Kurios, poetisch, tragisch - so könnte das Leben sein - morgen.Liane Dirks schreibt über eine Welt, wie sie morgen vielleicht schon sein könnte. Extreme Klimaveränderungen haben die Stadt unlebbar gemacht, doch eine Frau hält mit ihrer halbwüchsigen Tochter im 18. Stock eines Hochhauses aus. Während sich die anderen schon wieder anpassen, zu stammesähnlichen Gruppen formieren, kämpfen die beiden um ihre Individualität. Atemlos folgt man den Heldinnen auf einem unausweichlichen Weg. Eine eindringliche Zukunftsvision in Form einer poetischen Inventur, grotesk bisweilen und voll schwarzen Humors. Die Sprachartistin Hannelore Elsner leiht dem eindringlichen Text ihre Stimme und ihre schauspielerische Ausdruckskraft.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.10.2006Ein Skistock geht im Walde
Bungee-Jumping über dem Abgrund des Tiefsinns: Liane Dirks‘ Roman „Falsche Himmel” / Von Meike Feßmann
„Hinterlegt vor dem Durchschreiten einer Lichtschranke” – ein Roman, der mit einem solchen Satz beginnt, lässt nichts Gutes ahnen. Pathetisch prangt er auf der ersten, ansonsten leeren Seite. Soll er uns locken, soll er uns abweisen? Auf jeden Fall wirkt er wie eine Schleuse: eine unbefangene Lektüre ist danach nicht mehr möglich.
„Falsche Himmel” spielt in einer nicht näher benannten Zukunft. Die Klimakatastrophe hat Europa erreicht. Es ist drückend heiß, die Luft lässt sich kaum mehr atmen, Wasser und Nahrungsmittel werden knapp, Stromausfälle häufen sich. An einem 10. August um 21.40 Uhr schlägt die Ich-Erzählerin das letzte einer Reihe von Heften auf und beginnt mit ihren Notizen. Das Heft ist „blau, tiefblau”, wie wir erfahren, und so ist auch der Stil des Romans. Nebensächlichkeiten werden raunend aufgebauscht, kein Wort darf stehen bleiben, ohne dass ihm ein anderes nachgeschoben wird. Jede Bemerkung wird kommentiert.
Der Ton ist schwer erträglich: mal raunt der Tiefsinn, mal flapst forcierte Munterkeit, mal soll Lakonie vorgeführt werden, die aber, weil man ihr die Mühe anmerkt, gerade nicht lakonisch ist; ein Ausrufezeichen jagt das andere. Die Erzählerin sitzt im 18. Stockwerk eines Hochhauses, ihre Tochter Reba schläft im Nachbarzimmer, vor dem Fenster stürzen sich Menschen in den Abgrund. Offenbar ist Bungee-Jumping auch nach der Katastrophe eine beliebte Beschäftigung. Die Erzählerin findet das absurd (wir auch). Und nimmt ihr Unverständnis zum Anlass für ein paar kulturkritische Bemerkungen: „Eine Zeit lang – früher – gingen sie mit Skistöcken durch den Wald, das sah komisch aus, Langlauf im Sommer ohne Schnee. Und wie entschlossen sie das plötzlich alle taten. Sie waren so ernst wie die Kletterer, rückblickend glaube ich sogar, sie waren die Schlimmsten.” Die Schlimmsten? Man hätte schon gern gewusst, warum.
Mühsam versucht die Autorin, eine Welt zu buchstabieren, die sie sich nicht recht vorstellen kann. Deshalb bevölkert sie ihren Roman mit Platitüden und einer kleinen Schar skurriler Figuren: die mannstolle Nadja und ihr viriler Stasiek, der abgehalfterte Schauspieler Herr Donati, der ein krankes Kind über die Runden zu bringen versucht und alle mit seinen Marionetten erheitert, die beste Freundin Loretta, der Rundfunkjournalist und frühere Kollege Herr Meyer und schließlich die 17-jährige Tochter Reba, eine schöne, unabhängige junge Frau, die als Einzige gut mit der Endzeitstimmung zurecht kommt. Und natürlich gibt es auch ein dunkles Geheimnis.
