Kurios, poetisch, tragisch - so könnte das Leben sein - morgen.Liane Dirks schreibt über eine Welt, wie sie morgen vielleicht schon sein könnte. Extreme Klimaveränderungen haben die Stadt unlebbar gemacht, doch eine Frau hält mit ihrer halbwüchsigen Tochter im 18. Stock eines Hochhauses aus. Während sich die anderen schon wieder anpassen, zu stammesähnlichen Gruppen formieren, kämpfen die beiden um ihre Individualität. Atemlos folgt man den Heldinnen auf einem unausweichlichen Weg. Eine eindringliche Zukunftsvision in Form einer poetischen Inventur, grotesk bisweilen und voll schwarzen Humors. Die Sprachartistin Hannelore Elsner leiht dem eindringlichen Text ihre Stimme und ihre schauspielerische Ausdruckskraft.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.09.2006Schrecklich
Liane Dirks malt uns eine Klimakatastrophe an die Wand
Für Rimbaud-Verehrer, denen dieser Sommer nicht heiß genug war, die das Verlangen nach einem Abstecher in die Hölle und eine kleine Sehnsucht nach dem Untergang des Abendlandes haben, liegt ein neues Buch von Liane Dirks vor. Schon in ihrem letzten Roman "Narren des Glücks" berauschte sie sich an dem Ende einer Epoche und ließ die zwanziger Jahre geräuschvoll untergehen. Nun wollte sie sich wohl steigern, sich weiter von ihrem Image der autobiographisch geprägten Bewältigungsliteratin lösen und hat sich an einer Apokalypse versucht. Eigentlich ist es keine Vision von Weltende und neuem Jerusalem im klassischen Sinne, sondern eine Art Antiutopie, das düstere Bild einer abgleitenden Gesellschaft auf dem Weg in die endgültige Katastrophe.
Eine solche Gesellschaft trägt üblicherweise totalitäre Züge, das wissen wir von Aldous Huxley und George Orwell. Also ist das öffentliche Leben bei Liane Dirks erstarrt, eine nicht näher beschriebene Macht kontrolliert die Menschen und greift auf sie zu. Manchmal liegen Tote an den Straßenecken. Auch bedenkliche Bilder bedrohen die Menschheit: "Die Welt neigt ihr Skelett gen Osten", das Wetter hat die Welt ausgezehrt, Wirbelstürme und Überschwemmungen wüten, entsetzliche Hitze treibt die Ozonwerte in die Höhe, die von Melanomen versehrten Menschen verlieren den Verstand, schlagen Haken in Betonwände, klettern an den Fassaden von Hochhäusern empor oder rotten sich zusammen, um in Stammesverbänden die Stadt zu verlassen.
Liane Dirks führt uns eine Klimakatastrophe vor, die sie hin und wieder mit Motiven der Johannes-Offenbarung unterlegt. Natürlich gibt es in diesem Schreckensszenario eine überlegene Ich-Erzählerin. Sie versteht sich als Protokollantin der Verhältnisse, auch wenn sie sich über weite Strecken des Buches mit ihrer Innenwelt befaßt. Wohnhaft in einem "Hochhaus des Wahns", versieht sie ein Tagebuch mit Notizen des Niedergangs und beschäftigt sich mit der Archivierung der Papiere einer Auschwitz-Überlebenden. Auffällig ist der Wille der Autorin, ihrer Figur ein eigensinnig-forsches Format zu geben, obwohl diese doch eigentlich von verblüffender Harmlosigkeit ist. Dies zeigt sich vor allem in ihrer ausgeprägten Neigung zu Alltagsphilosophie und syntaktisch über Kreuz gestellten Sentenzen: "Liebe kann so schnell bedrohlich sein, und trotzdem ist Bedrohung niemals Liebe." Ihr zur Seite steht eine wilde, engelsgleiche Tochter, die zerschlagene Rohre aus Wänden reißt, um sie zu einer Skulptur zu verschweißen.
Wunderliche Figuren, der Masse enthoben, gibt es viele in antiutopischen Romanen. Und so beschert uns die Autorin einen irren Interviewer und eine hitzeresistente Hure, vor allem aber den Puppenspieler Donati, der ein todkrankes Kind in der Karre schiebt und fortwährend Rimbaud zitiert. Der Roman wird durch Anspielungen auf "Une saison en Enfer" mit zusätzlichen Abgründen versehen - eine gefährliche Entscheidung, denn die absorbierende sprachliche Kraft der Rimbaudpassagen verdirbt den Leser für die Prosa von Liane Dirks. Und wenn schon die "Zeit in der Hölle" mit ihrem gottlosen Ringen um das Heil bemüht wird, erwartet man auch eine inhaltliche Entsprechung.
