Deutscher Buchpreis 2024 Tagsüber hilft Juno ihrem schwerkranken Mann Jupiter dabei, seinen Alltag zu meistern. Außerdem ist sie Künstlerin, tanzt und spielt Theater. Und nachts, wenn sie wieder einmal nicht schlafen kann, chattet sie mit Love-Scammern im Internet. Martina Hefter hat einen berührenden Roman über Bedürfnisse und Sehnsüchte im Leben geschrieben. Und darüber, wie weit man bereit ist, für die Liebe zu gehen. Juno schreibt online mit Männern, die Frauen online ihre Liebe gestehen und so versuchen, sie um ihr Geld zu bringen. Doch statt darauf hereinzufallen, werden genau diese Männer zu einer Form von Freiheit für Juno. In den Gesprächen kann sie sein, wer sie will und sagen, was sie will - und das vermeintlich ohne Konsequenzen. Ganz im Gegensatz zu ihrem sonstigen Leben, in dem sie immer unterwegs, immer besorgt um Jupiter, immer beschäftigt und eingebunden ist. Also flüchtet Juno ab und zu vor ihrem Alltag ins Internet und spielt dort Spielchen mit Männern, die sie anlügen. Sie selbst wird zur Lügnerin. Aber ist es nicht so, dass man sich beim Lügen zuallererst selbst belügt? Eines Tages trifft Juno auf Benu, der ihre Behauptungen ebenso durchschaut wie sie seine. Und trotz der Entfernung zwischen ihnen entsteht eine Verbindung. Hey guten Morgen, wie geht es dir ist ein tiefgehendes Hörbuch, aber so leichtfüßig wie eine Komödie.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.10.2024Immer schön elastisch bleiben
Das Leben am Existenzminimum ist so witzig nicht, aber in Martina Hefters Roman
erhält sich die Heldin den Humor mit einem seltsamen Hobby.
Die Nacht kann eine grausame Gefährtin sein, wenn die Gedanken kreisen. Erst mal versucht man es mit Entspannungsübungen, mit mentalen Tricks, indem man sich einzureden versucht, müde zu sein, während Stunde um Stunde verrinnt. Dann fahndet man nach Gründen für die Schlaflosigkeit und wird rasch fündig, zu viel Stress, das falsche Essen – es ist eine Endlosschleife. Wo ist sie nur hin, die alte Fähigkeit des Wegdösens? Andererseits liegt in diesen schrecklichen Stunden auch eine Chance, verborgene Wünsche auszuleben, dazu braucht man nur ein Smartphone: Whatever gets you through the night…, aber das sang ein Mann im 20. Jahrhundert.
Hellwach zur falschen Zeit ist auch die Hauptfigur in Martina Hefters Roman „Hey guten Morgen, wie geht es dir?“. Juno, eine freie Künstlerin und Tänzerin aus Leipzig in ihren Fünfzigern, lebt immer knapp am Existenzminimum, sie verbringt viel Zeit damit, elastisch zu bleiben und ihre Bauchmuskeln zu trainieren. Wie viele gute Jahre bleiben ihr noch? Diese Frage beschäftigt sie sehr, wenn sie sich selbst im Spiegel betrachtet. Tagsüber pflegt sie ihren kranken Mann, einen Schriftsteller, mit dem sie eine durchaus liebevolle, aber auch etwas zu routinierte Beziehung in getrennten Schlafzimmern führt. Etwas fehlt in ihrem Leben, deshalb beginnt Juno nachts mit fremden Männern zu chatten. Ganz ohne Illusionen, denn sie weiß genau, wer ihr da Komplimente macht. Von der ersten Seite an ist dieser Roman, der verdientermaßen auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis steht, eine Achterbahnfahrt durch die Gegenwart: Juno, die biografisch einige Ähnlichkeit mit der Autorin aufweist, ist eine Frau mitten im Leben, die sich nicht so schnell unterkriegen lässt. Nicht von Geldsorgen. Nicht vom Alter. Und erst recht nicht von Männern.
