Harald Martenstein hat einen wundersam anrührenden Familienroman geschrieben und nimmt die Leser dabei mit in das aufblühende Nachkriegs-Deutschland. Es geht um mörderische Väter und verlorene Mütter, um große Liebe und kleines Glück. Mit unterkühlter Ironie schafft er die Balance zwischen Trauer, Melancholie und Komik. Ein hinreißend komisch-kauziges Sittengemälde der 1950er Jahre...
- Martenstein ist bundesweit bekannt durch seine Glosse 'Lebenszeichen' in der 'Zeit'
- Harald Martenstein liest seinen Roman selbst
'Martenstein erzählt in bildhafter Sprache, treffend, trocken, schnörkellos. Ihm gelingt die Gradwanderung zwischen Situationskomik und den Abgründen des Lebens. Spitze!' Y. Bundeswehr Magazin
'Martenstein erzählt witzig und klug. Und das lässt sich von sehr vielen anderen Romanen nicht behaupten.' Westfalenpost
'Für seinen Witz, für seinen unbestechlichen Blick auf die frühen Jahre der Bundesrepublik gebührt ihm uneingeschränkt Beifall.' Nordkurier
- Martenstein ist bundesweit bekannt durch seine Glosse 'Lebenszeichen' in der 'Zeit'
- Harald Martenstein liest seinen Roman selbst
'Martenstein erzählt in bildhafter Sprache, treffend, trocken, schnörkellos. Ihm gelingt die Gradwanderung zwischen Situationskomik und den Abgründen des Lebens. Spitze!' Y. Bundeswehr Magazin
'Martenstein erzählt witzig und klug. Und das lässt sich von sehr vielen anderen Romanen nicht behaupten.' Westfalenpost
'Für seinen Witz, für seinen unbestechlichen Blick auf die frühen Jahre der Bundesrepublik gebührt ihm uneingeschränkt Beifall.' Nordkurier
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.03.2007Das Kind im Manne ist ein guter Erzähler
„Heimweg”: Der Kolumnist Harald Martenstein hat seinen ersten Roman geschrieben Von Christoph Bartmann
Harald Martenstein hat einen Roman geschrieben. Das löst einen gewissen Déjà-vu-Effekt aus, nicht weil Harald Martenstein schon öfter einen Roman geschrieben hat, sondern weil inzwischen viele Journalisten Romane schreiben. Sind sie – eine besonders hässliche Unterstellung – mit dem Tagesgeschäft nicht ausgelastet? Unterliegen sie als gewiefte Textwerker irgendwann der Illusion, sie seien die besseren Schriftsteller? Oder haben sie nur bestimmte ungesättigte Mitteilungswünsche, die sich auf dem Platz einer Harald-Martenstein-Kolumne nicht unterbringen lassen? Auffällig ist jedenfalls der Trend . . . nicht zum „Zweitbuch”, sondern zum Erstbuch, denn ziemlich oft sind Journalistenromane Erstlinge, auf die dann nichts mehr folgt. Als hätte der Journalist seinem Ehrgeiz abgeholfen und könnte fortan ruhiger schlafen.
Harald Martenstein hat es als Kolumnist im „Leben” der Zeit zu einiger Popularität gebracht. Man weiß nicht, ob es ihm leicht fällt, Woche für Woche einen Text über anonyme Anrufer oder Hunde einzuliefern, aber seine Kolumnen machen diesen Eindruck. Was immer sich Martenstein thematisch vornimmt – und in der Kolumne soll jedes Thema zur Bagatelle werden – , er hat für seine Gegenstände eine leichtfüßige, komische und vorsätzlich begriffsstutzige Sprache entwickelt, die zu einer Art Markenzeichen geworden ist.
Im Unterschied zu anderen Journalisten und Textsorten machen Martenstein und seine Kolumne regen Gebrauch von dem Wörtchen „ich”. Das „Ich” der Martenstein-Kolumne ist unter der Hand zu einem Autoren-Ich geworden, das, anders als andere Pronomina, nicht auf wechselnde Personen verweist, sondern auf Herrn Martenstein persönlich, in der Fülle seiner Gedanken und Anwandlungen. Wenn man so ein Autoren-Ich erst einmal etabliert hat, was liegt dann eigentlich näher als einen Roman zu schreiben? Und so ist es gekommen.
