Frau Sartoris lebt in der Provinz, ist verheiratet und hat eine Tochter. Alles geht seinen gewohnten Gang. Das höchste Ziel ist Gemütlichkeit. Doch eines Tages verliebt sich Margarete Sartoris in einen anderen Mann. Diese Amour fou ist bald schon mehr als nur eine Flucht. Sie soll der endgültige Aufbruch zu einem neuen Leben sein.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.03.2000Nicht, dass etwas dabei herauskäme
Die Kritikerin Elke Schmitter hat einen Frauenroman aus vorfeministischer Zeit verfasst
Im 19. Jahrhundert, so wird es überliefert, konnte jeder halbwegs Gebildete ein Sonett schreiben. Heutzutage ist diese lyrische Selbstäußerung offensichtlich abgelöst worden vom Prosaschreiben. Und so geben sich Schauspieler von Mario Adorf bis Renan Demirkan, politische Journalisten von Werner Sonne bis Wolfgang Herles ihrer Lust an der Fiktion hin, indem sie mal anekdotenreiche Erzählungen, mal Politthriller schreiben. Nur die Kritiker haben sich in diesen Zeiten der literarischen Überproduktion bisher zurückgehalten.
Zwei, Fritz J. Raddatz und Peter von Becker, hatten es vor ein paar Jahren gewagt, und es war ihnen schlecht bekommen. Mit Hohn und Spott quittierten Kollegen die Ergebnisse. Denn in Deutschland, anders als zum Beispiel in Frankreich, sieht man nicht gern, wenn es ein Literat crossover treibt: Kritiker und Essayist und zugleich Romancier ist. Dabei wär’s doch schön, könnte man öfter einmal überprüfen, ob der Kritiker seine hochgespannten Erwartungen an den zeitgenössischen Roman vielleicht sogar mit einem eigenen Text erfüllen kann.
Zugegeben: Dazu bedarf es einer gewissen Portion Mut – im Angesicht der lauernden Kritikerschar. Elke Schmitter, ehemals taz-Chefredakteurin und seit Jahren Literaturkritikerin, hat’s – nach einigen Krimis – gewagt. Und setzt gleich zu Beginn ihrer Geschichte von Margarethe Sartoris ein Warnzeichen, wenn sie die Ich-Erzählerin sagen lässt: „Ich bin oft in Gedanken, nicht, dass etwas dabei herauskäme. ” Nun muss das erst einmal nichts Schlimmes heißen, denn ein Kennzeichen der Rollenprosa ist, dass die Erzählerin dümmer und langweiliger sein darf als die Geschichte, die sie erzählt. Und dass wir es nicht mit einem epischen Großwerk zu tun haben, und Elke Schmitter alle modernen Erzählstrategien meidet – nun gut. Schwerer wiegt allerdings, dass die Autorin aus sehr alten Vorlagen das Strickmuster ihrer Geschichte übernimmt.
Es ist die Geschichte von weiblicher Liebe und weiblicher Selbstbescheidung in grauen vorfeministischen Zeiten in der deutschen Provinz. In der Stadt L. geht Mitte der fünfziger Jahre alles seinen dumpfen Gang. Die junge Margarethe arbeitet als verlässliche Bürokraft bei Dr. Hermann, Groß- und Einzelhandel für Maschinenteile und Werkzeug, und hätte gern das ihr beschiedene Schicksal eines Lebens in mittlerer Lage und mittlerem Wohlstand angenommen: „Wir wollten alle ein Häuschen mit Garten und Kinder und nach Spanien reisen und in Frieden älter werden. ” Warum auch nicht? Und es hätte in diesem Sinne auch alles gut enden können, wäre sie nicht von Ulrike, der Erbin des alten Hermann, in höhere Kreise eingeführt worden.
