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'Hure' ist die Geschichte einer exzessiv gelebten Doppelexistenz: Eine junge Frau flieht vor der beklemmenden Enge ihres Elternhauses in der kanadischen Provinz in die Großstadt. Dort beginnt die Literatur-Studentin, ihr Geld als Prostituierte zu verdienen und steigt zur begehrten Nobel-Hure auf. Die Freier sind gut situierte Männer, die ihre Professoren sein könnten oder ihre Väter. Ihnen gibt sie sich mit einer Mischung aus Abscheu und Faszination hin. Bald nicht mehr nur wegen des Geldes, sondernum ihre Weiblichkeit zu beweisen, zwischen Macht und Unterwerfung. Tag für Tag schlüpft die…mehr

Produktbeschreibung
'Hure' ist die Geschichte einer exzessiv gelebten Doppelexistenz: Eine junge Frau flieht vor der beklemmenden Enge ihres Elternhauses in der kanadischen Provinz in die Großstadt. Dort beginnt die Literatur-Studentin, ihr Geld als Prostituierte zu verdienen und steigt zur begehrten Nobel-Hure auf. Die Freier sind gut situierte Männer, die ihre Professoren sein könnten oder ihre Väter. Ihnen gibt sie sich mit einer Mischung aus Abscheu und Faszination hin. Bald nicht mehr nur wegen des Geldes, sondernum ihre Weiblichkeit zu beweisen, zwischen Macht und Unterwerfung. Tag für Tag schlüpft die Studentin in die Rolle von 'Cynthia', der Frau mit dem perfekten Körper, die sich der männlichen Begierde ausliefert, im selben Maße, wie sich ihre Mutter dieser Begierde verweigert hat. Von der Mutter, die für die Erzählerin eine "Larve" bleibt, weil sie nie aus ihrem Kokon geschlüpft ist, und vom Vater, der sich in seine Religiosität verschlossen hat, versucht sich die junge Frau zu emanzipieren. Das Leben wird zum Befreiungsschlag, der so lange über den eigenen Körper ausgefochten wird, bis 'Cynthia' ein anderes Mittel findet - die Sprache. Mit Hure hat Nelly Arcan einen provozierenden und zugleich poetischen Bericht einer zerrissenen Persönlichkeit und ihrer Suche nach sich selbst vorgelegt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.11.2002

Diagnose Ruhmsucht
Nelly Arcans Hure plappert auf der Analytikercouch

Nachdem Christine Angot und Catherine Millet durch erotische Bekenntnisprosa Sensationserfolge feiern konnten, schlägt Nelly Arcan mit ihrem Roman "Hure" sozusagen in die gleiche Kerbe. Sie verbindet den inneren Monologstil Angots, die den Inzest literarisch zu verarbeiten versuchte, mit Millets Gegenstand: der sexuellen Gier. Doch während Millet in ihrer von Reflexionen durchbrochenen Reportage aus dem Swingerklub-Milieu der siebziger Jahre noch Einblick in eine Welt der klassenüberspannenden Promiskuität gewährte, situiert die in Montréal lebende Kanadierin Arcan ihr Buch in einem historischen Niemandsland. So vage die Außenwelt bleibt, so überdeterminiert ist die Erzählerin.