Aber Martenstein wäre nicht der schlaue Kolumnist, der er fraglos ist, wenn er uns mit „Heimweg” einfach den Roman zur Kolumne geschenkt hätte. „Heimweg” ist schon ein etwas komplizierteres Konstrukt. Dem Genre nach handelt es sich zwar um einen Familienroman, wie er derzeit stark im Schwange ist; aber Martenstein zeigt sich von Beginn an entschlossen, nicht in die Realismusfalle zu tappen, keine öde Zeitchronik zu verfassen, nicht den allwissenden Erzähler zu mimen, kurz alles zu vermeiden, was Schriftsteller gern falsch machen. Ähnlich wie in seinen Kolumnen hat er auch hier einen Komplikator eingebaut, und sein Name ist „Kind”: „Ich bin nur ein Kind”, lässt er den Ich-Erzähler sagen, „obwohl ich schon so lange auf der Welt bin.” Für die Erzählperspektive hat dieser Trick den Vorteil, dass das „Ich” alles wissen kann, aber nichts wissen muss. „Glaubwürdig”, wie im realistischen Zeitzeugenroman, muss diese Erzählerfunktion nicht sein – wir wissen eh, das im Innern dieses Kindes Herr Martenstein persönlich die Fäden zieht.
„Es ist das erste Mal”, schreibt das Kind, „dass ich eine Geschichte aufschreibe. Ich habe keine Erfahrung mit so etwas.” Wer so arglos daherkommt wie das „Ich” dieses Romans, und wer uns obendrein aus Kindermund die alte poetologische Wahrheit kundtut, das „ganze Geschichtenerzählen” sei „ein einziger Betrug”, der hat es natürlich faustdick hinter den Ohren. Hinter dem Einfaltskalkül dieses Romans steckt ein hoher artifizieller Anspruch. Auch wenn hier nur „eine Art Liebesgeschichte” erzählt werden soll, die „zwischen ungefähr 1950 und ungefähr 1990” spielt, weiß Martenstein ziemlich genau, was er tut. Vielleicht auch zu genau.
„Heimweg” beginnt mit der Rückkehr des Großvaters aus der Kriegsgefangenschaft. Dass ihm zuhause nicht die Ehefrau, sondern ein unbekannter Mann die Tür aufmacht, überrascht ihn nicht sonderlich. Eher schon der Umstand, dass das Gesicht des Mannes mit Blutstropfen gesprenkelt ist und sich weiter hinten im Raum die Großmutter blutend auf dem Boden wälzt. Damals war die Großmutter noch keine Großmutter, sondern eine Schönheitstänzerin, um deren Gunst sich zwei Franzosen mit der Pistole gestritten hatten. Die Großmutter erholt sich wieder, die Franzosen suchen das Weite, Joseph, der Heimkehrer, tritt in seine angestammten Rechte ein, und damit könnte die vom Kind versprochene Liebesgeschichte ihren zweiten Anfang nehmen.
Aber auf „linear” haben Martenstein und das Kind keine rechte Lust, und man kann sie verstehen. Geschichtenerzählen ist ein Betrug, aber eigentlich nur dann, wenn man so tut, als ginge eine Geschichte ständig voran. „Jetzt sage ich”, so das Kind, „was ich am Geschichtenerzählen gut finde. Ich finde es gut, dass man zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart einfach hin- und herspringen darf. Im Kopf geht es genauso.” Damit hat man einige Erzählprobleme vom Hals, andere aber immer noch nicht gelöst. Darf ein Kind sagen, dass der Großvater am Ende seines Lebens mit seinem Poncho und seiner Pelzmütze wie ein „Freak” aussah? Und warum ist es schwerer, einen Roman zu schreiben als eine Kolumne? Weil man darin andere Stimmen modellieren müsste als die eigene, es sei denn, man will seine Stimme allen Anderen in den Mund legen.