Es kommt zu einer bittersüßen Liebesgeschichte mit dem Erben des Landguts vor der Stadt, und schon, wir Älteren erinnern uns, machen sich die verheerenden Wirkungen des Klassengegensatzes bemerkbar. Hätte Margarethe mehr Fontane gelesen, hätte sie gewusst, dass man sich einem reichen Knaben, der Philip Rhienäcker heißt, nie hingeben sollte. Und in der Tat macht dieser blasse Kerl, ein missglückter Klon des Botho von Rhienäcker aus Fontanes Roman Irrungen Wirrungen, wozu er – literatur- und sozialgeschichtlich korrekt – verpflichtet ist: Er verlässt das arglose Mädel, das zwar fürchterlich leidet, aber dann doch Einsicht zeigt und den Bau der Welt akzeptiert: „Sicher hatte er Geld heiraten müssen, um den überschuldeten Gutshof zu retten, sicher hatte seine Mutter ihn unter Druck gesetzt. ”
Nun könnte Margarethe wie einst Lene Nimptsch einen wackeren Mann heiraten und in ihrem Herzen die große Liebe still bewahren. Aber jetzt kommt doch die Moderne ins Spiel; so richtig klaglos leiden kann Margarethe nicht. Sie ist, auch wenn sie’s nicht will, unzufrieden. Dabei macht Ernst, der Kriegsinvalide mit dem einen Bein, den sie aus Rachsucht und der Versorgung halber geheiratet hat, durchaus etwas her: „Er war stattlich gebaut, und seine Neigung zur Fülle konnte man allenfalls am Kinn erkennen. ” Jedes Heiratsinstitut, folgt man der Beschreibung, hätte an ihm seine Freude, zumal „für ihn Frieden im Haus das Höchste (war)”.
Aber dann kommen die sechziger und siebziger Jahre und damit der Wunsch nach Selbstverwirklichung, dem sich auch Margarethe nicht entziehen kann. Auftritt Michael, der Kulturamtsleiter, der mit einer appetitlichen Bäckersfrau verheiratet ist, einst aber bei Z(adek). gearbeitet hat und weiter nach Höherem strebt, was ihm einen gewissen Appeal bei Margarethe gibt. Die Überraschung kennt keine Grenzen: Auch er lässt sie nach kurzer Zeit schnöde sitzen. Aber noch ist Margarethes Leidensweg nicht abgeschritten. Ihre ungeliebte Tochter verfällt einem bösen Diskothekenbesitzer, der Pornoaufnahmen von dem Kind macht. „Sie ist ihm hörig, sie ist verloren”, klagt Margarethe händeringend – und fährt den Bösewicht in einem günstigen Augenblick zu Tode. Wird sie die Tat sühnen müssen, oder wird sie sie für sich behalten können? Fragen, die nicht mehr beantwortet werden: bedeutungsvoll offenes Ende.
Ein Frauenschicksal, hätte man früher gesagt und bedenklich und mitleidsvoll mit dem Kopf genickt. Elke Schmitter schildert dieses Frauenschicksal in der Manier des 19. Jahrhunderts, bedauerlicherweise nicht im Geiste und mit den Mitteln Fontanes, sondern nach Art seinerzeit erfolgreicherer Damen, die in der Gartenlaube zu veröffentlichen pflegten. Nichts wird durch Ironie gemildert, durch Sarkasmus konterkariert, die Personen- und Handlungsführung ist konventionell, die Sprache der Ich-Erzählerin klischeehaft („Ich war außer mir vor Sorge und Schmerz”), das Zeitkolorit wird durch Behauptungen hergestellt: „Das war damals so üblich. ”
Elke Schmitters Roman leidet unter einem wohl bekannten Dilemma: Wer über Langeweile schreiben will, darf nicht langweilig schreiben. In ihrem Fall: Wer über eine Biografie der Lieb- und Leblosigkeit schreiben will, sollte dies nicht als Bauchrednerin in der starren und leblosen Sprache Margarethes tun.
CLAUS-ULRICH BIELEFELD
ELKE SCHMITTER: Frau Sartoris. Roman. Berlin Verlag, Berlin 2000. 160 Seiten, 36 Mark.
Elke Schmitter
Foto: Jeanne Degraa
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Die Kritikerin Elke Schmitter hat einen Frauenroman aus vorfeministischer Zeit verfasst
Im 19. Jahrhundert, so wird es überliefert, konnte jeder halbwegs Gebildete ein Sonett schreiben. Heutzutage ist diese lyrische Selbstäußerung offensichtlich abgelöst worden vom Prosaschreiben. Und so geben sich Schauspieler von Mario Adorf bis Renan Demirkan, politische Journalisten von Werner Sonne bis Wolfgang Herles ihrer Lust an der Fiktion hin, indem sie mal anekdotenreiche Erzählungen, mal Politthriller schreiben. Nur die Kritiker haben sich in diesen Zeiten der literarischen Überproduktion bisher zurückgehalten.
