Die Bundesrepublik in den turbulenten Siebzigern. Während an den Universitäten die Revolution geprobt und bundesweit nach den Mitgliedern der RAF gefahndet wird, sitzt ein junger Mann vor dem muffig-engen Elternhaus und trifft eine Entscheidung. Er packt ein paar Sachen, greift seine Gitarre und geht. Wenig später steht er an der Straße und reckt den Daumen in den Wind. Ohne Geld und Plan schlägt sich der selbsternannte Nichtsnutz nach Süden durch, trifft auf schräge Vögel, hoffnungslose Romantiker, zwielichtige Rocker, Hippies und die große Liebe, spielt als Troubadour im Batikshirt groß auf, entdeckt die magische Welt der Pilze, das unvergleichliche Licht Italiens und die unermessliche Freiheit der Straße.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.04.2021Ein sanfter
Trip
Klaus Modicks neuer Roman „Fahrtwind“
Es wird gegenwärtig viel geklagt, oft völlig zu Recht. Und manche Lamenti wirken sogar auf kuriose Weise erkenntnisstiftend, zum Beispiel Quengeleien über die Zumutung des langen Italien-Entzugs. Es offenbart sich nun, dass die schier unerträgliche Sehnsucht nicht der Lebenswirklichkeit Italiens gilt, die ja, unter erschwerten Bedingungen, jederzeit zugänglich wäre, aber im Moment nicht so lustig ist.
Die Entzugserscheinungen gelten vielmehr dem gleichnamigen, sein romantisches Klischee vermarktenden Kultur- und Freizeitpark mit integriertem Einkaufs- und Schlemmerparadies. Und dem Gewohnheitsrecht, jederzeit darauf zugreifen zu können. Das ist ein nicht ganz unbedeutender Unterschied, und wer ihn bemerkt, quengelt etwas leiser.
Es ist aber ein alter Hut, dass der Italien-Drang der Deutschen über Jahrhunderte hinweg von Missverständnissen und Projektionen befeuert wurde. Was den Einfluss der Literatur betrifft, so steht Goethes „Lied der Mignon“ gewiss obenan, wohingegen seine „Italienische Reise“, das realitätsgesättigte Dokument eines persönlichen Forschungs- und Bildungsprojekts, dem populären Schwärmen und Träumen kaum Vorschub leistet.
Für das bis heute breitenwirksame Italienbild von einem Schlaraffenland voll Sonne, Schönheit und Lebensfreude ist Joseph von Eichendorff die wichtigere Figur. Der schlesische Freiherr und Beamte im preußischen Staatsdienst, der das Zitronenland selbst nie besuchen konnte, arrangierte die Früchte und Blüten fremder Reiseerfahrungen zu völlig irrealen, aber betörend lieblichen Szenerien, in denen er die romantische Ironie so gut versteckte, dass manche Exegeten sie gar nicht mehr fanden. Das bekannteste seiner Prosawerke, die 1826 erschienene Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“, dürfte Generationen mit dem Lockruf des Südens infiziert haben, bevor es im 20. Jahrhundert zur meistens doch eher lustlos absolvierten Pflichtlektüre für Gymnasiasten und Germanistikstudenten wurde.
Einmal aber, und das schildert Klaus Modick im Prolog zu seinem neuen Roman „Fahrtwind“ sehr amüsant, hatte Eichendorffs Antiheld noch seine große Stunde, und zwar in der kurzen Phase der Rebellion zwischen dem verklemmten Arbeitsethos der Nachkriegszeit und dem bis heute andauernden Regime des konsumistischen Konkurrenzfiebers. Denn das märchenhaft weltferne „Italien“ als Fluchtort des wanderlustigen, Geige spielenden Müllerburschen ist in der Novelle ja die Chiffre für einen durchaus politisch deutbaren Gegenentwurf zum bürgerlichen Bienenfleiß und verspießerten Nützlichkeitsdenken im deutschen Frühkapitalismus. Daran ließ sich in den frühen Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts gut anknüpfen, was Modick mit einer ebenso komischen wie glaubhaften Literaturseminarszene in der Resopal- und PVC-Tristesse des „Philosophenturms“ der Hamburger Universität sehr gelungen illustriert.
