Schafe, und wie sie die Welt sehen: »Glennkill« ist warmherzig und witzig, spannend und ironisch, tiefsinnig und voller Überraschungen!
Eines Morgens liegt der Schäfer George Glenn leblos im irischen Gras, ein Spaten ragt aus seiner Brust. Die Schafe von George sind entsetzt: Wer kann den alten Schäfer umgebracht haben? Und warum? Miss Maple, das klügste Schaf der Herde, beginnt sich für den Fall zu interessieren. Glücklicherweise hat George den Schafen vorgelesen, und so trifft sie das kriminalistische Problem nicht ganz unvorbereitet. Trotz vieler Missverständnisse kommen sie der Menschenwelt mit ihrer Schafslogik nach und nach auf die Schliche und verfolgen unerbittlich die Spur des Täters. Zwischen Weide und Dorfkirche, Steilklippen und Schäferwagen warten ungeahnte Abenteuer auf Miss Maple und ihre Herde, bis es ihnen tatsächlich gelingt, Licht ins Dunkel zu bringen und den rätselhaften Tod ihres Schäfers aufzuklären ...
Das Aufsehen erregende Debüt einer jungen deutschen Autorin, eine der zauberhaftesten und ungewöhnlichsten Entdeckungen der letzten Jahre
Eines Morgens liegt der Schäfer George Glenn leblos im irischen Gras, ein Spaten ragt aus seiner Brust. Die Schafe von George sind entsetzt: Wer kann den alten Schäfer umgebracht haben? Und warum? Miss Maple, das klügste Schaf der Herde, beginnt sich für den Fall zu interessieren. Glücklicherweise hat George den Schafen vorgelesen, und so trifft sie das kriminalistische Problem nicht ganz unvorbereitet. Trotz vieler Missverständnisse kommen sie der Menschenwelt mit ihrer Schafslogik nach und nach auf die Schliche und verfolgen unerbittlich die Spur des Täters. Zwischen Weide und Dorfkirche, Steilklippen und Schäferwagen warten ungeahnte Abenteuer auf Miss Maple und ihre Herde, bis es ihnen tatsächlich gelingt, Licht ins Dunkel zu bringen und den rätselhaften Tod ihres Schäfers aufzuklären ...
Das Aufsehen erregende Debüt einer jungen deutschen Autorin, eine der zauberhaftesten und ungewöhnlichsten Entdeckungen der letzten Jahre
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.02.2006Spürsinn für Erfolg
Schafe haben Leonie Swann schlagartig erfolgreich gemacht. Ihr Krimi "Glennkill" gehorcht dennoch nicht dem Herdentrieb.
VON ANNA V. MÜNCHHAUSEN
Ausgerechnet Schafe? Tiere mit einem jahrhundertealten Imageproblem? Verachtet als einfältig, ängstlich, verfressen, auf das Herdenleben fixiert - was ihren Weidetrott dennoch nie zu stören schien. Seit einem halben Jahr ist damit endlich Schluß. Irgendwann muß die Vollversammlung wolleproduzierender Paarhufer beschlossen haben, eine gewisse Leonie Swann mit einer multimedialen Rehabilitation zu beauftragen. Eine ziemlich schlaue Idee, denn plötzlich stehen Schafe hervorragend da - in dieser Woche etwa auf Platz vier der Spiegel-Bestsellerliste.
Wie die Sache mit dem Schafskrimi "Glennkill" losging, hat Leonie Swann allerdings ein wenig anders in Erinnerung. Das Ganze liege nun auch schon fünf, sechs Jahre zurück, so genau kann sich die dreißigjährige Autorin nicht erinnern, "mit Zahlen bin ich nicht so gut". Auf einer Irlandreise war es, mit einer Freundin fuhr sie damals im Auto kreuz und quer über jene grüne Insel, die Literaten ja schon immer reizte. Da standen sie überall herum, diese Wollkommoden: hinter Steinwällen, auf fetten Weiden, auf Hügelkuppen, über den Klippen und manchmal auch mitten auf der Straße, wie um zu demonstrieren, daß Irland ihnen gehört. "Sie können sehr individuell aussehen und haben charaktervolle Gesichter", stellt die Wahl-Berlinerin fest. "Ich habe ihre Köpfe aus der Nähe betrachtet. Da wurde mir klar, daß das geheimnisvolle Wesen sind und daß Geschichten dahinterstecken könnten."