Man liest nicht ungern von Joseph und Katharina, dem wieder vereinten Ehepaar. Einen Vater hatte die Großmutter, der Bierbrauer war, und einen Urgroßvater, der ein berühmter Räuber und Wilderer war, der Heigl, der „bayrische Robin Hood”. „Wie ein historischer Vorgänger von Che Guevara” habe der Heigl bei der Gerichtsverhandlung ausgesehen, wird erzählt, und man ahnt, dieses Kind will einmal Journalist werden. Das Kind, das hier durch ein Jahrhundert Familiengeschichte navigiert, hat aber auch eine ausgesprochen poetische und surreale Ader, so dass man glauben könnte, es hätte das Zeug zum Schriftsteller. Der Brauer Alfons, erzählt es, hörte gern am Abend Radio. „Manchmal schaltete er das Radio spät nachts ein, nach Sendeschluss und hörte dem Rauschen zu. Das Rauschen des Radios erschien ihm so schön wie das Rauschen des Meeres, es war die Welt der Gedanken, der Geister und der Musik.” In solchen Passagen sind alle journalistischen Flapsigkeiten vergessen, und man möchte dem literarischen Erzähler Harald Martenstein fortan sein Vertrauen aussprechen. Telepathien, Spleens und Wachträume (aus denen dann Figuren wie Freddy Quinn in wirkliche Romanleben hinaus treten), das sind Zustände geminderter Zurechnungsfähigkeit, auf die Martenstein sich versteht. Und das Kind in diesem Manne sowieso.
Harald Martenstein
Heimweg
Roman. C. Bertelsmann Verlag,
München 2007. 224 Seiten, 18 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
„Heimweg”: Der Kolumnist Harald Martenstein hat seinen ersten Roman geschrieben Von Christoph Bartmann
Harald Martenstein hat einen Roman geschrieben. Das löst einen gewissen Déjà-vu-Effekt aus, nicht weil Harald Martenstein schon öfter einen Roman geschrieben hat, sondern weil inzwischen viele Journalisten Romane schreiben. Sind sie – eine besonders hässliche Unterstellung – mit dem Tagesgeschäft nicht ausgelastet? Unterliegen sie als gewiefte Textwerker irgendwann der Illusion, sie seien die besseren Schriftsteller? Oder haben sie nur bestimmte ungesättigte Mitteilungswünsche, die sich auf dem Platz einer Harald-Martenstein-Kolumne nicht unterbringen lassen? Auffällig ist jedenfalls der Trend . . . nicht zum „Zweitbuch”, sondern zum Erstbuch, denn ziemlich oft sind Journalistenromane Erstlinge, auf die dann nichts mehr folgt. Als hätte der Journalist seinem Ehrgeiz abgeholfen und könnte fortan ruhiger schlafen.
Harald Martenstein hat es als Kolumnist im „Leben” der Zeit zu einiger Popularität gebracht. Man weiß nicht, ob es ihm leicht fällt, Woche für Woche einen Text über anonyme Anrufer oder Hunde einzuliefern, aber seine Kolumnen machen diesen Eindruck. Was immer sich Martenstein thematisch vornimmt – und in der Kolumne soll jedes Thema zur Bagatelle werden – , er hat für seine Gegenstände eine leichtfüßige, komische und vorsätzlich begriffsstutzige Sprache entwickelt, die zu einer Art Markenzeichen geworden ist.
Im Unterschied zu anderen Journalisten und Textsorten machen Martenstein und seine Kolumne regen Gebrauch von dem Wörtchen „ich”. Das „Ich” der Martenstein-Kolumne ist unter der Hand zu einem Autoren-Ich geworden, das, anders als andere Pronomina, nicht auf wechselnde Personen verweist, sondern auf Herrn Martenstein persönlich, in der Fülle seiner Gedanken und Anwandlungen. Wenn man so ein Autoren-Ich erst einmal etabliert hat, was liegt dann eigentlich näher als einen Roman zu schreiben? Und so ist es gekommen.
