkeit und Peinlichkeit eines Mannes in den mittleren Jahren
VON CHRISTIAN MAYER
Für alle Männer in der Mitte ihres Lebens, die sich gerade fragen, was eigentlich aus ihnen geworden ist, warum sie das Gefühl haben, nie die richtigen Worte zu finden für ihre latente Unzufriedenheit, gibt es jetzt einen kleinen Trost: Sie sind nicht allein mit ihrem Verdruss über gescheiterte Ehen oder ins Stocken geratene Karrieren. Nach einer kürzlich veröffentlichten internationalen Studie des Wirtschaftswissenschaftlers David G. Blanchflower steht nun auch das Alter fest, in dem die Menschen statistisch gesehen am unglücklichsten sind: 47. Laut Studie erreichen die Frauen diesen Tiefpunkt etwas früher, die Männer leiden dann mit Ende vierzig umso intensiver – und nicht selten endet diese Lebensphase mit einem theatralischen Ausbruchsversuch. Man möchte ja so gerne davonlaufen. Vor allem vor sich selbst.
Auch der Schriftsteller, Musiker und Satiriker Heinz Strunk versteht was vom Unglücklichsein. Wer allerdings seinen Roman „Der goldene Handschuh“ über den Hamburger Serienmörder Fritz Honka gelesen hat, mit den oft schwer erträglichen Szenen der völligen Verwahrlosung und der bestialischen Gewalt gegen Frauen, wird überrascht sein von seinem neuen Buch. „Es ist immer so schön mit dir“ ist viel weniger krass, es spielt in der Mitte der Gesellschaft, nicht am unteren Rand. Strunk erzählt die Geschichte eines Mannes, der sich selbst nicht wirklich mag, aber noch einmal die große Liebe erleben möchte und bereit ist, alles dafür zu tun – dummerweise im Alter von 47 Jahren.
Gleich zu Beginn erlebt man einen Melancholiker, der seine Illusionen längst verloren hat. Strunk verzichtet darauf, ihm einen Namen zu geben, aber ein bisschen was erfährt man dann doch: Er war mal ein hoffnungsvoller, junger Musiker, der beinahe Karriere gemacht hätte, doch dann fiel die Band nach einem Hit auseinander. Jetzt hat er es sich ganz gut eingerichtet in seiner Mittelprächtigkeit, mit einem Ein-Mann-Tonstudio und einer Hörspiel-Produktion verdient er genau so viel, dass es für ein unspektakuläres Leben mit gelegentlichen Abstürzen reicht. Und die Frau an seiner Seite scheint ebenfalls genügsam zu sein. Julia, eine nicht mehr junge Lehrerin, hat ihre Ansprüche weit heruntergeschraubt; man lebt in getrennten Wohnungen und versucht am Wochenende, dem Anspruch, noch ein Paar zu sein, halbwegs gerecht zu werden. Der Mann kennt das von den anderen Paaren in seiner Altersgruppe: „Aus Liebe, Sex und Zärtlichkeit wird Liebe, Kuscheln, Zärtlichkeit und schließlich Freundschaft, Nähe, Gemütlichkeit.“
Dabei könnte in diesem Stadium alles so einfach sein. Die Spaziergänge, das Fernschauen am Sonntagabend, das gemeinsame Kochen, „das dünne Bächlein von Ereignissen, die ruhig über sie hinwegplätschern“. Leider ist es eher eine Qual. Als Musiker mag der Mann gescheitert sein, aber er ist kreativ genug, um sich für jede Lebenssituation eine passende Alltags- und Beziehungslüge auszudenken. Nur so kann er überhaupt noch mit einer Frau zusammen sein, die immer wissen will, wie es ihm geht. Diese Beziehung, das wird im grandiosen Anfangskapitel deutlich, wird bei nächster Gelegenheit kollabieren. In diesem Fall heißt die Gelegenheit Vanessa und ist erheblich jünger und dünner als die Beziehungspragmatikerin Julia, die leider einen etwas watscheligen Gang entwickelt hat, wie „eine Bäuerin in Pantinen“. Ist die Neue jetzt die herbeigesehnte Traumfrau, die erhoffte Sexgöttin? Eher eine große Unbekannte mit tadelloser Haltung, die vor ihrer eigenen Vergangenheit davonrennt. Vor allem hat sie die Angewohnheit, nie zu lachen, nicht beim Kennenlernen auf der Premierenparty, auch nicht beim ersten, zweiten, dritten Date.