Zwei, Fritz J. Raddatz und Peter von Becker, hatten es vor ein paar Jahren gewagt, und es war ihnen schlecht bekommen. Mit Hohn und Spott quittierten Kollegen die Ergebnisse. Denn in Deutschland, anders als zum Beispiel in Frankreich, sieht man nicht gern, wenn es ein Literat crossover treibt: Kritiker und Essayist und zugleich Romancier ist. Dabei wär’s doch schön, könnte man öfter einmal überprüfen, ob der Kritiker seine hochgespannten Erwartungen an den zeitgenössischen Roman vielleicht sogar mit einem eigenen Text erfüllen kann.
Zugegeben: Dazu bedarf es einer gewissen Portion Mut – im Angesicht der lauernden Kritikerschar. Elke Schmitter, ehemals taz-Chefredakteurin und seit Jahren Literaturkritikerin, hat’s – nach einigen Krimis – gewagt. Und setzt gleich zu Beginn ihrer Geschichte von Margarethe Sartoris ein Warnzeichen, wenn sie die Ich-Erzählerin sagen lässt: „Ich bin oft in Gedanken, nicht, dass etwas dabei herauskäme. ” Nun muss das erst einmal nichts Schlimmes heißen, denn ein Kennzeichen der Rollenprosa ist, dass die Erzählerin dümmer und langweiliger sein darf als die Geschichte, die sie erzählt. Und dass wir es nicht mit einem epischen Großwerk zu tun haben, und Elke Schmitter alle modernen Erzählstrategien meidet – nun gut. Schwerer wiegt allerdings, dass die Autorin aus sehr alten Vorlagen das Strickmuster ihrer Geschichte übernimmt.
Es ist die Geschichte von weiblicher Liebe und weiblicher Selbstbescheidung in grauen vorfeministischen Zeiten in der deutschen Provinz. In der Stadt L. geht Mitte der fünfziger Jahre alles seinen dumpfen Gang. Die junge Margarethe arbeitet als verlässliche Bürokraft bei Dr. Hermann, Groß- und Einzelhandel für Maschinenteile und Werkzeug, und hätte gern das ihr beschiedene Schicksal eines Lebens in mittlerer Lage und mittlerem Wohlstand angenommen: „Wir wollten alle ein Häuschen mit Garten und Kinder und nach Spanien reisen und in Frieden älter werden. ” Warum auch nicht? Und es hätte in diesem Sinne auch alles gut enden können, wäre sie nicht von Ulrike, der Erbin des alten Hermann, in höhere Kreise eingeführt worden.
Es kommt zu einer bittersüßen Liebesgeschichte mit dem Erben des Landguts vor der Stadt, und schon, wir Älteren erinnern uns, machen sich die verheerenden Wirkungen des Klassengegensatzes bemerkbar. Hätte Margarethe mehr Fontane gelesen, hätte sie gewusst, dass man sich einem reichen Knaben, der Philip Rhienäcker heißt, nie hingeben sollte. Und in der Tat macht dieser blasse Kerl, ein missglückter Klon des Botho von Rhienäcker aus Fontanes Roman Irrungen Wirrungen, wozu er – literatur- und sozialgeschichtlich korrekt – verpflichtet ist: Er verlässt das arglose Mädel, das zwar fürchterlich leidet, aber dann doch Einsicht zeigt und den Bau der Welt akzeptiert: „Sicher hatte er Geld heiraten müssen, um den überschuldeten Gutshof zu retten, sicher hatte seine Mutter ihn unter Druck gesetzt. ”
Nun könnte Margarethe wie einst Lene Nimptsch einen wackeren Mann heiraten und in ihrem Herzen die große Liebe still bewahren. Aber jetzt kommt doch die Moderne ins Spiel; so richtig klaglos leiden kann Margarethe nicht. Sie ist, auch wenn sie’s nicht will, unzufrieden. Dabei macht Ernst, der Kriegsinvalide mit dem einen Bein, den sie aus Rachsucht und der Versorgung halber geheiratet hat, durchaus etwas her: „Er war stattlich gebaut, und seine Neigung zur Fülle konnte man allenfalls am Kinn erkennen. ” Jedes Heiratsinstitut, folgt man der Beschreibung, hätte an ihm seine Freude, zumal „für ihn Frieden im Haus das Höchste (war)”.