„Das sah komisch aus,
Langlauf im Sommer,
ohne Schnee”
So sehr man sich wundert, wie Liane Dirks ein solcher Roman passieren konnte, im Zusammenhang ihres Werks wird er zumindest verständlich. Die Autorin, 1955 in Hamburg geboren, debütierte 1986 mit dem Roman „Die liebe Angst”, der vom Missbrauch eines Mädchens durch den Vater erzählte. Jahre später folgte „Und die Liebe? frage ich sie”, den der Kiepenheuer & Witsch Verlag nun unter dem Titel „Krystyna” als Paperback neu auflegt. Er erzählte die Geschichte der Satirikerin und Auschwitz-Überlebenden Krystyna Zywulska und ihrer Liebe zu Thomas Harlan, dem Sohn des „Jud Süß”-Regisseurs Veit Harlan. „Vier Arten meinen Vater zu beerdigen” nahm noch einmal das Missbrauchsthema auf. Und dieses Mal redete die Autorin Klartext und nannte den Vater beim Namen: Günther Dirks. Dass dies keine Abrechnung wurde, sondern der Versuch, den nicht zu bändigenden sexuellen Trieb des Vaters aus seiner Biographie zu erklären, hat der Autorin eine Menge Respekt eingebracht. Er verband die Tugend journalistischer Recherche mit großer Erzählfreude und spielte u.a. auf Barbados, wo die Familie eine zeitlang lebte. Auch ihrem letzten Roman, „Narren des Glücks”, gingen umfangreiche Recherchen voraus.
Doch dieses Mal wollte Liane Dirks offenbar kein neues Material bearbeiten, sondern sehen, was sie kann und hat. „Falsche Himmel” ist eine Art Bestandsaufnahme. Hinter verschlossenen Türen zieht sie Verbindungslinien zu ihren anderen Büchern, die aber nur für deren Leser auch erkennbar sind. Die restliche Welt muss draußen bleiben – jenseits der Lichtschranke: verständnislos.
Liane Dirks
Falsche Himmel
Roman. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2006. 143 Seiten, 16,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Bungee-Jumping über dem Abgrund des Tiefsinns: Liane Dirks‘ Roman „Falsche Himmel” / Von Meike Feßmann
„Hinterlegt vor dem Durchschreiten einer Lichtschranke” – ein Roman, der mit einem solchen Satz beginnt, lässt nichts Gutes ahnen. Pathetisch prangt er auf der ersten, ansonsten leeren Seite. Soll er uns locken, soll er uns abweisen? Auf jeden Fall wirkt er wie eine Schleuse: eine unbefangene Lektüre ist danach nicht mehr möglich.
„Falsche Himmel” spielt in einer nicht näher benannten Zukunft. Die Klimakatastrophe hat Europa erreicht. Es ist drückend heiß, die Luft lässt sich kaum mehr atmen, Wasser und Nahrungsmittel werden knapp, Stromausfälle häufen sich. An einem 10. August um 21.40 Uhr schlägt die Ich-Erzählerin das letzte einer Reihe von Heften auf und beginnt mit ihren Notizen. Das Heft ist „blau, tiefblau”, wie wir erfahren, und so ist auch der Stil des Romans. Nebensächlichkeiten werden raunend aufgebauscht, kein Wort darf stehen bleiben, ohne dass ihm ein anderes nachgeschoben wird. Jede Bemerkung wird kommentiert.
