Aislinn Murray ist jung, hübsch und liegt tot in ihrem Haus, der Tisch ist für ein romantisches Abendessen gedeckt. Eindeutig wieder so eine Beziehungstat, denkt die Polizei. Doch bald stoßen die Detectives Antoinette
Conway und Stephen Moran auf Ungereimtheiten. Und es wird immer offensichtlicher, dass jemand in der Mordkommission ihre Arbeit behindert. Weil sich Antoinette mit ihrer toughen Art Feinde gemacht hat? In einem nervenaufreibenden Ermittlungskreisel wird nur eines immer deutlicher: Unschuldig ist hier niemand.
Nina Petri besticht als Schauspielerin und Interpretin durch Charisma und Ausdrucksstärke. Als Hörbuchsprecherin
liest sie Romane von Anna Gavalda bis Karin Slaughter.
Conway und Stephen Moran auf Ungereimtheiten. Und es wird immer offensichtlicher, dass jemand in der Mordkommission ihre Arbeit behindert. Weil sich Antoinette mit ihrer toughen Art Feinde gemacht hat? In einem nervenaufreibenden Ermittlungskreisel wird nur eines immer deutlicher: Unschuldig ist hier niemand.
Nina Petri besticht als Schauspielerin und Interpretin durch Charisma und Ausdrucksstärke. Als Hörbuchsprecherin
liest sie Romane von Anna Gavalda bis Karin Slaughter.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.04.2017Eine tote Barbie
Kindliches Herkunftstrauma – in „Gefrorener Schrei“
taucht Tana French tief ein in die Psyche ihrer Ermittlerin
VON SOFIA GLASL
Detective Antoinette Conway ist Lügengeschichten gewohnt. Sie hat sie schon von Kindesbeinen an hören und ertragen müssen, denn ihre Mutter flunkerte, jedes Mal, wenn das Mädchen nach seinem Vater fragte. Ägyptische Prinzen und saudi-arabische Mediziner lassen sich einfach besser verkaufen als ein One-Night-Stand, mit einem Mann, der sich als Schlägertyp entpuppt. Antoinette bastelte sich aus diesen Storys eine märchenhafte Identität – und beschloss, Polizistin zu werden, als dieses Luftschloss in sich zusammenkrachte an ihrem dreizehnten Geburtstag.
Die irische Schriftstellerin Tana French platziert diese Erinnerung Antoinettes – der Ich-Erzählerin – als Prolog ihres sechsten Kriminalromans „Gefrorener Schrei“. Das Detektiv-Basisgeschäft steht nicht allein im Mittelpunkt ihrer Romane, aus der genreüblichen Frage nach dem Mörder macht sie die Frage nach dem Detektiv. Natürlich gibt es immer eine Leiche, Indizien, Verdächtige und falsche Fährten. Doch die Suche nach den Mördern ist auch eine persönliche Suche der Ermittler nach ihrer eigenen Identität.
Ja, es muss die Ermittler heißen, denn Tana Frenchs „Dublin Murder Squad“-Reihe funktioniert anders als klassische Krimiserien. In jedem der Bücher rückt ein anderer Ermittler des Dubliner Morddezernats in den Mittelpunkt und wird zum Erzähler. Dieser Perspektivwechsel lässt die Persönlichkeiten der Detektive und ihre Marotten schillern, gibt ihnen trotz des – auf ein Buch – beschränkten Auftritts mehr Raum zur Entwicklung. Und unterbindet das Manko der klassischen Ermittler, die in ihren seriellen Fällen beinahe sitcomartig stagnieren: Mord, Aufklärungsarbeit, ein wenig Klatsch aus dem mehr oder weniger aufregenden Privatleben des Detektivs, Applaus, Ende. Das umgeht French mit den lose zusammenhängenden Romanen und kann sich so stärker auf ihre Figuren konzentrieren. Das Genre wird auf den Kopf gestellt, die Mordfälle sind Kulisse für aufregende Charakterstudien.
Dass Identität stets ein Kippbild aus Selbstverständnis und Selbstinszenierung ist, muss Antoinette auf die harte Tour lernen. Als einzige Frau in der Abteilung ist sie sexistischen Witzen, perfiden Streichen und bösartigen Intrigen ausgesetzt. Von ihren enthusiastischen Idealen auf der Polizeischule ist nicht mehr viel übrig. Als eine der Dienstjüngsten jagt sie keine Massenmörder, sondern wird auf die langweiligen Standardfälle angesetzt. Mord ist eben nicht gleich Mord. Die Lügen sind jedoch immer dieselben, auch in den eigenen Reihen.