Aber Martenstein wäre nicht der schlaue Kolumnist, der er fraglos ist, wenn er uns mit „Heimweg” einfach den Roman zur Kolumne geschenkt hätte. „Heimweg” ist schon ein etwas komplizierteres Konstrukt. Dem Genre nach handelt es sich zwar um einen Familienroman, wie er derzeit stark im Schwange ist; aber Martenstein zeigt sich von Beginn an entschlossen, nicht in die Realismusfalle zu tappen, keine öde Zeitchronik zu verfassen, nicht den allwissenden Erzähler zu mimen, kurz alles zu vermeiden, was Schriftsteller gern falsch machen. Ähnlich wie in seinen Kolumnen hat er auch hier einen Komplikator eingebaut, und sein Name ist „Kind”: „Ich bin nur ein Kind”, lässt er den Ich-Erzähler sagen, „obwohl ich schon so lange auf der Welt bin.” Für die Erzählperspektive hat dieser Trick den Vorteil, dass das „Ich” alles wissen kann, aber nichts wissen muss. „Glaubwürdig”, wie im realistischen Zeitzeugenroman, muss diese Erzählerfunktion nicht sein – wir wissen eh, das im Innern dieses Kindes Herr Martenstein persönlich die Fäden zieht.
„Es ist das erste Mal”, schreibt das Kind, „dass ich eine Geschichte aufschreibe. Ich habe keine Erfahrung mit so etwas.” Wer so arglos daherkommt wie das „Ich” dieses Romans, und wer uns obendrein aus Kindermund die alte poetologische Wahrheit kundtut, das „ganze Geschichtenerzählen” sei „ein einziger Betrug”, der hat es natürlich faustdick hinter den Ohren. Hinter dem Einfaltskalkül dieses Romans steckt ein hoher artifizieller Anspruch. Auch wenn hier nur „eine Art Liebesgeschichte” erzählt werden soll, die „zwischen ungefähr 1950 und ungefähr 1990” spielt, weiß Martenstein ziemlich genau, was er tut. Vielleicht auch zu genau.
„Heimweg” beginnt mit der Rückkehr des Großvaters aus der Kriegsgefangenschaft. Dass ihm zuhause nicht die Ehefrau, sondern ein unbekannter Mann die Tür aufmacht, überrascht ihn nicht sonderlich. Eher schon der Umstand, dass das Gesicht des Mannes mit Blutstropfen gesprenkelt ist und sich weiter hinten im Raum die Großmutter blutend auf dem Boden wälzt. Damals war die Großmutter noch keine Großmutter, sondern eine Schönheitstänzerin, um deren Gunst sich zwei Franzosen mit der Pistole gestritten hatten. Die Großmutter erholt sich wieder, die Franzosen suchen das Weite, Joseph, der Heimkehrer, tritt in seine angestammten Rechte ein, und damit könnte die vom Kind versprochene Liebesgeschichte ihren zweiten Anfang nehmen.
Aber auf „linear” haben Martenstein und das Kind keine rechte Lust, und man kann sie verstehen. Geschichtenerzählen ist ein Betrug, aber eigentlich nur dann, wenn man so tut, als ginge eine Geschichte ständig voran. „Jetzt sage ich”, so das Kind, „was ich am Geschichtenerzählen gut finde. Ich finde es gut, dass man zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart einfach hin- und herspringen darf. Im Kopf geht es genauso.” Damit hat man einige Erzählprobleme vom Hals, andere aber immer noch nicht gelöst. Darf ein Kind sagen, dass der Großvater am Ende seines Lebens mit seinem Poncho und seiner Pelzmütze wie ein „Freak” aussah? Und warum ist es schwerer, einen Roman zu schreiben als eine Kolumne? Weil man darin andere Stimmen modellieren müsste als die eigene, es sei denn, man will seine Stimme allen Anderen in den Mund legen.
Man liest nicht ungern von Joseph und Katharina, dem wieder vereinten Ehepaar. Einen Vater hatte die Großmutter, der Bierbrauer war, und einen Urgroßvater, der ein berühmter Räuber und Wilderer war, der Heigl, der „bayrische Robin Hood”. „Wie ein historischer Vorgänger von Che Guevara” habe der Heigl bei der Gerichtsverhandlung ausgesehen, wird erzählt, und man ahnt, dieses Kind will einmal Journalist werden. Das Kind, das hier durch ein Jahrhundert Familiengeschichte navigiert, hat aber auch eine ausgesprochen poetische und surreale Ader, so dass man glauben könnte, es hätte das Zeug zum Schriftsteller. Der Brauer Alfons, erzählt es, hörte gern am Abend Radio. „Manchmal schaltete er das Radio spät nachts ein, nach Sendeschluss und hörte dem Rauschen zu. Das Rauschen des Radios erschien ihm so schön wie das Rauschen des Meeres, es war die Welt der Gedanken, der Geister und der Musik.” In solchen Passagen sind alle journalistischen Flapsigkeiten vergessen, und man möchte dem literarischen Erzähler Harald Martenstein fortan sein Vertrauen aussprechen. Telepathien, Spleens und Wachträume (aus denen dann Figuren wie Freddy Quinn in wirkliche Romanleben hinaus treten), das sind Zustände geminderter Zurechnungsfähigkeit, auf die Martenstein sich versteht. Und das Kind in diesem Manne sowieso.