Von dieser Inspiration bis zum Erstling "Glennkill", dem Überraschungsbestseller dieser Saison, war es dann zwar noch ein weiter Weg. Jetzt aber ist die Rede davon, daß Schafe, jedenfalls wenn sie in Irland in einer paradiesischen Weidelandschaft hoch über dem Meer leben, intelligente, sorgfältige Ermittler sind. Und natürlich ist vor allem ihr ausgeprägter Geruchssinn kriminaltechnisch höchst ergiebig.
Der Erfolg bringt es mit sich, daß die Jungautorin nun häufig unterwegs ist, um sich in Buchhandlungen für ein Schäferstündchen mit Lesung einzustellen. An einem frostigen Februarabend hat es Swann in die sauerländische Kleinstadt Neheim verschlagen, in die helle, sehr aufgeräumte Mayersche Buchhandlung. Ein Lesetisch, eine Lampe, ein schwarzer Teppich auf dem Boden, der die Eingeweihten unter den etwa 25 Gästen spontan an das Fell des "Glennkill"-Widders Othello erinnert.
Ein Feuer flackert, kein echtes freilich, sondern ein auf den Monitor projiziertes. Damit das Gruseln gemütlich wird. Die erste, nie laut vernehmbare Frage bei einer Lesung lautet natürlich: Wie sieht sie aus, diese Autorin? Hübsch auf jeden Fall, schmale Züge, graue Augen, keine Schafsnase. Die Damen loben überdies den dunkelgrünen Militaria-Blazer und erörtern ausführlich die zwei Korkenzieherlocken, die Swanns Kurzhaarschnitt eine verspielte Note geben.
Die Vorleserin hat bereits Routine, steigt ohne lange Vorrede ins erste Kapitel ein, in dem es gleich in die vollen geht. "Gestern war er noch gesund", sagte Maud. Ihre Ohren zuckten nervös. "Das sagt gar nichts", entgegnete Sir Ritchfield, der älteste Widder der Herde, "er ist ja nicht an einer Krankheit gestorben. Spaten sind keine Krankheit." Der Spaten ragt übrigens aus dem leblosen Körper des Hirten George und stellt der Herde die Aufgabe, den Fall aufzuklären. Das seien sie George schuldig, und bald blökt der Schlachtruf "Gerechtigkeit" über die Wiese.
Zumindest während der ersten zwei Drittel des Buchs ist die Handlung so konstruiert, daß lesende Hilfskommissare sich nicht langweilen - vor allem dank Miss Maple, dem klügsten Schaf von Glennkill, das seine Spürnase in alles steckt, was zum Himmel stinkt. Und dank Mopple the Whale, einem Vielfraß mit ungewöhnlich gutem Gedächtnis. Nicht zu vergessen Othello, den schwarzen Widder, der der missionarischen Beth die Hölle heiß macht.
Das wäre so weit einfach nur nett und nicht weiter bemerkenswert, würde die Autorin nicht obendrein furchtlosen Umgang mit literarischen Versatzstücken betreiben. Man kann "Glennkill" als Krimi-Persiflage lesen, man kann sich aber auch ein Vergnügen daraus machen, die Anspielungen und ironischen Zitate zu entdecken. Die können aus der Theologie und der christlichen Metaphorik stammen, wenn die Herde "das Nase-Seele-Problem" erörtert oder Othello knirscht: "Ich bin verdammt froh, daß der Herr nicht mein Hirte ist." Dann wieder wird auf Werke aus der Literaturgeschichte angespielt wie "Die Farm der Tiere", "Sturmhöhe" von Emily Brontë oder auf Erzählungen von Edgar Allen Poe. Nebenbei bekommt die Kirche noch ihr Fett ab, und auch was Schafe von Menschen halten, ist nicht schmeichelhaft. Sie riechen unangenehm, sehr häufig beispielsweise nach Angst, und eine Seele haben sie angeblich auch nicht. "Sie besitzen keinen Geruchssinn und also auch keine Seele."