Aber dann kommen die sechziger und siebziger Jahre und damit der Wunsch nach Selbstverwirklichung, dem sich auch Margarethe nicht entziehen kann. Auftritt Michael, der Kulturamtsleiter, der mit einer appetitlichen Bäckersfrau verheiratet ist, einst aber bei Z(adek). gearbeitet hat und weiter nach Höherem strebt, was ihm einen gewissen Appeal bei Margarethe gibt. Die Überraschung kennt keine Grenzen: Auch er lässt sie nach kurzer Zeit schnöde sitzen. Aber noch ist Margarethes Leidensweg nicht abgeschritten. Ihre ungeliebte Tochter verfällt einem bösen Diskothekenbesitzer, der Pornoaufnahmen von dem Kind macht. „Sie ist ihm hörig, sie ist verloren”, klagt Margarethe händeringend – und fährt den Bösewicht in einem günstigen Augenblick zu Tode. Wird sie die Tat sühnen müssen, oder wird sie sie für sich behalten können? Fragen, die nicht mehr beantwortet werden: bedeutungsvoll offenes Ende.
Ein Frauenschicksal, hätte man früher gesagt und bedenklich und mitleidsvoll mit dem Kopf genickt. Elke Schmitter schildert dieses Frauenschicksal in der Manier des 19. Jahrhunderts, bedauerlicherweise nicht im Geiste und mit den Mitteln Fontanes, sondern nach Art seinerzeit erfolgreicherer Damen, die in der Gartenlaube zu veröffentlichen pflegten. Nichts wird durch Ironie gemildert, durch Sarkasmus konterkariert, die Personen- und Handlungsführung ist konventionell, die Sprache der Ich-Erzählerin klischeehaft („Ich war außer mir vor Sorge und Schmerz”), das Zeitkolorit wird durch Behauptungen hergestellt: „Das war damals so üblich. ”
Elke Schmitters Roman leidet unter einem wohl bekannten Dilemma: Wer über Langeweile schreiben will, darf nicht langweilig schreiben. In ihrem Fall: Wer über eine Biografie der Lieb- und Leblosigkeit schreiben will, sollte dies nicht als Bauchrednerin in der starren und leblosen Sprache Margarethes tun.
CLAUS-ULRICH BIELEFELD
ELKE SCHMITTER: Frau Sartoris. Roman. Berlin Verlag, Berlin 2000. 160 Seiten, 36 Mark.
Elke Schmitter
Foto: Jeanne Degraa
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.04.2000Emmas Margarethe
Elke Schmitters Romandebüt · Von Peter Demetz
Unsere Jagd nach dem Glück hat sich in die Sehnsucht nach dem Unwiederholbaren und Einzigartigen verwandelt, und da sich ganze Industriezweige damit beschäftigen, das Einzigartige als Konsumware anzubieten, haben es die romantischen Charaktere und die Autorinnen, die uns eine romantische Figur ohne Ironie vor Augen führen wollen, schwerer denn je. Mit einem Ausflug ins Riedgras und dem Trank aus einem Glas ist es nicht mehr getan. Elke Schmitter, erprobte Journalistin in vielen Medien, Lyrikerin und Krimi-Mitautorin weiß das. In "Frau Sartoris", ihrem ersten Roman, sucht sie den Fallen der Banalität zu entkommen, indem sie zwei Stränge verknüpft, die Geschichte einer ehelichen Untreue und eine von einem Autounfall, der nach den Ermittlungen der Polizei gar keiner war, sondern vorsätzliche Tötung und Fahrerflucht. Wir sind allerdings auf Frau Sartoris allein angewiesen, die uns alles bald widerstrebend, bald allzu bereitwillig erzählt, und da die Autorin darauf besteht, in ihre Romanfigur zu verschwinden, nimmt sie das Risiko auf sich, artistischen Selbstmord zu begehen - zum Glück gelingt ihr das nicht ganz, weil auch sie, wie viele in ihrer Leserschaft, die Geduld mit der Romanfigur verliert. Madame Bovary, das bin ich, behauptete Flaubert, und wollte damit sagen, wie sehr er mit den Motiven seiner Figur vertraut war, und schrieb von ihr aus der Distanz und in seiner Sprache. Madame Bovary, von ihr selbst erzählt, wäre eine Katastrophe, aber gerade auf die hat sich Elke Schmitter eingelassen.
