Trunkenbolde, Schmuggler, Raffzähne: Seine Verwandtschaft kann man sich nicht aussuchen.Als Großmutter Bjork ein letztes Mal die in alle Winde verstreuten Verwandten um sich versammeln möchte, kehrt Asger Eriksson nach Dänemark zurück. Ehe er sich versieht, wird er zum Erzähler einer vor unerhörten, komischen wie tragischen Ereignissen überschäumenden Familiensaga, bevölkert von bunten Gestalten. Da ist Großvater Askild, Schiffsingenieur, Schmuggler und talentloser Freizeitmaler, der seine Familie mit trotziger Strenge zu beherrschen versucht. Bjork, die unermüdliche Anekdotensammlerin mit einer Schwäche für Konservendosen voll "frischer Luft aus Bergen". Asgers Vater Niels, genannt Segelohr, der endlose Kolonien von Ungeheuern an die Wände zeichnet und mit seinen enorm großen Ohren unglaubliche Dinge hören kann. Und schließlich Asger selbst, den seit seiner Kindheit eine furchtbare Angst vor der Kellertreppe quält: Unten im Dunkeln, da lauert der Hundskopf, "und der ist sehr gefährlich."
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.2006Fällt ein Segelohr ins Plumpsklo
Familienbande im Geschichtenschredder: Morten Ramslands Nordlandrealismus/ Von Hannes Hintermeier
Was wäre die Gegenwartsliteratur ohne das Genre des Familienromans? Schlechter verkäuflich, das auf jeden Fall. Jenseits aller Moden gehen Geschichten von untergehenden oder aufstrebenden Dynastien immer. Weil aber das Marktgängige durchaus Perlen bergen kann, lohnt sich ein Blick auf das deutsche Debüt des dänischen Autors und Malers Morten Ramsland. Einen Gedichtband und einen Roman hat er vorgelegt, beide sind noch nicht übersetzt. Hierzulande wird der 1971 geborene Ramsland als Entdeckung der Saison gepriesen, daheim haben sie ihn für "Hundsköpfe" mit Zuneigung überschüttet - Kritik wie Publikum.
Drei Generationen einer Familie werden aufgeblättert, ein großes Tableau des zwanzigsten Jahrhunderts, auch wenn die Zeitgeschichte nur als Schicksalslenker in Andeutungen auftaucht. Wie bei allen verwickelten Organisationen ist es am Anfang durchaus mühsam, sich das Organigramm dieser norwegisch-dänischen Lügner-, Säufer- und Träumer-Combo zu vergegenwärtigen. Im Zentrum steht Askild Eriksson, der Großvater. Früh verliebt er sich in eine Reederstochter namens Bjørk, lange wird es dauern, bis er sie erobert hat. Dazwischen kommt ihm ein um Bjørk werbender Arzt, ein Studium der Ingenieurstechnik, eine kurze, aber folgenreiche Karriere als Schmuggler - und zwei Jahre Konzentrationslager Buchenwald. Dorthin haben ihn die Nazis verschleppt, weil sie ihn für den Tod eines deutschen Wachsoldaten verantwortlich machen - wir sind im besetzten Norwegen der frühen vierziger Jahre.
Bei einem Fluchtversuch stellt ihn SS-Rottenführer Meyer mit seinen Bluthunden: Nie mehr wird Askild frei werden vom Schreckensbild dieser Hunde. Nach dem Krieg kehrt er als Widerstandskämpfer heim, was sich als karrierefördernd erweist. Seine Laufbahn führt ihn über viele Stationen durch die Werften Norwegens und Dänemarks und in die Alkoholsucht. Er dilettiert als Maler kubistischer Bilder, wenn er nicht gerade seine Familie terrorisiert. Die Reederstochter ist zwar seine Frau geworden, aber bald flüchtet sie in die Phantasiewelt von Arztromanen und in die Arme ihres früheren Verehrers Thor. Nach der Umsiedlung nach Dänemark kommt die Heimat per Post zu ihr: "Frische Luft aus Bergen" steht auf den leeren Konservendosen, die ihr Sohn Appelkopp dreimal die Woche der fernen Mutter schickt. Solcher Art sind die Marotten der Familie Eriksson.
Bestimmte Motive tauchen immer wieder auf. Sie dienen nicht nur als roter Faden, sondern stehen auch für jene imaginären genetischen Linien, die - um den berühmten Satz von Karl Kraus zu bemühen - dem Wort "Familienbande" den Beigeschmack der Wahrheit geben. So wird schon Askild von seinem Vater Niels mit dem Gürtel verdroschen, und er tradiert diesen schönen Brauch natürlich seinen Söhnen. Die Angst vor den Bluthunden mündet beim Enkel Ansgar, dem allwissenden und Ich-Erzähler in Personalunion, in eine panikartige Furcht vor dem Hundskopf, der unter der Kellertreppe wohnt - eine Erfindung seiner Schwester Stinne und deren Vorstellung von einer erzieherischen Maßnahme.
