Mit seinem Hauptwerk, den »Essais«, begründete der Jurist, Politiker und Philosoph Michel de Montaigne im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts die Kunst der Essayistik. In seinen Abhandlungen zu so unterschiedlichen Themen wie Eitelkeit, Kindererziehung und Kannibalismus setzte er sich kritisch, assoziativ und stets auf persönliche Erfahrungen zurückgreifend mit dem zwischenmenschlichen Zusammenleben seiner Zeit auseinander. So hinterließ er ein Werk von unermesslichem Einfluss auf Literatur und Philosophie. Ein eindrucksvolles Zeugnis von Weitsicht und Liberalität, gelesen von Bodo Primus.Gekürzte Lesung mit Bodo Primus1 MP3-CD ca. 7 h 11 min
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Wolfgang Schneider lobt die Hörfassung von Michel de Montaignes Essays mit dem Sprecher Bodo Primus. Gefallen hat ihm Primus mit seiner "landedelmännischen" Stimme. Montaignes wankelmütiger Erzähler erhält so Solidität und Autorität, seine verstreuten Aphorismen Zusammenhang, meint Schneider. Philosophie als Hörbuch scheint dem Rezensenten nun möglich angesichts dieser sieben Stunden währenden akzentuierten Lesung. Dass Montaigne mit seinem assoziativen Denken und seinem gestisch-mündlichen, ironischen Plauderton sich besonders zum Hörbuch-Philosophen eignet, ahnt Schneider allerdings auch.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»In den meisten Schriftstellern sehe ich nur den Menschen, der schreibt, in Montaigne den, der denkt.« Charles de Montesquieu »Es gibt keinen Zweifel: Wer sich eine Bibliothek mit Weltliteratur in Form von Hörbüchern aufbauen möchte, kommt an dieser Edition nicht vorbei.« WDR 3 »Hier wird fündig, wer an Hörbuchproduktionen Freude hat, die nicht schnell hingeschludert sind, sondern mit einer Regie-Idee zum Text vom und für den Rundfunk produziert sind.« NDR KULTUR »Mehr Zeit hätte man ja immer gern, aber für diese schönen Hörbücher [...] besonders.« WAZ »Die Hörbuch-Edition 'Große Werke. Große Stimmen.' umfasst herausragende Lesungen deutschsprachiger Sprecherinnen und Sprecher, die in den Archiven der Rundfunkanstalten schlummern.« SAARLÄNDISCHER RUNDFUNK
".. die erste moderne und vor allem komplette Übertragung des französischen Philosophen ... Was für ein Projekt! Was für ein Stück Weltliteratur!" Marc Reichwein Die WELT 20150123
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.08.2004»ESSAIS«
Lucy, die kleine, blonde Schwester des Ewing Clans in Dallas, war einmal in einer besonders tiefen Krise. Sie war fertig mit der Welt, da half auch kein Whisky mehr, also tat sie etwas, das auf Southfork noch niemand je getan hatte. Bevor Lucy aber wirkliche Fortschritte in ihrem einsamen Vorhaben erzielen konnte, eilte schon Miss Ellie herbei, bestürzt: "Lucy, du liest?"
Diese Dialogzeile ist mir unvergeßlich. Die Szene ist grotesk, aber ich werde den Verdacht nicht los, daß an ihr auf eine vertrackte Weise etwas dran ist: Warum liest man Bücher, wenn man auch im Atlantik baden kann? Wie oft ist ein Buch schlicht ein Ersatz, ein Trost für das Ausbleiben dreidimensionalerer Freuden?
An diesem Punkt kommt Montaigne ins Spiel. Die "Essais" sind ein Buch, das am liebsten keines wäre: Montaigne begann damit, sie zu diktieren, nachdem sein bester, sein einziger Freund Etienne de la Boetie an der Pest gestorben war. Noch in ihren erhabensten Passagen sind sich die "Essais" darüber im klaren, ein unzulänglicher Ersatz für Gespräche mit einem abwesenden Freund zu sein.