Als Leser begleitet man Juno dabei, wie sie die Verführer aus dem Internet regelrecht vorführt und mit ihren boshaften Chat-Antworten provoziert, bis sich die Love-Scammer entnervt abwenden. Jene Betrüger also, die im Lauf einer Internetbeziehung immer mehr Grenzen überschreiten und ihren Opfern, meist nicht mehr ganz jungen Frauen, die wildesten Versprechungen machen. Sind die Liebesanwärterinnen erst mal richtig angefixt, folgt eine dringende Bitte, vorgetragen mit viel Schmalz und Tremolo: Man benötige ganz, ganz dringend eine mittelgroße Summe, um sich aus einer unglücklichen Lage zu befreien – danach stehe dem Happy End im echten Leben nichts mehr im Weg.
Bei der biegsamen Juno gibt es mangels Vermögen nichts zu holen. Das wenige Geld, das sie verdient, investiert sie lieber in neue Tattoos, sie ist sich selbst genug, da können die Scammer noch so viele Herzchen und Zwinkersmileys schicken. Zugleich fragt man sich, was sie antreibt bei ihren nächtlichen Eskapaden: Ist das ein Feldzug im Dienste all der liebesbedürftigen und traumatisierten Frauen, die auf einen dieser Typen hereingefallen sind? Will sie den Männern eine Lektion erteilen, geht es um Bloßstellung, sogar um Rache? Oder ist das alles nur eine Weltflucht, die Lust an der Grenzüberschreitung? Martina Hefter legt viele Fährten, wenn sie ihre Heldin auf Schritt und Klick begleitet.
In einer ihrer schlaflosen Nächte lernt Juno einen Typen kennen, der ihr besonderes Interesse weckt. Er nennt sich Benu, wohnt in einer Stadt in Nigeria und verhält sich im Instagram-Chat anders als all die üblichen Profischmeichler, die verstummen, sobald Juno zu erkennen gibt, dass sie das perfide Spiel mit der Sehnsucht durchschaut. Was dieser Mann von ihr will, bleibt unklar, aber es liegt auf der Hand, was er gibt: jede Menge Aufmerksamkeit und gute Laune. All das, was Juno vermisst, auch wenn beide oft aneinander vorbeireden. Etwa wenn sie von ihrem Lieblingsfilm „Melancholia“ erzählt, in dem die Welt durch einen planetarischen Crash tatsächlich einmal untergeht. Damit kann man wahrscheinlich eher wenig anfangen, wenn zu Hause in der westafrikanischen Kleinstadt ständig der Strom ausfällt und Teile des eigenen Landes von Terrormilizen kontrolliert werden.
Wer ist hier Opfer, wer ist Täter? Die Rollen sind nie ganz eindeutig definiert, denn der enttarnte Love-Scammer wirkt oft rührend hilflos mit seinen gut gemeinten Vorschlägen, wie Juno ihr Leben verbessern könnte. Die Frage ist nur, ob Benu wirklich so tölpelhaft und naiv ist, wie es den Anschein hat, vielleicht kifft er auch einfach nur zu viel. Einmal macht er Juno ein Kompliment, das sie total in Sicherheit wiegt: Sie sehe aus wie ein besonders witziger Kobold, schreibt er – so etwas würde ein echter Love-Scammer natürlich nie machen. Es sei denn, er ist der Mr. Ripley unter den Internetbetrügern, ein Meistermanipulator im digitalen Zeitalter, in dem keiner dem anderen mehr vertrauen kann. Das Ganze hat das Zeug zu einer modernen Screwball-Comedy über kulturelle Missverständnisse. Doch immer, wenn es zu lustig wird, biegt die Autorin in eine andere Richtung ab. Denn was dieser Roman auch erzählt, ist die harte Realität der Geringverdiener, in der viele in die Altersarmut rutschen. Juno pflegt hingebungsvoll ihren Mann, der im Buch Jupiter heißt und – wie Hefters realer Ehemann Jan Kuhlbrodt – ein Schriftsteller ist, der an Multipler Sklerose erkrankt ist.