Harald Martenstein
Heimweg
Roman. C. Bertelsmann Verlag,
München 2007. 224 Seiten, 18 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.02.2007Arme Teufel in Topform
Vorsicht, Erzählfalle! Der Journalist Harald Martenstein hat einen ebenso komischen wie tückischen Familienroman über die Nachkriegszeit geschrieben, in dem die Grenzen zwischen Lebenden und Toten verwischen.
Von Richard Kämmerlings
Ich jedenfalls bin diesem Buch auf den Leim gegangen. Vielleicht weil ich die ersten Seiten zu unaufmerksam gelesen, nicht wirklich über die Figurenkonstellation, Geburtsdaten, Jahreszahlen nachgedacht hatte. Vielleicht auch einfach deswegen, weil die Gattungsbezeichnung "Roman" in der jüngeren deutschen Literatur so inflationär zur Bemäntelung des autobiographischen Gehalts verwendet wird, zur Verschleierung der Tatsache, dass eigentlich gar kein literarischer Stoff vorhanden ist jenseits der trivialen Tatsache, dass jeder, eben auch der Dichter, eine Kindheit, eine erste Liebe und irgendeine verkorkste Beziehung hinter sich hat. Und natürlich war auch der Autorenname schuld: Ein Familienroman von Harald Martenstein, dem Reporter und launigen "Zeit"-Kolumnisten? Wovon sollte der schon groß zu erzählen haben - außer von sich selbst?
"Die Heimkehr meines Großvaters aus dem Krieg stand unter keinem guten Stern." Das Buch setzt ein mit einer Urszene der Nachkriegszeit: Die letzten Kriegsgefangenen kehren zurück - ihren Frauen und Kindern fremdgeworden, erkennen sie ihre von Bomben zerstörten Heimatstädte kaum wieder. Und diese unendlich oft erlebte und noch öfter erzählte Geschichte liefert Harald Martenstein in einem leichten, tragikomischen Plauderton, den man aus seinen journalistischen Texten kennt: "Von seiner Russlandreise hatte er außerdem zwei steife Finger, einen Lungendurchschuss und eine nicht genau zu bestimmende Zahl von Lungenstecksplittern mitgebracht, das heißt, er war geradezu in Topform, verglichen mit einigen anderen armen Teufeln in seinem Eisenbahnwaggon."
Nach den ersten Seiten hält man das Buch für eine Art Wolfgang-Borchert-Travestie - "Draußen vor der Tür" als autobiographisch getönter Schelmenroman: Der Großvater (der sogar noch Wolfgang heißt) kehrt just in dem Moment nach Hause zurück, als seine Frau Katharina, vielbeschäftigte Animierdame und "Schönheitstänzerin", in ein blutiges Eifersuchtsdrama mit zwei französischen Besatzungssoldaten verwickelt ist und dabei um ein Haar getötet wird: "Hast du das Verbandszeug woanders hingepackt, das war doch im roten Schränkchen?", sind die ersten Worte, die Wolfgang nach sechs Jahren Abwesenheit an seine Frau richtet. Kein guter Stern, fürwahr.
