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Da liegt er tot auf dem Boden im Wohnzimmer: Nicola Ciraulo ist von drei Schüssen hingestreckt worden. Um die Leiche gruppiert: Loredana, die trauernde Witwe; Großvater Fonzio, der jetzt, wie auch sonst im Leben, das Denken seiner Frau überlässt; Großmutter Rosa, die als Einzige einen klaren Kopf behält. Und im Badezimmer eingesperrt der Sohn Tancredi, ein Tagedieb und Versager und mutmaßlich jetzt auch noch ein Vatermörder. Die Polizei nimmt alle Familienmitglieder ins Verhör, doch es gibt zahlreiche Ungereimtheiten, und nicht einmal die Tatwaffe wird gefunden. Alajmo schildert mit grimmiger…mehr

Produktbeschreibung
Da liegt er tot auf dem Boden im Wohnzimmer: Nicola Ciraulo ist von drei Schüssen hingestreckt worden. Um die Leiche gruppiert: Loredana, die trauernde Witwe; Großvater Fonzio, der jetzt, wie auch sonst im Leben, das Denken seiner Frau überlässt; Großmutter Rosa, die als Einzige einen klaren Kopf behält. Und im Badezimmer eingesperrt der Sohn Tancredi, ein Tagedieb und Versager und mutmaßlich jetzt auch noch ein Vatermörder. Die Polizei nimmt alle Familienmitglieder ins Verhör, doch es gibt zahlreiche Ungereimtheiten, und nicht einmal die Tatwaffe wird gefunden. Alajmo schildert mit grimmiger Komik die Welt des palermitanischen Prekariats, ohne den Menschen ihre Würde zu nehmen.
Autorenporträt
Roberto Alajmo, geboren 1959 in Palermo, lebt als Schriftsteller auf Sizilien. Für seine Romane, Erzählungen und Theaterstücke wurde er mit vielen Preisen ausgezeichnet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.09.2011

Ein schwarzes,
glänzendes Auto
Roman einer tödlichen Familie:
Roberto Alajmos „Es war der Sohn“
Nicola ist tot. Er liegt ermordet auf dem Fußboden seiner Wohnung in der Kalsa, einem Armenviertel mitten in der sizilianischen Regionalhauptstadt Palermo. Als die Polizei eintrifft, findet sie einige Familienmitglieder um die Leiche versammelt. Der mutmaßliche Täter hat sich im Badezimmer eingeschlossen. Es war der Sohn, Trancredi, der seinen Vater nach einem ins Absurde gesteigerten Streit um einen Kratzer am neuen Auto der Familie erschossen hat. Jedenfalls behaupten das die Anwesenden. Tancredi schweigt. Aus ihm ist auch kein Wort herauszubekommen, als man ihn ins berüchtigte Ucciardone-Gefängnis von Palermo steckt.
Das liest sich wie der Anfang zu einem sizilianischen Kriminalroman. Und es geht in dem Buch von Roberto Alajmo wirklich um einen Mord. Aber der 1959 in Palermo geborene Schriftsteller ist kein gewöhnlicher Krimiautor. Bereits in seinem Roman „Mammaherz“ (Haymon, 2008) benutzt er eine Mutter-Sohn-Konstellation, um zu zeigen, wie sich unter bestimmten Umständen fast zwangsläufig kriminelle Energie aus Familienbeziehungen entwickeln kann. In „Es war der Sohn“ schildert er ein ganzes Familiengeflecht von drei Generationen, um Spannungen und Beziehungen offenzulegen, die Hass und Misstrauen gerieren, aber auch Überlebensstrategien ermöglichen. Im Hintergrund stehen Armut, Unwissenheit und Erniedrigung – und die Verlockungen des Konsums. Arbeit ist dabei eine Luxusware. Glück ist es schon, wenn einer wie Nicola wenigstens ein prekäres (und illegales) Beschäftigungsverhältnis hat. Menschliche Werte sind längst den Bach runtergegangen. Alajmo kennt seine Stadt, er hat von ihr in „Palermo sehen und sterben“ (Carl Hanser Verlag, 2007) ein beeindruckendes Porträt gezeichnet. Davor, dass seine Schilderungen in Verismus oder in Zynismus enden, schützt den Autor ein manchmal feiner, oft aber grimmig aufblitzender, schneidender Humor, der die Familienbande seziert.
Vieles muss er gar nicht erfinden. Das Leben schreibt die absurdesten Geschichten. Es geht in dem Buch um den tatsächlichen Fall eines sechsjährigen Mädchens, das in einen Schusswechsel zweier rivalisierenden Banden gerät und dabei ums Leben kommt. Die Familie erstreitet sich vom Staat eine hohe Entschädigungssumme. Aber die Auszahlung des Geldes lässt auf sich warten, man macht Schulden und fällt, um sie zu bezahlen, Wucherern in die Hände. Endlich im Besitz des Geldes, streitet man sich darum, wie die Restsumme, die die Wucherer nicht abkassiert hatten, auszugeben sei. Als es schließlich zu einem gewaltsamen Todesfall kommt, sind Verwandte und Bekannte zugegen. Doch was sie gesehen haben – oder besser: was sie nicht gesehen haben – hilft der Wahrheitsfindung auch nicht weiter.
Das Gesetz der Omertà und die Rolle des Schweigens in der sizilianischen Gesellschaft sind im Buch nur eine Folie. In diesem Buch wird viel geredet. Die Art und Weise, wie heute die Moderne in gestern noch ganz archaisch geprägte Familien- und Gesellschaftsstrukturen einbricht, das ist das Thema, das Roberto Alajmo interessiert. Zum Sinnbild wird ihm der nagelneue, schwarz glänzende Volvo, den sich Nicola schließlich von dem Entschädigungsgeld kauft und der in die engen Gassen des Kalsa-Viertels passt wie ein Juwel in eine alte Konservendose. Als der arbeitslose Nichtsnutz Tancredi mit dem väterlichen Wagen eine Spritztour unternimmt und mit einem Kratzer im Lack heimkehrt, kommt es zur Katastrophe.
Oder war es ganz anders? Und ist Tancredi wirklich so ein Nichtsnutz? Alajmo spielt virtuos mit literarischen Techniken, die man bereits in seinen früheren Romanen bewundern konnte. Er kann sich wie unter einer Lupe in Details vertiefen, hyperrealistisch die Erzählzeit geradezu schmerzlich auseinanderziehen, und dann wieder mit ein paar Andeutungen ein ganzes Fresko skizzieren und Tempo aufnehmen. Er erzählt parallel zwei Handlungsstränge: die Vorgeschichte (wobei er laufend die Erzählperspektive wechselt) und die Ermittlungen nach dem Mord (fast ausschließlich aus der Sicht von Tancredi). Am Ende finden diese Stränge wunderbar dort zusammen, wo alles begonnen hat. Der letzte Satz lautet: „Die Geschichte kann anfangen.“ Und aus Literatur wird wieder Leben.
HENNING KLÜVER
ROBERTO ALAJMO: Es war der Sohn. Aus dem Italienischen von Annette Kopetzki. Carl Hanser Verlag, München 2011. 252 Seiten, 19,90 Euro.
Zum Gesetz des Schweigens
gehört in diesem Roman,
dass sehr viel geredet wird
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