Der Roman bietet aber nicht höchste Höhen und tiefste Tiefen, sondern eine mäßige Erschütterung im Angesicht des Weltendes. Es wechselt ein nüchterner Nihilismus mit der vagen Hoffnung auf die Kraft von Liebe und Kunst. Das ist gut und schön, aber ein Aufschrei aus der Hitze des Untergangs sollte anders klingen.
SANDRA KERSCHBAUMER.
Liane Dirks: "Falsche Himmel". Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006. 144 S., geb., 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Liane Dirks malt uns eine Klimakatastrophe an die Wand
Für Rimbaud-Verehrer, denen dieser Sommer nicht heiß genug war, die das Verlangen nach einem Abstecher in die Hölle und eine kleine Sehnsucht nach dem Untergang des Abendlandes haben, liegt ein neues Buch von Liane Dirks vor. Schon in ihrem letzten Roman "Narren des Glücks" berauschte sie sich an dem Ende einer Epoche und ließ die zwanziger Jahre geräuschvoll untergehen. Nun wollte sie sich wohl steigern, sich weiter von ihrem Image der autobiographisch geprägten Bewältigungsliteratin lösen und hat sich an einer Apokalypse versucht. Eigentlich ist es keine Vision von Weltende und neuem Jerusalem im klassischen Sinne, sondern eine Art Antiutopie, das düstere Bild einer abgleitenden Gesellschaft auf dem Weg in die endgültige Katastrophe.
Eine solche Gesellschaft trägt üblicherweise totalitäre Züge, das wissen wir von Aldous Huxley und George Orwell. Also ist das öffentliche Leben bei Liane Dirks erstarrt, eine nicht näher beschriebene Macht kontrolliert die Menschen und greift auf sie zu. Manchmal liegen Tote an den Straßenecken. Auch bedenkliche Bilder bedrohen die Menschheit: "Die Welt neigt ihr Skelett gen Osten", das Wetter hat die Welt ausgezehrt, Wirbelstürme und Überschwemmungen wüten, entsetzliche Hitze treibt die Ozonwerte in die Höhe, die von Melanomen versehrten Menschen verlieren den Verstand, schlagen Haken in Betonwände, klettern an den Fassaden von Hochhäusern empor oder rotten sich zusammen, um in Stammesverbänden die Stadt zu verlassen.
Liane Dirks führt uns eine Klimakatastrophe vor, die sie hin und wieder mit Motiven der Johannes-Offenbarung unterlegt. Natürlich gibt es in diesem Schreckensszenario eine überlegene Ich-Erzählerin. Sie versteht sich als Protokollantin der Verhältnisse, auch wenn sie sich über weite Strecken des Buches mit ihrer Innenwelt befaßt. Wohnhaft in einem "Hochhaus des Wahns", versieht sie ein Tagebuch mit Notizen des Niedergangs und beschäftigt sich mit der Archivierung der Papiere einer Auschwitz-Überlebenden. Auffällig ist der Wille der Autorin, ihrer Figur ein eigensinnig-forsches Format zu geben, obwohl diese doch eigentlich von verblüffender Harmlosigkeit ist. Dies zeigt sich vor allem in ihrer ausgeprägten Neigung zu Alltagsphilosophie und syntaktisch über Kreuz gestellten Sentenzen: "Liebe kann so schnell bedrohlich sein, und trotzdem ist Bedrohung niemals Liebe." Ihr zur Seite steht eine wilde, engelsgleiche Tochter, die zerschlagene Rohre aus Wänden reißt, um sie zu einer Skulptur zu verschweißen.
Wunderliche Figuren, der Masse enthoben, gibt es viele in antiutopischen Romanen. Und so beschert uns die Autorin einen irren Interviewer und eine hitzeresistente Hure, vor allem aber den Puppenspieler Donati, der ein todkrankes Kind in der Karre schiebt und fortwährend Rimbaud zitiert. Der Roman wird durch Anspielungen auf "Une saison en Enfer" mit zusätzlichen Abgründen versehen - eine gefährliche Entscheidung, denn die absorbierende sprachliche Kraft der Rimbaudpassagen verdirbt den Leser für die Prosa von Liane Dirks. Und wenn schon die "Zeit in der Hölle" mit ihrem gottlosen Ringen um das Heil bemüht wird, erwartet man auch eine inhaltliche Entsprechung.
Der Roman bietet aber nicht höchste Höhen und tiefste Tiefen, sondern eine mäßige Erschütterung im Angesicht des Weltendes. Es wechselt ein nüchterner Nihilismus mit der vagen Hoffnung auf die Kraft von Liebe und Kunst. Das ist gut und schön, aber ein Aufschrei aus der Hitze des Untergangs sollte anders klingen.
SANDRA KERSCHBAUMER.
Liane Dirks: "Falsche Himmel". Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006. 144 S., geb., 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main