Ansgar, der in Amsterdam Kunst studiert, wird nach Dänemark gerufen, weil die Großmutter im Sterben liegt: "Eine Sache ließ sie in der Nacht aufwachen und verwirrt zwischen den zahlreichen Konservendosen herumkriechen. Frische Luft aus Bergen. Sie schnüffelte daran. Sie spielte damit. Sie saß im Dunkeln auf dem Boden und atmete den wohlbekannten Duft von Vågen, dem Fischmarkt, Skansen und dem Neubaugebiet ein." Mit Ansgar kommen auch die alten Geschichten langsam alle zurück. Es sind Geschichten von aufkeimender und absterbender Sexualität, von Bandenkriegen und Fluchten übers Meer, von leeren Verspechungen und unsterblichen Sehnsüchten. Je tiefer Ramsland aus der Geschichte schöpft, desto magischer wird sein Nordlandrealismus, je weiter er in unsere Gegenwart kommt, desto schaler. Es fehlt den Figuren dann an Fallhöhe.
Und doch hat Ansgar ein unbewältigtes Problem: Er glaubt, am Tod seiner Tante schuldig zu sein. Anne Katrine, die sie "die Trutsche" nennen, ist geistig zurückgeblieben und fettleibig. Was sie nicht hindert, um die Zuneigung ihres elfjährigen Neffen mit Körpereinsatz zu buhlen. Als sie an gebrochenem Herzen stirbt, bleibt unklar, wie groß der Schuldanteil Ansgars ist. - Nein, Ramsland erspart seiner Familie (biographische Parallelen hat er in einem Interview eingeräumt) nichts. Er jagt sie durch seinen Romanschredder, brachial und polemisch, aber doch auch immer wieder mit Anflügen von Liebe. Die feine psychologische Miniatur ist seine Sache nicht.
Normannisch voranstürmend, geht er häufig mit Vorverweisen weit voraus, um sich dann große Schlingen und Abstecher zu erlauben, die ihn gelegentlich weit vom Kurs abkommen lassen. Dann setzt er sein Tempo notfalls mit derben Mitteln durch. Exkremente von Mensch und Hund spielen eine zentrale Rolle: Askild stürzt im Lager in den Fäkaliengraben, sein Sohn Niels, genannt Segelohr, fällt bei seiner Geburt ins Plumpsklo (später stopfen ihm Kinder Hundekot in die Ohren). Als junger Mann sprengt Segelohr das Klohäuschen der Nachbarn in die Luft: "Scheiße fiel vom Himmel."
So geht das hin. Und eigentlich führt die Straße gemäß Segelohrs Lebensmotto tatsächlich immer bergab. Morten Ramsland aber hat es geschafft, diese rasende Schicksalsschlittenfahrt so routiniert und mit einem so eigenen Ton zu inszenieren, daß man von einem gelungenen Auftritt reden darf.
Morten Ramsland: "Hundsköpfe". Roman. Aus dem Dänischen übersetzt von Ulrich Sonnenberg. Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2006. 478 S., geb., 24,90 [Euro].
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Familienbande im Geschichtenschredder: Morten Ramslands Nordlandrealismus/ Von Hannes Hintermeier
Was wäre die Gegenwartsliteratur ohne das Genre des Familienromans? Schlechter verkäuflich, das auf jeden Fall. Jenseits aller Moden gehen Geschichten von untergehenden oder aufstrebenden Dynastien immer. Weil aber das Marktgängige durchaus Perlen bergen kann, lohnt sich ein Blick auf das deutsche Debüt des dänischen Autors und Malers Morten Ramsland. Einen Gedichtband und einen Roman hat er vorgelegt, beide sind noch nicht übersetzt. Hierzulande wird der 1971 geborene Ramsland als Entdeckung der Saison gepriesen, daheim haben sie ihn für "Hundsköpfe" mit Zuneigung überschüttet - Kritik wie Publikum.
Drei Generationen einer Familie werden aufgeblättert, ein großes Tableau des zwanzigsten Jahrhunderts, auch wenn die Zeitgeschichte nur als Schicksalslenker in Andeutungen auftaucht. Wie bei allen verwickelten Organisationen ist es am Anfang durchaus mühsam, sich das Organigramm dieser norwegisch-dänischen Lügner-, Säufer- und Träumer-Combo zu vergegenwärtigen. Im Zentrum steht Askild Eriksson, der Großvater. Früh verliebt er sich in eine Reederstochter namens Bjørk, lange wird es dauern, bis er sie erobert hat. Dazwischen kommt ihm ein um Bjørk werbender Arzt, ein Studium der Ingenieurstechnik, eine kurze, aber folgenreiche Karriere als Schmuggler - und zwei Jahre Konzentrationslager Buchenwald. Dorthin haben ihn die Nazis verschleppt, weil sie ihn für den Tod eines deutschen Wachsoldaten verantwortlich machen - wir sind im besetzten Norwegen der frühen vierziger Jahre.