Gemeinsam mit ihrem Partner Steve Moran untersucht sie einen Fall, der zunächst wie eine Beziehungstat anmutet: Aislinn Murray liegt mit eingeschlagenem Schädel „wie eine tote Barbie“ in ihrem Wohnzimmer. Sie hatte alles für ein romantisches Dinner vorbereitet, doch ihr Date scheint sich als tödlicher Flop entpuppt zu haben. Der Verdächtige ist schnell gefunden, und die alten Hasen des Dezernats dringen trotz einiger Ungereimtheiten auf einen schnellen Abschluss des Falls. Antoinette hält dagegen, weil sie ihren Job liebt, merkt jedoch nicht, dass sie dabei langsam aber sicher ihre Kraftreserven verbrennt.
Der Leser trifft auf ein misanthropisches, prolliges und zugleich melancholisches Großmaul, das sich Freund wie Feind mit pampigen Sprüchen vom Leibe hält. Zynischer Noir-Detective trifft auf vorlaute Großstadtgöre, dabei schießt sie manchmal ordentlich übers Ziel hinaus, etwa wenn sie Diskriminierungen der Kollegen selbst regelt. „Also brach ich dem kleinen Arschloch Roche fast das Handgelenk, als er mir einen Klaps auf den Hintern gab. Die Botschaft war laut und deutlich: Ich würde mich nicht auf den Rücken werfen, kapitulieren und hechelnd darauf warten, was die Alphamännchen mit mir anstellen wollten. Prompt schlossen sie die Reihen und fingen an, mich aus dem Rudel zu drängen.“
Antoinette hat sich für Verhöre diverse Rollen zurechtgelegt, die sie bei Bedarf wie Masken überstülpt und auch im Gespräch mit ihren Kollegen nie ablegt – die Nette, die Coole, die Kriegerin. Sie verschaffen ihr die nötige Distanz und Objektivität, die für Kombinationsarbeit und Taktiererei vonnöten sind. Nur Stück für Stück kann der Leser ihre tatsächliche Persönlichkeit erahnen. Ihr Versuch, das Opfer zu lesen, um den Täter zu verstehen und zu entlarven, lässt ihre Fassade nach und nach bröckeln. Denn sie erkennt gegen ihren Willen immer wieder sich selbst in der Toten – vermisster Vater, Flucht vor der Mutter, enorme Anstrengungen, die Arbeiterklassenherkunft hinter sich zu lassen. Die beiden wirken beinahe wie dunkle Doppelgänger. Wer jedoch der böse Zwilling ist, bleibt verborgen.
Tana French verleiht ihrer Protagonistin schwarzromantische Züge, in ihren Romanen ist die Figur des Detektivs keine soziopathische Denkmaschine mehr wie zu Sherlock Holmes’ Zeiten, aber auch kein sozial abgenutzter, unkonventioneller Ermittler wie Kurt Wallander bei Henning Mankell. Vielmehr konzentriert sich French auf das Innenleben der Figuren, erstellt ihre Psychogramme. Das nimmt bei Antoinette Conways Misanthropie bisweilen auch unterhaltsame Züge an, wenn sie im ständigen Gedankenstrom die ausgedehnten Dialoge und Verhörsituationen mit ihren eigenen erzählerischen Spitzen konterkariert. So gaukelt sie etwa oft Verständnis für den Gegenüber vor, muss sich aber gleichzeitig zurückhalten, ihm nicht „eine reinzuhauen“. Hier prallen ständig ihre mannigfaltigen Rollen aufeinander.
Tana Frenchs Detektive sind in diesem Sinne Performer – French hat selbst vor dem Schreiben am Theater gearbeitet und sich die in ihren Büchern angewandten Verhörtechniken von einem ehemaligen Polizisten an sich selbst vorführen lassen. Das zahlt sich aus, denn „Gefrorener Schrei“ lebt von den genau inszenierten und choreografierten Befragungen und Dialogen. Wie Jäger umkreisen Antoinette und Steve den Tatverdächtigen, lullen ihn mit freundschaftlichem Geplänkel ein, um im richtigen Moment mit pointierten Fragen in einem regelrechten Blutrausch zuzuschlagen. Meistens erzeugen seitenlange Verhöre nicht unbedingt atemlose Spannung. Tana French macht sie zum Mittelpunkt ihres Romans, in dem Wahrheit immer sorgfältig in einer Collage aus Lügen, Betrug und Verschleierung zusammengestückelt wird.