Aber dieser Jupiter schleudert keine Blitze, sondern versucht, sein Schicksal mit Fassung zu tragen. Dieser Roman ist auch eine Verbeugung vor den Menschen, die ihre Würde verteidigen. Wirtschaftlich überleben kann dieses Paar ohnehin nur, weil Jupiter alle paar Jahre mal einen Literaturpreis gewinnt und Juno gelegentlich ein Theaterstipendium. Das Leben ist kein Spaziergang, sondern ein ewiger Hindernislauf, wenn man wie Jupiter auf die Hilfe von Fremden angewiesen ist, um überhaupt noch aus dem Haus zu kommen. Oder wenn man sich mit den aufs Kleingedruckte spezialisierten Vertreterinnen der Gesundheitsbürokratie herumschlagen muss, wenn es um Pflegestufen und Hilfsleistungen geht. Denn die Chancen auf mehr staatliche Hilfe steigen nur dann, wenn man seinen eigenen Zustand noch dramatischer schildert, als er ohnehin ist.
Martina Hefter hat einen ganz eigenen Ton, ein trotziger Optimismus siegt hier über die weitverbreitete Tendenz zum Jammern. Sie schreibt die Geschichte zweier Überlebenskünstler. Im antiken Mythos nahm sich der ausschweifende Supermacho Jupiter alle Freiheiten, während die brave Juno als Göttin der Ehe eifersüchtig auf dem Olymp schmollte. Ganz anders in diesem Roman, in dem eine Frau ihr Schicksal selbst in die Hand nimmt. Nach der Lektüre ist man fast ein wenig enttäuscht, dass alles so rasch vergeht. Was wird aus Juno werden, wenn die Zeit voranschreitet? Sie wird sich noch ein paar Tattoos stechen lassen, um sich selbst zu spüren. Sie wird tanzen, solange es geht, und wenn es im Theater keine Aufträge mehr gibt, dann eben zu Hause auf dem durchgescheuerten Parkett. Sie wird weiterhin nachts nicht gut schlafen und auf dumme Gedanken kommen. Und sie wird die Männer durchschauen: die wirklich bedürftigen und diejenigen, die sie nur ausnehmen wollen. Man möchte ihr alles Gute wünschen. Und den ein oder anderen Preis, möglichst hoch dotiert.
CHRISTIAN MAYER
Dieser Roman ist auch eine
Verbeugung vor Menschen,
die ihre Würde bewahren
Ein trotziger Optimismus
siegt über die
Tendenz zum Jammern
Martina Hefter:
Hey guten Morgen,
wie geht es dir?
Roman. Klett Cotta,
Stuttgart 2024.
224 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Das Leben am Existenzminimum ist so witzig nicht, aber in Martina Hefters Roman
erhält sich die Heldin den Humor mit einem seltsamen Hobby.
Die Nacht kann eine grausame Gefährtin sein, wenn die Gedanken kreisen. Erst mal versucht man es mit Entspannungsübungen, mit mentalen Tricks, indem man sich einzureden versucht, müde zu sein, während Stunde um Stunde verrinnt. Dann fahndet man nach Gründen für die Schlaflosigkeit und wird rasch fündig, zu viel Stress, das falsche Essen – es ist eine Endlosschleife. Wo ist sie nur hin, die alte Fähigkeit des Wegdösens? Andererseits liegt in diesen schrecklichen Stunden auch eine Chance, verborgene Wünsche auszuleben, dazu braucht man nur ein Smartphone: Whatever gets you through the night…, aber das sang ein Mann im 20. Jahrhundert.
