T. C. Boyle mit einem brennend aktuellen Thema: der Feind der Zivilisation
Adam, der Sohn eines Schuldirektors und Vietnamveterans, kriegt nichts auf die Reihe. Er fliegt von allen Schulen, wandert von einem Psychiater zum anderen, bis die Eltern ihn aufgeben. Doch in Adam tickt eine Bombe. Überall wähnt er Feinde, gegen die es sich zu verteidigen gilt. In der Wildnis, wo er ein Schlafmohnfeld angelegt hat, hortet er Waffen. Aber es gibt jemanden, der sich in ihn verliebt. Sara, die auch gegen vieles steht: Globalisierung, Verschwörer und Staatsgewalt. Als sie ihn am Straßenrand aufgabelt, beginnt eine leidenschaftliche Liaison. Doch bald merkt Sara, dass mit Adam nicht gut zu reden ist - und er es ernst meint mit den Feinden, sehr ernst.
(8 CDs, Laufzeit: 8h 21)
Adam, der Sohn eines Schuldirektors und Vietnamveterans, kriegt nichts auf die Reihe. Er fliegt von allen Schulen, wandert von einem Psychiater zum anderen, bis die Eltern ihn aufgeben. Doch in Adam tickt eine Bombe. Überall wähnt er Feinde, gegen die es sich zu verteidigen gilt. In der Wildnis, wo er ein Schlafmohnfeld angelegt hat, hortet er Waffen. Aber es gibt jemanden, der sich in ihn verliebt. Sara, die auch gegen vieles steht: Globalisierung, Verschwörer und Staatsgewalt. Als sie ihn am Straßenrand aufgabelt, beginnt eine leidenschaftliche Liaison. Doch bald merkt Sara, dass mit Adam nicht gut zu reden ist - und er es ernst meint mit den Feinden, sehr ernst.
(8 CDs, Laufzeit: 8h 21)
CD 1 | |||
1 | Hart auf Hart | 00:00:14 | |
2 | Hart auf Hart | 00:04:22 | |
3 | Hart auf Hart | 00:06:17 | |
4 | Hart auf Hart | 00:05:08 | |
5 | Hart auf Hart | 00:04:48 | |
6 | Hart auf Hart | 00:05:48 | |
7 | Hart auf Hart | 00:05:29 | |
8 | Hart auf Hart | 00:05:17 | |
9 | Hart auf Hart | 00:04:50 | |
10 | Hart auf Hart | 00:05:42 | |
11 | Hart auf Hart | 00:05:37 | |
12 | Hart auf Hart | 00:03:48 | |
13 | Hart auf Hart | 00:04:58 | |
14 | Hart auf Hart | 00:04:28 | |
CD 2 | |||
1 | Hart auf Hart | 00:06:02 | |
2 | Hart auf Hart | 00:05:09 | |
3 | Hart auf Hart | 00:05:36 | |
4 | Hart auf Hart | 00:04:43 | |
5 | Hart auf Hart | 00:08:04 | |
6 | Hart auf Hart | 00:06:46 | |
7 | Hart auf Hart | 00:04:35 | |
8 | Hart auf Hart | 00:04:39 | |
9 | Hart auf Hart | 00:05:19 | |
10 | Hart auf Hart | 00:07:32 | |
11 | Hart auf Hart | 00:07:31 | |
CD 3 | |||
1 | Hart auf Hart | 00:05:26 | |
2 | Hart auf Hart | 00:05:48 | |
3 | Hart auf Hart | 00:05:03 | |
4 | Hart auf Hart | 00:04:56 | |
5 | Hart auf Hart | 00:04:57 | |
6 | Hart auf Hart | 00:04:24 | |
7 | Hart auf Hart | 00:04:33 | |
8 | Hart auf Hart | 00:04:08 | |
9 | Hart auf Hart | 00:06:19 | |
10 | Hart auf Hart | 00:06:46 | |
11 | Hart auf Hart | 00:03:55 | |
12 | Hart auf Hart | 00:06:49 | |
CD 4 | |||
1 | Hart auf Hart | 00:05:34 | |
2 | Hart auf Hart | 00:06:02 | |
3 | Hart auf Hart | 00:04:16 | |
4 | Hart auf Hart | 00:05:09 | |
5 | Hart auf Hart | 00:05:17 | |
6 | Hart auf Hart | 00:04:53 | |
7 | Hart auf Hart | 00:07:20 | |
8 | Hart auf Hart | 00:05:47 | |
9 | Hart auf Hart | 00:05:06 | |
10 | Hart auf Hart | 00:04:41 | |
11 | Hart auf Hart | 00:07:52 | |
12 | Hart auf Hart | 00:04:37 | |
CD 5 | |||
1 | Hart auf Hart | 00:05:10 | |
2 | Hart auf Hart | 00:04:29 | |
3 | Hart auf Hart | 00:05:58 | |
4 | Hart auf Hart | 00:07:10 | |
5 | Hart auf Hart | 00:06:40 | |
6 | Hart auf Hart | 00:04:50 | |
7 | Hart auf Hart | 00:04:33 | |
8 | Hart auf Hart | 00:05:24 | |
9 | Hart auf Hart | 00:05:27 | |
10 | Hart auf Hart | 00:05:45 | |
11 | Hart auf Hart | 00:05:29 | |
CD 6 | |||
1 | Hart auf Hart | 00:07:07 | |
2 | Hart auf Hart | 00:06:55 | |
3 | Hart auf Hart | 00:01:22 | |
4 | Hart auf Hart | 00:06:00 | |
5 | Hart auf Hart | 00:06:55 | |
6 | Hart auf Hart | 00:05:11 | |
7 | Hart auf Hart | 00:04:56 | |
8 | Hart auf Hart | 00:07:35 | |
9 | Hart auf Hart | 00:07:08 | |
CD 7 | |||
1 | Hart auf Hart | 00:04:39 | |
2 | Hart auf Hart | 00:05:01 | |
3 | Hart auf Hart | 00:07:46 | |
4 | Hart auf Hart | 00:06:49 | |
5 | Hart auf Hart | 00:04:33 | |
6 | Hart auf Hart | 00:05:34 | |
7 | Hart auf Hart | 00:05:20 | |
8 | Hart auf Hart | 00:07:38 | |
9 | Hart auf Hart | 00:03:55 | |
10 | Hart auf Hart | 00:05:49 | |
CD 8 | |||
1 | Hart auf Hart | 00:06:41 | |
2 | Hart auf Hart | 00:06:41 | |
3 | Hart auf Hart | 00:04:49 | |
4 | Hart auf Hart | 00:05:53 | |
5 | Hart auf Hart | 00:05:36 | |
6 | Hart auf Hart | 00:04:30 | |
7 | Hart auf Hart | 00:04:40 | |
8 | Hart auf Hart | 00:05:10 | |
9 | Hart auf Hart | 00:07:10 | |
10 | Hart auf Hart | 00:05:07 | |
11 | Hart auf Hart | 00:06:41 | |
12 | Hart auf Hart | 00:04:02 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.02.2015Der Wald, die Finsternis und wir
T. C. Boyle, der geniale amerikanische Vielschreiber, erzählt in seinem neuen Roman von einer Welt aus Hass. Und von einem Mann, der sich seinen Weg freischießt. Meint er uns damit?
Die Welt ist nur Gewalt und Hass und Beobachtung und Verfolgung, und es gibt kein Entkommen. Wir leben in einer totalitären Welt, alles wird gescannt, gesammelt, aufbewahrt und kann jederzeit gegen dich verwendet werden. Und wir, Bewohner dieses Planeten unter totalitärer Herrschaft, wir tragen alle Wut in uns. Die meisten arrangieren sich, halten die Wut klein, zähmen sie, lenken sich ab, versenken sich in der Maschine des Alltags, nur um sie nicht zu spüren, jeden Tag. Und auch aus Angst vor den Konsequenzen, die es hätte, wenn man sie freilassen würde, eines Tages, und sei es nur für einen kurzen Moment.
"Die meisten unterdrückten es und zogen hinaus in die Welt", schreibt T. C. Boyle in seinem neuen Roman "Hart auf hart". "Sie wurden Polizisten oder Finanzhaie, gingen auf Lebenszeit zur Armee oder in die Fabrik, aber manche wurden es einfach nicht los, und die landeten dann bald im Gefängnis oder sie hatten einen schweren Motorradunfall und waren fortan Krüppel. Oder tot. Erschossen."
T. C. Boyle, 66, legendärer Chronist, Geschichts- und Geschichtenschreiber der amerikanischen Gegenkultur ("World's End", "Grün ist die Hoffnung") hat einen dieser Typen, einen von denen, die das Ding in sich nicht unterdrücken können, zum Protagonisten seines neuen Romans gemacht. Er heißt Adam, er lebt in den Wäldern Kaliforniens, und eines Tages explodiert er.
Wir nähern uns dieser Explosion sehr behutsam, scheinbar auf Umwegen, Trampelpfaden der Alltagsgewalt oder besser: der erlaubten, der gesellschaftlich anerkannten Gewalt. Ein Rentnerpaar aus Kalifornien ist auf Kreuzfahrt, er, Sten, Vietnam-Veteran, ehemaliger Schuldirektor, durchschnittlicher Rassist, Patriot, sie, Caroleen, seine kampfestreue Ehefrau.
Bei einem Landausflug in Costa Rica wird ihre Reisegruppe von drei Tagedieben überfallen, das Rentnergrüppchen liefert brav Schmuck, Geld und Papier ab. Doch Sten möchte das lieber nicht machen. Mit dem geübten Blick des Veteranen erkennt er das amateurhafte Waffenverhalten der Räuber, schnappt sich den erstbesten, entwaffnet ihn, würgt ihn, bis alle Luft aus ihm entwichen ist. Der Mann ist tot. In Stens Kopf ist alles wieder Vergangenheit, Krieg, Vietnam, ein toter Mensch, alles ist plötzlich anders, nicht wiedergutzumachen.
Im Roman ist das ein erster großer Moment, denn diesem Sten ist durchaus nicht klar, wie die Mitreisenden reagieren werden. Wie später die Polizei des Landes, wie die Gesellschaft reagieren wird. Wann ist die Tötung eines Menschen okay? Für wen? Wer entscheidet, wann Gewalt legitim ist? Und wann eine Heldentat? Er musste diesen Mann nicht töten. Er hatte ihn vorher schon entwaffnet.
Sten ist ein Held. Die Mitreisenden sammeln ihre Wertgegenstände wieder ein und feiern Sten, den guten Killer. Die örtliche Polizei will künftige Kreuzfahrttouristen nicht verschrecken und erklärt den Mord für eine gute Sache. Es war gute Gewalt, das Ergebnis ist gut, nur für den Räuber lief es schlecht. Aber es ist etwas geschehen, etwas Dunkles, Großes. Etwas steckt jetzt drin, in diesem Sten. "Er gehört jetzt nicht mehr zu ihnen. Er war jetzt etwas anderes", schreibt Boyle.
Es wird eine Weile dauern, bis ihn sein Sohn fragen wird, wie es genau gewesen ist, das Morden. Ob dem Opfer beim Würgen die Augen aus den Höhlen traten wie bei einem Frosch, auf den man tritt? Eine total unpassende Frage natürlich. "Darum geht es doch gar nicht", sagt Sten zu seinem Sohn. Geht es nicht? Worum geht es dann, wenn man einen Menschen tötet? Was passiert? Was fühlt man? Was sieht man?
Der Sohn, der ihm die Froschfrage stellt, ist Adam, jener Adam, der wenig später außer Kontrolle geraten wird. Der nicht nur mordet, wenn er angegriffen wird. Sondern auch, wenn er unerwartet angesprochen wird, im Wald, in seinem Wald. Aber: Wann ist ein Angriff ein aggressiver Akt? Wann dürfen wir uns wehren? Wann ist Gewalt erlaubt? Im Krieg? Wann ist Krieg? Wer erklärt den?
T. C. Boyle hat einen phantastischen Roman über die Schule der Gewalt geschrieben. Über unsere Zeit, unsere Welt, in der man immer öfter den Eindruck hat, dass die Menschen, alle Menschen mit ungesicherten Gewehren herumlaufen. Nicht nur in Amerika, dem Land der freien Waffen. Sondern auch hier, in unserer Epoche der großen Gereiztheit, wie es auf dem "Zauberberg" hieß und die groß und immer größer zu werden scheint. In einer Zeit, in der eine falsche Bemerkung ausreichen kann, um einen Konflikt zwischen Ländern oder Menschen eskalieren zu lassen. Es ist etwas in uns. In unserer Zeit.
Also Adam: Schon am ersten Schultag hatte er einen Kameraden verprügelt, einen besonders friedlichen. Warum? Einfach so. Genau weiß er es nicht. Sein Vater, Sten, der Veteran, ist Direktor dieser Schule. Er wird den schwierigen Sohn ein ums andere Mal beruhigen können, die Wut zurückstopfen in den Körperkäfig. Dass es auch die unterdrückte Mordlust und der Hass ist, der in dem Vater schlummert, der in dem Sohn weiterwächst, den er vererbt hat, als einen unterdrückten Kern, eine Bombe, die in seinem Nachkommen explodiert, das beschreibt Boyle unaufdringlich und schrecklich unausweichlich.
Irgendwann wird es in der Schule zu schwierig. Adam kommt in eine sogenannte "Einrichtung", wird mit Medikamenten und Freundlichkeiten ruhiggestellt und bald wieder freigelassen. Die Diagnose: Schwierigkeiten mit der Anpassung ans Erwachsenenleben. In der Tat. Oder, wie es im Roman heißt: "Ja, na klar. Jede Menge. Und dann war er tatsächlich erwachsen gewesen, achtzehn und raus aus der Schule, und da war es dann vorbei mit den Psychoheinis. Stattdessen hatte er Trips genommen, gesoffen, Gras geraucht. Und nun passte er sich also ans Erwachsenenleben an, hier und jetzt."
Ein Mann kommt nicht klar mit der Welt, mit den Regeln der Welt, er versteht sie nicht ganz, setzt Hoffnungen in sein Leben, irgendwelche, kleine, große, falsche. Die Hoffnungen werden enttäuscht. Und was ist dann noch da, an der Stelle der Hoffnungen? Leere? Enttäuschung? Neue Hoffnung?
Irgendwann zieht es Adam in den Wald. Nicht so ein bisschen, wandernd, abenteuernd, sondern richtig in den Wald, die unendlichen alten Redwoodwälder Kaliforniens. Sein Vorbild ist der legendäre Trapper, Entdecker, Waldläufer John Colter. Obwohl er ihn auch ein wenig verachtet, weil er am Ende seines Lebens ein weiches, warmes, bürgerliches Zuhause fand und im Ehebett starb. Ein Kompromissler am Ende. Er, Adam, will zur Legende werden. Kompromisse sind der Feind, die Polizei ist der Feind, Menschen überhaupt sind Feinde. Boyle schreibt immer von einem "Rädchen im Kopf", das sich mal schneller und mal langsamer dreht. Ein kleiner, runder Wahnsinn, der nie stillsteht.
Erstaunlich, dass dieser Adam eine Gefährtin findet, Sara, Hufschmiedin, Hilfslehrerin, auch sie eine Opponentin gegen alles. "Ich habe keinen Vertrag mit euch", ist der Satz, mit dem sie sich gegen regulierungsfreudige Polizisten zu wehren versucht. Die Polizisten sehen das anders. Sie greifen überall zu. Das einst freie Amerika ist in den Augen von Adam und Sara ein durchreguliertes Land. "Die ganze schleimige Hitler-Polizeistaat-Scheiße" nennen sie es. Ein grauenvolles, verrücktes, schmierig heldenhaftes neues Bonnie-und-Clyde-Paar hat Boyle da geschaffen.
Wobei: Paar ist vielleicht doch stark übertrieben. Adam taucht bei ihr auf, tief aus dem Wald, wenn es ihm passt. Er lebt in der dunklen, grünen Gegenwelt, erst in einer Hütte, später in einer Art Bunker, er züchtet Schlafmohn, aus dem er Opium gewinnt, er ist immer auf irgendwelchen Drogen, der Welt entrückt. Im Redwoodwald. Denn dieser Adam ist nicht nur Psychopath, Terrorist, konsequenter Vollstrecker der herrschenden Ideologie unserer Zeit, er ist auch ein Wiedergänger H. D. Thoreaus und dessen "Walden"-Welt.
Wie verhält sich der Mensch, wenn er von allem abgeschieden lebt? Gibt es eine Flucht von allem? Und was erfährt man dort über sich? Ein Experiment, wie es auch Ernst Jünger in seinem Essay "Der Waldgang" zeichnete. Der Einzelne im Wald, umgeben von einem feindlichen Staat, einer totalitären Kraft.
Es sind die stärksten Stellen in Boyles Buch, die Redwoodwelt als Gegenutopie. Für Adam mit dem schnellen Rädchen im Kopf ist hier für kurze Zeit Frieden möglich, inmitten dieser Bäume, manche von ihnen älter als 2000 Jahre. "Er betrachtete die Bäume - vielleicht war er schon einmal an dieser Stelle gewesen, vielleicht auch nicht -, er blieb stehen und sah so lange zu ihnen auf, dass er wieder aus sich heraustrat, so dass das Rädchen sich langsamer drehte und es keine Eile, keine Probleme, keine Paranoia, keinen Kriegszustand mehr gab, sondern nur noch Staunen darüber, dass es sie gab und dass sie tief in die Erde hineinreichten und diese Berge zusammenhielten."
Doch während Thoreau vor mehr als 150 Jahren in den Wäldern von Massachusetts eine Zufriedenheit fand und Weisheit, wächst in Adam mit den Jahren nur der Hass. Vielleicht weil sie ihn nicht allein lassen. Vielleicht, weil Einsamkeit heute selbst in den tiefsten Wäldern nicht mehr möglich ist. Thoreaus Besucher hatten ihn schnell wieder alleingelassen: "Sie fischten offenbar mehr im Waldenteich ihrer eigenen Seele und steckten die Finsternis als Köder an ihre Angeln." Und überließen den Wald schon bald wieder "der Finsternis und mir".
Adam bleibt nicht allein. Die Menschen lassen ihn nicht in Ruhe, das Rädchen dreht sich, die Wut wächst, das Erbe geht auf. "Nur der Tag bricht an, für den wir wach sind", heißt es in "Walden". Mit grauenvoller Konsequenz beschreibt T. C. Boyle einen jungen Mann, der wach ist nur für diesen Tag, für diese Taten. Ein Schuss und noch einer. Bis die Welt gewonnen hat. Und die Bäume, sie sind "die eigentlichen Sieger", schreibt Boyle über eine Welt, aus der es kein Entkommen gibt.
VOLKER WEIDERMANN
T. C. Boyle: "Hart auf hart". Übersetzt von Dirk van Gunsteren. Hanser, 400 Seiten, 22,90 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
T. C. Boyle, der geniale amerikanische Vielschreiber, erzählt in seinem neuen Roman von einer Welt aus Hass. Und von einem Mann, der sich seinen Weg freischießt. Meint er uns damit?
Die Welt ist nur Gewalt und Hass und Beobachtung und Verfolgung, und es gibt kein Entkommen. Wir leben in einer totalitären Welt, alles wird gescannt, gesammelt, aufbewahrt und kann jederzeit gegen dich verwendet werden. Und wir, Bewohner dieses Planeten unter totalitärer Herrschaft, wir tragen alle Wut in uns. Die meisten arrangieren sich, halten die Wut klein, zähmen sie, lenken sich ab, versenken sich in der Maschine des Alltags, nur um sie nicht zu spüren, jeden Tag. Und auch aus Angst vor den Konsequenzen, die es hätte, wenn man sie freilassen würde, eines Tages, und sei es nur für einen kurzen Moment.
"Die meisten unterdrückten es und zogen hinaus in die Welt", schreibt T. C. Boyle in seinem neuen Roman "Hart auf hart". "Sie wurden Polizisten oder Finanzhaie, gingen auf Lebenszeit zur Armee oder in die Fabrik, aber manche wurden es einfach nicht los, und die landeten dann bald im Gefängnis oder sie hatten einen schweren Motorradunfall und waren fortan Krüppel. Oder tot. Erschossen."
T. C. Boyle, 66, legendärer Chronist, Geschichts- und Geschichtenschreiber der amerikanischen Gegenkultur ("World's End", "Grün ist die Hoffnung") hat einen dieser Typen, einen von denen, die das Ding in sich nicht unterdrücken können, zum Protagonisten seines neuen Romans gemacht. Er heißt Adam, er lebt in den Wäldern Kaliforniens, und eines Tages explodiert er.
Wir nähern uns dieser Explosion sehr behutsam, scheinbar auf Umwegen, Trampelpfaden der Alltagsgewalt oder besser: der erlaubten, der gesellschaftlich anerkannten Gewalt. Ein Rentnerpaar aus Kalifornien ist auf Kreuzfahrt, er, Sten, Vietnam-Veteran, ehemaliger Schuldirektor, durchschnittlicher Rassist, Patriot, sie, Caroleen, seine kampfestreue Ehefrau.
Bei einem Landausflug in Costa Rica wird ihre Reisegruppe von drei Tagedieben überfallen, das Rentnergrüppchen liefert brav Schmuck, Geld und Papier ab. Doch Sten möchte das lieber nicht machen. Mit dem geübten Blick des Veteranen erkennt er das amateurhafte Waffenverhalten der Räuber, schnappt sich den erstbesten, entwaffnet ihn, würgt ihn, bis alle Luft aus ihm entwichen ist. Der Mann ist tot. In Stens Kopf ist alles wieder Vergangenheit, Krieg, Vietnam, ein toter Mensch, alles ist plötzlich anders, nicht wiedergutzumachen.
Im Roman ist das ein erster großer Moment, denn diesem Sten ist durchaus nicht klar, wie die Mitreisenden reagieren werden. Wie später die Polizei des Landes, wie die Gesellschaft reagieren wird. Wann ist die Tötung eines Menschen okay? Für wen? Wer entscheidet, wann Gewalt legitim ist? Und wann eine Heldentat? Er musste diesen Mann nicht töten. Er hatte ihn vorher schon entwaffnet.
Sten ist ein Held. Die Mitreisenden sammeln ihre Wertgegenstände wieder ein und feiern Sten, den guten Killer. Die örtliche Polizei will künftige Kreuzfahrttouristen nicht verschrecken und erklärt den Mord für eine gute Sache. Es war gute Gewalt, das Ergebnis ist gut, nur für den Räuber lief es schlecht. Aber es ist etwas geschehen, etwas Dunkles, Großes. Etwas steckt jetzt drin, in diesem Sten. "Er gehört jetzt nicht mehr zu ihnen. Er war jetzt etwas anderes", schreibt Boyle.
Es wird eine Weile dauern, bis ihn sein Sohn fragen wird, wie es genau gewesen ist, das Morden. Ob dem Opfer beim Würgen die Augen aus den Höhlen traten wie bei einem Frosch, auf den man tritt? Eine total unpassende Frage natürlich. "Darum geht es doch gar nicht", sagt Sten zu seinem Sohn. Geht es nicht? Worum geht es dann, wenn man einen Menschen tötet? Was passiert? Was fühlt man? Was sieht man?
Der Sohn, der ihm die Froschfrage stellt, ist Adam, jener Adam, der wenig später außer Kontrolle geraten wird. Der nicht nur mordet, wenn er angegriffen wird. Sondern auch, wenn er unerwartet angesprochen wird, im Wald, in seinem Wald. Aber: Wann ist ein Angriff ein aggressiver Akt? Wann dürfen wir uns wehren? Wann ist Gewalt erlaubt? Im Krieg? Wann ist Krieg? Wer erklärt den?
T. C. Boyle hat einen phantastischen Roman über die Schule der Gewalt geschrieben. Über unsere Zeit, unsere Welt, in der man immer öfter den Eindruck hat, dass die Menschen, alle Menschen mit ungesicherten Gewehren herumlaufen. Nicht nur in Amerika, dem Land der freien Waffen. Sondern auch hier, in unserer Epoche der großen Gereiztheit, wie es auf dem "Zauberberg" hieß und die groß und immer größer zu werden scheint. In einer Zeit, in der eine falsche Bemerkung ausreichen kann, um einen Konflikt zwischen Ländern oder Menschen eskalieren zu lassen. Es ist etwas in uns. In unserer Zeit.
Also Adam: Schon am ersten Schultag hatte er einen Kameraden verprügelt, einen besonders friedlichen. Warum? Einfach so. Genau weiß er es nicht. Sein Vater, Sten, der Veteran, ist Direktor dieser Schule. Er wird den schwierigen Sohn ein ums andere Mal beruhigen können, die Wut zurückstopfen in den Körperkäfig. Dass es auch die unterdrückte Mordlust und der Hass ist, der in dem Vater schlummert, der in dem Sohn weiterwächst, den er vererbt hat, als einen unterdrückten Kern, eine Bombe, die in seinem Nachkommen explodiert, das beschreibt Boyle unaufdringlich und schrecklich unausweichlich.
Irgendwann wird es in der Schule zu schwierig. Adam kommt in eine sogenannte "Einrichtung", wird mit Medikamenten und Freundlichkeiten ruhiggestellt und bald wieder freigelassen. Die Diagnose: Schwierigkeiten mit der Anpassung ans Erwachsenenleben. In der Tat. Oder, wie es im Roman heißt: "Ja, na klar. Jede Menge. Und dann war er tatsächlich erwachsen gewesen, achtzehn und raus aus der Schule, und da war es dann vorbei mit den Psychoheinis. Stattdessen hatte er Trips genommen, gesoffen, Gras geraucht. Und nun passte er sich also ans Erwachsenenleben an, hier und jetzt."
Ein Mann kommt nicht klar mit der Welt, mit den Regeln der Welt, er versteht sie nicht ganz, setzt Hoffnungen in sein Leben, irgendwelche, kleine, große, falsche. Die Hoffnungen werden enttäuscht. Und was ist dann noch da, an der Stelle der Hoffnungen? Leere? Enttäuschung? Neue Hoffnung?
Irgendwann zieht es Adam in den Wald. Nicht so ein bisschen, wandernd, abenteuernd, sondern richtig in den Wald, die unendlichen alten Redwoodwälder Kaliforniens. Sein Vorbild ist der legendäre Trapper, Entdecker, Waldläufer John Colter. Obwohl er ihn auch ein wenig verachtet, weil er am Ende seines Lebens ein weiches, warmes, bürgerliches Zuhause fand und im Ehebett starb. Ein Kompromissler am Ende. Er, Adam, will zur Legende werden. Kompromisse sind der Feind, die Polizei ist der Feind, Menschen überhaupt sind Feinde. Boyle schreibt immer von einem "Rädchen im Kopf", das sich mal schneller und mal langsamer dreht. Ein kleiner, runder Wahnsinn, der nie stillsteht.
Erstaunlich, dass dieser Adam eine Gefährtin findet, Sara, Hufschmiedin, Hilfslehrerin, auch sie eine Opponentin gegen alles. "Ich habe keinen Vertrag mit euch", ist der Satz, mit dem sie sich gegen regulierungsfreudige Polizisten zu wehren versucht. Die Polizisten sehen das anders. Sie greifen überall zu. Das einst freie Amerika ist in den Augen von Adam und Sara ein durchreguliertes Land. "Die ganze schleimige Hitler-Polizeistaat-Scheiße" nennen sie es. Ein grauenvolles, verrücktes, schmierig heldenhaftes neues Bonnie-und-Clyde-Paar hat Boyle da geschaffen.
Wobei: Paar ist vielleicht doch stark übertrieben. Adam taucht bei ihr auf, tief aus dem Wald, wenn es ihm passt. Er lebt in der dunklen, grünen Gegenwelt, erst in einer Hütte, später in einer Art Bunker, er züchtet Schlafmohn, aus dem er Opium gewinnt, er ist immer auf irgendwelchen Drogen, der Welt entrückt. Im Redwoodwald. Denn dieser Adam ist nicht nur Psychopath, Terrorist, konsequenter Vollstrecker der herrschenden Ideologie unserer Zeit, er ist auch ein Wiedergänger H. D. Thoreaus und dessen "Walden"-Welt.
Wie verhält sich der Mensch, wenn er von allem abgeschieden lebt? Gibt es eine Flucht von allem? Und was erfährt man dort über sich? Ein Experiment, wie es auch Ernst Jünger in seinem Essay "Der Waldgang" zeichnete. Der Einzelne im Wald, umgeben von einem feindlichen Staat, einer totalitären Kraft.
Es sind die stärksten Stellen in Boyles Buch, die Redwoodwelt als Gegenutopie. Für Adam mit dem schnellen Rädchen im Kopf ist hier für kurze Zeit Frieden möglich, inmitten dieser Bäume, manche von ihnen älter als 2000 Jahre. "Er betrachtete die Bäume - vielleicht war er schon einmal an dieser Stelle gewesen, vielleicht auch nicht -, er blieb stehen und sah so lange zu ihnen auf, dass er wieder aus sich heraustrat, so dass das Rädchen sich langsamer drehte und es keine Eile, keine Probleme, keine Paranoia, keinen Kriegszustand mehr gab, sondern nur noch Staunen darüber, dass es sie gab und dass sie tief in die Erde hineinreichten und diese Berge zusammenhielten."
Doch während Thoreau vor mehr als 150 Jahren in den Wäldern von Massachusetts eine Zufriedenheit fand und Weisheit, wächst in Adam mit den Jahren nur der Hass. Vielleicht weil sie ihn nicht allein lassen. Vielleicht, weil Einsamkeit heute selbst in den tiefsten Wäldern nicht mehr möglich ist. Thoreaus Besucher hatten ihn schnell wieder alleingelassen: "Sie fischten offenbar mehr im Waldenteich ihrer eigenen Seele und steckten die Finsternis als Köder an ihre Angeln." Und überließen den Wald schon bald wieder "der Finsternis und mir".
Adam bleibt nicht allein. Die Menschen lassen ihn nicht in Ruhe, das Rädchen dreht sich, die Wut wächst, das Erbe geht auf. "Nur der Tag bricht an, für den wir wach sind", heißt es in "Walden". Mit grauenvoller Konsequenz beschreibt T. C. Boyle einen jungen Mann, der wach ist nur für diesen Tag, für diese Taten. Ein Schuss und noch einer. Bis die Welt gewonnen hat. Und die Bäume, sie sind "die eigentlichen Sieger", schreibt Boyle über eine Welt, aus der es kein Entkommen gibt.
VOLKER WEIDERMANN
T. C. Boyle: "Hart auf hart". Übersetzt von Dirk van Gunsteren. Hanser, 400 Seiten, 22,90 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Ein furioser Roman, der eine Reihe von Fragen stellt und beängstigend nah an der Wirklichkeit liegt." Irene Binal, Neue Zürcher Zeitung 08.07.15
"Ein Pageturner! ... Meisterhaft!" Ursula März, SWR2 Bestenliste, 07.04.15
"Ziemlich große Kunst. ... Ich bin dafür, dass Boyle jetzt bald den Nobelpreis bekommt." Jochen Hieber, SWR2 Bestenliste, 07.04.15
"'Hart auf Hart' ist bedrohlicher Lesestoff. Man weiß, es wird zum Äußersten kommen." Anne-Sophie Balzer, Die Tageszeitung, 11.03.15
"Unbedingt lesen!" Elke Heidenreich, SRF Kultur Literaturclub, 03.03.15
"Ein phantastischer Roman über die Schule der Gewalt, über unsere Zeit, unsere Welt." Volker Weidermann, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.02.15
"Ein faszinierendes Portrait amerikanischer Paranoia." Denis Scheck, ARD Druckfrisch, 08.02.15
"Dass der Roman nichts Statisches hat, sondern im Gegenteil eine ungeheure Dynamik entwickelt, liegt daran, dass T.C. Boyle ein süffiger und unterhaltsamer Erzähler ist, der die mentale Gestimmtheit seiner Charaktere in den Alltagsdetails zu verankern weiß und der noch dazu in Dirk van Gunsteren einen ausgezeichneten Übersetzer hat." Christoph Schröder, Süddeutsche Zeitung, 04.02.15
"T.C. Boyle ist kein Freund von Wohlfühlliteratur. Aber man liest seine Geschichten so fasziniert, dass man das Buch nicht weglegen kann. ... Der Roman ist nicht nur eine spannend erzählte Geschichte über eskalierende Gewalt, es ist auch eine Analyse der amerikanischen Gesellschaft, die an den Rändern ausfastert - manchmal mit tödlichen Folgen." Thorsten Heimann, Die Welt, 03.02.15
"Ein beißender Kommentar zur Lage eines tief gespaltenen Landes. In gewohnt rasanter Manier und einfühlsamen Porträts seiner Außenseiterexistenzen zeichnet Boyle ein Psychogramm der in übersteigertem Individualismus verhärteten amerikanischen Seele." Philipp Albers, Deutschlandradio, 03.02.15
"Es ist ein großartiges und beklemmendes Stück Literatur." Burkhard Müller, Die Zeit, 19.02.15
"Ein Pageturner! ... Meisterhaft!" Ursula März, SWR2 Bestenliste, 07.04.15
"Ziemlich große Kunst. ... Ich bin dafür, dass Boyle jetzt bald den Nobelpreis bekommt." Jochen Hieber, SWR2 Bestenliste, 07.04.15
"'Hart auf Hart' ist bedrohlicher Lesestoff. Man weiß, es wird zum Äußersten kommen." Anne-Sophie Balzer, Die Tageszeitung, 11.03.15
"Unbedingt lesen!" Elke Heidenreich, SRF Kultur Literaturclub, 03.03.15
"Ein phantastischer Roman über die Schule der Gewalt, über unsere Zeit, unsere Welt." Volker Weidermann, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.02.15
"Ein faszinierendes Portrait amerikanischer Paranoia." Denis Scheck, ARD Druckfrisch, 08.02.15
"Dass der Roman nichts Statisches hat, sondern im Gegenteil eine ungeheure Dynamik entwickelt, liegt daran, dass T.C. Boyle ein süffiger und unterhaltsamer Erzähler ist, der die mentale Gestimmtheit seiner Charaktere in den Alltagsdetails zu verankern weiß und der noch dazu in Dirk van Gunsteren einen ausgezeichneten Übersetzer hat." Christoph Schröder, Süddeutsche Zeitung, 04.02.15
"T.C. Boyle ist kein Freund von Wohlfühlliteratur. Aber man liest seine Geschichten so fasziniert, dass man das Buch nicht weglegen kann. ... Der Roman ist nicht nur eine spannend erzählte Geschichte über eskalierende Gewalt, es ist auch eine Analyse der amerikanischen Gesellschaft, die an den Rändern ausfastert - manchmal mit tödlichen Folgen." Thorsten Heimann, Die Welt, 03.02.15
"Ein beißender Kommentar zur Lage eines tief gespaltenen Landes. In gewohnt rasanter Manier und einfühlsamen Porträts seiner Außenseiterexistenzen zeichnet Boyle ein Psychogramm der in übersteigertem Individualismus verhärteten amerikanischen Seele." Philipp Albers, Deutschlandradio, 03.02.15
"Es ist ein großartiges und beklemmendes Stück Literatur." Burkhard Müller, Die Zeit, 19.02.15
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
T.C. Boyle kratzt immer von außen am Kitt der Gesellschaft, weiß Christoph Schröder. Anders als viele seiner Kollegen sucht er nicht latente Widersprüche und Heuchelei im scheinbar beschaulichen Mittelstand, sondern entwirft Außenseiter, vielleicht Verrückte, die sich mit dem normierten Alltag nicht abfinden wollen oder können und der gesellschaftlich legitimierten Gewalt ihre individuelle Gewaltbereitschaft entgegenhalten, erklärt der Rezensent. Die drei Abweichler in Boyles neuem Roman "Hart auf Hart" mögen sich aus unterschiedlichen Gründen und mit unterschiedlichen Mitteln dem staatlichen Zugriff verweigern, so Schröder. Daran, dass sie am Ende dem Kollektiv unterliegen werden, kommen aber zu keinem Zeitpunkt Zweifel auf, verrät der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.02.2015Die Freiheit, die Colter meint
Wie geht ein unter Druck gesetztes Kollektiv mit Abweichlern um? T. C. Boyle treibt
in seinem neuen Roman „Hart auf hart“ die Radikalisierung des Individuums auf die Spitze
VON CHRISTOPH SCHRÖDER
Auf einer Landstraße in der Gegend um Ukiah, rund 100 Meilen nördlich von San Francisco, liest Sara ihn auf, einen jungen Mann mit kahl rasiertem Kopf und in einer Art Tarnanzug. Sara glaubt, den Mann zu kennen, aber woher? Etwas ist anders an ihm, seltsam, er antwortet zögerlich, wenn überhaupt, wirkt apathisch. Bis ein Polizeiwagen an ihnen vorbeifährt und Leben in den Mann kommt. „Wichser“, schreit er immer wieder und streckt beide Mittelfinger aus dem Seitenfenster. „Spinnst du“, ruft die Frau, und bekommt wieder keine Antwort, sondern nur ein versteinertes Gesicht zu sehen, und da erkennt sie ihn: Ob er nicht Adam sei, der Sohn von Sten Stensen. Der Mann dreht noch nicht einmal den Kopf zu ihr und antwortet: „Ich heiße Colter.“ Und damit ist schon eine der vielen Parallelwelten dieses Romans, vielleicht sogar die entscheidende, eröffnet.
T. C. Boyle hat sich schon immer für die großen Themen der amerikanischen Gegenwart interessiert, seien es der Gesundheitswahn oder die sexuelle Prüderie, sei es die Grenzpolitik zum Nachbarland Mexiko, sei es der fahrlässige Umgang mit den Ressourcen der Natur. Doch anders als beispielsweise ein John Updike beschreibt Boyle gesellschaftliche Zustände nicht aus der Perspektive der bürgerlichen Mitte, sondern aus der Position des Außenseiters heraus, des vermeintlichen oder tatsächlichen Freaks. So ist es auch in seinem neuen Roman, in dem wiederum vom Rand her Druck auf die Normalität erzeugt wird und in dem vor allem auf unterschiedlichen Ebenen eine zentrale Frage verhandelt wird: Wie steht es um die Freiheit des Einzelnen im Land der Freien, wenn ein Normen setzendes Kollektiv seine eigene Freiheit bedroht sieht?
Sten Stensen ist hochdekorierter Vietnam-Veteran und Schuldirektor im Ruhestand. Ein Choleriker vor dem Herrn noch dazu. Zusammen mit seiner Frau Carolee hat er sich ein hübsches Häuschen in Mendocino gekauft, mit Meerblick. Hin und wieder spielt er Golf. In der Eröffnungsszene des Romans werden er und seine Reisegruppe während einer Kreuzfahrt bei einem Landausflug in Costa Rica von drei bewaffneten jungen Männern überfallen. Sten nutzt eine Unachtsamkeit und bringt einen der Räuber mit bloßen Händen um, die beiden anderen fliehen. Sten ist der Held der Gruppe. Das Töten sitzt als Reflex in ihm. So einem nimmt man nicht einfach etwas weg. Sein Sohn Adam, der nur noch Colter genannt werden will, dagegen ist ein Problemfall, schon immer gewesen. Adam lebt im Haus seiner verstorbenen Großmutter. Drumherum hat er eine hohe Mauer ohne Tür gebaut, um sich vor Aliens und Asiaten zu schützen. Wenn er das Gelände verlassen will, klettert er über die Mauer. Seine Nachtsichtbrille hat er immer bei sich.
Die dritte Hauptfigur, die Boyle in ein Spannungsverhältnis zu den beiden Stensen-Männern setzt, heißt Sara Hovarty Jennings; sie ist vierzig Jahre alt, geschieden und schlägt sich als Gelegenheitslehrerin und Hufschmiedin durch, vor allem aber ist sie bis unter den Scheitel munitioniert mit Verschwörungstheorien und Wut auf den Staat und seine Einrichtungen, auf die von Kommunisten beherrschte Presse, auf die Polizisten, „die Handlanger der illegitimen Regierung des Amerikas der Konzerne“. Sara nimmt Adam als Anhalter mit; zwischen den beiden entspinnt sich ein Verhältnis, das auf grundsätzlichen Missverständnissen beruht: Sara sieht in Adam einen Verbündeten im Kampf gegen die staatlichen Organe, die in ihren Augen die Ideale der amerikanischen Verfassung verraten und aus Menschen unfreie Bürger gemacht haben; Adam dagegen denkt längst in ganz anderen Kategorien. Bei ihr ist es Liebe, bei ihm Trieb.
Die Parallelwelten, die Boyle entwirft, befinden sich allesamt im selben Land, den USA, im selben Staat Kalifornien, aber auf unterschiedlichen Zeitebenen: Adams Widerstand ist grundsätzlich und nicht institutionell gedacht; sein Idol ist der Trapper und Waldläufer John Colter, der im späten 18. Jahrhundert den Kampf gegen die Blackfoot-Indianer führte. Sara mag eine Renegatin sein, doch Adam hat schlicht einen gefährlichen Riesenknall. Wenn man diese Ferndiagnose wagen darf, ist er ein kranker Mann mit autistischen und schizoiden Zügen.
Die Grenzen werden von Boyle sorgsam vermessen: Wie und wo kann man sich ungestört bewegen? Wozu kann man gezwungen werden? Zur Impfung seines Hundes? Zum Einbau einer Tür in eine Mauer? Zum Vorzeigen eines Führerscheins? Zum Abschluss einer Krankenversicherung? Ist derjenige, der sich aus der Mitte herausbegibt, automatisch krank? Müssen Abweichler sanktioniert werden? Was in „Hart auf hart“ in sprachlich sorgfältig getrennter Rollenprosa aufeinanderprallt, sind grundverschiedene Definitionen eines selbstbestimmten Lebens, die sich in der Figurenkonstellation spiegeln. Dass der Roman nichts Statisches hat, sondern im Gegenteil eine ungeheure Dynamik entwickelt, liegt daran, dass T. C. Boyle ein süffiger und unterhaltsamer Erzähler ist, der die mentale Gestimmtheit seiner Charaktere in den Alltagsdetails zu verankern weiß und der noch dazu in Dirk van Gunsteren einen ausgezeichneten Übersetzer hat.
Erzähltechnische Finessen sind Boyles Sache nicht; „Hart auf hart“ ist in einer sturen Und-dann-und-dann-Chronologie abgehandelt. Das wiederum ist auch eine logische Konsequenz der Perspektive, denn am Ende, es kann gar nicht anders sein, muss die öffentliche Ordnung wiederhergestellt sein. Adam alias Colter wird zum Mörder und spielt in den nordkalifornischen Wäldern eine Zeit lang ein Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei. Sten wiederum ist Mitglied einer Bürgerinitiative namens „Unser Wald gehört uns“. Auch hier also ein ungleicher Kampf zwischen Individuum und Interessengemeinschaften. Dass es von Beginn an keinen Zweifel daran gibt, wer ihn gewinnen wird, entspricht dem Weltbild des Autors. So bleiben nur vereinzelte Verlierer zurück.
Wie so oft schildert Boyle
die großen Reizthemen der USA
aus der Sicht des Außenseiters
Paranoia und Staatsverdrossenheit bringen die Hauptfigur des Romans dazu, sich in ihrem Haus einzumauern wie in einer Festung: Unser Bild zeigt eine Patrouille am Grenzzaun zwischen den USA und Mexiko.
Foto: John Moore/Getty Images/AFP
T. C. Boyle: Hart auf hart. Roman. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. Carl Hanser Verlag,
München 2015. 398 Seiten, 22,90 Euro, E-Book
16,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Wie geht ein unter Druck gesetztes Kollektiv mit Abweichlern um? T. C. Boyle treibt
in seinem neuen Roman „Hart auf hart“ die Radikalisierung des Individuums auf die Spitze
VON CHRISTOPH SCHRÖDER
Auf einer Landstraße in der Gegend um Ukiah, rund 100 Meilen nördlich von San Francisco, liest Sara ihn auf, einen jungen Mann mit kahl rasiertem Kopf und in einer Art Tarnanzug. Sara glaubt, den Mann zu kennen, aber woher? Etwas ist anders an ihm, seltsam, er antwortet zögerlich, wenn überhaupt, wirkt apathisch. Bis ein Polizeiwagen an ihnen vorbeifährt und Leben in den Mann kommt. „Wichser“, schreit er immer wieder und streckt beide Mittelfinger aus dem Seitenfenster. „Spinnst du“, ruft die Frau, und bekommt wieder keine Antwort, sondern nur ein versteinertes Gesicht zu sehen, und da erkennt sie ihn: Ob er nicht Adam sei, der Sohn von Sten Stensen. Der Mann dreht noch nicht einmal den Kopf zu ihr und antwortet: „Ich heiße Colter.“ Und damit ist schon eine der vielen Parallelwelten dieses Romans, vielleicht sogar die entscheidende, eröffnet.
T. C. Boyle hat sich schon immer für die großen Themen der amerikanischen Gegenwart interessiert, seien es der Gesundheitswahn oder die sexuelle Prüderie, sei es die Grenzpolitik zum Nachbarland Mexiko, sei es der fahrlässige Umgang mit den Ressourcen der Natur. Doch anders als beispielsweise ein John Updike beschreibt Boyle gesellschaftliche Zustände nicht aus der Perspektive der bürgerlichen Mitte, sondern aus der Position des Außenseiters heraus, des vermeintlichen oder tatsächlichen Freaks. So ist es auch in seinem neuen Roman, in dem wiederum vom Rand her Druck auf die Normalität erzeugt wird und in dem vor allem auf unterschiedlichen Ebenen eine zentrale Frage verhandelt wird: Wie steht es um die Freiheit des Einzelnen im Land der Freien, wenn ein Normen setzendes Kollektiv seine eigene Freiheit bedroht sieht?
Sten Stensen ist hochdekorierter Vietnam-Veteran und Schuldirektor im Ruhestand. Ein Choleriker vor dem Herrn noch dazu. Zusammen mit seiner Frau Carolee hat er sich ein hübsches Häuschen in Mendocino gekauft, mit Meerblick. Hin und wieder spielt er Golf. In der Eröffnungsszene des Romans werden er und seine Reisegruppe während einer Kreuzfahrt bei einem Landausflug in Costa Rica von drei bewaffneten jungen Männern überfallen. Sten nutzt eine Unachtsamkeit und bringt einen der Räuber mit bloßen Händen um, die beiden anderen fliehen. Sten ist der Held der Gruppe. Das Töten sitzt als Reflex in ihm. So einem nimmt man nicht einfach etwas weg. Sein Sohn Adam, der nur noch Colter genannt werden will, dagegen ist ein Problemfall, schon immer gewesen. Adam lebt im Haus seiner verstorbenen Großmutter. Drumherum hat er eine hohe Mauer ohne Tür gebaut, um sich vor Aliens und Asiaten zu schützen. Wenn er das Gelände verlassen will, klettert er über die Mauer. Seine Nachtsichtbrille hat er immer bei sich.
Die dritte Hauptfigur, die Boyle in ein Spannungsverhältnis zu den beiden Stensen-Männern setzt, heißt Sara Hovarty Jennings; sie ist vierzig Jahre alt, geschieden und schlägt sich als Gelegenheitslehrerin und Hufschmiedin durch, vor allem aber ist sie bis unter den Scheitel munitioniert mit Verschwörungstheorien und Wut auf den Staat und seine Einrichtungen, auf die von Kommunisten beherrschte Presse, auf die Polizisten, „die Handlanger der illegitimen Regierung des Amerikas der Konzerne“. Sara nimmt Adam als Anhalter mit; zwischen den beiden entspinnt sich ein Verhältnis, das auf grundsätzlichen Missverständnissen beruht: Sara sieht in Adam einen Verbündeten im Kampf gegen die staatlichen Organe, die in ihren Augen die Ideale der amerikanischen Verfassung verraten und aus Menschen unfreie Bürger gemacht haben; Adam dagegen denkt längst in ganz anderen Kategorien. Bei ihr ist es Liebe, bei ihm Trieb.
Die Parallelwelten, die Boyle entwirft, befinden sich allesamt im selben Land, den USA, im selben Staat Kalifornien, aber auf unterschiedlichen Zeitebenen: Adams Widerstand ist grundsätzlich und nicht institutionell gedacht; sein Idol ist der Trapper und Waldläufer John Colter, der im späten 18. Jahrhundert den Kampf gegen die Blackfoot-Indianer führte. Sara mag eine Renegatin sein, doch Adam hat schlicht einen gefährlichen Riesenknall. Wenn man diese Ferndiagnose wagen darf, ist er ein kranker Mann mit autistischen und schizoiden Zügen.
Die Grenzen werden von Boyle sorgsam vermessen: Wie und wo kann man sich ungestört bewegen? Wozu kann man gezwungen werden? Zur Impfung seines Hundes? Zum Einbau einer Tür in eine Mauer? Zum Vorzeigen eines Führerscheins? Zum Abschluss einer Krankenversicherung? Ist derjenige, der sich aus der Mitte herausbegibt, automatisch krank? Müssen Abweichler sanktioniert werden? Was in „Hart auf hart“ in sprachlich sorgfältig getrennter Rollenprosa aufeinanderprallt, sind grundverschiedene Definitionen eines selbstbestimmten Lebens, die sich in der Figurenkonstellation spiegeln. Dass der Roman nichts Statisches hat, sondern im Gegenteil eine ungeheure Dynamik entwickelt, liegt daran, dass T. C. Boyle ein süffiger und unterhaltsamer Erzähler ist, der die mentale Gestimmtheit seiner Charaktere in den Alltagsdetails zu verankern weiß und der noch dazu in Dirk van Gunsteren einen ausgezeichneten Übersetzer hat.
Erzähltechnische Finessen sind Boyles Sache nicht; „Hart auf hart“ ist in einer sturen Und-dann-und-dann-Chronologie abgehandelt. Das wiederum ist auch eine logische Konsequenz der Perspektive, denn am Ende, es kann gar nicht anders sein, muss die öffentliche Ordnung wiederhergestellt sein. Adam alias Colter wird zum Mörder und spielt in den nordkalifornischen Wäldern eine Zeit lang ein Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei. Sten wiederum ist Mitglied einer Bürgerinitiative namens „Unser Wald gehört uns“. Auch hier also ein ungleicher Kampf zwischen Individuum und Interessengemeinschaften. Dass es von Beginn an keinen Zweifel daran gibt, wer ihn gewinnen wird, entspricht dem Weltbild des Autors. So bleiben nur vereinzelte Verlierer zurück.
Wie so oft schildert Boyle
die großen Reizthemen der USA
aus der Sicht des Außenseiters
Paranoia und Staatsverdrossenheit bringen die Hauptfigur des Romans dazu, sich in ihrem Haus einzumauern wie in einer Festung: Unser Bild zeigt eine Patrouille am Grenzzaun zwischen den USA und Mexiko.
Foto: John Moore/Getty Images/AFP
T. C. Boyle: Hart auf hart. Roman. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. Carl Hanser Verlag,
München 2015. 398 Seiten, 22,90 Euro, E-Book
16,99 Euro.
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