Victor Ward, Model und Nightlife-Profi, lebt in der modebesessenen und prominenzgeilen Welt Manhattans. Er eröffnet einen eigenen Szene-Club. Er hat ein Supermodel als Freundin und betrügt sie. Wie alle im Schatten der Stars kämpft er um Geld, Macht und Ruhm. Und zunehmend gerät er in den Sog der düsteren Seite dieser Hochglanzwelt, die eng vernetzt ist mit Verbrechen und Gewalt. Ein mysteriöser Auftrag führt ihn nach London und Paris, wo er Kontakt zu einer terroristischen Vereinigung aufnimmt, die - angeführt von einem Model - Hotels in die Luft jagt und Flugzeuge sprengt. Ob in Manhattan oder in Europa, Victor weiß, daß er in der Falle sitzt, und Fluchtwege gibt es nicht. Seit "Unter Null" und "American Psycho" gehört Bret Easton Ellis zu den originellsten und provozierendsten Autoren der amerikanischen Gegenwartsliteratur. "Glamorama" - realistisch und surreal zugleich - beweist das erneut.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.1999Der Zeitgeist hockt im Niemandsland
Vanitas, verquatscht und splendid: Bret Easton Ellis' "Glamorama" / Von Rose-Maria Gropp
Während der kommerzielle Radiosender im Hintergrund unter der wöchentlichen Rubrik: "Mit mir nicht!" einer jungen Frau, die tausend Mark für ihre Gucci-Uhr gespart hat, dabei hilft, sich gegen den Hersteller der Uhr mit ihren Regressansprüchen durchzusetzen, wühlen wir in unserem schwarzen Prada-Rucksack nach dem Ericksson-Handy, um wenigstens eine unserer drei Verabredungen abzusagen, weil wir gerade wahnsinnig beschäftigt sind mit dem Zeitgeist, der endlich den Todestrieb für sich entdeckt hat. Am anderen Ende der Leitung meldet sich eine Stimme mit unserem eigenen Namen und wünscht, nicht weiter belästigt zu werden. Stündlich würde uns der total angesagte Sender über seine Maßnahmen unterrichten. Da aber offenbar wir selbst uns nicht stören wollen, lesen wir "Glamorama" lieber ohne diese Information zu Ende. In einer Levis 501 und einem weißen T-Shirt von H&M. So lassen wir den Zeitgeist sein Leben aushauchen, ganz allein mit uns selbst.
Bret Easton Ellis' neues Buch ist ein absurdes Monstrum - um es gleich zu sagen. Die ersten knapp zweihundert Seiten sind Dauerbelämmerung durch eine Blödigkeit, mit der man nie und nichts zu tun haben möchte. Ellis stellt eine Obsediertheit mit radikaler Äußerlichkeit zur Schau: Schier endlos sind die Listen mit den Namen Prominenter, penetrantes name dropping im Stakkato, das sich selbst in seinem Leerlauf auslöscht, konkrete Poesie der Langeweile. Die Markennamen werden gebetsmühlenhaft wiederholt, nichts aber beschreibt mehr ihre Besonderheit, sie sind nur mehr Codeworte, zirkulierende Selbstverweise. Entweder man weiß, wie diese Stücke aussehen, dann ist man unversehens Teil des Kosmos von "Glamorama". Oder man weiß es nicht; dann wird man es aus diesem Buch nicht erfahren - und nichts wird einen in dieses Buch hineinführen.
Gestattet sei es, angesichts von Ellis' zickig-zynischem Elaborat an die Gesellschaftsromane der bisher letzten Jahrhundertwende zu denken. Dort spielt das Auftreten, das Bedürfnis nach Unterscheidung mittels eitler Versatzstücke eine kaum geringere Rolle. Gabriele D'Annunzio hat seine Geselllschaftsspiele in solchen Maskeraden inszeniert, die Präzeptoren des Chic sind in Prousts Forschungen eingegangen, die sorgfältigen Inszenierungen von society in Musils unabschließbare Wiener Aktion. Und Edith Wharton hat die Beschreibung dieses Jahrmarkts für das New York vor hundert Jahren zu einiger Meisterschaft getrieben. Man darf Bret Easton Ellis' Schärfe, mit der er das Laster des Müßiggangs in einem postgesellschaftlichen Amerika seziert, wahrlich nicht unterschätzen.Ein "Model" jagt das andere in der geistfreien Reunion von männlicher Selbstdarstellung und weiblicher Zerrissenheit. Die Zeiten, wo sich ein menschliches Wesen dabei noch selbst genießen durfte, sind vorbei. Im Zeitalter des Postnarzissmus ist auch dieser Spaß verloren. Alle diese Mannequins sind siebenundzwanzig Jahre alt. Das ist die äußerste Ausdehnung einer dumpfen Pubertät. An deren Beginn mag noch David Byrnes Frage "Psychokiller - qu'est-ce que c'est?" gestanden haben. An ihrem Ende heißt es: "Wir mögen dich, weil du nichts vorhast im Leben" und "weil du keine Antworten hast". Muskeltonus dominiert Gehirnmasse, und über allem wölbt sich unsichtbar eine böse unberechenbare Vaterwelt. Sie hat diese Brut generiert, die nun von Ellis vorgeführt wird.