Und auch so konnte man die Erzählung damals lesen: „Das kommt daher wie ein von Musik durchzogener Traum, ein sanfter Trip, ziel- und zügellos, voller Fernweh und sinnlicher Sehnsucht, durch nächtliche, wie halluziniert wirkende Parks, durch Landschaften, wie von einem bekifften Caspar David Friedrich gemalt.“ In dem Seminarteilnehmer und künftigen Schriftsteller Modick keimte daraufhin die Idee, diese Geschichte neu und zeitgemäß zu erzählen. Fast ein halbes Jahrhundert lang kam er nicht dazu, war aber ansonsten selbst bienenfleißig und profilierte sich, am eindrucksvollsten wohl mit seinen jüngsten Romanen „Konzert ohne Dichter“ und „Keyserlings Geheimnis“, als Spezialist für eine Literatur, in der das alte deutsche Dilemma zwischen Leichtigkeit und Tiefe, Unterhaltung und Bildung, Publikumsnähe und Niveau sich wundersamerweise aufzulösen scheint.
Nun hat er, nachdem ihm beim Aufräumen seiner Oldenburger Bibliothek der vollgekritzelte Reclam-Taugenichts seiner Studienjahre in die Hände gefallen ist, seinen alten Plan ausgeführt, und viele erwartungsvolle Leser sind ihm sicher. Die dürfen erst einmal grübeln, warum dieses Buch schon wieder ein „Roman“ sein soll, obwohl es doch an einer Novelle entlanggeschrieben wurde.
Dann aber, nach der einnehmenden Vorrede, werden sie vielleicht ihr eigenes Taugenichts-Exemplar aus der Versenkung holen, um ein bisschen „Original und Fälschung“ zu spielen. Und sie werden feststellen, dass der Erfolgsautor dem berühmten Nichtsnutz und Bruder Leichtfuß eine vollendete Reverenz erweist – indem er es sich so einfach wie möglich macht.
Der Ich-Erzähler ist nun eine Art Klaus Modick kurz nach dem Abitur, aus der Mühle wurde der Klempnerbetrieb Müller, aus der Geige die Gitarre, aus der Wanderschaft eine Tramptour, aus der Kutsche der beiden vornehmen Damen ein Mercedes Roadster 107, aus dem Schloss bei Wien ein Schlosshotel, und immer so fort: Mit schlichtesten Handgriffen wird die Geschichte in die Siebzigerjahre transportiert, deren Flair sich aber allenfalls durch die Popsongs mitteilt, die als Motti über den Kapiteln stehen, und durch die gelegentliche Erwähnung von RAF und Roten Brigaden.
Sobald das inkognito reisende Künstlerpaar auftritt (im Biker-Outfit), muss die Handlung notgedrungen von der Vorlage abweichen, da die Liebesverwicklungen der Biedermeierzeit hier nicht mehr funktionieren würden. Die anschließende Italienfahrt nimmt dann offenkundig Erlebtes auf, vom Aussteigerambiente einer toskanischen Villa über den Grusel römischer Vorstädte bis zum Besuch in der Villa Massimo (wo der Autor allerdings erst 1990 weilte), inklusive Rolf-Dieter-Brinkmann-Parodie. Arg albern gerät am Ende die Episode mit der deutschen Rockband, als Reinkarnation der Prager Musikanten aus der Novelle: In diesem Milieu haben längst andere Kollegen Maßstäbe gesetzt, wie überhaupt im Genre des literarischen Roadtrips, das hier nur noch als schwacher Abglanz grüßt.
Der Eindruck einer Taugenichts-Bearbeitung „für die Jugend“ würde sich aufdrängen, wäre da nicht der pädagogisch bedenkliche Erfahrungsbericht von einem tollen Rausch durch halluzinogene Pilze. Bei dem der Ich-Erzähler erstmals Eichendorff-Gedichte liest. Gegen die sehen Modicks selbstverfasste, hier und da eingestreute Songtexte etwas alt aus, was er und sein Alter Ego selbstverständlich wissen. Und dazu taugt das Büchlein nun allemal: die Erinnerung an einen vermeintlich bekannten Dichter zu beleben, bei dem es immer noch so vieles zu entdecken gilt, dass er von Zeit zu Zeit durch sein eigenes Zauberwort geweckt werden muss.
KRISTINA MAIDT-ZINKE
„Landschaften, wie
von einem bekifften Caspar
David Friedrich gemalt.“
Der Erfolgsautor erweist
Eichendorffs „Taugenichts“
eine vollendete Reverenz
Klaus Modick: Fahrtwind. Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021. 196 Seiten, 20 Euro.