Bei aller Traurigkeit: Das ist schon auch ein komisches Buch. Denn der Autor versteht wirklich viel von der Liebesblödigkeit der Männer seiner Generation, von ihrer Unfähigkeit, zu kommunizieren und weibliche Verhaltensweisen richtig zu deuten. Heinz Strunk selbst ist übrigens 59, hat sich aber trotz gut dokumentierter Exzesse nie ganz gehen lassen – im Grunde ist er gefühlte 47, also im gleichen Unglücksalter wie der Leidensgenosse im Roman. Auch dieser ist durchaus stolz, noch keine Geheimratsecken und keinen Fernfahrerbauch zu haben, seine Marktchancen schätzt er nicht ganz schlecht ein, „mit etwas Wohlwollen kann er als Charakterkopf durchgehen.“ Und genau das ist sein Problem: Vor lauter Eitelkeit sieht er nur das, was man im Spiegel mit bloßem Auge erkennen kann.
Schon seine Freundin Julia hat ihm dringend empfohlen, dass er mal „zum Erbsendoktor auf die Rüttelbank“ sollte. Aber eine Therapie machen? Bloß nicht, könnte ja anstrengend sein. Offenbar aber hat es sich der gescheiterte Künstler in seinem Unglück behaglich eingerichtet – auch deshalb zieht ihn die schöne, missgelaunte Vanessa magisch an, obwohl oder gerade weil sie sich ihm ständig entzieht, sich nie fallen lassen kann.
Klar, die Magersucht seiner neuen Freundin kann sogar er erkennen, mit bloßem Auge, er nennt sie beschönigend eine „Leichtköstlerin“. Ansonsten herrscht oft Sprachlosigkeit zwischen den beiden, selbst nachdem Vanessa ihm ihre Missbrauchsgeschichte erzählt hat – sie wurde von einem evangelischen Geistlichen, in den sie sich bei einer Jugendfreizeit verliebt hatte, über Wochen vergewaltigt. Eine Geschichte, die Strunk mit der ihm eigenen Schonungslosigkeit erzählt und die eine plausible Erklärung für Vanessas Verhalten sein könnte. Wenn der Mann denn den Mut hätte, genauer hinzuschauen. Immerhin hat er eine außergewöhnlich feine Nase, worunter er zunehmend leidet. Denn überall riecht es nach altem Staubsauger, vergorenen Speisen, manchmal auch nach der Gosse. Dort will der Mann auf gar keinen Fall landen.
Im Grunde handelt das ganze Buch von der Peinlichkeit und Wehleidigkeit der Männer, womit Heinz Strunk sich wieder dem Thema seines autobiografischen Bestsellers „Fleisch ist mein Gemüse“ (2004) annähert. Ständig rutschen dem Mann die falschen Sätze raus oder die schlimmsten Plattitüden. Im krampfhaften Bemühen, bloß nichts falsch zu machen, verheddert er sich immer weiter: Dann brechen die Zündhölzer ab, wenn er Frauen Feuer geben möchte, die Münzen aus der prall gefüllten Geldbörse kullern bei der Theaterprobe seiner Freundin durch den Saal, er stolpert über seine Beine wie über seine Sätze. Und als er sich dazu entschließt, die Beziehung mit Julia endlich zu beenden, wird er bei seinen verlogenen Erklärungsversuchen von einem tückischen Haar auf seiner Zunge behindert.
Ja, es geschieht ihm ganz recht, als ihn seine gedemütigte Ex-Freundin bei einem scheinbar harmlosen Wiedersehen in die Falle lockt, ihn nach allen Regeln der Kunst abfüllt und ordentlich aufs Kreuz legt – in jeder gedemütigten Frau steckt eine potenzielle Rachegöttin. Aber das wird ihm natürlich keine Lehre sein.
Eine Liebesgeschichte? Aber nein. Ein sehr unterhaltsamer Katastrophenbericht. Weil man jederzeit, selbst in den seltenen Augenblicken der Unbeschwertheit des neuen Paares, das Gefühl hat: Von nun an geht’s bergab. Gefühlsecht ist hier nur das Unglück.
Die Neue: eine große
Unbekannte mit tadelloser
Haltung, die nie lacht
In der gedemütigten Frau steckt
eine Rachgöttin, aber es wird ihm
natürlich keine Lehre sein
Heinz Strunk: Es ist immer so schön mit dir. Rowohlt, Hamburg 2021. 288 Seiten, 22 Euro.
Der Musiker, Podcaster, Schriftsteller und Botho-Strauß-Fan Heinz Strunk nähert sich wieder dem Thema seines Bestsellers „Fleisch ist mein Gemüse“ an: ein Mann, dem alles schief geht.