Wenn es um sie selbst, um die Geschichte hinter der Geschichte geht, spricht Leonie Swann schnell, mitunter fast atemlos, als wolle sie es rasch hinter sich bringen. Geschrieben hat sie das Buch größtenteils in Paris, wohin sie ihrem Freund folgte. Sie hatte sich Zeit genommen für ihre Promotion mit dem Thema "Tiere als Romancharaktere". Ganz sachte, dem Lustprinzip folgend, driftete sie weg von der Doktorarbeit hin zur Fiktion, stets gut beraten von ihrem Lebensgefährten, ebenfalls Literaturwissenschaftler, der über das Thema "Spannung" promoviert. "Wir haben einen ähnlichen Literaturgeschmack, er weiß, wie ein Plot aussehen muß, das hat mir sehr geholfen." In gewisser Weise sei das Ergebnis "ein Gemeinschaftsprojekt" gewesen.
Aber nur zu fabulieren, das wäre ihr wohl zu wenig, und dazu ist sie auch zu lange in der Literaturwissenschaft unterwegs gewesen. Der Roman war schon weit gediehen, als Sie sich beispielsweise mit einer Expertin, der Leiterin des "Leenane Sheep & Wool Centre", zusammensetzte, um zu erfahren, ob das Verhalten, das sie Schafen unterstellt, auch von einer gewissen Plausibilität sei. "Ich hatte Angst, daß sie sagen könnte, nein, das ist völlig absurd. Es war mir wichtig, daß es auch Schafe bleiben, daß sie nicht zu stark vermenschlicht werden." Auch ihr ausgeprägter Geruchssinn erwies sich als epische Hilfe. Wie ein Zimmer riecht, was ein Mensch gegessen hat, wo kürzlich eine Mandarine geschält wurde - solche Dinge registriert Leonie Swann: Sie steigen ihr in die Nase und vermischen sich im Stammhirn mit Erzähltalent. Angst riecht bitter-säuerlich, Tod riecht kalt, und besonders unangenehm riecht Ham, der Metzger.
"Ein tierisch gutes Buch" nannte es die Kritik und widerstand auch nicht der Versuchung, von einem "schafsinnigen" Erstling zu sprechen. Zudem macht sich die mitgelieferte Erfolgsstory natürlich gut: Wann gibt es schon Debütantinnen, deren Literaturagentin gleich etliche interessierte Verlage an der Hand hat, die sich um den Titel reißen? Auf der Buchmesse im vergangenen Oktober wurde Swann vielbestaunt herumgereicht: "Ach, das ist doch diese Kleine mit dem Schafskrimi. Sollen schon fünf ausländische Verlage gekauft haben." Mittlerweile sind es 16, darunter solche aus Rußland, Tschechien, Brasilien und Korea. "Die Auslandsangebote, das war ein richtiger Schock", behauptet sie. Inzwischen scheint der Schock überwunden. Die jüngsten Erfolgsmeldungen (verkaufte Auflage: 130 000) kommentiert sie mit Vorsicht. "Weitere Abschlüsse sind in Vorbereitung", triumphiert die Agentin, weniger zurückhaltend. Natürlich gebe es auch bereits etliche Anfragen in Sachen Filmrechte. Daß Leonie Swann dann selbst Miss Maple spielt, ist allerdings eher unwahrscheinlich. Ihr fehlen einfach der knochige Nasenrücken, die stämmigen, kurzen Beine, die schlackernden Ohren . . .
Nun gilt es vor allem, die Bodenhaftung nicht zu verlieren, sondern den Überraschungserfolg als etwas darzustellen, was das Leben der Autorin nicht völlig umgekrempelt hat. In überraschender Voraussicht hat Leonie Swann ihren Krimi unter Pseudonym geschrieben. "So kann man noch unterscheiden zwischen der Funktion als Autorin und dem privaten Leben. Ich halte es für sinnvoll, das zu trennen. Freunde und Leute, die mich besser kennen, wissen natürlich, was ich mache. Aber ich finde es angenehm, mich nicht immer als Autorin erklären zu müssen." Diese Art von Selbstwahrnehmung ist insofern erstaunlich, als ihr das Schreiben inzwischen durchaus zu einer Art Beruf und Leidenschaft geworden ist, die den Alltag bestimmt. "Manchmal ist es so, daß ich aufwache und genau weiß, ja, so muß es weitergehen im Text. Wo ist der Computer? Dann noch eine Tasse Tee, und es geht los." Das freut den Verlag, der ihren zweiten Roman kaum erwarten kann.
