• Audio CD

4 Kundenbewertungen

Es ist ein Sommer wie viele in der kleinen Stadt am Meer. Lena kellnert im Restaurant der Eltern. Doch dann geschieht das Unheimliche: in der trockenen Bucht vor der Stadt liegt ein altes Segelschiff: die"Windsbraut". Man hört Stimmen auf dem verlassenen Schiff. Ihr erscheint der Steuermann, ihr Vorfahr, von dessen Aufzeichnungen die Großmutter erzählt. Was ist geschehen? Und warum kommt die Flut nicht, seit es dort liegt? Lena ahnt: die Antworten auf diese Fragen haben mehr mit ihr zu tun, als ihr lieb sein kann.

Produktbeschreibung
Es ist ein Sommer wie viele in der kleinen Stadt am Meer. Lena kellnert im Restaurant der Eltern. Doch dann geschieht das Unheimliche: in der trockenen Bucht vor der Stadt liegt ein altes Segelschiff: die"Windsbraut". Man hört Stimmen auf dem verlassenen Schiff. Ihr erscheint der Steuermann, ihr Vorfahr, von dessen Aufzeichnungen die Großmutter erzählt. Was ist geschehen? Und warum kommt die Flut nicht, seit es dort liegt? Lena ahnt: die Antworten auf diese Fragen haben mehr mit ihr zu tun, als ihr lieb sein kann.
Autorenporträt
Dietlof Reiche, geb. 1941, lebt als freier Schriftsteller in Hamburg. Sein erstes Jugendbuch 'Der Bleisiegelfälscher' wurde mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.11.2002

Die Geisterjägerin
Angenehm verstörend: Dietlof Reiches Seemädchenroman

Übernatürliche Phänomene haben zahllose Geschichten genährt. Dennoch muten Gespenstergeschichten, jene Erzählungen von Totengeistern und Wiederkehrern, in einer Zeit, in der die Jugendliteratur zwischen der Lust an phantastischen Träumen und dem ernsten Erklären der Welt schwankt, fast schon überholt an: Gespenster kommen derzeit fast nur noch als knuffige kleine Gestalten in Bilderbüchern und Erstlesetexten vor, und dort sind sie völlig harmlos. Oder sie gehören einer Gruselserie an und verhalten sich vorhersagbar. Die wirklich angsterregenden Geister, überraschend, ernsthaft - sind sie eine ausrangierte Spezies?

Nicht ganz. Dietlof Reiche, der vor mehr als zwanzig Jahren mit seinen Historienromanen von seinen Lesern viel Sinn für Vergangenes forderte, zuletzt aber mit seinen Büchern um Freddy, den am Computer schreibenden Hamster, ganz auf moderne Phantasien setzte, holt die Gespenster aus der Niedlichkeit und macht Lust auf das Dunkle, Abgründige.

In seinem jüngsten Werk "Geisterschiff" ist es der Name, der die Geister beschwor. Denn Windsbraut, der alles zerstörende Dämon des Sturms, verheißt Unheilvolles für die Patronin eines Schiffes. Es ist überhaupt so einiges seltsam an dieser Galionsfigur, die in einer Kleinstadt an der Nordsee mit eigentümlichem Blick von oben herab auf die Gäste eines Restaurants schaut, die es sich bei "Scholle satt" gutgehen lassen: sie schielt und ist innen hohl. Und sie teilt Geheimnisse mit dem mehr als zweihundert Jahre alten Segelschiff, das plötzlich in der Bucht liegt, vor dem das Meer zurückweicht und nicht mehr wiederkommt, und auf dem sich das immer gleiche blutrünstige Ritual vollzieht: ein Kampf zwischen rauhen Seemännern, ein Kampf auf Leben und Tod.

So wie die Schiffsleute zur See in das ewig gleiche Gefecht muß sich Lena, die zwölf Jahre alte weltneugierige und energische Wirtstochter mit dem Berufswunsch "Kapitänin", in ihre Aufgabe stürzen: das Abenteuer ihres Lebens zu bestehen. Es wird eine Reise, von der Lena nicht ahnt, wohin sie führt. Keine in fremde Länder, den Kopf voller Schatzinselträume und Seeräuberromantik, wie es Geschichten vom Meer sonst versprechen, sondern eine Reise in die Geschichte ihrer Vorfahren, in die innerer Furcht und Zweifel der Weltwahrnehmung. Lena sieht sich mitten im Leben dem Unfaßbaren und Unglaublichen gegenüber.

Das Motiv vom ruhelosen Seefahrer, dessen zu Lebzeiten unreine Seele ihm im Sterben Schreckliches beschert und den ein Fluch auf ewig auf die Meere bannt, ist weder neu noch originell, aber von Reiche gekonnt variiert worden. Wie sich das Rätselhafte und Geheimnisvolle drastisch in den Alltag von Lena drängt, ist von schaurig-schöner Grusligkeit.

Reiche beschäftigt sich auf ganz nüchterne Weise mit dem Zusammenspiel von Glaube und Vernunft und der Welt des Unerklärlichen - ganz ohne pseudophilosophische Moral, zwanghafte Allegorie zur Gegenwart oder pädagogische Attitüde. Sein Spiel mit Verstörung und Geborgenheit, Beunruhigung und Erlösung ist geschickt, die Geschichte klug konstruiert und komplex erzählt. Nur den Nebenfiguren fehlt gelegentlich die charakterliche Plausibilität, um sie aus dem Klischeehaften zu lösen. Der Stimmung und Spannung ist das selten abträglich, denn der Autor erhält versiert den Lesern das Interesse an seinen Helden, inszeniert effektvoll und verbindet dramaturgisch geschickt Elemente aus Jetztzeit und Vergangenheit zu einem höchst spannenden Abenteuer, das sich mit wohligem Schauer lesen läßt und nach dessen Lektüre man sich angenehm verstört zurücklehnt. Natürlich gibt es keine Gespenster, aber warum nicht doch ein bißchen an sie glauben und von ihnen lesen?

Etwas verstörend wirkt auch, allerdings nicht ganz so angenehm, daß Dietlof Reiche, als längst alle Rätsel gelöst und alle Seemannsknoten entwirrt sind, dem Ende einen zweiten Schluß aufpfropft. Warum er der handfesten, gradlinigen und stimmigen Geschichte ein leicht überzuckertes Happy-End gibt, wird wohl ein Geheimnis bleiben.

ELENA GEUS

Dietlof Reiche: "Geisterschiff". Hanser Verlag, München 2002. 296 S., geb., 14,90 [Euro]. Ab 12 J.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr