"Ich habe nie nach Popularität gehascht" - Helmut Schmidt zieht Bilanz.
Helmut Schmidt gilt als einer der bedeutendsten Staatsmänner, als krisenbewährter Macher, pragmatischer Manager und erster Medienkanzler der Bundesrepublik Deutschland. Er wurde am 23. Dezember vergangenen Jahres 85 Jahre alt. Aus diesem Anlass haben Volker Herres, Chefredakteur des NDR-Fernsehens, und Joachim Knuth, Chefredakteur des NDR-Hörfunks, mit Helmut Schmidt über Höhen und Tiefen seines Lebens sowie über die aktuelle Politik gesprochen.
Helmut Schmidt gilt als einer der bedeutendsten Staatsmänner, als krisenbewährter Macher, pragmatischer Manager und erster Medienkanzler der Bundesrepublik Deutschland. Er wurde am 23. Dezember vergangenen Jahres 85 Jahre alt. Aus diesem Anlass haben Volker Herres, Chefredakteur des NDR-Fernsehens, und Joachim Knuth, Chefredakteur des NDR-Hörfunks, mit Helmut Schmidt über Höhen und Tiefen seines Lebens sowie über die aktuelle Politik gesprochen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.04.2002"Wir werden damit nicht fertig"
Vermächtnis in Gesprächsform: Der frühere Bundeskanzler Schmidt blickt zurück
Helmut Schmidt: Hand aufs Herz. Helmut Schmidt im Gespräch mit Sandra Maischberger. Econ Verlag, München 2002. 266 Seiten, 20,- Euro.
Keiner war besser auf das Amt vorbereitet als er: Verkehrsdezernent, später Innensenator in Hamburg, Mitglied des Bundestages, dort in der Zeit der Großen Koalition Vorsitzender der SPD-Fraktion, danach Verteidigungs und schließlich Finanzminister. Helmut Schmidt hatte alles, was ein künftiger Bundeskanzler braucht, nur eines nicht: die Zeit, es zu werden. Lediglich fünf Jahre jünger als Willy Brandt, gab es für ihn unter normalen Umständen kaum eine Chance, ins Kanzleramt einzuziehen. Aber die Umstände waren nicht normal. Willy Brandt war erschöpft, trat am 6. Mai 1974 aus relativ nichtigem Anlaß zurück und ließ keinen Zweifel, wer allein die Nachfolge antreten könne: "Du mußt es nun machen", sagte er damals zu Helmut Schmidt.
Würde er noch einmal Bundeskanzler werden wollen? "Nein. Mit Sicherheit nicht", sagt Helmut Schmidt heute in seinem Hamburger Haus zu Sandra Maischberger. Das sei ein "schlimmes Amt", die "Last der Verantwortung" sei an der "Grenze dessen, was man auf Dauer ertragen" könne. Der Mann weiß, wovon er spricht: Terrorismus, Energiekrise, Turbulenzen in der Wirtschafts- und Währungspolitik, sowjetische Hochrüstung und westliche Reaktion und nicht zuletzt die eigenen Genossen haben ihm das Kanzlerleben schwergemacht. Jetzt blickt Schmidt, der längst die Achtzig überschritten hat, zurück. Das Buch kann man durchaus als Memoiren und in manchem als Vermächtnis Helmut Schmidts lesen: hoch informativ, sehr persönlich und durchaus bewegend. So wenn er über seine Eltern und seine Freunde - Sadat etwa - spricht, von seiner Liebe zu Malerei und Musik oder auch von den Höhen und den Tiefen seines Lebens, wie dem Verlust seines Gehörs: "Ich kann keinerlei Musik mehr hören, das ist die Tragödie meines Alters."
Natürlich steht die Politik im Vordergrund. Schmidt wäre sonst nicht Schmidt. So erfährt man, daß er in seinem Leben nur zwei Ämter "gern ausgeführt" und "freiwillig" auf sich genommen hat: "Das eine war das Amt des Innensenators in Hamburg, das andere war das Amt des Fraktionsvorsitzenden. Zum Verteidigungsminister habe ich mich nicht gedrängt, da ha-ben sich Brandt und Wehner viel Mühe geben müssen, mich zu überreden." Ähnlich erinnert sich Schmidt an seine "Einzüge" ins Finanzministerium und ins Kanzleramt: "Gemeldet" habe er sich nicht.