Doch Wolfgang ist zäh, er hat die Ostfront und Sibirien überstanden, und kämpft nun darum, die verlorene Liebe seiner lebenslustigen Frau zurückzuerobern; auch kämpft er um seinen Anteil am einsetzenden Wirtschaftswunder, als Geldbote bei einer Bank kommt er zu bescheidenem Wohlstand, während Katharina, nicht ohne das Risiko neuer erotischer Verwicklungen, in der florierenden Nachtbar ihrer Schwester Rosalie arbeitet. Martenstein zeichnet ein berührendes Doppelporträt zweier Menschen, die aus pragmatischen Gründen zusammenbleiben, obwohl oder vielleicht weil sie wissen, dass sie die beiden "wichtigsten Dinge, die in einem Leben passieren können", hinter sich haben, den Krieg und die Liebe nämlich. Das ist ein schöner Stoff, anschaulich, unterhaltsam, temporeich präsentiert, etwas kolportagehaft, aber mitunter sehr komisch - etwa die Episode über die ins Chaos umschlagende Haustiersammlung des Großvaters - und sehr klug, fast altklug. Mit einem Wort: Für einen Roman zu wenig.
Als Freddy Quinn Omas Schatten war.
Wann also merkt der Leser nun, dass er in die Falle gegangen ist, dass hier etwas nicht stimmt, nicht stimmen kann? Er könnte es schon vor der Lektüre merken, beim Klappentext etwa. "Harald Martenstein, geboren 1953" steht da. Es kann also kaum von Martensteins Großvater die Rede sein. "Da es sich um meine Großeltern handelt und da es mich zweifellos gibt, muss irgendwann ein Kind auftauchen, das sagt einem der gesunde Menschenverstand. Es dauert aber eine Weile, werden Sie in dieser Hinsicht nicht ungeduldig." Schon im zweiten Kapitel beugt der Erzähler auf diese Weise vor und sagt zugleich: "Es ist das erste Mal, dass ich eine Geschichte aufschreibe. Ich habe keine Erfahrung mit so etwas."
Und dann kommt aber gar kein Kind, obwohl Wolfgang dringend eines will; und ein anderes, ungewolltes, spätes, das von Katharinas Schwester Rosalie, stirbt im Mutterleib, weil sie sich bei ihrem eigenen untreuen Mann die Syphilis geholt hat. Und ein weiteres, Katharinas und Rosalies kleiner Bruder Otto, wird schon als kleiner Junge das Opfer einer grausigen Familientragödie, lange vor dem Krieg. Und ein anderes Kind, ein russischer Junge, wird irgendwo im Wald bei Smolensk von Wolfgang erschossen. Doch woher soll der so überaus eloquente Enkel kommen?
Langsam, ganz langsam drängen die Toten in den Roman, der nur scheinbar vom Neuanfang, vom Wiederaufbau, von einer privaten wie kollektiven Erfolgsgeschichte zu handeln versprach. Das beginnt mit der langen Rückblende auf das Schicksal des Urgroßvaters, Katharinas Vater, eines philosophischen und historischen Autodidakten, der von der fixen Idee besessen ist, von der bayrischen Räuberlegende Heigl abzustammen. Er driftet in eine Wahnwelt ab, in der ihn der wiederauferstandene Verschwörer besucht und ihm schließlich die Opferung seines Sohns befiehlt. Während der Nazi-Zeit in einer geschlossenen Anstalt untergebracht, fällt der Urgroßvater selbst der Euthanasie zum Opfer.
Die von diesen Gespenstern ihrer Familiengeschichte ohnehin verfolgte Katharina flüchtet sich nun ihrerseits vor dem Alter, der Ehe und der Mietshausspießigkeit in immer drängendere und mehr Raum beanspruchende Tagträume von Dolce Vita; Freddy Quinn und Kulenkampff geben sich bald bei ihr die Klinke in die Hand. Wolfgang schließlich muss mit den von ihm Erschossenen an der Ostfront weiterleben und beginnt, während er die Visionen seiner Frau tapfer toleriert, an seinem eigenen Verstand zu zweifeln. Der "Heimweg" des Titels ist vor allem eine Heimsuchung.
Wie raffiniert und hintersinnig dieser scheinbar so locker dahingeplauderte Roman konstruiert ist, merkt man wohl erst bei einer mehrfachen Lektüre, auch weil dann die zunächst unproblematische, dann immer rätselhaftere Erzählerfigur in den Fokus gerät. Martenstein zeichnet die auf der Oberfläche so realistische, bodenständige Bundesrepublik als ein Zwischen- und Schattenreich, in dem die Ausgeburten der Phantasie und die Geister der Vergangenheit ebenso großen Raum einnehmen wie die Wirklichkeit. Die Toten sind nicht tot, so lange sich jemand an sie erinnert. Und auch ein nur herbeigesehnter Nachkomme kann zum Erzähler der eigenen Geschichte werden. Frei nach Pirandello: Die Figuren suchen einen Autor. Und finden ihn - in Harald Martenstein. Welch ein Glück.
