Harry Potter hat sich bisher für einen ganz normalen Jungen gehalten. Er hat sich getäuscht! Er ist ein Hexer, einer in den die Zauberer und Hexen große Hoffnungen setzen. Er muß die Zauberei von der Pike auf lernen, viele Abenteuer bestehen und er gewinnt vor allem gute Freunde. So ganz nebenbei rettet er die Welt der guten Zauberer und Hexen vor dem Untergang, aber das ist fast schon selbstverständlich.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.12.1998Abfahrt auf Gleis neundreiviertel
In der ganz normalen Anderswelt: Die phantastischen Abenteuer des Harry Potter
Menschen, die so viel Wert darauf legen, normal zu sein, wie die Familie Dursley im Ligusterweg 4, wecken Verdacht. Ihr sorgfältig gehütetes Geheimnis allerdings scheint ebenfalls ganz normal zu sein - da gibt es irgendwo schräge Verwandte, von denen sie nichts wissen wollen. Schon auf der zweiten Seite aber begegnet der nüchterne Geschäftsmann Dursley einer Katze, die einen Stadtplan studiert. In der Nacht darauf wird unter phantastischen Umständen ein schlafendes kleines Kind vor Dursleys Haustür gelegt, ihr Neffe. Wir erfahren, daß er gerade seine Eltern im Kampf mit einer abgründig bösen Macht verloren hat und selbst auf wunderbare Weise gerettet wurde - ein Kind, dessen Überleben in einer merkwürdigen Subkultur große Freude erregt, ein Kind mit der Aura des Befreiers und Erlösers. Das erste Kapitel dieses Buchs steckt voller Überraschungen, die mit einem erzählerischen Lakonismus inszeniert sind, der das Wunderbare so selbstverständlich erscheinen läßt wie den Alltag.
Zehn Jahre lebt der kleine Harry Potter im verborgenen. Die Dursleys lassen ihn täglich spüren, wie unerwünscht er ist. Aber so wie ihre Bosheit an ihm abgleitet und er trotzdem ein aufgeweckter und liebenswerter Junge wird, so können sie auch nicht verhindern, daß an seinem elften Geburtstag seine Herkunft enthüllt wird. Als Kind eines berühmten Zauberer-Paars wird er in die phantastische Welt gerufen, in die er gehört: Zu seiner Verblüffung erhält Harry eine Einladung, nach den Sommerferien ins Zauberer-Internat einzutreten. Für die Übergänge zwischen Realität und Anderswelt liegen in der phantastischen Literatur einige Muster bereit - Joanne Rowling gelingt es auch hier zu überraschen. Der Zug, der Harry ins Internat bringen soll, geht um elf Uhr von King's Cross. Da steht er nun allein mit einem viel zu schweren Koffer und fragt sich, wie er auf das nicht vorhandene Gleis neundreiviertel kommen soll, das in seinen Reiseunterlagen angegeben ist.
Bis zu Harrys Abreise ist die Realität das vertraute Gewebe, von dem sich die Zeichen und Boten der Zauberwelt als fremde Fäden abheben. Danach kehrt die Autorin das Prinzip um - von nun an erweist sich die Anderswelt als Wunderspiegel, in dem das Vertraute kenntlich wird. War nicht Harrys Leben bei den Dursleys, die ihn in einen Schrank unter der Treppe verbannten und ständig zugunsten ihres eigenen verzogenen Jungen zurücksetzten und piesackten, viel verrückter als das, was er in der Schule erlebt? Hier, wie überall, schüchtern kräftige Jungen die Schwächeren ein, begegnen ihm täppische und freche, ängstliche und vorwitzige, freundliche und verschlagene Kinder. Es gibt unbeliebte belegte Brote und ein attraktives Angebot an Süßigkeiten. Es gibt Kinder, die mit ihrem Reichtum protzen und andere, die sich genieren, weil sie die abgelegte Kleidung ihrer Geschwister auftragen müssen. Die Zauberwelt, die sich da mitten im modernen England vor unseren Augen öffnet, ist mit Zauberstäben und Flugbesen ausgestattet, der Stundenplan weist statt Chemie Zaubertränke aus, und im Geschichtsunterricht werden die Jahreszahlen wichtiger Zauberwettkämpfe auswendig gelernt. Aber auch hier sind ungerechte Lehrer, die Kinder schikanieren, Achtung gebietende Lehrer und unbeholfene, die lächerlich wirken. Die Schule bestätigt auf phantastische Weise alles, was man seit Enid Blyton über englische Internate weiß: Rituale, nächtliche Abenteuer in dunklen Korridoren, Strafen, Feindschaften und Freundschaften, den regelgeleiteten Tugendkanon. Hauptattraktion ist ein Sportspiel, in dem Zauberkräfte agieren, das aber auch Geschicklichkeit und Übung erfordert. Der begabte, dabei bescheidene Harry Potter muß sich gegen Neider zur Wehr setzen und findet doch ein Trio guter Freunde, die mit ihm den gefährlichen Geheimnissen seiner Lebensgeschichte nachspüren.
Das Kind als Erlöser setzt ein ihm unterlegenes Böses voraus. Der dunkle Bedroher der Zauberwelt ist durch den kleinen Harry zwar schwer geschlagen, aber nicht vernichtet worden. So muß der Elfjährige den Kampf noch einmal durchstehen, jetzt in vollem Bewußtsein der Gefahr, mit seinen Freunden als treuen Helfern. Joanne Rowling folgt der Tradition der phantastischen Literatur und rückt den Wettstreit zwischen dem scheinbar übermächtigen Bösen und dem kleinen, aber kraft der Liebe stärkeren Guten ins Kosmisch-Endzeitliche. Auf dem Höhepunkt dann läßt sie ihn in die Dimensionen eines pädagogischen Arrangements gleiten. Vor allem nach den subtilen Verrückungen des Alltags in den ersten Kapiteln wirkt der Kampf stereotyp, wie es in diesem Genre wohl schwer zu vermeiden ist. Die Leselust an dem bis zum Schluß spannenden Kinderroman mit seinen Überraschungen und der Fülle farbiger Einfälle wird dadurch nicht beeinträchtigt. GUNDEL MATTENKLOTT
Joanne Rowling: "Harry Potter und der Stein der Weisen". Aus dem Englischen von Klaus Fritz. Carlsen Verlag, Hamburg 1998. 336 S., geb., 26,- DM. Ab 10 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In der ganz normalen Anderswelt: Die phantastischen Abenteuer des Harry Potter
Menschen, die so viel Wert darauf legen, normal zu sein, wie die Familie Dursley im Ligusterweg 4, wecken Verdacht. Ihr sorgfältig gehütetes Geheimnis allerdings scheint ebenfalls ganz normal zu sein - da gibt es irgendwo schräge Verwandte, von denen sie nichts wissen wollen. Schon auf der zweiten Seite aber begegnet der nüchterne Geschäftsmann Dursley einer Katze, die einen Stadtplan studiert. In der Nacht darauf wird unter phantastischen Umständen ein schlafendes kleines Kind vor Dursleys Haustür gelegt, ihr Neffe. Wir erfahren, daß er gerade seine Eltern im Kampf mit einer abgründig bösen Macht verloren hat und selbst auf wunderbare Weise gerettet wurde - ein Kind, dessen Überleben in einer merkwürdigen Subkultur große Freude erregt, ein Kind mit der Aura des Befreiers und Erlösers. Das erste Kapitel dieses Buchs steckt voller Überraschungen, die mit einem erzählerischen Lakonismus inszeniert sind, der das Wunderbare so selbstverständlich erscheinen läßt wie den Alltag.
Zehn Jahre lebt der kleine Harry Potter im verborgenen. Die Dursleys lassen ihn täglich spüren, wie unerwünscht er ist. Aber so wie ihre Bosheit an ihm abgleitet und er trotzdem ein aufgeweckter und liebenswerter Junge wird, so können sie auch nicht verhindern, daß an seinem elften Geburtstag seine Herkunft enthüllt wird. Als Kind eines berühmten Zauberer-Paars wird er in die phantastische Welt gerufen, in die er gehört: Zu seiner Verblüffung erhält Harry eine Einladung, nach den Sommerferien ins Zauberer-Internat einzutreten. Für die Übergänge zwischen Realität und Anderswelt liegen in der phantastischen Literatur einige Muster bereit - Joanne Rowling gelingt es auch hier zu überraschen. Der Zug, der Harry ins Internat bringen soll, geht um elf Uhr von King's Cross. Da steht er nun allein mit einem viel zu schweren Koffer und fragt sich, wie er auf das nicht vorhandene Gleis neundreiviertel kommen soll, das in seinen Reiseunterlagen angegeben ist.