Immerhin, Montaigne bemüht sich, er hat ja auch keine andere Wahl. Er argumentiert, assoziiert, schweift ab, erzählt Witze und Anekdoten, ereifert sich über Ärzte, die ihren Patienten den Genuß von Melonen verbieten wollen, selbst aber davon nicht lassen können, und es entsteht ein Text, der sich bei häufiger Lektüre in gesprochene Sprache zurückverwandelt, bis man irgendwann meint, Montaignes Gascogner Dialekt zu lesen.
Das Bild des kleinen Montaigne in seinem gemütlichen Turmzimmer sollte freilich nicht dazu verleiten, ihn und sein Werk zu unterschätzen: Die "Essais" haben gar nicht so viele Zeilen, wie der Autor Botschaften dazwischen vermittelt. Als Bürgermeister von Bordeaux und Berater der wichtigsten Politiker seiner auch nicht gerade übersichtlichen Zeit waren ihm keine strategischen und taktischen Tricks fremd, und er teilt sie mit seinen Lesern, allerdings an völlig unvermuteten Stellen. Man muß also genau hinhören. Montaigne redet in den "Essais" gegen die Einsamkeit, gegen den Tod an, jahrzehntelang - und scheitert. Was bleibt, ist grandiose Literatur.
NILS MINKMAR
Informationen zu "Unsere Besten - Das große Lesen", einer gemeinsamen Aktion von ZDF und F.A.Z., finden sich im Internet unter www.faz.net/lesen.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Lucy, die kleine, blonde Schwester des Ewing Clans in Dallas, war einmal in einer besonders tiefen Krise. Sie war fertig mit der Welt, da half auch kein Whisky mehr, also tat sie etwas, das auf Southfork noch niemand je getan hatte. Bevor Lucy aber wirkliche Fortschritte in ihrem einsamen Vorhaben erzielen konnte, eilte schon Miss Ellie herbei, bestürzt: "Lucy, du liest?"
Diese Dialogzeile ist mir unvergeßlich. Die Szene ist grotesk, aber ich werde den Verdacht nicht los, daß an ihr auf eine vertrackte Weise etwas dran ist: Warum liest man Bücher, wenn man auch im Atlantik baden kann? Wie oft ist ein Buch schlicht ein Ersatz, ein Trost für das Ausbleiben dreidimensionalerer Freuden?
An diesem Punkt kommt Montaigne ins Spiel. Die "Essais" sind ein Buch, das am liebsten keines wäre: Montaigne begann damit, sie zu diktieren, nachdem sein bester, sein einziger Freund Etienne de la Boetie an der Pest gestorben war. Noch in ihren erhabensten Passagen sind sich die "Essais" darüber im klaren, ein unzulänglicher Ersatz für Gespräche mit einem abwesenden Freund zu sein.
Immerhin, Montaigne bemüht sich, er hat ja auch keine andere Wahl. Er argumentiert, assoziiert, schweift ab, erzählt Witze und Anekdoten, ereifert sich über Ärzte, die ihren Patienten den Genuß von Melonen verbieten wollen, selbst aber davon nicht lassen können, und es entsteht ein Text, der sich bei häufiger Lektüre in gesprochene Sprache zurückverwandelt, bis man irgendwann meint, Montaignes Gascogner Dialekt zu lesen.
Das Bild des kleinen Montaigne in seinem gemütlichen Turmzimmer sollte freilich nicht dazu verleiten, ihn und sein Werk zu unterschätzen: Die "Essais" haben gar nicht so viele Zeilen, wie der Autor Botschaften dazwischen vermittelt. Als Bürgermeister von Bordeaux und Berater der wichtigsten Politiker seiner auch nicht gerade übersichtlichen Zeit waren ihm keine strategischen und taktischen Tricks fremd, und er teilt sie mit seinen Lesern, allerdings an völlig unvermuteten Stellen. Man muß also genau hinhören. Montaigne redet in den "Essais" gegen die Einsamkeit, gegen den Tod an, jahrzehntelang - und scheitert. Was bleibt, ist grandiose Literatur.
NILS MINKMAR
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