Foto: Marcus Brandt/dpa
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Heinz Strunks Roman „Es ist immer so schön mit dir“ ist ein traurig-komisches Buch über
die Wehleidigkeit und Peinlichkeit eines Mannes in den mittleren Jahren
VON CHRISTIAN MAYER
Für alle Männer in der Mitte ihres Lebens, die sich gerade fragen, was eigentlich aus ihnen geworden ist, warum sie das Gefühl haben, nie die richtigen Worte zu finden für ihre latente Unzufriedenheit, gibt es jetzt einen kleinen Trost: Sie sind nicht allein mit ihrem Verdruss über gescheiterte Ehen oder ins Stocken geratene Karrieren. Nach einer kürzlich veröffentlichten internationalen Studie des Wirtschaftswissenschaftlers David G. Blanchflower steht nun auch das Alter fest, in dem die Menschen statistisch gesehen am unglücklichsten sind: 47. Laut Studie erreichen die Frauen diesen Tiefpunkt etwas früher, die Männer leiden dann mit Ende vierzig umso intensiver – und nicht selten endet diese Lebensphase mit einem theatralischen Ausbruchsversuch. Man möchte ja so gerne davonlaufen. Vor allem vor sich selbst.
Auch der Schriftsteller, Musiker und Satiriker Heinz Strunk versteht was vom Unglücklichsein. Wer allerdings seinen Roman „Der goldene Handschuh“ über den Hamburger Serienmörder Fritz Honka gelesen hat, mit den oft schwer erträglichen Szenen der völligen Verwahrlosung und der bestialischen Gewalt gegen Frauen, wird überrascht sein von seinem neuen Buch. „Es ist immer so schön mit dir“ ist viel weniger krass, es spielt in der Mitte der Gesellschaft, nicht am unteren Rand. Strunk erzählt die Geschichte eines Mannes, der sich selbst nicht wirklich mag, aber noch einmal die große Liebe erleben möchte und bereit ist, alles dafür zu tun – dummerweise im Alter von 47 Jahren.
Gleich zu Beginn erlebt man einen Melancholiker, der seine Illusionen längst verloren hat. Strunk verzichtet darauf, ihm einen Namen zu geben, aber ein bisschen was erfährt man dann doch: Er war mal ein hoffnungsvoller, junger Musiker, der beinahe Karriere gemacht hätte, doch dann fiel die Band nach einem Hit auseinander. Jetzt hat er es sich ganz gut eingerichtet in seiner Mittelprächtigkeit, mit einem Ein-Mann-Tonstudio und einer Hörspiel-Produktion verdient er genau so viel, dass es für ein unspektakuläres Leben mit gelegentlichen Abstürzen reicht. Und die Frau an seiner Seite scheint ebenfalls genügsam zu sein. Julia, eine nicht mehr junge Lehrerin, hat ihre Ansprüche weit heruntergeschraubt; man lebt in getrennten Wohnungen und versucht am Wochenende, dem Anspruch, noch ein Paar zu sein, halbwegs gerecht zu werden. Der Mann kennt das von den anderen Paaren in seiner Altersgruppe: „Aus Liebe, Sex und Zärtlichkeit wird Liebe, Kuscheln, Zärtlichkeit und schließlich Freundschaft, Nähe, Gemütlichkeit.“
Dabei könnte in diesem Stadium alles so einfach sein. Die Spaziergänge, das Fernschauen am Sonntagabend, das gemeinsame Kochen, „das dünne Bächlein von Ereignissen, die ruhig über sie hinwegplätschern“. Leider ist es eher eine Qual. Als Musiker mag der Mann gescheitert sein, aber er ist kreativ genug, um sich für jede Lebenssituation eine passende Alltags- und Beziehungslüge auszudenken. Nur so kann er überhaupt noch mit einer Frau zusammen sein, die immer wissen will, wie es ihm geht. Diese Beziehung, das wird im grandiosen Anfangskapitel deutlich, wird bei nächster Gelegenheit kollabieren. In diesem Fall heißt die Gelegenheit Vanessa und ist erheblich jünger und dünner als die Beziehungspragmatikerin Julia, die leider einen etwas watscheligen Gang entwickelt hat, wie „eine Bäuerin in Pantinen“. Ist die Neue jetzt die herbeigesehnte Traumfrau, die erhoffte Sexgöttin? Eher eine große Unbekannte mit tadelloser Haltung, die vor ihrer eigenen Vergangenheit davonrennt. Vor allem hat sie die Angewohnheit, nie zu lachen, nicht beim Kennenlernen auf der Premierenparty, auch nicht beim ersten, zweiten, dritten Date.