Der Ton ist schwer erträglich: mal raunt der Tiefsinn, mal flapst forcierte Munterkeit, mal soll Lakonie vorgeführt werden, die aber, weil man ihr die Mühe anmerkt, gerade nicht lakonisch ist; ein Ausrufezeichen jagt das andere. Die Erzählerin sitzt im 18. Stockwerk eines Hochhauses, ihre Tochter Reba schläft im Nachbarzimmer, vor dem Fenster stürzen sich Menschen in den Abgrund. Offenbar ist Bungee-Jumping auch nach der Katastrophe eine beliebte Beschäftigung. Die Erzählerin findet das absurd (wir auch). Und nimmt ihr Unverständnis zum Anlass für ein paar kulturkritische Bemerkungen: „Eine Zeit lang – früher – gingen sie mit Skistöcken durch den Wald, das sah komisch aus, Langlauf im Sommer ohne Schnee. Und wie entschlossen sie das plötzlich alle taten. Sie waren so ernst wie die Kletterer, rückblickend glaube ich sogar, sie waren die Schlimmsten.” Die Schlimmsten? Man hätte schon gern gewusst, warum.
Mühsam versucht die Autorin, eine Welt zu buchstabieren, die sie sich nicht recht vorstellen kann. Deshalb bevölkert sie ihren Roman mit Platitüden und einer kleinen Schar skurriler Figuren: die mannstolle Nadja und ihr viriler Stasiek, der abgehalfterte Schauspieler Herr Donati, der ein krankes Kind über die Runden zu bringen versucht und alle mit seinen Marionetten erheitert, die beste Freundin Loretta, der Rundfunkjournalist und frühere Kollege Herr Meyer und schließlich die 17-jährige Tochter Reba, eine schöne, unabhängige junge Frau, die als Einzige gut mit der Endzeitstimmung zurecht kommt. Und natürlich gibt es auch ein dunkles Geheimnis.
„Das sah komisch aus,
Langlauf im Sommer,
ohne Schnee”
So sehr man sich wundert, wie Liane Dirks ein solcher Roman passieren konnte, im Zusammenhang ihres Werks wird er zumindest verständlich. Die Autorin, 1955 in Hamburg geboren, debütierte 1986 mit dem Roman „Die liebe Angst”, der vom Missbrauch eines Mädchens durch den Vater erzählte. Jahre später folgte „Und die Liebe? frage ich sie”, den der Kiepenheuer & Witsch Verlag nun unter dem Titel „Krystyna” als Paperback neu auflegt. Er erzählte die Geschichte der Satirikerin und Auschwitz-Überlebenden Krystyna Zywulska und ihrer Liebe zu Thomas Harlan, dem Sohn des „Jud Süß”-Regisseurs Veit Harlan. „Vier Arten meinen Vater zu beerdigen” nahm noch einmal das Missbrauchsthema auf. Und dieses Mal redete die Autorin Klartext und nannte den Vater beim Namen: Günther Dirks. Dass dies keine Abrechnung wurde, sondern der Versuch, den nicht zu bändigenden sexuellen Trieb des Vaters aus seiner Biographie zu erklären, hat der Autorin eine Menge Respekt eingebracht. Er verband die Tugend journalistischer Recherche mit großer Erzählfreude und spielte u.a. auf Barbados, wo die Familie eine zeitlang lebte. Auch ihrem letzten Roman, „Narren des Glücks”, gingen umfangreiche Recherchen voraus.
Doch dieses Mal wollte Liane Dirks offenbar kein neues Material bearbeiten, sondern sehen, was sie kann und hat. „Falsche Himmel” ist eine Art Bestandsaufnahme. Hinter verschlossenen Türen zieht sie Verbindungslinien zu ihren anderen Büchern, die aber nur für deren Leser auch erkennbar sind. Die restliche Welt muss draußen bleiben – jenseits der Lichtschranke: verständnislos.
Liane Dirks
Falsche Himmel
Roman. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2006. 143 Seiten, 16,90 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.09.2006Schrecklich
Liane Dirks malt uns eine Klimakatastrophe an die Wand
Für Rimbaud-Verehrer, denen dieser Sommer nicht heiß genug war, die das Verlangen nach einem Abstecher in die Hölle und eine kleine Sehnsucht nach dem Untergang des Abendlandes haben, liegt ein neues Buch von Liane Dirks vor. Schon in ihrem letzten Roman "Narren des Glücks" berauschte sie sich an dem Ende einer Epoche und ließ die zwanziger Jahre geräuschvoll untergehen. Nun wollte sie sich wohl steigern, sich weiter von ihrem Image der autobiographisch geprägten Bewältigungsliteratin lösen und hat sich an einer Apokalypse versucht. Eigentlich ist es keine Vision von Weltende und neuem Jerusalem im klassischen Sinne, sondern eine Art Antiutopie, das düstere Bild einer abgleitenden Gesellschaft auf dem Weg in die endgültige Katastrophe.