Hellwach zur falschen Zeit ist auch die Hauptfigur in Martina Hefters Roman „Hey guten Morgen, wie geht es dir?“. Juno, eine freie Künstlerin und Tänzerin aus Leipzig in ihren Fünfzigern, lebt immer knapp am Existenzminimum, sie verbringt viel Zeit damit, elastisch zu bleiben und ihre Bauchmuskeln zu trainieren. Wie viele gute Jahre bleiben ihr noch? Diese Frage beschäftigt sie sehr, wenn sie sich selbst im Spiegel betrachtet. Tagsüber pflegt sie ihren kranken Mann, einen Schriftsteller, mit dem sie eine durchaus liebevolle, aber auch etwas zu routinierte Beziehung in getrennten Schlafzimmern führt. Etwas fehlt in ihrem Leben, deshalb beginnt Juno nachts mit fremden Männern zu chatten. Ganz ohne Illusionen, denn sie weiß genau, wer ihr da Komplimente macht. Von der ersten Seite an ist dieser Roman, der verdientermaßen auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis steht, eine Achterbahnfahrt durch die Gegenwart: Juno, die biografisch einige Ähnlichkeit mit der Autorin aufweist, ist eine Frau mitten im Leben, die sich nicht so schnell unterkriegen lässt. Nicht von Geldsorgen. Nicht vom Alter. Und erst recht nicht von Männern.
Als Leser begleitet man Juno dabei, wie sie die Verführer aus dem Internet regelrecht vorführt und mit ihren boshaften Chat-Antworten provoziert, bis sich die Love-Scammer entnervt abwenden. Jene Betrüger also, die im Lauf einer Internetbeziehung immer mehr Grenzen überschreiten und ihren Opfern, meist nicht mehr ganz jungen Frauen, die wildesten Versprechungen machen. Sind die Liebesanwärterinnen erst mal richtig angefixt, folgt eine dringende Bitte, vorgetragen mit viel Schmalz und Tremolo: Man benötige ganz, ganz dringend eine mittelgroße Summe, um sich aus einer unglücklichen Lage zu befreien – danach stehe dem Happy End im echten Leben nichts mehr im Weg.
Bei der biegsamen Juno gibt es mangels Vermögen nichts zu holen. Das wenige Geld, das sie verdient, investiert sie lieber in neue Tattoos, sie ist sich selbst genug, da können die Scammer noch so viele Herzchen und Zwinkersmileys schicken. Zugleich fragt man sich, was sie antreibt bei ihren nächtlichen Eskapaden: Ist das ein Feldzug im Dienste all der liebesbedürftigen und traumatisierten Frauen, die auf einen dieser Typen hereingefallen sind? Will sie den Männern eine Lektion erteilen, geht es um Bloßstellung, sogar um Rache? Oder ist das alles nur eine Weltflucht, die Lust an der Grenzüberschreitung? Martina Hefter legt viele Fährten, wenn sie ihre Heldin auf Schritt und Klick begleitet.
In einer ihrer schlaflosen Nächte lernt Juno einen Typen kennen, der ihr besonderes Interesse weckt. Er nennt sich Benu, wohnt in einer Stadt in Nigeria und verhält sich im Instagram-Chat anders als all die üblichen Profischmeichler, die verstummen, sobald Juno zu erkennen gibt, dass sie das perfide Spiel mit der Sehnsucht durchschaut. Was dieser Mann von ihr will, bleibt unklar, aber es liegt auf der Hand, was er gibt: jede Menge Aufmerksamkeit und gute Laune. All das, was Juno vermisst, auch wenn beide oft aneinander vorbeireden. Etwa wenn sie von ihrem Lieblingsfilm „Melancholia“ erzählt, in dem die Welt durch einen planetarischen Crash tatsächlich einmal untergeht. Damit kann man wahrscheinlich eher wenig anfangen, wenn zu Hause in der westafrikanischen Kleinstadt ständig der Strom ausfällt und Teile des eigenen Landes von Terrormilizen kontrolliert werden.