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Trip
Klaus Modicks neuer Roman „Fahrtwind“
Es wird gegenwärtig viel geklagt, oft völlig zu Recht. Und manche Lamenti wirken sogar auf kuriose Weise erkenntnisstiftend, zum Beispiel Quengeleien über die Zumutung des langen Italien-Entzugs. Es offenbart sich nun, dass die schier unerträgliche Sehnsucht nicht der Lebenswirklichkeit Italiens gilt, die ja, unter erschwerten Bedingungen, jederzeit zugänglich wäre, aber im Moment nicht so lustig ist.
Die Entzugserscheinungen gelten vielmehr dem gleichnamigen, sein romantisches Klischee vermarktenden Kultur- und Freizeitpark mit integriertem Einkaufs- und Schlemmerparadies. Und dem Gewohnheitsrecht, jederzeit darauf zugreifen zu können. Das ist ein nicht ganz unbedeutender Unterschied, und wer ihn bemerkt, quengelt etwas leiser.
Es ist aber ein alter Hut, dass der Italien-Drang der Deutschen über Jahrhunderte hinweg von Missverständnissen und Projektionen befeuert wurde. Was den Einfluss der Literatur betrifft, so steht Goethes „Lied der Mignon“ gewiss obenan, wohingegen seine „Italienische Reise“, das realitätsgesättigte Dokument eines persönlichen Forschungs- und Bildungsprojekts, dem populären Schwärmen und Träumen kaum Vorschub leistet.
Für das bis heute breitenwirksame Italienbild von einem Schlaraffenland voll Sonne, Schönheit und Lebensfreude ist Joseph von Eichendorff die wichtigere Figur. Der schlesische Freiherr und Beamte im preußischen Staatsdienst, der das Zitronenland selbst nie besuchen konnte, arrangierte die Früchte und Blüten fremder Reiseerfahrungen zu völlig irrealen, aber betörend lieblichen Szenerien, in denen er die romantische Ironie so gut versteckte, dass manche Exegeten sie gar nicht mehr fanden. Das bekannteste seiner Prosawerke, die 1826 erschienene Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“, dürfte Generationen mit dem Lockruf des Südens infiziert haben, bevor es im 20. Jahrhundert zur meistens doch eher lustlos absolvierten Pflichtlektüre für Gymnasiasten und Germanistikstudenten wurde.
Einmal aber, und das schildert Klaus Modick im Prolog zu seinem neuen Roman „Fahrtwind“ sehr amüsant, hatte Eichendorffs Antiheld noch seine große Stunde, und zwar in der kurzen Phase der Rebellion zwischen dem verklemmten Arbeitsethos der Nachkriegszeit und dem bis heute andauernden Regime des konsumistischen Konkurrenzfiebers. Denn das märchenhaft weltferne „Italien“ als Fluchtort des wanderlustigen, Geige spielenden Müllerburschen ist in der Novelle ja die Chiffre für einen durchaus politisch deutbaren Gegenentwurf zum bürgerlichen Bienenfleiß und verspießerten Nützlichkeitsdenken im deutschen Frühkapitalismus. Daran ließ sich in den frühen Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts gut anknüpfen, was Modick mit einer ebenso komischen wie glaubhaften Literaturseminarszene in der Resopal- und PVC-Tristesse des „Philosophenturms“ der Hamburger Universität sehr gelungen illustriert.
Und auch so konnte man die Erzählung damals lesen: „Das kommt daher wie ein von Musik durchzogener Traum, ein sanfter Trip, ziel- und zügellos, voller Fernweh und sinnlicher Sehnsucht, durch nächtliche, wie halluziniert wirkende Parks, durch Landschaften, wie von einem bekifften Caspar David Friedrich gemalt.“ In dem Seminarteilnehmer und künftigen Schriftsteller Modick keimte daraufhin die Idee, diese Geschichte neu und zeitgemäß zu erzählen. Fast ein halbes Jahrhundert lang kam er nicht dazu, war aber ansonsten selbst bienenfleißig und profilierte sich, am eindrucksvollsten wohl mit seinen jüngsten Romanen „Konzert ohne Dichter“ und „Keyserlings Geheimnis“, als Spezialist für eine Literatur, in der das alte deutsche Dilemma zwischen Leichtigkeit und Tiefe, Unterhaltung und Bildung, Publikumsnähe und Niveau sich wundersamerweise aufzulösen scheint.