Bei aller Traurigkeit: Das ist schon auch ein komisches Buch. Denn der Autor versteht wirklich viel von der Liebesblödigkeit der Männer seiner Generation, von ihrer Unfähigkeit, zu kommunizieren und weibliche Verhaltensweisen richtig zu deuten. Heinz Strunk selbst ist übrigens 59, hat sich aber trotz gut dokumentierter Exzesse nie ganz gehen lassen – im Grunde ist er gefühlte 47, also im gleichen Unglücksalter wie der Leidensgenosse im Roman. Auch dieser ist durchaus stolz, noch keine Geheimratsecken und keinen Fernfahrerbauch zu haben, seine Marktchancen schätzt er nicht ganz schlecht ein, „mit etwas Wohlwollen kann er als Charakterkopf durchgehen.“ Und genau das ist sein Problem: Vor lauter Eitelkeit sieht er nur das, was man im Spiegel mit bloßem Auge erkennen kann.
Schon seine Freundin Julia hat ihm dringend empfohlen, dass er mal „zum Erbsendoktor auf die Rüttelbank“ sollte. Aber eine Therapie machen? Bloß nicht, könnte ja anstrengend sein. Offenbar aber hat es sich der gescheiterte Künstler in seinem Unglück behaglich eingerichtet – auch deshalb zieht ihn die schöne, missgelaunte Vanessa magisch an, obwohl oder gerade weil sie sich ihm ständig entzieht, sich nie fallen lassen kann.
Klar, die Magersucht seiner neuen Freundin kann sogar er erkennen, mit bloßem Auge, er nennt sie beschönigend eine „Leichtköstlerin“. Ansonsten herrscht oft Sprachlosigkeit zwischen den beiden, selbst nachdem Vanessa ihm ihre Missbrauchsgeschichte erzählt hat – sie wurde von einem evangelischen Geistlichen, in den sie sich bei einer Jugendfreizeit verliebt hatte, über Wochen vergewaltigt. Eine Geschichte, die Strunk mit der ihm eigenen Schonungslosigkeit erzählt und die eine plausible Erklärung für Vanessas Verhalten sein könnte. Wenn der Mann denn den Mut hätte, genauer hinzuschauen. Immerhin hat er eine außergewöhnlich feine Nase, worunter er zunehmend leidet. Denn überall riecht es nach altem Staubsauger, vergorenen Speisen, manchmal auch nach der Gosse. Dort will der Mann auf gar keinen Fall landen.
Im Grunde handelt das ganze Buch von der Peinlichkeit und Wehleidigkeit der Männer, womit Heinz Strunk sich wieder dem Thema seines autobiografischen Bestsellers „Fleisch ist mein Gemüse“ (2004) annähert. Ständig rutschen dem Mann die falschen Sätze raus oder die schlimmsten Plattitüden. Im krampfhaften Bemühen, bloß nichts falsch zu machen, verheddert er sich immer weiter: Dann brechen die Zündhölzer ab, wenn er Frauen Feuer geben möchte, die Münzen aus der prall gefüllten Geldbörse kullern bei der Theaterprobe seiner Freundin durch den Saal, er stolpert über seine Beine wie über seine Sätze. Und als er sich dazu entschließt, die Beziehung mit Julia endlich zu beenden, wird er bei seinen verlogenen Erklärungsversuchen von einem tückischen Haar auf seiner Zunge behindert.
Ja, es geschieht ihm ganz recht, als ihn seine gedemütigte Ex-Freundin bei einem scheinbar harmlosen Wiedersehen in die Falle lockt, ihn nach allen Regeln der Kunst abfüllt und ordentlich aufs Kreuz legt – in jeder gedemütigten Frau steckt eine potenzielle Rachegöttin. Aber das wird ihm natürlich keine Lehre sein.
Eine Liebesgeschichte? Aber nein. Ein sehr unterhaltsamer Katastrophenbericht. Weil man jederzeit, selbst in den seltenen Augenblicken der Unbeschwertheit des neuen Paares, das Gefühl hat: Von nun an geht’s bergab. Gefühlsecht ist hier nur das Unglück.
Die Neue: eine große
Unbekannte mit tadelloser
Haltung, die nie lacht
In der gedemütigten Frau steckt
eine Rachgöttin, aber es wird ihm
natürlich keine Lehre sein
Heinz Strunk: Es ist immer so schön mit dir. Rowohlt, Hamburg 2021. 288 Seiten, 22 Euro.
Der Musiker, Podcaster, Schriftsteller und Botho-Strauß-Fan Heinz Strunk nähert sich wieder dem Thema seines Bestsellers „Fleisch ist mein Gemüse“ an: ein Mann, dem alles schief geht.
Foto: Marcus Brandt/dpa
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Kaum überraschend, dass die Sache mit Vanessa auf Trümmerfelder und Tränenströme hinausläuft. Aber was Heinz Strunk bis dahin veranstaltet, wie er Komik und Tragik einander durchdringen lässt, nötigt Bewunderung ab. (...) Verfügte Heinz Strunk darin nicht über ein beachtliches Können, wären diese Geschichte und ihr Held auch kaum auszuhalten. Julia Schröder Deutschlandfunk "Büchermarkt" 20210902