Wer ist hier Opfer, wer ist Täter? Die Rollen sind nie ganz eindeutig definiert, denn der enttarnte Love-Scammer wirkt oft rührend hilflos mit seinen gut gemeinten Vorschlägen, wie Juno ihr Leben verbessern könnte. Die Frage ist nur, ob Benu wirklich so tölpelhaft und naiv ist, wie es den Anschein hat, vielleicht kifft er auch einfach nur zu viel. Einmal macht er Juno ein Kompliment, das sie total in Sicherheit wiegt: Sie sehe aus wie ein besonders witziger Kobold, schreibt er – so etwas würde ein echter Love-Scammer natürlich nie machen. Es sei denn, er ist der Mr. Ripley unter den Internetbetrügern, ein Meistermanipulator im digitalen Zeitalter, in dem keiner dem anderen mehr vertrauen kann. Das Ganze hat das Zeug zu einer modernen Screwball-Comedy über kulturelle Missverständnisse. Doch immer, wenn es zu lustig wird, biegt die Autorin in eine andere Richtung ab. Denn was dieser Roman auch erzählt, ist die harte Realität der Geringverdiener, in der viele in die Altersarmut rutschen. Juno pflegt hingebungsvoll ihren Mann, der im Buch Jupiter heißt und – wie Hefters realer Ehemann Jan Kuhlbrodt – ein Schriftsteller ist, der an Multipler Sklerose erkrankt ist.
Aber dieser Jupiter schleudert keine Blitze, sondern versucht, sein Schicksal mit Fassung zu tragen. Dieser Roman ist auch eine Verbeugung vor den Menschen, die ihre Würde verteidigen. Wirtschaftlich überleben kann dieses Paar ohnehin nur, weil Jupiter alle paar Jahre mal einen Literaturpreis gewinnt und Juno gelegentlich ein Theaterstipendium. Das Leben ist kein Spaziergang, sondern ein ewiger Hindernislauf, wenn man wie Jupiter auf die Hilfe von Fremden angewiesen ist, um überhaupt noch aus dem Haus zu kommen. Oder wenn man sich mit den aufs Kleingedruckte spezialisierten Vertreterinnen der Gesundheitsbürokratie herumschlagen muss, wenn es um Pflegestufen und Hilfsleistungen geht. Denn die Chancen auf mehr staatliche Hilfe steigen nur dann, wenn man seinen eigenen Zustand noch dramatischer schildert, als er ohnehin ist.
Martina Hefter hat einen ganz eigenen Ton, ein trotziger Optimismus siegt hier über die weitverbreitete Tendenz zum Jammern. Sie schreibt die Geschichte zweier Überlebenskünstler. Im antiken Mythos nahm sich der ausschweifende Supermacho Jupiter alle Freiheiten, während die brave Juno als Göttin der Ehe eifersüchtig auf dem Olymp schmollte. Ganz anders in diesem Roman, in dem eine Frau ihr Schicksal selbst in die Hand nimmt. Nach der Lektüre ist man fast ein wenig enttäuscht, dass alles so rasch vergeht. Was wird aus Juno werden, wenn die Zeit voranschreitet? Sie wird sich noch ein paar Tattoos stechen lassen, um sich selbst zu spüren. Sie wird tanzen, solange es geht, und wenn es im Theater keine Aufträge mehr gibt, dann eben zu Hause auf dem durchgescheuerten Parkett. Sie wird weiterhin nachts nicht gut schlafen und auf dumme Gedanken kommen. Und sie wird die Männer durchschauen: die wirklich bedürftigen und diejenigen, die sie nur ausnehmen wollen. Man möchte ihr alles Gute wünschen. Und den ein oder anderen Preis, möglichst hoch dotiert.
CHRISTIAN MAYER
Dieser Roman ist auch eine
Verbeugung vor Menschen,
die ihre Würde bewahren
Ein trotziger Optimismus
siegt über die
Tendenz zum Jammern
Martina Hefter:
Hey guten Morgen,
wie geht es dir?
Roman. Klett Cotta,
Stuttgart 2024.