Im Mittelpunkt: ein
misanthropisches, prolliges und
melancholisches Großmaul
Wie Jäger umkreisen die
Polizisten den Verdächtigen
im Verhör
Tana French: Gefrorener Schrei. Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Scherz Verlag, Frankfurt/M. 2017. 656 Seiten, 16,99 Euro. E-Book 14,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Kindliches Herkunftstrauma – in „Gefrorener Schrei“
taucht Tana French tief ein in die Psyche ihrer Ermittlerin
VON SOFIA GLASL
Detective Antoinette Conway ist Lügengeschichten gewohnt. Sie hat sie schon von Kindesbeinen an hören und ertragen müssen, denn ihre Mutter flunkerte, jedes Mal, wenn das Mädchen nach seinem Vater fragte. Ägyptische Prinzen und saudi-arabische Mediziner lassen sich einfach besser verkaufen als ein One-Night-Stand, mit einem Mann, der sich als Schlägertyp entpuppt. Antoinette bastelte sich aus diesen Storys eine märchenhafte Identität – und beschloss, Polizistin zu werden, als dieses Luftschloss in sich zusammenkrachte an ihrem dreizehnten Geburtstag.
Die irische Schriftstellerin Tana French platziert diese Erinnerung Antoinettes – der Ich-Erzählerin – als Prolog ihres sechsten Kriminalromans „Gefrorener Schrei“. Das Detektiv-Basisgeschäft steht nicht allein im Mittelpunkt ihrer Romane, aus der genreüblichen Frage nach dem Mörder macht sie die Frage nach dem Detektiv. Natürlich gibt es immer eine Leiche, Indizien, Verdächtige und falsche Fährten. Doch die Suche nach den Mördern ist auch eine persönliche Suche der Ermittler nach ihrer eigenen Identität.
Ja, es muss die Ermittler heißen, denn Tana Frenchs „Dublin Murder Squad“-Reihe funktioniert anders als klassische Krimiserien. In jedem der Bücher rückt ein anderer Ermittler des Dubliner Morddezernats in den Mittelpunkt und wird zum Erzähler. Dieser Perspektivwechsel lässt die Persönlichkeiten der Detektive und ihre Marotten schillern, gibt ihnen trotz des – auf ein Buch – beschränkten Auftritts mehr Raum zur Entwicklung. Und unterbindet das Manko der klassischen Ermittler, die in ihren seriellen Fällen beinahe sitcomartig stagnieren: Mord, Aufklärungsarbeit, ein wenig Klatsch aus dem mehr oder weniger aufregenden Privatleben des Detektivs, Applaus, Ende. Das umgeht French mit den lose zusammenhängenden Romanen und kann sich so stärker auf ihre Figuren konzentrieren. Das Genre wird auf den Kopf gestellt, die Mordfälle sind Kulisse für aufregende Charakterstudien.
Dass Identität stets ein Kippbild aus Selbstverständnis und Selbstinszenierung ist, muss Antoinette auf die harte Tour lernen. Als einzige Frau in der Abteilung ist sie sexistischen Witzen, perfiden Streichen und bösartigen Intrigen ausgesetzt. Von ihren enthusiastischen Idealen auf der Polizeischule ist nicht mehr viel übrig. Als eine der Dienstjüngsten jagt sie keine Massenmörder, sondern wird auf die langweiligen Standardfälle angesetzt. Mord ist eben nicht gleich Mord. Die Lügen sind jedoch immer dieselben, auch in den eigenen Reihen.
Gemeinsam mit ihrem Partner Steve Moran untersucht sie einen Fall, der zunächst wie eine Beziehungstat anmutet: Aislinn Murray liegt mit eingeschlagenem Schädel „wie eine tote Barbie“ in ihrem Wohnzimmer. Sie hatte alles für ein romantisches Dinner vorbereitet, doch ihr Date scheint sich als tödlicher Flop entpuppt zu haben. Der Verdächtige ist schnell gefunden, und die alten Hasen des Dezernats dringen trotz einiger Ungereimtheiten auf einen schnellen Abschluss des Falls. Antoinette hält dagegen, weil sie ihren Job liebt, merkt jedoch nicht, dass sie dabei langsam aber sicher ihre Kraftreserven verbrennt.