Stimmt schon. Aber alles aus reinem Pflichtbewußtsein? Gar keine Spur von Ehrgeiz? Auch Schmidts Gesprächspartnerin Maischberger kommen da leichte Zweifel. Keine Konkurrenz? Keine Konkurrenten? Wie war das Verhältnis zu Willy Brandt? Nie zuvor hat sich Schmidt zu Brandt so offen geäußert wie hier, und er tut sich damit nicht leicht. In den sechziger Jahren wäre er für den Hoffnungsträger der Sozialdemokratie "durchs Feuer gegangen", sagt er auch jetzt. In "gewisser Weise immer noch, bis zum Ende", sei Brandt sogar sein "Freund" gewesen.
Natürlich habe es "tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten" gegeben - so in der Frage des Nato-Doppelbeschlusses, die Schmidt nach acht Jahren die Kanzlerschaft kostete, so schon zehn Jahre zuvor, nach dem triumphalen Wahlsieg von 1972, als Willy Brandt krankheitsbedingt außer Gefecht gesetzt war und andere, unter ihnen Helmut Schmidt, das Kabinett umgebildet hatten. "Da kann natürlich heute jemand kommen und sagen, der Wehner und der Schmidt haben die Gelegenheit benutzt, das Kabinett so zusammenzubauen, wie sie es für richtig hielten. Das ist sogar richtig: Wir haben es so gemacht, wie wir es für richtig hielten, sicher." Daß die beiden dabei eigentlich die Interessen der Partei und damit des Kanzlers im Auge hatten, muß man zwischen den Zeilen lesen.
Überhaupt schweigt sich Schmidt, bei allem Respekt für Brandt, über dessen Qualitäten als Kanzler aus. Bei anderen ist er da nicht so zurückhaltend. Adenauer? Den habe er "sehr respektiert, tue es auch heute noch, sogar mehr als damals, wenngleich ich auch die Fehler sehe, die er gemacht hat". Und Kohl? "Ganz gut - jedenfalls die ersten sieben Jahre ganz gut, normal. . . . Sein ganz großes Verdienst: das Zustandebringen der Vereinigung." Über den derzeitigen Amtsinhaber ist von Schmidt Vergleichbares nicht zu hören. Man habe aber "mindestens" zwei Kanzler erlebt, die ihre Sache nicht sonderlich gut gemacht hätten, "der eine war Kiesinger, der andere war Erhard".
Und dann reflektiert der frühere Bundeskanzler über diesen Amtsvorgänger in einem aktuellen Zusammenhang: Erhard habe die Gastarbeiter ins Land geholt, und das sei "schon ein großer Fehler" gewesen. "Und jetzt sitzen wir da mit einer sehr heterogenen, de facto multikulturellen Gesellschaft, de facto, und werden damit nicht fertig. Wir Deutschen sind unfähig, die sieben Millionen alle zu assimilieren. Die Deutschen wollen das auch gar nicht, sie sind innerlich weitgehend fremdenfeindlich." Eine überraschende, eine polarisierende Sicht der Dinge. Aber Helmut Schmidt legt in diesem Buch nicht nur die Hand aufs Herz; er nimmt auch kein Blatt vor den Mund.
GREGOR SCHÖLLGEN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vermächtnis in Gesprächsform: Der frühere Bundeskanzler Schmidt blickt zurück
Helmut Schmidt: Hand aufs Herz. Helmut Schmidt im Gespräch mit Sandra Maischberger. Econ Verlag, München 2002. 266 Seiten, 20,- Euro.
Keiner war besser auf das Amt vorbereitet als er: Verkehrsdezernent, später Innensenator in Hamburg, Mitglied des Bundestages, dort in der Zeit der Großen Koalition Vorsitzender der SPD-Fraktion, danach Verteidigungs und schließlich Finanzminister. Helmut Schmidt hatte alles, was ein künftiger Bundeskanzler braucht, nur eines nicht: die Zeit, es zu werden. Lediglich fünf Jahre jünger als Willy Brandt, gab es für ihn unter normalen Umständen kaum eine Chance, ins Kanzleramt einzuziehen. Aber die Umstände waren nicht normal. Willy Brandt war erschöpft, trat am 6. Mai 1974 aus relativ nichtigem Anlaß zurück und ließ keinen Zweifel, wer allein die Nachfolge antreten könne: "Du mußt es nun machen", sagte er damals zu Helmut Schmidt.