224 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Christian Mayer lobt Martina Hefters Roman als "Geschichte zweier Überlebenskünstler" und erkennt dabei deutliche Parallelen zwischen der Protagonistin Juno und der Autorin selbst. Juno, eine Leipziger Künstlerin, die ihren an Multipler Sklerose erkrankten Mann, den Schriftsteller Jupiter, pflegt, muss sich nicht nur mit dessen Pflege, sondern auch mit finanziellen Sorgen herumschlagen. Nachts chattet sie mit Love-Scammern und entlarvt deren Maschen, bis sie auf den Nigerianer Benu trifft. Anders als die üblichen Betrüger weckt er Junos Interesse, bleibt aber in seinen Absichten undurchsichtig. Hefter gelingt es laut Mayer, das Leben als "ewigen Hindernislauf" zu schildern und Menschen darzustellen, die "ihre Würde" unter den widrigsten Bedingungen verteidigen. Eine humorvolle und zugleich ernste Erzählung über das Leben am Existenzminimum, schließt Mayer.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.07.2024Unter Göttern
Martina Hefters neuer Roman ist ein Triumph
Sie sind Götter, alle drei. Zumindest den Namen nach. Bei Juno und Jupiter, einem Leipziger Künstlerpaar leicht vorgerückten Alters, weiß man das sofort, aber auch Benu aus Nigeria verdankt seine Benennung einem höheren Wesen: "aus der altägyptischen Mythologie, eine Art Vorgänger des Phönix, ein Totengott". So steht es in Martina Hefters neuem Roman "Hey guten Morgen, wie geht es Dir?", der sich um diese drei Figuren dreht. Um drei von ihren Eltern mit göttlichen Vorschusslorbeeren ins Leben geschickte Menschen, die sich mit höchst irdischen Problemen herumschlagen müssen.
Juno ist die Hauptperson, über deren Perspektive erzählt wird. Sie ist Tänzerin, und "beim Tanzen verließ man die Erdatmosphäre, so war es nun mal, Juno kam nicht davon los, manchmal hatte sie auch das Gefühl, nur im Ballettsaal wirklich da zu sein". Zu Hause, in der Hochparterrewohnung im Leipziger Stadtteil Schleußig, liegt Jupiter, an Multipler Sklerose erkrankt und mehr und mehr bewegungsunfähig, ein vielfach gestürzter Gott, doch noch immer vergöttert von Juno. Auch wenn sie des Nachts, weil die Krankheit ihres Mannes kein gemeinsames Schlafen mehr erlaubt, im Nachbarzimmer mit Männern chattet. Aber das geschieht aus Spaß, im Wissen darum, dass es sich bei ihnen um "Love-Scammer" handelt: Betrüger, die mittels manipulierter Fotos und Lebensläufe Identitäten vortäuschen, die Frauen faszinieren und nach einiger Zeit des virtuellen Herumtändelns zu finanzieller Hilfe bewegen sollen. Der angeblich verliebte Mann aus dem Netz, den man nie persönlich getroffen hat, braucht Geld für die Anreise. Wird es losgeschickt, treten weitere Probleme auf, die noch mehr Geld erfordern. Schöpft das Opfer endlich Verdacht oder sind seine Konten leergeräumt, verschwindet das gefälschte Profil auf Nimmerwiedersehen.
Bei Juno ist es anders: Sie täuscht in den Chats ihrerseits ein rundum glückliches Leben vor und lässt die balzenden Betrüger auflaufen. Das Resultat ist stets das gleiche: "Die Scammer antworteten irgendwann nicht mehr", bisweilen kommt noch eine letzte Beschimpfung. Darüber ist Juno ihnen nicht böse, "sie sprach ja genau so in leiser Aggression, wenn sie ehrlich war. Es kam mir manchmal vor, als wäre es ihre aufrichtigste Haltung. In den Chats war sie womöglich die echte Juno."
Aggressionsabfuhr also für eine Frau, die in der Partnerschaft inzwischen fast die gesamte Last schultern muss, aber ihren Mann immer noch liebt. Bis sich jemand unter dem Namen Owen_Wilson223 auf ihr Smartphone drängt, ein angeblich in Texas zu seinem Glück gekommener Ukrainer in den besten Jahren, der dann jedoch rasch entlarvt ist als ein Nigerianer von Anfang dreißig: Benu. Aber zwischen diesen beiden entspannt sich ein allnächtliches Zwiegespräch voller Ironie und Intimität, das spüren lässt, was Juno in ihrer eigentlichen Beziehung fehlt. Und trotzdem steht Jupiter für sie nie infrage.