Bei einem Fluchtversuch stellt ihn SS-Rottenführer Meyer mit seinen Bluthunden: Nie mehr wird Askild frei werden vom Schreckensbild dieser Hunde. Nach dem Krieg kehrt er als Widerstandskämpfer heim, was sich als karrierefördernd erweist. Seine Laufbahn führt ihn über viele Stationen durch die Werften Norwegens und Dänemarks und in die Alkoholsucht. Er dilettiert als Maler kubistischer Bilder, wenn er nicht gerade seine Familie terrorisiert. Die Reederstochter ist zwar seine Frau geworden, aber bald flüchtet sie in die Phantasiewelt von Arztromanen und in die Arme ihres früheren Verehrers Thor. Nach der Umsiedlung nach Dänemark kommt die Heimat per Post zu ihr: "Frische Luft aus Bergen" steht auf den leeren Konservendosen, die ihr Sohn Appelkopp dreimal die Woche der fernen Mutter schickt. Solcher Art sind die Marotten der Familie Eriksson.
Bestimmte Motive tauchen immer wieder auf. Sie dienen nicht nur als roter Faden, sondern stehen auch für jene imaginären genetischen Linien, die - um den berühmten Satz von Karl Kraus zu bemühen - dem Wort "Familienbande" den Beigeschmack der Wahrheit geben. So wird schon Askild von seinem Vater Niels mit dem Gürtel verdroschen, und er tradiert diesen schönen Brauch natürlich seinen Söhnen. Die Angst vor den Bluthunden mündet beim Enkel Ansgar, dem allwissenden und Ich-Erzähler in Personalunion, in eine panikartige Furcht vor dem Hundskopf, der unter der Kellertreppe wohnt - eine Erfindung seiner Schwester Stinne und deren Vorstellung von einer erzieherischen Maßnahme.
Ansgar, der in Amsterdam Kunst studiert, wird nach Dänemark gerufen, weil die Großmutter im Sterben liegt: "Eine Sache ließ sie in der Nacht aufwachen und verwirrt zwischen den zahlreichen Konservendosen herumkriechen. Frische Luft aus Bergen. Sie schnüffelte daran. Sie spielte damit. Sie saß im Dunkeln auf dem Boden und atmete den wohlbekannten Duft von Vågen, dem Fischmarkt, Skansen und dem Neubaugebiet ein." Mit Ansgar kommen auch die alten Geschichten langsam alle zurück. Es sind Geschichten von aufkeimender und absterbender Sexualität, von Bandenkriegen und Fluchten übers Meer, von leeren Verspechungen und unsterblichen Sehnsüchten. Je tiefer Ramsland aus der Geschichte schöpft, desto magischer wird sein Nordlandrealismus, je weiter er in unsere Gegenwart kommt, desto schaler. Es fehlt den Figuren dann an Fallhöhe.
Und doch hat Ansgar ein unbewältigtes Problem: Er glaubt, am Tod seiner Tante schuldig zu sein. Anne Katrine, die sie "die Trutsche" nennen, ist geistig zurückgeblieben und fettleibig. Was sie nicht hindert, um die Zuneigung ihres elfjährigen Neffen mit Körpereinsatz zu buhlen. Als sie an gebrochenem Herzen stirbt, bleibt unklar, wie groß der Schuldanteil Ansgars ist. - Nein, Ramsland erspart seiner Familie (biographische Parallelen hat er in einem Interview eingeräumt) nichts. Er jagt sie durch seinen Romanschredder, brachial und polemisch, aber doch auch immer wieder mit Anflügen von Liebe. Die feine psychologische Miniatur ist seine Sache nicht.
Normannisch voranstürmend, geht er häufig mit Vorverweisen weit voraus, um sich dann große Schlingen und Abstecher zu erlauben, die ihn gelegentlich weit vom Kurs abkommen lassen. Dann setzt er sein Tempo notfalls mit derben Mitteln durch. Exkremente von Mensch und Hund spielen eine zentrale Rolle: Askild stürzt im Lager in den Fäkaliengraben, sein Sohn Niels, genannt Segelohr, fällt bei seiner Geburt ins Plumpsklo (später stopfen ihm Kinder Hundekot in die Ohren). Als junger Mann sprengt Segelohr das Klohäuschen der Nachbarn in die Luft: "Scheiße fiel vom Himmel."
So geht das hin. Und eigentlich führt die Straße gemäß Segelohrs Lebensmotto tatsächlich immer bergab. Morten Ramsland aber hat es geschafft, diese rasende Schicksalsschlittenfahrt so routiniert und mit einem so eigenen Ton zu inszenieren, daß man von einem gelungenen Auftritt reden darf.
Morten Ramsland: "Hundsköpfe". Roman. Aus dem Dänischen übersetzt von Ulrich Sonnenberg. Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2006. 478 S., geb., 24,90 [Euro].
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