Würde er noch einmal Bundeskanzler werden wollen? "Nein. Mit Sicherheit nicht", sagt Helmut Schmidt heute in seinem Hamburger Haus zu Sandra Maischberger. Das sei ein "schlimmes Amt", die "Last der Verantwortung" sei an der "Grenze dessen, was man auf Dauer ertragen" könne. Der Mann weiß, wovon er spricht: Terrorismus, Energiekrise, Turbulenzen in der Wirtschafts- und Währungspolitik, sowjetische Hochrüstung und westliche Reaktion und nicht zuletzt die eigenen Genossen haben ihm das Kanzlerleben schwergemacht. Jetzt blickt Schmidt, der längst die Achtzig überschritten hat, zurück. Das Buch kann man durchaus als Memoiren und in manchem als Vermächtnis Helmut Schmidts lesen: hoch informativ, sehr persönlich und durchaus bewegend. So wenn er über seine Eltern und seine Freunde - Sadat etwa - spricht, von seiner Liebe zu Malerei und Musik oder auch von den Höhen und den Tiefen seines Lebens, wie dem Verlust seines Gehörs: "Ich kann keinerlei Musik mehr hören, das ist die Tragödie meines Alters."
Natürlich steht die Politik im Vordergrund. Schmidt wäre sonst nicht Schmidt. So erfährt man, daß er in seinem Leben nur zwei Ämter "gern ausgeführt" und "freiwillig" auf sich genommen hat: "Das eine war das Amt des Innensenators in Hamburg, das andere war das Amt des Fraktionsvorsitzenden. Zum Verteidigungsminister habe ich mich nicht gedrängt, da ha-ben sich Brandt und Wehner viel Mühe geben müssen, mich zu überreden." Ähnlich erinnert sich Schmidt an seine "Einzüge" ins Finanzministerium und ins Kanzleramt: "Gemeldet" habe er sich nicht.
Stimmt schon. Aber alles aus reinem Pflichtbewußtsein? Gar keine Spur von Ehrgeiz? Auch Schmidts Gesprächspartnerin Maischberger kommen da leichte Zweifel. Keine Konkurrenz? Keine Konkurrenten? Wie war das Verhältnis zu Willy Brandt? Nie zuvor hat sich Schmidt zu Brandt so offen geäußert wie hier, und er tut sich damit nicht leicht. In den sechziger Jahren wäre er für den Hoffnungsträger der Sozialdemokratie "durchs Feuer gegangen", sagt er auch jetzt. In "gewisser Weise immer noch, bis zum Ende", sei Brandt sogar sein "Freund" gewesen.
Natürlich habe es "tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten" gegeben - so in der Frage des Nato-Doppelbeschlusses, die Schmidt nach acht Jahren die Kanzlerschaft kostete, so schon zehn Jahre zuvor, nach dem triumphalen Wahlsieg von 1972, als Willy Brandt krankheitsbedingt außer Gefecht gesetzt war und andere, unter ihnen Helmut Schmidt, das Kabinett umgebildet hatten. "Da kann natürlich heute jemand kommen und sagen, der Wehner und der Schmidt haben die Gelegenheit benutzt, das Kabinett so zusammenzubauen, wie sie es für richtig hielten. Das ist sogar richtig: Wir haben es so gemacht, wie wir es für richtig hielten, sicher." Daß die beiden dabei eigentlich die Interessen der Partei und damit des Kanzlers im Auge hatten, muß man zwischen den Zeilen lesen.
Überhaupt schweigt sich Schmidt, bei allem Respekt für Brandt, über dessen Qualitäten als Kanzler aus. Bei anderen ist er da nicht so zurückhaltend. Adenauer? Den habe er "sehr respektiert, tue es auch heute noch, sogar mehr als damals, wenngleich ich auch die Fehler sehe, die er gemacht hat". Und Kohl? "Ganz gut - jedenfalls die ersten sieben Jahre ganz gut, normal. . . . Sein ganz großes Verdienst: das Zustandebringen der Vereinigung." Über den derzeitigen Amtsinhaber ist von Schmidt Vergleichbares nicht zu hören. Man habe aber "mindestens" zwei Kanzler erlebt, die ihre Sache nicht sonderlich gut gemacht hätten, "der eine war Kiesinger, der andere war Erhard".
Und dann reflektiert der frühere Bundeskanzler über diesen Amtsvorgänger in einem aktuellen Zusammenhang: Erhard habe die Gastarbeiter ins Land geholt, und das sei "schon ein großer Fehler" gewesen. "Und jetzt sitzen wir da mit einer sehr heterogenen, de facto multikulturellen Gesellschaft, de facto, und werden damit nicht fertig. Wir Deutschen sind unfähig, die sieben Millionen alle zu assimilieren. Die Deutschen wollen das auch gar nicht, sie sind innerlich weitgehend fremdenfeindlich." Eine überraschende, eine polarisierende Sicht der Dinge. Aber Helmut Schmidt legt in diesem Buch nicht nur die Hand aufs Herz; er nimmt auch kein Blatt vor den Mund.
GREGOR SCHÖLLGEN
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