Die Welt der kleinen Dinge, die Natur, das Leben der Tiere, Spiel und Scherz - all das findet sich bei Josef Guggenmos - und in dieser außergewöhnlichen Sammlung seiner schönsten Gedichte. Der stille Beobachter Josef Guggenmos erzählt uns in seinen wundervollen Gedichten von der Natur mit ihren Jahreszeiten, von Pflanzen, großen, kleinen und kleinsten Tieren. Er liebte das Unscheinbare, das im Rhythmus seiner berühmten Verse spielerisch zur Geltung kommt. Der Schauspieler Ilja Richter - mit seinem großen Faible für Lyrik - liest die oft komischen und nachdenklichen Verse mit hörbarem Vergnügen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.2006Jetzt kommt er in Fahrt, der Mann mit Bart
Grazil und anarchisch: Die Gedichte des Josef Guggenmos
Man muß nur wollen: "Es liegt ein Schatz vergraben./ Den Schatz, den wollen wir haben", hebt das Gedicht an. Dann geht es rastlos weiter: Der Schatz wird gefunden, geborgen, man treibt sogar die verschiedenen Schlüssel für die rostigen Schlösser auf ("Der erste liegt in Mexiko,/ der zweite Schlüssel irgendwo./ Der dritte liegt im tiefsten Meer"), und schließlich ist man ganz dicht dran: "Wir aber heben den Deckel. So!/ Und schauen in die Kiste. - Oooh!"
Was darin ist, werden wir also genausowenig erfahren wie den Inhalt des Kästchens, das Wilhelm Meister in den "Wanderjahren" mit sich führt und schließlich öffnet. Aber während Goethes gereifter Held das alles nicht weiter kommentiert, schließt das Schatzsuchergedicht des Josef Guggenmos mit einem vieldeutigen "Oooh!", das maßloses Staunen ebenso ausdrücken mag wie große Enttäuschung, jedenfalls die ganze Anteilnahme des Finders: Was immer er in der Kiste antrifft, er ist ganz dabei.
Das ist ein Kennzeichen der Gedichte, die Guggenmos' langjähriger Weggefährte Hans-Joachim Gelberg jetzt aus dem veröffentlichten Werk und dem Nachlaß des vor drei Jahren gestorbenen Autors ausgewählt hat. Die Texte - großartige Naturgedichte finden sich darunter, Possen und Schnurren, Rätsel und völlig ernsthafte Betrachtungen auch - gehen aufs Ganze, sie machen dort weiter, wo andere es im Ungefähren belassen, und es ist ein mittleres Wunder, mit welcher Leichtigkeit Guggenmos diese lyrische Unbedingtheit glückt.
Denn immer wieder, schaut man genauer hin, ergreift einen ein Schwindel: Die Endlosigkeit des verschachtelten "Es gingen drei Kinder durch den Wald", die gewollte Unbeholfenheit in "Ich wünsche mir einen Stift", wo es um das ideale, ganz autonome Schreibgerät geht, eine Literaturfabrikationsmaschine, die in besonders holprigen Zeilen herbeigesehnt wird, der lange Aufstieg schließlich in "Aha!", der das Treppenhaus eines Wolkenkratzers ins gargantueske Unendliche dehnt: "Es war mal ein Hochhaus. Das war so hoch,/ ich sag dir gleich wie./ Der Lift war kaputt. Ein Herr ging zu Fuß./ Als er droben ankam,/ hatte er einen Bart bis ans Knie./ Da stand er, ein bißchen Mann und viel Bart./ Und sagte: ,Aha! Jetzt kommt er wieder in Fahrt!'"
Wie viele Gedichte von Guggenmos muß man "Aha!" laut lesen, um das Metrum als eingeschriebenen Kommentar zu verstehen, das Luftschöpfen nach den Worten "droben ankam", das die Erschöpfung des Steigenden so geglückt abbildet wie die letzten beiden Zeilen den wiederanlaufenden Fahrstuhl und dessen ganze Sinnlosigkeit aus der Perspektive des Bärtigen.
Daß man es bei Guggenmos mit einem großen Menschenfreund zu tun hat, teilt sich mit, und gleichzeitig ist bei aller Zugänglichkeit der Gedichte in jedem von ihnen eine Reserviertheit zu spüren, ein unerklärbarer Rest, der der Freude am Wortspiel geschuldet ist oder dem großen Vermögen des Autors, krumme Wege zu gehen: Schwungvoll und anarchisch nimmt das seinen Lauf, und oft hat das Ende vom Lied die Anfangsmelodie völlig vergessen. "Sie tat es!" heißt etwa ein besonders hübscher Fünfzeiler, der diese Wendung auf engem Raum und mit großer Musikalität vollbringt: "Susanne, ein Mädchen in Genf,/ verzierte den Kuchen mit Senf/ sowie mit dem Rest des Spinates./ Ja, tut man das? Doch sie tat es./ Sie tat es! Sie tat es! Sie tat es!"
Wer so grazil die Backen aufblasen kann im Gedicht, wer über Versfüße auf das eleganteste verfügt und sich ebenso frei über sie hinwegzusetzen weiß, der hat auch eine so großzügig gestaltete Werkauswahl wie diesen Band verdient. Sie enthält vieles von dem, wofür man diesen ungemein freien Geist schätzen wird, sie hält sich eher an die Miniaturen, vergißt aber darüber nicht die federleichten Liebesgedichte und gereimten Briefe, die so gar nichts von der Betulichkeit haben, die dieser lyrischen Untergattung sonst unweigerlich anhaftet. Guggenmos aber formt daraus die zierlichsten Vertraulichkeiten, die man sich denken kann.