Nun hat er, nachdem ihm beim Aufräumen seiner Oldenburger Bibliothek der vollgekritzelte Reclam-Taugenichts seiner Studienjahre in die Hände gefallen ist, seinen alten Plan ausgeführt, und viele erwartungsvolle Leser sind ihm sicher. Die dürfen erst einmal grübeln, warum dieses Buch schon wieder ein „Roman“ sein soll, obwohl es doch an einer Novelle entlanggeschrieben wurde.
Dann aber, nach der einnehmenden Vorrede, werden sie vielleicht ihr eigenes Taugenichts-Exemplar aus der Versenkung holen, um ein bisschen „Original und Fälschung“ zu spielen. Und sie werden feststellen, dass der Erfolgsautor dem berühmten Nichtsnutz und Bruder Leichtfuß eine vollendete Reverenz erweist – indem er es sich so einfach wie möglich macht.
Der Ich-Erzähler ist nun eine Art Klaus Modick kurz nach dem Abitur, aus der Mühle wurde der Klempnerbetrieb Müller, aus der Geige die Gitarre, aus der Wanderschaft eine Tramptour, aus der Kutsche der beiden vornehmen Damen ein Mercedes Roadster 107, aus dem Schloss bei Wien ein Schlosshotel, und immer so fort: Mit schlichtesten Handgriffen wird die Geschichte in die Siebzigerjahre transportiert, deren Flair sich aber allenfalls durch die Popsongs mitteilt, die als Motti über den Kapiteln stehen, und durch die gelegentliche Erwähnung von RAF und Roten Brigaden.
Sobald das inkognito reisende Künstlerpaar auftritt (im Biker-Outfit), muss die Handlung notgedrungen von der Vorlage abweichen, da die Liebesverwicklungen der Biedermeierzeit hier nicht mehr funktionieren würden. Die anschließende Italienfahrt nimmt dann offenkundig Erlebtes auf, vom Aussteigerambiente einer toskanischen Villa über den Grusel römischer Vorstädte bis zum Besuch in der Villa Massimo (wo der Autor allerdings erst 1990 weilte), inklusive Rolf-Dieter-Brinkmann-Parodie. Arg albern gerät am Ende die Episode mit der deutschen Rockband, als Reinkarnation der Prager Musikanten aus der Novelle: In diesem Milieu haben längst andere Kollegen Maßstäbe gesetzt, wie überhaupt im Genre des literarischen Roadtrips, das hier nur noch als schwacher Abglanz grüßt.
Der Eindruck einer Taugenichts-Bearbeitung „für die Jugend“ würde sich aufdrängen, wäre da nicht der pädagogisch bedenkliche Erfahrungsbericht von einem tollen Rausch durch halluzinogene Pilze. Bei dem der Ich-Erzähler erstmals Eichendorff-Gedichte liest. Gegen die sehen Modicks selbstverfasste, hier und da eingestreute Songtexte etwas alt aus, was er und sein Alter Ego selbstverständlich wissen. Und dazu taugt das Büchlein nun allemal: die Erinnerung an einen vermeintlich bekannten Dichter zu beleben, bei dem es immer noch so vieles zu entdecken gilt, dass er von Zeit zu Zeit durch sein eigenes Zauberwort geweckt werden muss.
KRISTINA MAIDT-ZINKE
„Landschaften, wie
von einem bekifften Caspar
David Friedrich gemalt.“
Der Erfolgsautor erweist
Eichendorffs „Taugenichts“
eine vollendete Reverenz
Klaus Modick: Fahrtwind. Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021. 196 Seiten, 20 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensentin Kristina Maidt-Zinke nutzt Klaus Modicks Taugenichts-Adaption vor allem dazu, mal wieder bei Eichendorff reinzuschauen. Modicks Text selbst, ein Taugenichts der 1970er auf Kiff- und Tramptour gen Italien, vermag die Rezensentin nur teilweise zu überzeugen. Etwas zu einfach macht es sich der Autor mit seiner Umdichtung inklusive Brinkmann-Parodie in der Villa Massimo, meint sie. Weder als Roadtrip noch als Handreichung für die Jugend taugt das Buch ihr so richtig, für ein "Original und Fälschung"-Spiel aber durchaus, meint sie.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Er kann von sich absehen und sich dafür in seine Figuren versetzen, um deren Zeit in detailreichen Tableaus entstehen zu lassen, vorzugsweise aus ihren eigenen Worten und Werten.« Bernd Eilert FAZ 20210503