Ein Polizist steht auf der Duisburger Rheinbrücke und will sich in die Tiefe stürzen. Der Seelsorger Martin Bauer soll ihn daran hindern. Er klettert einfach über das Geländer und springt selbst. Überrumpelt von der Situation folgt ihm der Beamte und will ihn retten. Gemeinsam können sie sich aus dem Wasser ziehen. Diesmal hat Bauer gewonnen, doch am nächsten Tag ist der Polizist tot, erschossen mit seiner Dienstwaffe. Selbstmord, das ist klar.
Gegen den Beamten wurde wegen Korruption ermittelt. Aber nimmt man sich deshalb das Leben? Seelsorger Martin Bauer will die Wahrheit herausfinden
Gegen den Beamten wurde wegen Korruption ermittelt. Aber nimmt man sich deshalb das Leben? Seelsorger Martin Bauer will die Wahrheit herausfinden
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.07.2017Springen und springen lassen
Krimis in Kürze: Gallert & Reiter, Emmanuel Grand, Christian Mähr
Von Rudolf Augstein ist die Devise überliefert, ein guter Artikel müsse dem Leser den ersten Satz wie ein Lasso zuwerfen. Das gilt natürlich auch für Bücher, wenngleich es da schon ein paar Sätze mehr sein dürfen. Der Roman "Glaube Liebe Tod" (Ullstein, 416 S., br., 9,99 [Euro]) von Peter Gallert und Jörg Reiter führt großartig vor, wie das geht. Da steht ein Polizist auf einer Duisburger Rheinbrücke und will springen. Der Polizeiseelsorger, der ihn davon abhalten will, stellt sich neben ihn - und springt selbst. Der Polizist springt hinterher, um ihn zu retten. Dass der Polizist kurz danach dann doch vom Dach eines Parkhauses springt, heißt nicht, dass Martin Bauers Strategie falsch war.
Dieser Martin Bauer ist der vielversprechende Versuch, der reichen Typologie der Ermittler ein weiteres Exemplar hinzuzufügen. Kein Pater Brown im Ruhrgebiet, sondern ein evangelischer Pfarrer von heute, verheiratet, eine Tochter, nicht pflegeleicht, aber bibelfest, streetwise und, was weniger Gott als das Genre von ihm verlangt: Er sorgt sich nicht nur um Polizistenseelen, er schaltet sich auch in die Ermittlungen ein, weil er an den Selbstmord nicht glauben mag.
Es geht dann zwar nicht ganz so furios weiter, wie es begonnen hat, es gibt die üblichen Querelen mit dem gewohnt uneinsichtigen und bürokratischen weltlichen Vorgesetzten, die halbwüchsige Tochter ist mit Globalisierungsgegnern nach Deauville gefahren, was zu Ehespannungen führt. Auch der Rotlicht-Pate und die verzweifelten rumänischen Prostituierten wirken eher wie aus dem Baukastensystem, aus dem sich auch der "Tatort" bedient. Nur haben Gallert & Reiter mehr Witz, die Sprüche sind ruhrgebietstauglich, und im Showdown lassen sie es so krachen, als sei das Jüngste Gericht nicht mehr fern. Dass der nächste Bauer-Roman schon in Arbeit ist, ist daher keine schlechte Nachricht.
Ob es den Leuten im deindustrialisierten Duisburg schlechter geht oder denen im strukturschwachen Norden Frankreichs, lässt sich schwer beantworten. "Späte Vergeltung" (Rütten & Loening, 448 S., br. 16,99 [Euro]), der Thriller von Emmanuel Grand, jedenfalls spielt in einer Kleinstadt im französisch-belgischen Grenzgebiet, wo die Arbeitslosigkeit hoch ist und von der metallverarbeitenden Industrie nur noch Ruinen geblieben sind. Dass diese Vergangenheit aber nicht vergangen ist, zeigt sich schnell, nachdem der aus dem Elsass stammende Kommissar Buchmeyer, auch er ständig bedrängt von einem vorgesetzten Karrieristen, den Mord an einem Junkie-Mädchen zu untersuchen begonnen hat.