Harald Martenstein: "Heimweg". Roman. C. Bertelsmann Verlag. München 2007. 224 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vorsicht, Erzählfalle! Der Journalist Harald Martenstein hat einen ebenso komischen wie tückischen Familienroman über die Nachkriegszeit geschrieben, in dem die Grenzen zwischen Lebenden und Toten verwischen.
Von Richard Kämmerlings
Ich jedenfalls bin diesem Buch auf den Leim gegangen. Vielleicht weil ich die ersten Seiten zu unaufmerksam gelesen, nicht wirklich über die Figurenkonstellation, Geburtsdaten, Jahreszahlen nachgedacht hatte. Vielleicht auch einfach deswegen, weil die Gattungsbezeichnung "Roman" in der jüngeren deutschen Literatur so inflationär zur Bemäntelung des autobiographischen Gehalts verwendet wird, zur Verschleierung der Tatsache, dass eigentlich gar kein literarischer Stoff vorhanden ist jenseits der trivialen Tatsache, dass jeder, eben auch der Dichter, eine Kindheit, eine erste Liebe und irgendeine verkorkste Beziehung hinter sich hat. Und natürlich war auch der Autorenname schuld: Ein Familienroman von Harald Martenstein, dem Reporter und launigen "Zeit"-Kolumnisten? Wovon sollte der schon groß zu erzählen haben - außer von sich selbst?
"Die Heimkehr meines Großvaters aus dem Krieg stand unter keinem guten Stern." Das Buch setzt ein mit einer Urszene der Nachkriegszeit: Die letzten Kriegsgefangenen kehren zurück - ihren Frauen und Kindern fremdgeworden, erkennen sie ihre von Bomben zerstörten Heimatstädte kaum wieder. Und diese unendlich oft erlebte und noch öfter erzählte Geschichte liefert Harald Martenstein in einem leichten, tragikomischen Plauderton, den man aus seinen journalistischen Texten kennt: "Von seiner Russlandreise hatte er außerdem zwei steife Finger, einen Lungendurchschuss und eine nicht genau zu bestimmende Zahl von Lungenstecksplittern mitgebracht, das heißt, er war geradezu in Topform, verglichen mit einigen anderen armen Teufeln in seinem Eisenbahnwaggon."
Nach den ersten Seiten hält man das Buch für eine Art Wolfgang-Borchert-Travestie - "Draußen vor der Tür" als autobiographisch getönter Schelmenroman: Der Großvater (der sogar noch Wolfgang heißt) kehrt just in dem Moment nach Hause zurück, als seine Frau Katharina, vielbeschäftigte Animierdame und "Schönheitstänzerin", in ein blutiges Eifersuchtsdrama mit zwei französischen Besatzungssoldaten verwickelt ist und dabei um ein Haar getötet wird: "Hast du das Verbandszeug woanders hingepackt, das war doch im roten Schränkchen?", sind die ersten Worte, die Wolfgang nach sechs Jahren Abwesenheit an seine Frau richtet. Kein guter Stern, fürwahr.
Doch Wolfgang ist zäh, er hat die Ostfront und Sibirien überstanden, und kämpft nun darum, die verlorene Liebe seiner lebenslustigen Frau zurückzuerobern; auch kämpft er um seinen Anteil am einsetzenden Wirtschaftswunder, als Geldbote bei einer Bank kommt er zu bescheidenem Wohlstand, während Katharina, nicht ohne das Risiko neuer erotischer Verwicklungen, in der florierenden Nachtbar ihrer Schwester Rosalie arbeitet. Martenstein zeichnet ein berührendes Doppelporträt zweier Menschen, die aus pragmatischen Gründen zusammenbleiben, obwohl oder vielleicht weil sie wissen, dass sie die beiden "wichtigsten Dinge, die in einem Leben passieren können", hinter sich haben, den Krieg und die Liebe nämlich. Das ist ein schöner Stoff, anschaulich, unterhaltsam, temporeich präsentiert, etwas kolportagehaft, aber mitunter sehr komisch - etwa die Episode über die ins Chaos umschlagende Haustiersammlung des Großvaters - und sehr klug, fast altklug. Mit einem Wort: Für einen Roman zu wenig.