Eine solche Gesellschaft trägt üblicherweise totalitäre Züge, das wissen wir von Aldous Huxley und George Orwell. Also ist das öffentliche Leben bei Liane Dirks erstarrt, eine nicht näher beschriebene Macht kontrolliert die Menschen und greift auf sie zu. Manchmal liegen Tote an den Straßenecken. Auch bedenkliche Bilder bedrohen die Menschheit: "Die Welt neigt ihr Skelett gen Osten", das Wetter hat die Welt ausgezehrt, Wirbelstürme und Überschwemmungen wüten, entsetzliche Hitze treibt die Ozonwerte in die Höhe, die von Melanomen versehrten Menschen verlieren den Verstand, schlagen Haken in Betonwände, klettern an den Fassaden von Hochhäusern empor oder rotten sich zusammen, um in Stammesverbänden die Stadt zu verlassen.
Liane Dirks führt uns eine Klimakatastrophe vor, die sie hin und wieder mit Motiven der Johannes-Offenbarung unterlegt. Natürlich gibt es in diesem Schreckensszenario eine überlegene Ich-Erzählerin. Sie versteht sich als Protokollantin der Verhältnisse, auch wenn sie sich über weite Strecken des Buches mit ihrer Innenwelt befaßt. Wohnhaft in einem "Hochhaus des Wahns", versieht sie ein Tagebuch mit Notizen des Niedergangs und beschäftigt sich mit der Archivierung der Papiere einer Auschwitz-Überlebenden. Auffällig ist der Wille der Autorin, ihrer Figur ein eigensinnig-forsches Format zu geben, obwohl diese doch eigentlich von verblüffender Harmlosigkeit ist. Dies zeigt sich vor allem in ihrer ausgeprägten Neigung zu Alltagsphilosophie und syntaktisch über Kreuz gestellten Sentenzen: "Liebe kann so schnell bedrohlich sein, und trotzdem ist Bedrohung niemals Liebe." Ihr zur Seite steht eine wilde, engelsgleiche Tochter, die zerschlagene Rohre aus Wänden reißt, um sie zu einer Skulptur zu verschweißen.
Wunderliche Figuren, der Masse enthoben, gibt es viele in antiutopischen Romanen. Und so beschert uns die Autorin einen irren Interviewer und eine hitzeresistente Hure, vor allem aber den Puppenspieler Donati, der ein todkrankes Kind in der Karre schiebt und fortwährend Rimbaud zitiert. Der Roman wird durch Anspielungen auf "Une saison en Enfer" mit zusätzlichen Abgründen versehen - eine gefährliche Entscheidung, denn die absorbierende sprachliche Kraft der Rimbaudpassagen verdirbt den Leser für die Prosa von Liane Dirks. Und wenn schon die "Zeit in der Hölle" mit ihrem gottlosen Ringen um das Heil bemüht wird, erwartet man auch eine inhaltliche Entsprechung.
Der Roman bietet aber nicht höchste Höhen und tiefste Tiefen, sondern eine mäßige Erschütterung im Angesicht des Weltendes. Es wechselt ein nüchterner Nihilismus mit der vagen Hoffnung auf die Kraft von Liebe und Kunst. Das ist gut und schön, aber ein Aufschrei aus der Hitze des Untergangs sollte anders klingen.
SANDRA KERSCHBAUMER.