Leonie Swann weiß genau, daß ein Erfolg, wie er ihr in den Schoß fiel, nicht unbedingt den nächsten nach sich zieht; daß in solchen Fällen das zweite Buch immer das schwerste ist. Sie wird sich auf ihren Instinkt verlassen können, auf ihre Nase. Und die ist wirklich ausgezeichnet. Als die Kellnerin im Lokal versehentlich eine Tasse Ochsenschwanzsuppe bringt, wirft sie einen Blick darauf, wittert kurz, spricht weiter, um nach einigen Minuten die dampfende Brühe entschlossen von sich wegzuschieben: "Ich bin Vegetarierin." Lammkeule hätte sie nach der Arbeit an "Glenkill" ohnehin nicht mehr gegessen.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Schafe haben Leonie Swann schlagartig erfolgreich gemacht. Ihr Krimi "Glennkill" gehorcht dennoch nicht dem Herdentrieb.
VON ANNA V. MÜNCHHAUSEN
Ausgerechnet Schafe? Tiere mit einem jahrhundertealten Imageproblem? Verachtet als einfältig, ängstlich, verfressen, auf das Herdenleben fixiert - was ihren Weidetrott dennoch nie zu stören schien. Seit einem halben Jahr ist damit endlich Schluß. Irgendwann muß die Vollversammlung wolleproduzierender Paarhufer beschlossen haben, eine gewisse Leonie Swann mit einer multimedialen Rehabilitation zu beauftragen. Eine ziemlich schlaue Idee, denn plötzlich stehen Schafe hervorragend da - in dieser Woche etwa auf Platz vier der Spiegel-Bestsellerliste.
Wie die Sache mit dem Schafskrimi "Glennkill" losging, hat Leonie Swann allerdings ein wenig anders in Erinnerung. Das Ganze liege nun auch schon fünf, sechs Jahre zurück, so genau kann sich die dreißigjährige Autorin nicht erinnern, "mit Zahlen bin ich nicht so gut". Auf einer Irlandreise war es, mit einer Freundin fuhr sie damals im Auto kreuz und quer über jene grüne Insel, die Literaten ja schon immer reizte. Da standen sie überall herum, diese Wollkommoden: hinter Steinwällen, auf fetten Weiden, auf Hügelkuppen, über den Klippen und manchmal auch mitten auf der Straße, wie um zu demonstrieren, daß Irland ihnen gehört. "Sie können sehr individuell aussehen und haben charaktervolle Gesichter", stellt die Wahl-Berlinerin fest. "Ich habe ihre Köpfe aus der Nähe betrachtet. Da wurde mir klar, daß das geheimnisvolle Wesen sind und daß Geschichten dahinterstecken könnten."
Von dieser Inspiration bis zum Erstling "Glennkill", dem Überraschungsbestseller dieser Saison, war es dann zwar noch ein weiter Weg. Jetzt aber ist die Rede davon, daß Schafe, jedenfalls wenn sie in Irland in einer paradiesischen Weidelandschaft hoch über dem Meer leben, intelligente, sorgfältige Ermittler sind. Und natürlich ist vor allem ihr ausgeprägter Geruchssinn kriminaltechnisch höchst ergiebig.
Der Erfolg bringt es mit sich, daß die Jungautorin nun häufig unterwegs ist, um sich in Buchhandlungen für ein Schäferstündchen mit Lesung einzustellen. An einem frostigen Februarabend hat es Swann in die sauerländische Kleinstadt Neheim verschlagen, in die helle, sehr aufgeräumte Mayersche Buchhandlung. Ein Lesetisch, eine Lampe, ein schwarzer Teppich auf dem Boden, der die Eingeweihten unter den etwa 25 Gästen spontan an das Fell des "Glennkill"-Widders Othello erinnert.