Margarethe Sartoris hat als Mädchen und Frau eher Enttäuschungen als Augenblicke erfüllter Wünsche erlebt, und die Kleinstadt, in der sie in den fünfziger und sechziger Jahren aufwuchs, setzt ihr enge Grenzen, die sie akzeptiert; wenn sie mit einer Freundin in die Konditorei geht, nimmt sie einen Sherry, nie einen Schnaps. Träume von Schauspielschule und der alltägliche Job in der Vertriebsabteilung einer Metallfabrik. Kegelabende, Sängerbruderschaft, Vereinsmeierei, ein Tanzabend in einem gehobenen Kreis, weil eine Partnerin fehlt, und eine Liebesgeschichte mit dem Sohn eines Grundbesitzers namens Rhienäcker (echter Fontane), der ihr dann einen Abschiedsbrief schreibt, weil er standesgemäß heiratet. Sie hält sich dann, "in kalter Rache", an einen pedantischen Sparkassenangestellten und Invaliden, denn ihre Heiratsanzeige soll früher in der Zeitung stehen als die des feudalen Tanzpartners. Sie lebt mit dem Mann und seiner Mutter in einem kleinen Haus, klopft am Abend eine Skatpartie, sitzt vor dem Fernseher und hat eine Tochter, die "ihr zuweilen ganz zuwider ist". Kleinbürgerliche Misere, und dann der Schritt vom Wege, mit Michael (seine Frau eine reiche Bäckersfrau, zwei Kinder), dem neuen Leiter des Kulturamts der Stadt. In der Affäre wird sie die Fordernde und, wie sie glaubt, Entfesselte; neue Unterwäsche, Sekt in Hotelzimmern, in denen sie, die nun Vierzigjährige, die mitgebrachten Kerzen entzündet. Man plant eine Flucht nach Venedig, aber als die Stunde schlägt, lässt er sie auf dem Koffer sitzen, und sie muss nach Hause zurück, wo ihr Mann den Abschiedsbrief gelesen hat. Man wundert sich nur, wie lange es Michael mit dieser erotischen Nervensäge ausgehalten hat.
Margarethe hat leider die unselige Neigung, alle ihr abtrünnigen Männer bis zuletzt entschuldigen zu wollen (Michael hat eben "eine Unrast eher geistiger Natur") anstatt sich selber deutlicher zu sehen und zu hören, ihre Sprache der Romanhefte, ihre endlosen Sorgen, immer eine halbe Seite lang, mit der richtigen Wäsche, "den BH, vorne aufzuknöpfen", die Konfektionskleider, in denen sie sich in Szene setzt, "der weite glockige Rock gab meinem Schritt Schwung und Sicherheit", und ihre kitschige Inszenierung des Vorher und Nachher in den Hotelzimmern; sonst gehört sie noch zur wilhelminischen Schule des Und-dann-vergingen-mir-die-Sinne. Die Autorin selbst kann ihre Art nicht immer ertragen und schlägt eine genauere Tonart an, wenn es um die Gewohnheiten des Gatten geht, der ihr zum ersten Mal in die Bluse griff, "genauso vorsichtig tastend, wie er nach der Serviette gegriffen hatte beim Abendessen zuvor". Ich wünschte mir mehr von dieser zynischen Präzision, wie zum Beispiel die wunderbaren Seiten des Banalitäten-Katalogs (fast Dada), in welchem sich in "Sätzen wie in Ruderschlägen" das Familienleben konstituiert, "oder Sind die Eier noch frisch? oder Ich lese noch ein bisschen, oder Dieser Liegestuhl ist eine Gabe Gottes! oder So jung kommen wir nicht mehr zusammen" und so weiter.