Liane Dirks: "Falsche Himmel". Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006. 144 S., geb., 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Liane Dirks malt uns eine Klimakatastrophe an die Wand
Für Rimbaud-Verehrer, denen dieser Sommer nicht heiß genug war, die das Verlangen nach einem Abstecher in die Hölle und eine kleine Sehnsucht nach dem Untergang des Abendlandes haben, liegt ein neues Buch von Liane Dirks vor. Schon in ihrem letzten Roman "Narren des Glücks" berauschte sie sich an dem Ende einer Epoche und ließ die zwanziger Jahre geräuschvoll untergehen. Nun wollte sie sich wohl steigern, sich weiter von ihrem Image der autobiographisch geprägten Bewältigungsliteratin lösen und hat sich an einer Apokalypse versucht. Eigentlich ist es keine Vision von Weltende und neuem Jerusalem im klassischen Sinne, sondern eine Art Antiutopie, das düstere Bild einer abgleitenden Gesellschaft auf dem Weg in die endgültige Katastrophe.
Eine solche Gesellschaft trägt üblicherweise totalitäre Züge, das wissen wir von Aldous Huxley und George Orwell. Also ist das öffentliche Leben bei Liane Dirks erstarrt, eine nicht näher beschriebene Macht kontrolliert die Menschen und greift auf sie zu. Manchmal liegen Tote an den Straßenecken. Auch bedenkliche Bilder bedrohen die Menschheit: "Die Welt neigt ihr Skelett gen Osten", das Wetter hat die Welt ausgezehrt, Wirbelstürme und Überschwemmungen wüten, entsetzliche Hitze treibt die Ozonwerte in die Höhe, die von Melanomen versehrten Menschen verlieren den Verstand, schlagen Haken in Betonwände, klettern an den Fassaden von Hochhäusern empor oder rotten sich zusammen, um in Stammesverbänden die Stadt zu verlassen.
Liane Dirks führt uns eine Klimakatastrophe vor, die sie hin und wieder mit Motiven der Johannes-Offenbarung unterlegt. Natürlich gibt es in diesem Schreckensszenario eine überlegene Ich-Erzählerin. Sie versteht sich als Protokollantin der Verhältnisse, auch wenn sie sich über weite Strecken des Buches mit ihrer Innenwelt befaßt. Wohnhaft in einem "Hochhaus des Wahns", versieht sie ein Tagebuch mit Notizen des Niedergangs und beschäftigt sich mit der Archivierung der Papiere einer Auschwitz-Überlebenden. Auffällig ist der Wille der Autorin, ihrer Figur ein eigensinnig-forsches Format zu geben, obwohl diese doch eigentlich von verblüffender Harmlosigkeit ist. Dies zeigt sich vor allem in ihrer ausgeprägten Neigung zu Alltagsphilosophie und syntaktisch über Kreuz gestellten Sentenzen: "Liebe kann so schnell bedrohlich sein, und trotzdem ist Bedrohung niemals Liebe." Ihr zur Seite steht eine wilde, engelsgleiche Tochter, die zerschlagene Rohre aus Wänden reißt, um sie zu einer Skulptur zu verschweißen.
Wunderliche Figuren, der Masse enthoben, gibt es viele in antiutopischen Romanen. Und so beschert uns die Autorin einen irren Interviewer und eine hitzeresistente Hure, vor allem aber den Puppenspieler Donati, der ein todkrankes Kind in der Karre schiebt und fortwährend Rimbaud zitiert. Der Roman wird durch Anspielungen auf "Une saison en Enfer" mit zusätzlichen Abgründen versehen - eine gefährliche Entscheidung, denn die absorbierende sprachliche Kraft der Rimbaudpassagen verdirbt den Leser für die Prosa von Liane Dirks. Und wenn schon die "Zeit in der Hölle" mit ihrem gottlosen Ringen um das Heil bemüht wird, erwartet man auch eine inhaltliche Entsprechung.
Der Roman bietet aber nicht höchste Höhen und tiefste Tiefen, sondern eine mäßige Erschütterung im Angesicht des Weltendes. Es wechselt ein nüchterner Nihilismus mit der vagen Hoffnung auf die Kraft von Liebe und Kunst. Das ist gut und schön, aber ein Aufschrei aus der Hitze des Untergangs sollte anders klingen.
SANDRA KERSCHBAUMER.
Liane Dirks: "Falsche Himmel". Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006. 144 S., geb., 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main