Der Leser trifft auf ein misanthropisches, prolliges und zugleich melancholisches Großmaul, das sich Freund wie Feind mit pampigen Sprüchen vom Leibe hält. Zynischer Noir-Detective trifft auf vorlaute Großstadtgöre, dabei schießt sie manchmal ordentlich übers Ziel hinaus, etwa wenn sie Diskriminierungen der Kollegen selbst regelt. „Also brach ich dem kleinen Arschloch Roche fast das Handgelenk, als er mir einen Klaps auf den Hintern gab. Die Botschaft war laut und deutlich: Ich würde mich nicht auf den Rücken werfen, kapitulieren und hechelnd darauf warten, was die Alphamännchen mit mir anstellen wollten. Prompt schlossen sie die Reihen und fingen an, mich aus dem Rudel zu drängen.“
Antoinette hat sich für Verhöre diverse Rollen zurechtgelegt, die sie bei Bedarf wie Masken überstülpt und auch im Gespräch mit ihren Kollegen nie ablegt – die Nette, die Coole, die Kriegerin. Sie verschaffen ihr die nötige Distanz und Objektivität, die für Kombinationsarbeit und Taktiererei vonnöten sind. Nur Stück für Stück kann der Leser ihre tatsächliche Persönlichkeit erahnen. Ihr Versuch, das Opfer zu lesen, um den Täter zu verstehen und zu entlarven, lässt ihre Fassade nach und nach bröckeln. Denn sie erkennt gegen ihren Willen immer wieder sich selbst in der Toten – vermisster Vater, Flucht vor der Mutter, enorme Anstrengungen, die Arbeiterklassenherkunft hinter sich zu lassen. Die beiden wirken beinahe wie dunkle Doppelgänger. Wer jedoch der böse Zwilling ist, bleibt verborgen.
Tana French verleiht ihrer Protagonistin schwarzromantische Züge, in ihren Romanen ist die Figur des Detektivs keine soziopathische Denkmaschine mehr wie zu Sherlock Holmes’ Zeiten, aber auch kein sozial abgenutzter, unkonventioneller Ermittler wie Kurt Wallander bei Henning Mankell. Vielmehr konzentriert sich French auf das Innenleben der Figuren, erstellt ihre Psychogramme. Das nimmt bei Antoinette Conways Misanthropie bisweilen auch unterhaltsame Züge an, wenn sie im ständigen Gedankenstrom die ausgedehnten Dialoge und Verhörsituationen mit ihren eigenen erzählerischen Spitzen konterkariert. So gaukelt sie etwa oft Verständnis für den Gegenüber vor, muss sich aber gleichzeitig zurückhalten, ihm nicht „eine reinzuhauen“. Hier prallen ständig ihre mannigfaltigen Rollen aufeinander.
Tana Frenchs Detektive sind in diesem Sinne Performer – French hat selbst vor dem Schreiben am Theater gearbeitet und sich die in ihren Büchern angewandten Verhörtechniken von einem ehemaligen Polizisten an sich selbst vorführen lassen. Das zahlt sich aus, denn „Gefrorener Schrei“ lebt von den genau inszenierten und choreografierten Befragungen und Dialogen. Wie Jäger umkreisen Antoinette und Steve den Tatverdächtigen, lullen ihn mit freundschaftlichem Geplänkel ein, um im richtigen Moment mit pointierten Fragen in einem regelrechten Blutrausch zuzuschlagen. Meistens erzeugen seitenlange Verhöre nicht unbedingt atemlose Spannung. Tana French macht sie zum Mittelpunkt ihres Romans, in dem Wahrheit immer sorgfältig in einer Collage aus Lügen, Betrug und Verschleierung zusammengestückelt wird.
Im Mittelpunkt: ein
misanthropisches, prolliges und
melancholisches Großmaul
Wie Jäger umkreisen die
Polizisten den Verdächtigen
im Verhör
Tana French: Gefrorener Schrei. Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Scherz Verlag, Frankfurt/M. 2017. 656 Seiten, 16,99 Euro. E-Book 14,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Man möchte kein Wort verpassen. Tana French macht auch in ihrem neuen Krimi das Reden zur spannenden Hauptsache. Sylvia Staude Frankfurter Rundschau 20161229