Buchmeyer ist ein Mann der Intuition, die ihm auch den scheinbaren Umweg in die achtziger Jahre weist, zu den Arbeitskämpfen und der damals mächtigen kommunistischen Gewerkschaft CGT. Die Kämpfer von damals sind inzwischen so mürbe und angezählt wie die ganze Region, und Grand arbeitet dieses Kapitel Wirtschafts- und Sozialgeschichte geschickt als Spannungselement in seinen Plot ein. Es hätte der Konstruktion allerdings noch besser getan, wenn Grand uns Leser nicht schon in einem längeren Prolog vieles von dem hätte wissen lassen, was der Kommissar erst herausfinden muss. Und eine Auflösung, die sich nur mit einem Identitätstausch bewerkstelligen lässt, ist selten zwingend.
Ironie gehört im deutschsprachigen Kriminalroman nicht zu den häufig und erst recht nicht zu den souverän verwandten Stilmitteln. Insofern fällt das Buch des Vorarlbergers Christian Mähr schon auf. Es hat auch einen eigenwilligen Titel - "Aber das Bild war noch da" (Verlag Wortreich, 312 S., geb., 19,90 [Euro]) -, und es hat keinen Kommissar oder andere Bedienstete des Staatsapparats. Ein mittelmäßiger Krimiautor spielt eine Rolle, ohne dass Mähr es mit der Selbstreferentialität übertriebe, ein an Selbstüberschätzung leidender und über seine Schlagkraft stolpernder Lokalpolitiker mit dem Namen Oswald Obwalter ist dabei, ein angemessen zwielichtiger, reicher Russe und natürlich auch der Maler, der ein Haus gemalt hat, im fotorealistischen Stil: jenes Bild, von dem der Titel spricht, das zwischenzeitlich auch mal weg ist und von dem einige sich einreden wollen, es liege ein Fluch auf ihm, der den jeweiligen Besitzer treffe.
Die Männer sind hier die weniger aktiven Kräfte, die Frauen entfalten deutlich mehr Energien, auch kriminelle: die Frau des Malers und die des Politikers, die Jugendliebe des Autors oder die Assistentin des Galeristen. Am Ende, das darf man verraten, steht das gemalte Haus im wirklichen Leben schief, und ein Auto ist in die Luft geflogen. Beides verschafft der Hypothese vom Fluch ein kurzes Comeback. Es hat auch Tote gegeben, aber nicht des Bildes wegen. Mähr bringt seine mitunter wie eine Scharade funktionierende Geschichte mit gut dosierter Boshaftigkeit zu Ende. Ein Heimatroman, der sich und uns alle Illusionen über diese Heimat erspart.
PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Krimis in Kürze: Gallert & Reiter, Emmanuel Grand, Christian Mähr
Von Rudolf Augstein ist die Devise überliefert, ein guter Artikel müsse dem Leser den ersten Satz wie ein Lasso zuwerfen. Das gilt natürlich auch für Bücher, wenngleich es da schon ein paar Sätze mehr sein dürfen. Der Roman "Glaube Liebe Tod" (Ullstein, 416 S., br., 9,99 [Euro]) von Peter Gallert und Jörg Reiter führt großartig vor, wie das geht. Da steht ein Polizist auf einer Duisburger Rheinbrücke und will springen. Der Polizeiseelsorger, der ihn davon abhalten will, stellt sich neben ihn - und springt selbst. Der Polizist springt hinterher, um ihn zu retten. Dass der Polizist kurz danach dann doch vom Dach eines Parkhauses springt, heißt nicht, dass Martin Bauers Strategie falsch war.
Dieser Martin Bauer ist der vielversprechende Versuch, der reichen Typologie der Ermittler ein weiteres Exemplar hinzuzufügen. Kein Pater Brown im Ruhrgebiet, sondern ein evangelischer Pfarrer von heute, verheiratet, eine Tochter, nicht pflegeleicht, aber bibelfest, streetwise und, was weniger Gott als das Genre von ihm verlangt: Er sorgt sich nicht nur um Polizistenseelen, er schaltet sich auch in die Ermittlungen ein, weil er an den Selbstmord nicht glauben mag.