Ein Feuer flackert, kein echtes freilich, sondern ein auf den Monitor projiziertes. Damit das Gruseln gemütlich wird. Die erste, nie laut vernehmbare Frage bei einer Lesung lautet natürlich: Wie sieht sie aus, diese Autorin? Hübsch auf jeden Fall, schmale Züge, graue Augen, keine Schafsnase. Die Damen loben überdies den dunkelgrünen Militaria-Blazer und erörtern ausführlich die zwei Korkenzieherlocken, die Swanns Kurzhaarschnitt eine verspielte Note geben.
Die Vorleserin hat bereits Routine, steigt ohne lange Vorrede ins erste Kapitel ein, in dem es gleich in die vollen geht. "Gestern war er noch gesund", sagte Maud. Ihre Ohren zuckten nervös. "Das sagt gar nichts", entgegnete Sir Ritchfield, der älteste Widder der Herde, "er ist ja nicht an einer Krankheit gestorben. Spaten sind keine Krankheit." Der Spaten ragt übrigens aus dem leblosen Körper des Hirten George und stellt der Herde die Aufgabe, den Fall aufzuklären. Das seien sie George schuldig, und bald blökt der Schlachtruf "Gerechtigkeit" über die Wiese.
Zumindest während der ersten zwei Drittel des Buchs ist die Handlung so konstruiert, daß lesende Hilfskommissare sich nicht langweilen - vor allem dank Miss Maple, dem klügsten Schaf von Glennkill, das seine Spürnase in alles steckt, was zum Himmel stinkt. Und dank Mopple the Whale, einem Vielfraß mit ungewöhnlich gutem Gedächtnis. Nicht zu vergessen Othello, den schwarzen Widder, der der missionarischen Beth die Hölle heiß macht.
Das wäre so weit einfach nur nett und nicht weiter bemerkenswert, würde die Autorin nicht obendrein furchtlosen Umgang mit literarischen Versatzstücken betreiben. Man kann "Glennkill" als Krimi-Persiflage lesen, man kann sich aber auch ein Vergnügen daraus machen, die Anspielungen und ironischen Zitate zu entdecken. Die können aus der Theologie und der christlichen Metaphorik stammen, wenn die Herde "das Nase-Seele-Problem" erörtert oder Othello knirscht: "Ich bin verdammt froh, daß der Herr nicht mein Hirte ist." Dann wieder wird auf Werke aus der Literaturgeschichte angespielt wie "Die Farm der Tiere", "Sturmhöhe" von Emily Brontë oder auf Erzählungen von Edgar Allen Poe. Nebenbei bekommt die Kirche noch ihr Fett ab, und auch was Schafe von Menschen halten, ist nicht schmeichelhaft. Sie riechen unangenehm, sehr häufig beispielsweise nach Angst, und eine Seele haben sie angeblich auch nicht. "Sie besitzen keinen Geruchssinn und also auch keine Seele."
Wenn es um sie selbst, um die Geschichte hinter der Geschichte geht, spricht Leonie Swann schnell, mitunter fast atemlos, als wolle sie es rasch hinter sich bringen. Geschrieben hat sie das Buch größtenteils in Paris, wohin sie ihrem Freund folgte. Sie hatte sich Zeit genommen für ihre Promotion mit dem Thema "Tiere als Romancharaktere". Ganz sachte, dem Lustprinzip folgend, driftete sie weg von der Doktorarbeit hin zur Fiktion, stets gut beraten von ihrem Lebensgefährten, ebenfalls Literaturwissenschaftler, der über das Thema "Spannung" promoviert. "Wir haben einen ähnlichen Literaturgeschmack, er weiß, wie ein Plot aussehen muß, das hat mir sehr geholfen." In gewisser Weise sei das Ergebnis "ein Gemeinschaftsprojekt" gewesen.