Dabei leistet dieser Autor ein bemerkenswertes Maß an Adäquanz von Form und Inhalt. "Glamorama" hebt an als ein Hohn auf jeden Begriff von Literatur, der Bearbeitung und Durchformung mitmeint. Dann allerdings bündelt sich diese Zerfahrenheit, das Gequatsche gerinnt zu einem Text. Und dieses Gefüge nimmt Fahrt auf, wird eine Geschichte, jedenfalls ein Plot mit erheblicher Spannung. Ein Film läuft an im Kopf des Lesers, in der Evokation von Befindlichkeiten unerheblicher Existenzen. Idioten werden zu Masken, immerhin. Masken werden zu in ihrem wohltrainierten Fleische zerstörbaren Menschen. Die geheime Wahrheit dieses unheiligen Traktats ist die Empfindung von körperlichem Schmerz. Da seelische Qualen in einer Welt, die von Drogen synthetisiert ist, dauernder Betäubung unterliegen, ist er die Grenze hin zum physischen Tode.
Victor Ward sieht bestechend gut aus. Er ist ein männliches Model mit hervorstehenden Wangenknochen, quadratischen Bauchmuskeln und vermutlich erbsengroßem Gehirnvolumen, das kaum erweiterungsfähig ist. In alteuropäischen Kategorien gedacht, macht Ellis seinen Ich-Erzähler zum Protagonisten eines Torenromans, er vollstreckt an ihm die Folter des Erziehungsromans. Victor - einfältiger Nachgeborener des Andy Warhol - ist bestrebt, sein prächtiges Charisma durch die Eröffnung eines Clubs in New York für ein paar Tage unvergesslich zu machen. Von hier aus kommt er ins Schlingern auf einer Oberfläche der Dinge, so glatt wie eine Eisbahn. Er gerät in die Fänge der Vereinigung einer Art Terror-Models, die Bomben werfen und auf das Kommando eines Bobby hören, dem gerade eben noch allerschönsten aller männlichen Models. Wo diese Ballung von blanker Attraktivität herrscht, sind immer Regisseur und Kamera in der Nähe. Victor stürzt in den Film seines Lebens.
Bret Easton Ellis, Jahrgang 1964, ist mit seinen Büchern zu zweischneidiger Berühmtheit gekommen. Das heikelste unter ihnen, "American Psycho" von 1991, ist eine Mixtur aus vollständig verabsolutierter Aggression und präziser Brutalität. Acht Jahre später nun hat Ellis - den wir der Einfachheit halber für diesen weichen, verstörten Sohn, eingeboren der amerikanischen Plutokratie und gesegnet mit einem unerfreulichen WASP-Vater, halten wollen, als den er sich selbst verkauft - "Glamorama" vorgelegt. Auch wenn dieses Buch einige Passagen drastischer Grausamkeit kennt, ist es ein völlig anderes Buch als "American Psycho". An die Stelle der pervertierten Intelligenzmaschine Patrick Bateman ist Victor Ward getreten, ein törichtes, schließlich furchtsames Bündel Muskeln. Anders als Bateman kennt Victor Gefühle, aber nur auf der Skala zwischen Protzerei und Weinerlichkeit. Ellis lässt ihn - als Ich - sich selbst vorführen, schafft so einen zu keiner Identifikation tauglichen Helden.
Und dieses wahre Püppchen - ein "Hengsttörtchen" - lenkt nicht ab von der eigentlichen ästhetischen Transformation, die Ellis gelingt. Ellis verwandelt, was an der Oberfläche einer ständig beschleunigten Welt nur mehr den Namen Geschehen trägt, zurück in eine mentale Echtzeit: Ereignis wie event - beides erhält literarisch seine Ausdehnung in der Zeit zurück. Die terroristische Model-Gang braucht Ellis als Medium seiner Untersuchung. Deren obszönes Movens - "Es geht in erster Linie um den Willen, die Zerstörung herbeizuführen, und nicht um das Ergebnis, denn das ist lediglich Dekoration" - ist Ellis' Folie für sein Anliegen. Während er die Insignien einer Waren- und Wahnwelt zu Kürzeln verstümmelt, die nichts mehr bezeichnen, registriert er mit entsetzlicher Schärfe das im Wortsinne Katastrophale, illustriert er das Widerwärtige aller Auslöschung, das ausgeblendet wird, wenn nachrichtlich kurz die Lücke klafft zwischen medial vorgezeigtem Entsetzen und Tagesordnung: Dreimal "Prada" sagen zum Abschied ist eines; in einem Prada-Anzug einen dreiminütigen Tod sterben ein anderes.
So nimmt bei Ellis - und da ist er Satiriker von gefährlichen Graden - der Vorgang, der geschieht, wenn eine Plastiksprengstoffbombe in einer Louis-Vuitton-Tasche explodiert, Raum ein bis an den Rand der Unerträglichkeit. Er liefert darüber Berichte ab mit einer Sorgfalt, die vergleichbar ist der Schilderung kleinster Accessoires bei einer Modenschau: Bedenkt man den Platz, den die Medien dem Kosmos von Fashion, Tratsch und Partys gewähren, dann ist Ellis' zwanghafte Litanei von Markennamen dagegen tatsächlich Zeitersparnis: Sie ist aggressive Persiflage, offensichtlich mit moralischem Anspruch. Ellis hätte es sich deshalb sparen können, als eines der Mottos einen Spruch von Hitler voranzustellen. Mag das als eine weitere Herausforderung des Zeitgeists gedacht sein, es bleibt eine unangenehme Berührung. "Der Zeitgeist hockt im Niemandsland", heißt es an einer Stelle. Zeit lässt sich töten, Lebenszeit. Mit brachialer Wucht denunziert "Glamorama" das Phantasma ihrer Wiederbringlichkeit, zerstückelt das Humanum in der Paranoia. Vielleicht ist es ein Opfer an Lebenszeit, dieses Buch zu lesen. Aber man hat dann mit dem Würgeengel des Zeitgeists gerungen.
Bret Easton Ellis: "Glamorama". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Joachim Kalka. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1999. 650 S., geb., 54,- DM.
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Vanitas, verquatscht und splendid: Bret Easton Ellis' "Glamorama" / Von Rose-Maria Gropp
Während der kommerzielle Radiosender im Hintergrund unter der wöchentlichen Rubrik: "Mit mir nicht!" einer jungen Frau, die tausend Mark für ihre Gucci-Uhr gespart hat, dabei hilft, sich gegen den Hersteller der Uhr mit ihren Regressansprüchen durchzusetzen, wühlen wir in unserem schwarzen Prada-Rucksack nach dem Ericksson-Handy, um wenigstens eine unserer drei Verabredungen abzusagen, weil wir gerade wahnsinnig beschäftigt sind mit dem Zeitgeist, der endlich den Todestrieb für sich entdeckt hat. Am anderen Ende der Leitung meldet sich eine Stimme mit unserem eigenen Namen und wünscht, nicht weiter belästigt zu werden. Stündlich würde uns der total angesagte Sender über seine Maßnahmen unterrichten. Da aber offenbar wir selbst uns nicht stören wollen, lesen wir "Glamorama" lieber ohne diese Information zu Ende. In einer Levis 501 und einem weißen T-Shirt von H&M. So lassen wir den Zeitgeist sein Leben aushauchen, ganz allein mit uns selbst.
Bret Easton Ellis' neues Buch ist ein absurdes Monstrum - um es gleich zu sagen. Die ersten knapp zweihundert Seiten sind Dauerbelämmerung durch eine Blödigkeit, mit der man nie und nichts zu tun haben möchte. Ellis stellt eine Obsediertheit mit radikaler Äußerlichkeit zur Schau: Schier endlos sind die Listen mit den Namen Prominenter, penetrantes name dropping im Stakkato, das sich selbst in seinem Leerlauf auslöscht, konkrete Poesie der Langeweile. Die Markennamen werden gebetsmühlenhaft wiederholt, nichts aber beschreibt mehr ihre Besonderheit, sie sind nur mehr Codeworte, zirkulierende Selbstverweise. Entweder man weiß, wie diese Stücke aussehen, dann ist man unversehens Teil des Kosmos von "Glamorama". Oder man weiß es nicht; dann wird man es aus diesem Buch nicht erfahren - und nichts wird einen in dieses Buch hineinführen.
Gestattet sei es, angesichts von Ellis' zickig-zynischem Elaborat an die Gesellschaftsromane der bisher letzten Jahrhundertwende zu denken. Dort spielt das Auftreten, das Bedürfnis nach Unterscheidung mittels eitler Versatzstücke eine kaum geringere Rolle. Gabriele D'Annunzio hat seine Geselllschaftsspiele in solchen Maskeraden inszeniert, die Präzeptoren des Chic sind in Prousts Forschungen eingegangen, die sorgfältigen Inszenierungen von society in Musils unabschließbare Wiener Aktion. Und Edith Wharton hat die Beschreibung dieses Jahrmarkts für das New York vor hundert Jahren zu einiger Meisterschaft getrieben. Man darf Bret Easton Ellis' Schärfe, mit der er das Laster des Müßiggangs in einem postgesellschaftlichen Amerika seziert, wahrlich nicht unterschätzen.Ein "Model" jagt das andere in der geistfreien Reunion von männlicher Selbstdarstellung und weiblicher Zerrissenheit. Die Zeiten, wo sich ein menschliches Wesen dabei noch selbst genießen durfte, sind vorbei. Im Zeitalter des Postnarzissmus ist auch dieser Spaß verloren. Alle diese Mannequins sind siebenundzwanzig Jahre alt. Das ist die äußerste Ausdehnung einer dumpfen Pubertät. An deren Beginn mag noch David Byrnes Frage "Psychokiller - qu'est-ce que c'est?" gestanden haben. An ihrem Ende heißt es: "Wir mögen dich, weil du nichts vorhast im Leben" und "weil du keine Antworten hast". Muskeltonus dominiert Gehirnmasse, und über allem wölbt sich unsichtbar eine böse unberechenbare Vaterwelt. Sie hat diese Brut generiert, die nun von Ellis vorgeführt wird.
Dabei leistet dieser Autor ein bemerkenswertes Maß an Adäquanz von Form und Inhalt. "Glamorama" hebt an als ein Hohn auf jeden Begriff von Literatur, der Bearbeitung und Durchformung mitmeint. Dann allerdings bündelt sich diese Zerfahrenheit, das Gequatsche gerinnt zu einem Text. Und dieses Gefüge nimmt Fahrt auf, wird eine Geschichte, jedenfalls ein Plot mit erheblicher Spannung. Ein Film läuft an im Kopf des Lesers, in der Evokation von Befindlichkeiten unerheblicher Existenzen. Idioten werden zu Masken, immerhin. Masken werden zu in ihrem wohltrainierten Fleische zerstörbaren Menschen. Die geheime Wahrheit dieses unheiligen Traktats ist die Empfindung von körperlichem Schmerz. Da seelische Qualen in einer Welt, die von Drogen synthetisiert ist, dauernder Betäubung unterliegen, ist er die Grenze hin zum physischen Tode.
Victor Ward sieht bestechend gut aus. Er ist ein männliches Model mit hervorstehenden Wangenknochen, quadratischen Bauchmuskeln und vermutlich erbsengroßem Gehirnvolumen, das kaum erweiterungsfähig ist. In alteuropäischen Kategorien gedacht, macht Ellis seinen Ich-Erzähler zum Protagonisten eines Torenromans, er vollstreckt an ihm die Folter des Erziehungsromans. Victor - einfältiger Nachgeborener des Andy Warhol - ist bestrebt, sein prächtiges Charisma durch die Eröffnung eines Clubs in New York für ein paar Tage unvergesslich zu machen. Von hier aus kommt er ins Schlingern auf einer Oberfläche der Dinge, so glatt wie eine Eisbahn. Er gerät in die Fänge der Vereinigung einer Art Terror-Models, die Bomben werfen und auf das Kommando eines Bobby hören, dem gerade eben noch allerschönsten aller männlichen Models. Wo diese Ballung von blanker Attraktivität herrscht, sind immer Regisseur und Kamera in der Nähe. Victor stürzt in den Film seines Lebens.
Bret Easton Ellis, Jahrgang 1964, ist mit seinen Büchern zu zweischneidiger Berühmtheit gekommen. Das heikelste unter ihnen, "American Psycho" von 1991, ist eine Mixtur aus vollständig verabsolutierter Aggression und präziser Brutalität. Acht Jahre später nun hat Ellis - den wir der Einfachheit halber für diesen weichen, verstörten Sohn, eingeboren der amerikanischen Plutokratie und gesegnet mit einem unerfreulichen WASP-Vater, halten wollen, als den er sich selbst verkauft - "Glamorama" vorgelegt. Auch wenn dieses Buch einige Passagen drastischer Grausamkeit kennt, ist es ein völlig anderes Buch als "American Psycho". An die Stelle der pervertierten Intelligenzmaschine Patrick Bateman ist Victor Ward getreten, ein törichtes, schließlich furchtsames Bündel Muskeln. Anders als Bateman kennt Victor Gefühle, aber nur auf der Skala zwischen Protzerei und Weinerlichkeit. Ellis lässt ihn - als Ich - sich selbst vorführen, schafft so einen zu keiner Identifikation tauglichen Helden.
Und dieses wahre Püppchen - ein "Hengsttörtchen" - lenkt nicht ab von der eigentlichen ästhetischen Transformation, die Ellis gelingt. Ellis verwandelt, was an der Oberfläche einer ständig beschleunigten Welt nur mehr den Namen Geschehen trägt, zurück in eine mentale Echtzeit: Ereignis wie event - beides erhält literarisch seine Ausdehnung in der Zeit zurück. Die terroristische Model-Gang braucht Ellis als Medium seiner Untersuchung. Deren obszönes Movens - "Es geht in erster Linie um den Willen, die Zerstörung herbeizuführen, und nicht um das Ergebnis, denn das ist lediglich Dekoration" - ist Ellis' Folie für sein Anliegen. Während er die Insignien einer Waren- und Wahnwelt zu Kürzeln verstümmelt, die nichts mehr bezeichnen, registriert er mit entsetzlicher Schärfe das im Wortsinne Katastrophale, illustriert er das Widerwärtige aller Auslöschung, das ausgeblendet wird, wenn nachrichtlich kurz die Lücke klafft zwischen medial vorgezeigtem Entsetzen und Tagesordnung: Dreimal "Prada" sagen zum Abschied ist eines; in einem Prada-Anzug einen dreiminütigen Tod sterben ein anderes.
So nimmt bei Ellis - und da ist er Satiriker von gefährlichen Graden - der Vorgang, der geschieht, wenn eine Plastiksprengstoffbombe in einer Louis-Vuitton-Tasche explodiert, Raum ein bis an den Rand der Unerträglichkeit. Er liefert darüber Berichte ab mit einer Sorgfalt, die vergleichbar ist der Schilderung kleinster Accessoires bei einer Modenschau: Bedenkt man den Platz, den die Medien dem Kosmos von Fashion, Tratsch und Partys gewähren, dann ist Ellis' zwanghafte Litanei von Markennamen dagegen tatsächlich Zeitersparnis: Sie ist aggressive Persiflage, offensichtlich mit moralischem Anspruch. Ellis hätte es sich deshalb sparen können, als eines der Mottos einen Spruch von Hitler voranzustellen. Mag das als eine weitere Herausforderung des Zeitgeists gedacht sein, es bleibt eine unangenehme Berührung. "Der Zeitgeist hockt im Niemandsland", heißt es an einer Stelle. Zeit lässt sich töten, Lebenszeit. Mit brachialer Wucht denunziert "Glamorama" das Phantasma ihrer Wiederbringlichkeit, zerstückelt das Humanum in der Paranoia. Vielleicht ist es ein Opfer an Lebenszeit, dieses Buch zu lesen. Aber man hat dann mit dem Würgeengel des Zeitgeists gerungen.
Bret Easton Ellis: "Glamorama". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Joachim Kalka. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1999. 650 S., geb., 54,- DM.
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"Mit derselben Akribie, mit der er in 'American Psycho' die Designernamen und Labels auflistet, die Währung der Achtziger, setzt er jetzt die Stars oder besser ihre Namen in seinem fiktiven Panorama des Ruhms in Szene. Ellis ist ein glänzender Satiriker." Die Zeit
»Ellis fängt ein Moment des radikalen Dandyismus unserer Kultur ein, bei dem der Geschlechtsunterschied unwichtiger erscheint als die Frage, ob du wie ein Model aussiehst [...].« Village Voice