Diesen friedlichen Zwiespalt erzählt Martina Hefter grandios, dabei selbst mit einer so souveränen Intimität und Ironie, dass es zum Staunen ist. Zugleich antwortet sie mit dem Roman auf eine Frage, die ihr Ehemann im wirklichen Leben, der Schriftsteller Jan Kuhlbrodt, in seinem 2023 erschienenen autobiographischen Essay "Krüppelpassion" gestellt hat: "Wird er noch der Liebste sein, wenn er hinkt, über die Berge kriecht?" Die Antwortet für Juno lautet Ja, und es ist zweifellos auch die von Martina Hefter selbst, die sich im Roman bei ihrem Mann bedankt, dass er nichts dagegen gehabt hat, "hier und da in diesem Buch mit Jupiter verwechselt zu werden".
Identifikationsfragen sind die entscheidenden in "Hey guten Morgen, wie geht es Dir?". Aber nicht die danach, wie viel vom Ehepaar Hefter/Kuhlbrodt darin stecken mag, von dessen Wohnort Leipzig oder von den Tanzgefährtinnen und Musikerkollegen aus dem Leben der Performerin, die diese Romanautorin auch ist - ja, es ist viel, und das ist schön, aber es tut nichts zur Sache. Denn die entscheidende Identifikationsfrage des Buchs stellt sich für Juno: Was will sie sein? Dabei spielen Sternbilder eine wichtige Rolle und Tätowierungen - Konstellationen also, unveränderlich die einen und planbar die anderen, in ihrer Summe Spiegelbilder einer Existenz im Vorlauf zum Tod. Irgendwann heißt es einmal nebenbei: "Es gehört zu den Wundern in dieser Geschichte, dass die Nachbarn in ihrem Haus zumindest freundlich waren." Dieser Roman steckt in der Tat voller Wunder, noch weitaus größerer, weil zutiefst menschlicher. Martina Hefter hat ein göttliches Buch geschrieben. ANDREAS PLATTHAUS
Martina Hefter: "Hey guten Morgen, wie geht es Dir?" Roman.
Klett-Cotta, Stuttgart 2024. 222 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
Martina Hefters neuer Roman ist ein Triumph
Sie sind Götter, alle drei. Zumindest den Namen nach. Bei Juno und Jupiter, einem Leipziger Künstlerpaar leicht vorgerückten Alters, weiß man das sofort, aber auch Benu aus Nigeria verdankt seine Benennung einem höheren Wesen: "aus der altägyptischen Mythologie, eine Art Vorgänger des Phönix, ein Totengott". So steht es in Martina Hefters neuem Roman "Hey guten Morgen, wie geht es Dir?", der sich um diese drei Figuren dreht. Um drei von ihren Eltern mit göttlichen Vorschusslorbeeren ins Leben geschickte Menschen, die sich mit höchst irdischen Problemen herumschlagen müssen.
Juno ist die Hauptperson, über deren Perspektive erzählt wird. Sie ist Tänzerin, und "beim Tanzen verließ man die Erdatmosphäre, so war es nun mal, Juno kam nicht davon los, manchmal hatte sie auch das Gefühl, nur im Ballettsaal wirklich da zu sein". Zu Hause, in der Hochparterrewohnung im Leipziger Stadtteil Schleußig, liegt Jupiter, an Multipler Sklerose erkrankt und mehr und mehr bewegungsunfähig, ein vielfach gestürzter Gott, doch noch immer vergöttert von Juno. Auch wenn sie des Nachts, weil die Krankheit ihres Mannes kein gemeinsames Schlafen mehr erlaubt, im Nachbarzimmer mit Männern chattet. Aber das geschieht aus Spaß, im Wissen darum, dass es sich bei ihnen um "Love-Scammer" handelt: Betrüger, die mittels manipulierter Fotos und Lebensläufe Identitäten vortäuschen, die Frauen faszinieren und nach einiger Zeit des virtuellen Herumtändelns zu finanzieller Hilfe bewegen sollen. Der angeblich verliebte Mann aus dem Netz, den man nie persönlich getroffen hat, braucht Geld für die Anreise. Wird es losgeschickt, treten weitere Probleme auf, die noch mehr Geld erfordern. Schöpft das Opfer endlich Verdacht oder sind seine Konten leergeräumt, verschwindet das gefälschte Profil auf Nimmerwiedersehen.