TILMAN SPRECKELSEN
Josef Guggenmos: "Groß ist die Welt". Die schönsten Gedichte. Auswahl und Nachwort von Hans-Joachim Gelberg. Mit Bildern von Sabine Friedrichson. Verlag Beltz & Gelberg, Weinheim 2006. 208 S., geb., 24,90 [Euro]. Ab 6 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Grazil und anarchisch: Die Gedichte des Josef Guggenmos
Man muß nur wollen: "Es liegt ein Schatz vergraben./ Den Schatz, den wollen wir haben", hebt das Gedicht an. Dann geht es rastlos weiter: Der Schatz wird gefunden, geborgen, man treibt sogar die verschiedenen Schlüssel für die rostigen Schlösser auf ("Der erste liegt in Mexiko,/ der zweite Schlüssel irgendwo./ Der dritte liegt im tiefsten Meer"), und schließlich ist man ganz dicht dran: "Wir aber heben den Deckel. So!/ Und schauen in die Kiste. - Oooh!"
Was darin ist, werden wir also genausowenig erfahren wie den Inhalt des Kästchens, das Wilhelm Meister in den "Wanderjahren" mit sich führt und schließlich öffnet. Aber während Goethes gereifter Held das alles nicht weiter kommentiert, schließt das Schatzsuchergedicht des Josef Guggenmos mit einem vieldeutigen "Oooh!", das maßloses Staunen ebenso ausdrücken mag wie große Enttäuschung, jedenfalls die ganze Anteilnahme des Finders: Was immer er in der Kiste antrifft, er ist ganz dabei.
Das ist ein Kennzeichen der Gedichte, die Guggenmos' langjähriger Weggefährte Hans-Joachim Gelberg jetzt aus dem veröffentlichten Werk und dem Nachlaß des vor drei Jahren gestorbenen Autors ausgewählt hat. Die Texte - großartige Naturgedichte finden sich darunter, Possen und Schnurren, Rätsel und völlig ernsthafte Betrachtungen auch - gehen aufs Ganze, sie machen dort weiter, wo andere es im Ungefähren belassen, und es ist ein mittleres Wunder, mit welcher Leichtigkeit Guggenmos diese lyrische Unbedingtheit glückt.
Denn immer wieder, schaut man genauer hin, ergreift einen ein Schwindel: Die Endlosigkeit des verschachtelten "Es gingen drei Kinder durch den Wald", die gewollte Unbeholfenheit in "Ich wünsche mir einen Stift", wo es um das ideale, ganz autonome Schreibgerät geht, eine Literaturfabrikationsmaschine, die in besonders holprigen Zeilen herbeigesehnt wird, der lange Aufstieg schließlich in "Aha!", der das Treppenhaus eines Wolkenkratzers ins gargantueske Unendliche dehnt: "Es war mal ein Hochhaus. Das war so hoch,/ ich sag dir gleich wie./ Der Lift war kaputt. Ein Herr ging zu Fuß./ Als er droben ankam,/ hatte er einen Bart bis ans Knie./ Da stand er, ein bißchen Mann und viel Bart./ Und sagte: ,Aha! Jetzt kommt er wieder in Fahrt!'"
Wie viele Gedichte von Guggenmos muß man "Aha!" laut lesen, um das Metrum als eingeschriebenen Kommentar zu verstehen, das Luftschöpfen nach den Worten "droben ankam", das die Erschöpfung des Steigenden so geglückt abbildet wie die letzten beiden Zeilen den wiederanlaufenden Fahrstuhl und dessen ganze Sinnlosigkeit aus der Perspektive des Bärtigen.
Daß man es bei Guggenmos mit einem großen Menschenfreund zu tun hat, teilt sich mit, und gleichzeitig ist bei aller Zugänglichkeit der Gedichte in jedem von ihnen eine Reserviertheit zu spüren, ein unerklärbarer Rest, der der Freude am Wortspiel geschuldet ist oder dem großen Vermögen des Autors, krumme Wege zu gehen: Schwungvoll und anarchisch nimmt das seinen Lauf, und oft hat das Ende vom Lied die Anfangsmelodie völlig vergessen. "Sie tat es!" heißt etwa ein besonders hübscher Fünfzeiler, der diese Wendung auf engem Raum und mit großer Musikalität vollbringt: "Susanne, ein Mädchen in Genf,/ verzierte den Kuchen mit Senf/ sowie mit dem Rest des Spinates./ Ja, tut man das? Doch sie tat es./ Sie tat es! Sie tat es! Sie tat es!"
Wer so grazil die Backen aufblasen kann im Gedicht, wer über Versfüße auf das eleganteste verfügt und sich ebenso frei über sie hinwegzusetzen weiß, der hat auch eine so großzügig gestaltete Werkauswahl wie diesen Band verdient. Sie enthält vieles von dem, wofür man diesen ungemein freien Geist schätzen wird, sie hält sich eher an die Miniaturen, vergißt aber darüber nicht die federleichten Liebesgedichte und gereimten Briefe, die so gar nichts von der Betulichkeit haben, die dieser lyrischen Untergattung sonst unweigerlich anhaftet. Guggenmos aber formt daraus die zierlichsten Vertraulichkeiten, die man sich denken kann.
TILMAN SPRECKELSEN
Josef Guggenmos: "Groß ist die Welt". Die schönsten Gedichte. Auswahl und Nachwort von Hans-Joachim Gelberg. Mit Bildern von Sabine Friedrichson. Verlag Beltz & Gelberg, Weinheim 2006. 208 S., geb., 24,90 [Euro]. Ab 6 J.
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"Selten haben Sprecher und zu Sprechendes besser zusammen gepasst - ein super Einstieg für Kinder in das Reich der Lyrik." Main-Echo