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Pettycoat und Nyltesthemden, Musiktruhe, Eierlikör auf Nierentischen, Bambi, Sissy und Soraya, Konrad Adenauer und Wiederaufbau - Hellmuth Karasek entwirft in Geschichten, persönlichen Erinnerungen und historischen Beschreibungen ein Doppelporträt der fünfziger Jahre: sein eigenes und das der "biedermeierlichen" Wirtschaftswunderzeit. Karaseks Lesung wird musikalisch umrahmt mit Passagen aus "Ein Amerikaner in Paris" von George Gershwin und Liedern der 50er Jahre.

Produktbeschreibung
Pettycoat und Nyltesthemden, Musiktruhe, Eierlikör auf Nierentischen, Bambi, Sissy und Soraya, Konrad Adenauer und Wiederaufbau - Hellmuth Karasek entwirft in Geschichten, persönlichen Erinnerungen und historischen Beschreibungen ein Doppelporträt der fünfziger Jahre: sein eigenes und das der "biedermeierlichen" Wirtschaftswunderzeit. Karaseks Lesung wird musikalisch umrahmt mit Passagen aus "Ein Amerikaner in Paris" von George Gershwin und Liedern der 50er Jahre.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.08.1996

Aber Frau Wirtin!
Gut geschmiert: Hellmuth Karasek besichtigt die fünfziger Jahre

Hellmuth Karasek, Literatur-, Theater-und Film-Kritiker, Fernseh-Unterhalter und Verfasser von Boulevardstücken, hat nach einer kleinen Brecht- und einer nacherzählten Billy-Wilder- nun die Biographie einer ganzen Epoche geschrieben. Deren Titel "Go West!" ist Programm: des ehemaligen "Republikflüchtlings" Karasek ebenso wie des von ihm ins Visier genommenen Jahrzehnts der fünfziger Jahre. In ihm wurden die Deutschen, da ihnen der Osten durch den Eisernen Vorhang ideologisch und faktisch versperrt war, mit Amerika und Frankreich ausgesöhnt, und zwar von einem Kanzler, der dieser Epoche den Namen gegeben hat: "Adenauerzeit".

Der Patriarch Adenauer beherrschte diese Zeit und prägte ihren Charakter: autoritätsorientiert, klerikal, pragmatisch nach vorn, wenig zweifelnd zurückblickend. Das Ende des Dritten Reichs - damals als Zusammenbruch, nicht als Befreiung erfahren - lag hinter den Deutschen, die Ideologie des Nullpunkts machte sie nicht frei von Schuld, aber in der Hektik des Wiederaufbaus frei von deren Bewußtsein; überall war Anfang: "Man spielte Phönix aus der Asche." (Karasek)

Ein lohnendes Thema in einer Zeit, da überall Ende gespielt wird, obgleich das Ende von BRD und DDR eigentlich ein Anfang ist. Ein nostalgisches Thema, ein Thema für Bestseller.

Karasek schreibt bekanntlich mit leichter Hand, oft witzig, immer griffig. Nur ist er, das belegt dieses Buch, ein typischer Kurzstreckenschreiber: auf 350 Seiten bringt er 49 knappe Kapitel unter, jedes hat ein anderes Thema. Da zerbröselt ihm die ganze Epoche unter der Schreibhand, die allzu flink über die Tasten huscht. Das produziert neben flotten Sprüchen Schnellgänge durch die Geschichte: "Jedenfalls vergingen nur vier Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation - und auf deutschem Boden waren zwei Staaten entstanden, der eine unter amerikanischer, der andere unter sowjetischer Obhut, die gleichzeitig den entschlossen feindseligen Lagern des Kalten Krieges angehörten." Neben solchen Kurzlehrgängen aus der Klippschule nähert sich Karasek seinem Thema verhalten persönlich, zum Beispiel mit der Formel: "Wenn ich an die fünfziger Jahre denke, sehe ich . . ." Danach kann er abrufen, was ihm zum Thema einfällt: Vier bis zehn Blatt sind bald gefüllt, und schon wieder ist ein Kapitelchen fertig. Nur entsteht so kein Netzwerk, in dem sich die Epoche fängt.

Ein wesentliches Mittel, Mentalität und Zeitgeist an den Leser zu bringen, sind Witze: "Lassen wir Spekulationen darüber und erzählen statt dessen einen Witz jener Jahre . . ." Und (nur) deutsche Schlager "jener Jahre", die er gern im Volltext bietet: "Du bist die Rose, die Rose vom Wörthersee, / Hadi hadi hadi hö o hö..."