Elke Schmitter bringt es sogar über sich, uns die literarischen Vergnügungen der intelligenten Intertextualität zu gewähren, indem sie, ohne Rücksicht auf die nichtsahnende Margarethe, die zwar "Effi Briest" gelesen hat, aber nicht Flaubert, eine berühmte Szene aus Madame Bovary parodiert. Die ratternde Liebesfahrt in der Kutsche, herabgelassene Vorhänge, und der Mann, der sich unter Madame Bovarys aufgeschlagenen Röcken in ihren Körper drängt. Michael und Margarethe sind ähnlich beisammen, aber die Kutsche ist längst, das ist der Lauf der Welt, zu einem stationären Ausstellungsstück in einem Freilichtmuseum herabgesunken.
Das gespannte Verhältnis zwischen Autorin und Figur wird noch kompliziert durch die zweite Strähne des Erzählten, in dem sich der Verdacht, Frau Sartoris hätte einen Mann mit ihrem Audi niedergestoßen, zur Gewissheit verdichtet. Margarethes Erinnerungsprozesse bewegen sich in zwei Zeitebenen, einer fernen, die bis in die fünfziger Jahre hinabreicht (ihre Lebensgeschichte), und die nahe, so einige Monate her, in welchen sie die Presseberichte über die Ermittlungen der Polizei über den angeblichen Verkehrsunfall, ohne Zeugen, eifrig liest und sich zuletzt selber eingesteht, die Täterin gewesen zu sein. Die Schwierigkeit besteht darin, dass die beiden Erzählungen einander blockartig zugeordnet sind, aber nicht in chronologischer Folge, und die Leserschaft nicht wissen darf, wer der Mann war, den sie mit Absicht niedergefahren hat - es könnte der feudale Tanzpartner gewesen sein oder Michael, und nur auf den letzten Seiten erfahren wir, dass es ein Herr Willrodt war (aus dem "Rotlichtmilieu"), der sich an Margarethes Tochter Daniela heranmachte (Aktfotos, und nicht nur das, mit Danielas Einverständnis). Die Erzählerin erzeugt nicht so sehr Spannung als Ratlosigkeit und Verwirrung, und so sehr ich die Möglichkeit erwäge, dass Margarethe in der Person Willrodts auch Philip, Michael und den Gatten töten wollte, so wenig überzeugt mich die Autorin davon, diese Margarethe Bovary sei eine talentierte Mrs. Sartoris.
Nicht unmöglich, einen neuen Roman in der Tradition Flauberts und in der Art Patricia Highsmiths zu schreiben, aber das ist er noch nicht. "Frau Sartoris" impliziert - als ob Daniela, die Tochter, den Roman geschrieben hätte - eine elegische Frage nach der Illusion, aus dem einen System der bürgerlichen Banalitäten in ein anderes hinüberwechseln zu wollen, eine Polemik gegen die Generation der Mütter in den Kleinstädten des deutschen Hinterlandes vor dreißig Jahren, und ein Plädoyer für die notwendige Zukunft eines aufgeklärten Feminismus, der den Frauen andere Argumente in die Hände legen sollte als Gift, Dolch oder 100 PS an der Auffahrt zur Autobahn. Ich fühle die Beweggründe der Autorin, diesen Roman zu schreiben, aber er ist so verschachtelt und aufgepfropft, dass er mir den Weg zu ihrem Denken eher verstellt als episch ebnet.