Als Freddy Quinn Omas Schatten war.
Wann also merkt der Leser nun, dass er in die Falle gegangen ist, dass hier etwas nicht stimmt, nicht stimmen kann? Er könnte es schon vor der Lektüre merken, beim Klappentext etwa. "Harald Martenstein, geboren 1953" steht da. Es kann also kaum von Martensteins Großvater die Rede sein. "Da es sich um meine Großeltern handelt und da es mich zweifellos gibt, muss irgendwann ein Kind auftauchen, das sagt einem der gesunde Menschenverstand. Es dauert aber eine Weile, werden Sie in dieser Hinsicht nicht ungeduldig." Schon im zweiten Kapitel beugt der Erzähler auf diese Weise vor und sagt zugleich: "Es ist das erste Mal, dass ich eine Geschichte aufschreibe. Ich habe keine Erfahrung mit so etwas."
Und dann kommt aber gar kein Kind, obwohl Wolfgang dringend eines will; und ein anderes, ungewolltes, spätes, das von Katharinas Schwester Rosalie, stirbt im Mutterleib, weil sie sich bei ihrem eigenen untreuen Mann die Syphilis geholt hat. Und ein weiteres, Katharinas und Rosalies kleiner Bruder Otto, wird schon als kleiner Junge das Opfer einer grausigen Familientragödie, lange vor dem Krieg. Und ein anderes Kind, ein russischer Junge, wird irgendwo im Wald bei Smolensk von Wolfgang erschossen. Doch woher soll der so überaus eloquente Enkel kommen?
Langsam, ganz langsam drängen die Toten in den Roman, der nur scheinbar vom Neuanfang, vom Wiederaufbau, von einer privaten wie kollektiven Erfolgsgeschichte zu handeln versprach. Das beginnt mit der langen Rückblende auf das Schicksal des Urgroßvaters, Katharinas Vater, eines philosophischen und historischen Autodidakten, der von der fixen Idee besessen ist, von der bayrischen Räuberlegende Heigl abzustammen. Er driftet in eine Wahnwelt ab, in der ihn der wiederauferstandene Verschwörer besucht und ihm schließlich die Opferung seines Sohns befiehlt. Während der Nazi-Zeit in einer geschlossenen Anstalt untergebracht, fällt der Urgroßvater selbst der Euthanasie zum Opfer.
Die von diesen Gespenstern ihrer Familiengeschichte ohnehin verfolgte Katharina flüchtet sich nun ihrerseits vor dem Alter, der Ehe und der Mietshausspießigkeit in immer drängendere und mehr Raum beanspruchende Tagträume von Dolce Vita; Freddy Quinn und Kulenkampff geben sich bald bei ihr die Klinke in die Hand. Wolfgang schließlich muss mit den von ihm Erschossenen an der Ostfront weiterleben und beginnt, während er die Visionen seiner Frau tapfer toleriert, an seinem eigenen Verstand zu zweifeln. Der "Heimweg" des Titels ist vor allem eine Heimsuchung.
Wie raffiniert und hintersinnig dieser scheinbar so locker dahingeplauderte Roman konstruiert ist, merkt man wohl erst bei einer mehrfachen Lektüre, auch weil dann die zunächst unproblematische, dann immer rätselhaftere Erzählerfigur in den Fokus gerät. Martenstein zeichnet die auf der Oberfläche so realistische, bodenständige Bundesrepublik als ein Zwischen- und Schattenreich, in dem die Ausgeburten der Phantasie und die Geister der Vergangenheit ebenso großen Raum einnehmen wie die Wirklichkeit. Die Toten sind nicht tot, so lange sich jemand an sie erinnert. Und auch ein nur herbeigesehnter Nachkomme kann zum Erzähler der eigenen Geschichte werden. Frei nach Pirandello: Die Figuren suchen einen Autor. Und finden ihn - in Harald Martenstein. Welch ein Glück.
Harald Martenstein: "Heimweg". Roman. C. Bertelsmann Verlag. München 2007. 224 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main