Andererseits aber erzählt er mit großer Begeisterung und Zustimmung amerikanische Filme nach, die damals in der Bundesrepublik gespielt wurden. Doch diese Filmbilder liefern bloß die Kulissen einer tatsächlich undurchschauten, in diesem Buch jedenfalls nicht durchleuchteten, sondern nur angestrahlten Wirklichkeit. So muß für die Beleuchtung eines Aspekts der damaligen deutschen Wirklichkeit (seelchenbetont, körperlos, bigott) denn auch eine amerikanische Schauspielerin herhalten - und wie: "einen Körper hat Audrey Hepburn in diesem Film (,Ariane') . . . nicht. Eine Seele, ja, eine Seele, die ihr ins Gesicht geschrieben ist. Aber einen Busen? Nein, ausgeschlossen. Hoch bis zum Hals ist sie immer geschlossen . . . Kein Mensch, kein Mann schaut nach ihren Beinen, kein Seemann pfeift ihr nach. Die Instinkte, die sie erweckt, sind Beschützerinstinkte. Obwohl ich es nicht weiß, kann ich sie mir beim besten Willen nicht im Spind von Landsern oder Lastwagenfahrern vorstellen. Nein, sie war keine Wichsvorlage, igitt, das ganz gewiß nicht."

Wichtigstes Schmiermittel dieses "Biographie" genannten Aufzählwerks sind die nahezu akribisch versammelten, wie aus dem Zeitschriftenarchiv zusammengeklaubten Klischees "jener Jahre". Mit ihnen geht Karasek ziemlich affirmativ um - in ihnen will er den Zeitgeschmack aufrufen, ohne ihn selbst darstellen zu müssen. Und so schreibt er bei der Zeit ab, statt sie zu beschreiben. Keine Spur von analytischem Unterfutter, das einen witzigen und erhellenden Essayismus speiste. Da wird kräftig mit Vorurteilen und Meinungen gehandelt, die mit Plakaten, Sprüchen und Bildern aus der damaligen naiven Werbung illustriert werden, und wenn es schnell gehen soll, reicht ihm die Aufzählung von Titeln, die angeblich die Zeit bedeuteten. Literatur kommt kaum vor.

Die seltenen Textstellen, in denen ein wenig nachgedacht wird über die darin biographierte Zeit, stehen bei Karasek immer in Anführungszeichen - mit Recht, denn es sind Zitate: aus Sebastian Haffners "Anmerkungen zu Hitler", Jungwirths und Kromschröders "Pubertät der Republik", Wolfgang Koeppens 1953 (nicht, wie Karasek schreibt, 1959) erschienenem Roman "Das Treibhaus", Hans Peter Schwarz' "Die Ära Adenauer" und Monika Marons "Animal triste".

Und seitenweise zitiert Karasek aus Nabokovs Roman "Lolita". Darin wird jenes Thema angestimmt, in dem Karasek schwelgt. Es zieht sich durch das ganze Buch, bildet gleichsam seinen Subtext - von Wirtinnenversen übers Wirtinnenverhalten bei Damenbesuch über die Nitribitt-Affäre, den "Atombusen" der Mansfield und Knefs "Sünderin" bis zum skandalträchtigen Vera-Brühne-Prozeß. Die doppelte Moral dieser Zeit mit ihrer verklemmten Erotik und unterdrückten Sexualität ist ein ebenso beliebtes wie abgegriffenes Thema, wenn sich die in den fünfziger Jahren Pubertierenden, die sich in den späten Sechzigern befreiten, heute über jene Jahre unterhalten. Und so liest es sich bei Karasek, auch hier begleitet von Witzen, und immer ein wenig verschwitzt wie seinerzeit die Nyltest-Hemden, die bei Karasek natürlich auch nicht fehlen.

Immer wieder taucht in diesem amorphen, vom Hölzchen aufs Stöckchen erzählten Buch der Verfasser mit seiner eigenen Lebensgeschichte auf: laut Karasek Napola im Dritten Reich, Abitur in der SBZ und DDR, Studium, Promotion, Dramaturg in Stuttgart. Aber diese Autobiographie, die die Erlebnisfolie einer wirklichen Biographie der fünfziger Jahre hätte abgeben können, wirkt mausetot; denn sie wird nicht riskiert, sondern erstickt unter den ab- und ausgeschriebenen Klischees dieser Zeit. Das Problem nur ist: Diese Klischees stecken in Karaseks Kopf und überwuchern jeden subjektiven Impuls.

In diesem Buch spiegelt sich deshalb auch, wie Karasek durch seine Zeit gegangen ist. Man kann eben, gerade als Kritiker, nicht immer nur mit Witzen über differenzierte Zusammenhänge hinwegformulieren, und die Äußerung von kessen Meinungen ersetzt die Artikulation von gediegenen Urteilen aufgrund von Faktum und Erkenntnis nicht. Insofern führt in diesem Buch auch der Kritiker Karasek seine Methode vor. Und die Widmung, die er seinem Buch voranstellt ("Für Billy Wilder, bei dem ich, spät, meine beste Schule durchlief"), empfindet man nach seiner Lektüre kaum mehr als Kompliment. HEINZ LUDWIG ARNOLD

Hellmuth Karasek: "Go West!". Eine Biographie der fünfziger Jahre. Hoffmann und Campe, Hamburg 1996. 351 Seiten, geb., 44,- DM.

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