Bis zu Harrys Abreise ist die Realität das vertraute Gewebe, von dem sich die Zeichen und Boten der Zauberwelt als fremde Fäden abheben. Danach kehrt die Autorin das Prinzip um - von nun an erweist sich die Anderswelt als Wunderspiegel, in dem das Vertraute kenntlich wird. War nicht Harrys Leben bei den Dursleys, die ihn in einen Schrank unter der Treppe verbannten und ständig zugunsten ihres eigenen verzogenen Jungen zurücksetzten und piesackten, viel verrückter als das, was er in der Schule erlebt? Hier, wie überall, schüchtern kräftige Jungen die Schwächeren ein, begegnen ihm täppische und freche, ängstliche und vorwitzige, freundliche und verschlagene Kinder. Es gibt unbeliebte belegte Brote und ein attraktives Angebot an Süßigkeiten. Es gibt Kinder, die mit ihrem Reichtum protzen und andere, die sich genieren, weil sie die abgelegte Kleidung ihrer Geschwister auftragen müssen. Die Zauberwelt, die sich da mitten im modernen England vor unseren Augen öffnet, ist mit Zauberstäben und Flugbesen ausgestattet, der Stundenplan weist statt Chemie Zaubertränke aus, und im Geschichtsunterricht werden die Jahreszahlen wichtiger Zauberwettkämpfe auswendig gelernt. Aber auch hier sind ungerechte Lehrer, die Kinder schikanieren, Achtung gebietende Lehrer und unbeholfene, die lächerlich wirken. Die Schule bestätigt auf phantastische Weise alles, was man seit Enid Blyton über englische Internate weiß: Rituale, nächtliche Abenteuer in dunklen Korridoren, Strafen, Feindschaften und Freundschaften, den regelgeleiteten Tugendkanon. Hauptattraktion ist ein Sportspiel, in dem Zauberkräfte agieren, das aber auch Geschicklichkeit und Übung erfordert. Der begabte, dabei bescheidene Harry Potter muß sich gegen Neider zur Wehr setzen und findet doch ein Trio guter Freunde, die mit ihm den gefährlichen Geheimnissen seiner Lebensgeschichte nachspüren.
Das Kind als Erlöser setzt ein ihm unterlegenes Böses voraus. Der dunkle Bedroher der Zauberwelt ist durch den kleinen Harry zwar schwer geschlagen, aber nicht vernichtet worden. So muß der Elfjährige den Kampf noch einmal durchstehen, jetzt in vollem Bewußtsein der Gefahr, mit seinen Freunden als treuen Helfern. Joanne Rowling folgt der Tradition der phantastischen Literatur und rückt den Wettstreit zwischen dem scheinbar übermächtigen Bösen und dem kleinen, aber kraft der Liebe stärkeren Guten ins Kosmisch-Endzeitliche. Auf dem Höhepunkt dann läßt sie ihn in die Dimensionen eines pädagogischen Arrangements gleiten. Vor allem nach den subtilen Verrückungen des Alltags in den ersten Kapiteln wirkt der Kampf stereotyp, wie es in diesem Genre wohl schwer zu vermeiden ist. Die Leselust an dem bis zum Schluß spannenden Kinderroman mit seinen Überraschungen und der Fülle farbiger Einfälle wird dadurch nicht beeinträchtigt. GUNDEL MATTENKLOTT
Joanne Rowling: "Harry Potter und der Stein der Weisen". Aus dem Englischen von Klaus Fritz. Carlsen Verlag, Hamburg 1998. 336 S., geb., 26,- DM. Ab 10 J.
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"Das Buch ist ein prächtiges Kunstwerk, mit dem man die weltberühmte Geschichte des Zauberers mit der Blitz-Narbe noch einmal neu entdecken kann. Es ist so schön, dass es die Leser:innen vollends verzaubert." Sandra Heick coolibri 20211101
»Es ist ein großer Roman über das Erwachsenwerden. Über das Entlassenwerden in die Welt. « Rufus Beck, Abendzeitung Magazin