Elke Schmitter: "Frau Sartoris". Roman. Berlin Verlag, Berlin 2000. 159 S., geb., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Elke Schmitters Romandebüt · Von Peter Demetz
Unsere Jagd nach dem Glück hat sich in die Sehnsucht nach dem Unwiederholbaren und Einzigartigen verwandelt, und da sich ganze Industriezweige damit beschäftigen, das Einzigartige als Konsumware anzubieten, haben es die romantischen Charaktere und die Autorinnen, die uns eine romantische Figur ohne Ironie vor Augen führen wollen, schwerer denn je. Mit einem Ausflug ins Riedgras und dem Trank aus einem Glas ist es nicht mehr getan. Elke Schmitter, erprobte Journalistin in vielen Medien, Lyrikerin und Krimi-Mitautorin weiß das. In "Frau Sartoris", ihrem ersten Roman, sucht sie den Fallen der Banalität zu entkommen, indem sie zwei Stränge verknüpft, die Geschichte einer ehelichen Untreue und eine von einem Autounfall, der nach den Ermittlungen der Polizei gar keiner war, sondern vorsätzliche Tötung und Fahrerflucht. Wir sind allerdings auf Frau Sartoris allein angewiesen, die uns alles bald widerstrebend, bald allzu bereitwillig erzählt, und da die Autorin darauf besteht, in ihre Romanfigur zu verschwinden, nimmt sie das Risiko auf sich, artistischen Selbstmord zu begehen - zum Glück gelingt ihr das nicht ganz, weil auch sie, wie viele in ihrer Leserschaft, die Geduld mit der Romanfigur verliert. Madame Bovary, das bin ich, behauptete Flaubert, und wollte damit sagen, wie sehr er mit den Motiven seiner Figur vertraut war, und schrieb von ihr aus der Distanz und in seiner Sprache. Madame Bovary, von ihr selbst erzählt, wäre eine Katastrophe, aber gerade auf die hat sich Elke Schmitter eingelassen.
Margarethe Sartoris hat als Mädchen und Frau eher Enttäuschungen als Augenblicke erfüllter Wünsche erlebt, und die Kleinstadt, in der sie in den fünfziger und sechziger Jahren aufwuchs, setzt ihr enge Grenzen, die sie akzeptiert; wenn sie mit einer Freundin in die Konditorei geht, nimmt sie einen Sherry, nie einen Schnaps. Träume von Schauspielschule und der alltägliche Job in der Vertriebsabteilung einer Metallfabrik. Kegelabende, Sängerbruderschaft, Vereinsmeierei, ein Tanzabend in einem gehobenen Kreis, weil eine Partnerin fehlt, und eine Liebesgeschichte mit dem Sohn eines Grundbesitzers namens Rhienäcker (echter Fontane), der ihr dann einen Abschiedsbrief schreibt, weil er standesgemäß heiratet. Sie hält sich dann, "in kalter Rache", an einen pedantischen Sparkassenangestellten und Invaliden, denn ihre Heiratsanzeige soll früher in der Zeitung stehen als die des feudalen Tanzpartners. Sie lebt mit dem Mann und seiner Mutter in einem kleinen Haus, klopft am Abend eine Skatpartie, sitzt vor dem Fernseher und hat eine Tochter, die "ihr zuweilen ganz zuwider ist". Kleinbürgerliche Misere, und dann der Schritt vom Wege, mit Michael (seine Frau eine reiche Bäckersfrau, zwei Kinder), dem neuen Leiter des Kulturamts der Stadt. In der Affäre wird sie die Fordernde und, wie sie glaubt, Entfesselte; neue Unterwäsche, Sekt in Hotelzimmern, in denen sie, die nun Vierzigjährige, die mitgebrachten Kerzen entzündet. Man plant eine Flucht nach Venedig, aber als die Stunde schlägt, lässt er sie auf dem Koffer sitzen, und sie muss nach Hause zurück, wo ihr Mann den Abschiedsbrief gelesen hat. Man wundert sich nur, wie lange es Michael mit dieser erotischen Nervensäge ausgehalten hat.
Margarethe hat leider die unselige Neigung, alle ihr abtrünnigen Männer bis zuletzt entschuldigen zu wollen (Michael hat eben "eine Unrast eher geistiger Natur") anstatt sich selber deutlicher zu sehen und zu hören, ihre Sprache der Romanhefte, ihre endlosen Sorgen, immer eine halbe Seite lang, mit der richtigen Wäsche, "den BH, vorne aufzuknöpfen", die Konfektionskleider, in denen sie sich in Szene setzt, "der weite glockige Rock gab meinem Schritt Schwung und Sicherheit", und ihre kitschige Inszenierung des Vorher und Nachher in den Hotelzimmern; sonst gehört sie noch zur wilhelminischen Schule des Und-dann-vergingen-mir-die-Sinne. Die Autorin selbst kann ihre Art nicht immer ertragen und schlägt eine genauere Tonart an, wenn es um die Gewohnheiten des Gatten geht, der ihr zum ersten Mal in die Bluse griff, "genauso vorsichtig tastend, wie er nach der Serviette gegriffen hatte beim Abendessen zuvor". Ich wünschte mir mehr von dieser zynischen Präzision, wie zum Beispiel die wunderbaren Seiten des Banalitäten-Katalogs (fast Dada), in welchem sich in "Sätzen wie in Ruderschlägen" das Familienleben konstituiert, "oder Sind die Eier noch frisch? oder Ich lese noch ein bisschen, oder Dieser Liegestuhl ist eine Gabe Gottes! oder So jung kommen wir nicht mehr zusammen" und so weiter.