Aber nur zu fabulieren, das wäre ihr wohl zu wenig, und dazu ist sie auch zu lange in der Literaturwissenschaft unterwegs gewesen. Der Roman war schon weit gediehen, als Sie sich beispielsweise mit einer Expertin, der Leiterin des "Leenane Sheep & Wool Centre", zusammensetzte, um zu erfahren, ob das Verhalten, das sie Schafen unterstellt, auch von einer gewissen Plausibilität sei. "Ich hatte Angst, daß sie sagen könnte, nein, das ist völlig absurd. Es war mir wichtig, daß es auch Schafe bleiben, daß sie nicht zu stark vermenschlicht werden." Auch ihr ausgeprägter Geruchssinn erwies sich als epische Hilfe. Wie ein Zimmer riecht, was ein Mensch gegessen hat, wo kürzlich eine Mandarine geschält wurde - solche Dinge registriert Leonie Swann: Sie steigen ihr in die Nase und vermischen sich im Stammhirn mit Erzähltalent. Angst riecht bitter-säuerlich, Tod riecht kalt, und besonders unangenehm riecht Ham, der Metzger.
"Ein tierisch gutes Buch" nannte es die Kritik und widerstand auch nicht der Versuchung, von einem "schafsinnigen" Erstling zu sprechen. Zudem macht sich die mitgelieferte Erfolgsstory natürlich gut: Wann gibt es schon Debütantinnen, deren Literaturagentin gleich etliche interessierte Verlage an der Hand hat, die sich um den Titel reißen? Auf der Buchmesse im vergangenen Oktober wurde Swann vielbestaunt herumgereicht: "Ach, das ist doch diese Kleine mit dem Schafskrimi. Sollen schon fünf ausländische Verlage gekauft haben." Mittlerweile sind es 16, darunter solche aus Rußland, Tschechien, Brasilien und Korea. "Die Auslandsangebote, das war ein richtiger Schock", behauptet sie. Inzwischen scheint der Schock überwunden. Die jüngsten Erfolgsmeldungen (verkaufte Auflage: 130 000) kommentiert sie mit Vorsicht. "Weitere Abschlüsse sind in Vorbereitung", triumphiert die Agentin, weniger zurückhaltend. Natürlich gebe es auch bereits etliche Anfragen in Sachen Filmrechte. Daß Leonie Swann dann selbst Miss Maple spielt, ist allerdings eher unwahrscheinlich. Ihr fehlen einfach der knochige Nasenrücken, die stämmigen, kurzen Beine, die schlackernden Ohren . . .
Nun gilt es vor allem, die Bodenhaftung nicht zu verlieren, sondern den Überraschungserfolg als etwas darzustellen, was das Leben der Autorin nicht völlig umgekrempelt hat. In überraschender Voraussicht hat Leonie Swann ihren Krimi unter Pseudonym geschrieben. "So kann man noch unterscheiden zwischen der Funktion als Autorin und dem privaten Leben. Ich halte es für sinnvoll, das zu trennen. Freunde und Leute, die mich besser kennen, wissen natürlich, was ich mache. Aber ich finde es angenehm, mich nicht immer als Autorin erklären zu müssen." Diese Art von Selbstwahrnehmung ist insofern erstaunlich, als ihr das Schreiben inzwischen durchaus zu einer Art Beruf und Leidenschaft geworden ist, die den Alltag bestimmt. "Manchmal ist es so, daß ich aufwache und genau weiß, ja, so muß es weitergehen im Text. Wo ist der Computer? Dann noch eine Tasse Tee, und es geht los." Das freut den Verlag, der ihren zweiten Roman kaum erwarten kann.
Leonie Swann weiß genau, daß ein Erfolg, wie er ihr in den Schoß fiel, nicht unbedingt den nächsten nach sich zieht; daß in solchen Fällen das zweite Buch immer das schwerste ist. Sie wird sich auf ihren Instinkt verlassen können, auf ihre Nase. Und die ist wirklich ausgezeichnet. Als die Kellnerin im Lokal versehentlich eine Tasse Ochsenschwanzsuppe bringt, wirft sie einen Blick darauf, wittert kurz, spricht weiter, um nach einigen Minuten die dampfende Brühe entschlossen von sich wegzuschieben: "Ich bin Vegetarierin." Lammkeule hätte sie nach der Arbeit an "Glenkill" ohnehin nicht mehr gegessen.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main