Es geht dann zwar nicht ganz so furios weiter, wie es begonnen hat, es gibt die üblichen Querelen mit dem gewohnt uneinsichtigen und bürokratischen weltlichen Vorgesetzten, die halbwüchsige Tochter ist mit Globalisierungsgegnern nach Deauville gefahren, was zu Ehespannungen führt. Auch der Rotlicht-Pate und die verzweifelten rumänischen Prostituierten wirken eher wie aus dem Baukastensystem, aus dem sich auch der "Tatort" bedient. Nur haben Gallert & Reiter mehr Witz, die Sprüche sind ruhrgebietstauglich, und im Showdown lassen sie es so krachen, als sei das Jüngste Gericht nicht mehr fern. Dass der nächste Bauer-Roman schon in Arbeit ist, ist daher keine schlechte Nachricht.
Ob es den Leuten im deindustrialisierten Duisburg schlechter geht oder denen im strukturschwachen Norden Frankreichs, lässt sich schwer beantworten. "Späte Vergeltung" (Rütten & Loening, 448 S., br. 16,99 [Euro]), der Thriller von Emmanuel Grand, jedenfalls spielt in einer Kleinstadt im französisch-belgischen Grenzgebiet, wo die Arbeitslosigkeit hoch ist und von der metallverarbeitenden Industrie nur noch Ruinen geblieben sind. Dass diese Vergangenheit aber nicht vergangen ist, zeigt sich schnell, nachdem der aus dem Elsass stammende Kommissar Buchmeyer, auch er ständig bedrängt von einem vorgesetzten Karrieristen, den Mord an einem Junkie-Mädchen zu untersuchen begonnen hat.
Buchmeyer ist ein Mann der Intuition, die ihm auch den scheinbaren Umweg in die achtziger Jahre weist, zu den Arbeitskämpfen und der damals mächtigen kommunistischen Gewerkschaft CGT. Die Kämpfer von damals sind inzwischen so mürbe und angezählt wie die ganze Region, und Grand arbeitet dieses Kapitel Wirtschafts- und Sozialgeschichte geschickt als Spannungselement in seinen Plot ein. Es hätte der Konstruktion allerdings noch besser getan, wenn Grand uns Leser nicht schon in einem längeren Prolog vieles von dem hätte wissen lassen, was der Kommissar erst herausfinden muss. Und eine Auflösung, die sich nur mit einem Identitätstausch bewerkstelligen lässt, ist selten zwingend.
Ironie gehört im deutschsprachigen Kriminalroman nicht zu den häufig und erst recht nicht zu den souverän verwandten Stilmitteln. Insofern fällt das Buch des Vorarlbergers Christian Mähr schon auf. Es hat auch einen eigenwilligen Titel - "Aber das Bild war noch da" (Verlag Wortreich, 312 S., geb., 19,90 [Euro]) -, und es hat keinen Kommissar oder andere Bedienstete des Staatsapparats. Ein mittelmäßiger Krimiautor spielt eine Rolle, ohne dass Mähr es mit der Selbstreferentialität übertriebe, ein an Selbstüberschätzung leidender und über seine Schlagkraft stolpernder Lokalpolitiker mit dem Namen Oswald Obwalter ist dabei, ein angemessen zwielichtiger, reicher Russe und natürlich auch der Maler, der ein Haus gemalt hat, im fotorealistischen Stil: jenes Bild, von dem der Titel spricht, das zwischenzeitlich auch mal weg ist und von dem einige sich einreden wollen, es liege ein Fluch auf ihm, der den jeweiligen Besitzer treffe.
Die Männer sind hier die weniger aktiven Kräfte, die Frauen entfalten deutlich mehr Energien, auch kriminelle: die Frau des Malers und die des Politikers, die Jugendliebe des Autors oder die Assistentin des Galeristen. Am Ende, das darf man verraten, steht das gemalte Haus im wirklichen Leben schief, und ein Auto ist in die Luft geflogen. Beides verschafft der Hypothese vom Fluch ein kurzes Comeback. Es hat auch Tote gegeben, aber nicht des Bildes wegen. Mähr bringt seine mitunter wie eine Scharade funktionierende Geschichte mit gut dosierter Boshaftigkeit zu Ende. Ein Heimatroman, der sich und uns alle Illusionen über diese Heimat erspart.
PETER KÖRTE
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