Elke Schmitter bringt es sogar über sich, uns die literarischen Vergnügungen der intelligenten Intertextualität zu gewähren, indem sie, ohne Rücksicht auf die nichtsahnende Margarethe, die zwar "Effi Briest" gelesen hat, aber nicht Flaubert, eine berühmte Szene aus Madame Bovary parodiert. Die ratternde Liebesfahrt in der Kutsche, herabgelassene Vorhänge, und der Mann, der sich unter Madame Bovarys aufgeschlagenen Röcken in ihren Körper drängt. Michael und Margarethe sind ähnlich beisammen, aber die Kutsche ist längst, das ist der Lauf der Welt, zu einem stationären Ausstellungsstück in einem Freilichtmuseum herabgesunken.
Das gespannte Verhältnis zwischen Autorin und Figur wird noch kompliziert durch die zweite Strähne des Erzählten, in dem sich der Verdacht, Frau Sartoris hätte einen Mann mit ihrem Audi niedergestoßen, zur Gewissheit verdichtet. Margarethes Erinnerungsprozesse bewegen sich in zwei Zeitebenen, einer fernen, die bis in die fünfziger Jahre hinabreicht (ihre Lebensgeschichte), und die nahe, so einige Monate her, in welchen sie die Presseberichte über die Ermittlungen der Polizei über den angeblichen Verkehrsunfall, ohne Zeugen, eifrig liest und sich zuletzt selber eingesteht, die Täterin gewesen zu sein. Die Schwierigkeit besteht darin, dass die beiden Erzählungen einander blockartig zugeordnet sind, aber nicht in chronologischer Folge, und die Leserschaft nicht wissen darf, wer der Mann war, den sie mit Absicht niedergefahren hat - es könnte der feudale Tanzpartner gewesen sein oder Michael, und nur auf den letzten Seiten erfahren wir, dass es ein Herr Willrodt war (aus dem "Rotlichtmilieu"), der sich an Margarethes Tochter Daniela heranmachte (Aktfotos, und nicht nur das, mit Danielas Einverständnis). Die Erzählerin erzeugt nicht so sehr Spannung als Ratlosigkeit und Verwirrung, und so sehr ich die Möglichkeit erwäge, dass Margarethe in der Person Willrodts auch Philip, Michael und den Gatten töten wollte, so wenig überzeugt mich die Autorin davon, diese Margarethe Bovary sei eine talentierte Mrs. Sartoris.
Nicht unmöglich, einen neuen Roman in der Tradition Flauberts und in der Art Patricia Highsmiths zu schreiben, aber das ist er noch nicht. "Frau Sartoris" impliziert - als ob Daniela, die Tochter, den Roman geschrieben hätte - eine elegische Frage nach der Illusion, aus dem einen System der bürgerlichen Banalitäten in ein anderes hinüberwechseln zu wollen, eine Polemik gegen die Generation der Mütter in den Kleinstädten des deutschen Hinterlandes vor dreißig Jahren, und ein Plädoyer für die notwendige Zukunft eines aufgeklärten Feminismus, der den Frauen andere Argumente in die Hände legen sollte als Gift, Dolch oder 100 PS an der Auffahrt zur Autobahn. Ich fühle die Beweggründe der Autorin, diesen Roman zu schreiben, aber er ist so verschachtelt und aufgepfropft, dass er mir den Weg zu ihrem Denken eher verstellt als episch ebnet.
Elke Schmitter: "Frau Sartoris". Roman. Berlin Verlag, Berlin 2000. 159 S., geb., 36,- DM.
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