Bei Juno ist es anders: Sie täuscht in den Chats ihrerseits ein rundum glückliches Leben vor und lässt die balzenden Betrüger auflaufen. Das Resultat ist stets das gleiche: "Die Scammer antworteten irgendwann nicht mehr", bisweilen kommt noch eine letzte Beschimpfung. Darüber ist Juno ihnen nicht böse, "sie sprach ja genau so in leiser Aggression, wenn sie ehrlich war. Es kam mir manchmal vor, als wäre es ihre aufrichtigste Haltung. In den Chats war sie womöglich die echte Juno."
Aggressionsabfuhr also für eine Frau, die in der Partnerschaft inzwischen fast die gesamte Last schultern muss, aber ihren Mann immer noch liebt. Bis sich jemand unter dem Namen Owen_Wilson223 auf ihr Smartphone drängt, ein angeblich in Texas zu seinem Glück gekommener Ukrainer in den besten Jahren, der dann jedoch rasch entlarvt ist als ein Nigerianer von Anfang dreißig: Benu. Aber zwischen diesen beiden entspannt sich ein allnächtliches Zwiegespräch voller Ironie und Intimität, das spüren lässt, was Juno in ihrer eigentlichen Beziehung fehlt. Und trotzdem steht Jupiter für sie nie infrage.
Diesen friedlichen Zwiespalt erzählt Martina Hefter grandios, dabei selbst mit einer so souveränen Intimität und Ironie, dass es zum Staunen ist. Zugleich antwortet sie mit dem Roman auf eine Frage, die ihr Ehemann im wirklichen Leben, der Schriftsteller Jan Kuhlbrodt, in seinem 2023 erschienenen autobiographischen Essay "Krüppelpassion" gestellt hat: "Wird er noch der Liebste sein, wenn er hinkt, über die Berge kriecht?" Die Antwortet für Juno lautet Ja, und es ist zweifellos auch die von Martina Hefter selbst, die sich im Roman bei ihrem Mann bedankt, dass er nichts dagegen gehabt hat, "hier und da in diesem Buch mit Jupiter verwechselt zu werden".
Identifikationsfragen sind die entscheidenden in "Hey guten Morgen, wie geht es Dir?". Aber nicht die danach, wie viel vom Ehepaar Hefter/Kuhlbrodt darin stecken mag, von dessen Wohnort Leipzig oder von den Tanzgefährtinnen und Musikerkollegen aus dem Leben der Performerin, die diese Romanautorin auch ist - ja, es ist viel, und das ist schön, aber es tut nichts zur Sache. Denn die entscheidende Identifikationsfrage des Buchs stellt sich für Juno: Was will sie sein? Dabei spielen Sternbilder eine wichtige Rolle und Tätowierungen - Konstellationen also, unveränderlich die einen und planbar die anderen, in ihrer Summe Spiegelbilder einer Existenz im Vorlauf zum Tod. Irgendwann heißt es einmal nebenbei: "Es gehört zu den Wundern in dieser Geschichte, dass die Nachbarn in ihrem Haus zumindest freundlich waren." Dieser Roman steckt in der Tat voller Wunder, noch weitaus größerer, weil zutiefst menschlicher. Martina Hefter hat ein göttliches Buch geschrieben. ANDREAS PLATTHAUS
Martina Hefter: "Hey guten Morgen, wie geht es Dir?" Roman.
Klett-Cotta, Stuttgart 2024. 222 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
»Die große Stärke des Romans ist seine Leichtigkeit. Martina Hefter erzählt das disparate Alltagsineinander von körperlichem Zerfall und romantischer Sehnsucht so unterhaltsam und elegant, dass jedes Detail durch ihre Erzählkunst zu funkeln beginnt.« Simone Unger, mdr artour, 17. Oktober 2024 Simone Unger mdr 20241017