Alles, was ein lüsterner Sinn an Klischees mit der Dirne verbinden mag, trifft auf das Callgirl Cynthia zu: Sie wurde von Nonnen erzogen, von der Mutter eifersüchtig ignoriert und vom religiösen Vater begehrt. Schon als Schulmädchen - in Uniform natürlich - sehnte sie sich danach, vergewaltigt zu werden. Sie studiert Literatur, haßt andere Frauen, gibt gerne viel Geld aus, grübelt über den Selbstmord und sehnt sich danach, von ihrem Vater, ihren Dozenten und ihrem Psychoanalytiker beschlafen zu werden. Wenn irgendein Faden in der heillosen Sturzflut dieser ichzentrierten Litanei zu finden ist, dann sind es die Therapiestunden, die Cynthia in ihrem von Seminaren und Freiern vollgestopften Stundenplan unterbringt. Da "die Analyse zu nichts führte", will sie "niederschreiben, was ich mit aller Kraft verschwiegen hatte". Wir haben es bei diesem "Roman" demnach mit der ungeordneten Rede einer Couchpatientin zu tun, die sich in öffentliche Behandlung begeben hat. Dabei sucht sie offenbar keine Heilung, sondern Mitleid. Glauben sollen wir, daß sie durch irgendein psychisches Handicap, das der Arzt nicht finden konnte, ins Martyrium der sexuellen Selbstausbeutung gezwungen wurde. Angesichts der eintönigen Schilderung ihrer Qualen meint man es mit einer verschleppten Zwangsprostituierten zu tun zu haben. Doch dann hagelt es wieder Versicherungen der Lust, die Cynthia bei der aus freien Stücken gewählten Arbeit empfindet.

Nur in einem Punkt ist "Hure" schlüssig, denn das Buch gibt seinen Entstehungsgrund unverfroren an: Er ist die Selbstliebe. Pathologisch an dieser verschenkten Chance, den Alltag der Prostitution literarisch urbar zu machen, ist der grenzenlose Narzißmus der Protagonistin. Der berufsbedingte Hunger, jeder Frau den Rang abzulaufen, hat sich schließlich bei ihr auch auf die geistigen Werte erstreckt. Obwohl das Studium für Cynthia nur "daraus besteht, Buchseiten umzublättern", beneidet sie ihre Geschlechtsgenossinnen darum, "sich Schriftstellerin nennen zu können".

Dem wurde mit einem zähflüssigen Roman Abhilfe geschaffen, dessen größte Herausforderung an den Leser darin besteht, noch eine weitere Seite umzublättern. Gegenwärtig, erklärt die Erzählerin, "leide ich allerdings daran, daß ich meine Krankheit nicht benennen kann". Wie wäre es mit "Ruhmsucht"?

INGEBORG HARMS

Nelly Arcan: "Hure". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Holger Fock und Sabine Müller. Verlag C. H. Beck, München 2002. 191 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.10.2002

Schwarze Welt
Keine Hure war prüder:
Das Debüt der Nelly Arcan
Der kleine Roman „Hure” ist das Debüt der 1975 in Québec geborenen Autorin Nelly Arcan. Am Stand des C.H. Beck Verlags auf der Frankfurter Messe war es das meist geklaute Buch. Möglicherweise fehlgeleitete kriminelle Energie,– das könnte zu Enttäuschungen führen. Auf dem Schutzumschlag wird Catherine Millet zitiert, die das Buch für dessen „scharfsinnige Darstellung der Sexualität” rühmt. Seither ist immer wieder die Rede von eine frankophonen Schule erotischer Literatur. Und weil die knappe Ressource Aufmerksamkeit wohl nur über Reihenbildung zu mobilisieren ist, wird Nelly Arcan gerne in einer Reihe mit Houellebecq, Catherine Breillat und eben der Millet genannt. Das ist unsinnig. Seit Nelly Arcan sich sogar in der Bild-Zeitung präsentieren durfte, verkauft sich das Buch überaus erfolgreich, aber – nicht nur aus der Perspektive des Bild-Lesers – es ist ein Etikettenschwindel zu Ungunsten des Lesers.
Jedenfalls wird, wer „Das sexuelle Leben der Catherine M.” mit reinem Genuss gelesen hat, nicht die gleiche Lektürefreude bei Nelly Arcans „Hure” haben. Denn wo – um es sehr anschaulich zu sagen – Millet Appetit auf mehr macht, vergeht einem bei Arcan alle Lust. Ein weniger pornographisches Buch als „Hure” ist kaum vorstellbar. Tatsächlich geht es auch überhaupt nicht um die „Darstellung der Sexualität”, auch wenn die entsprechenden Signalwörter dicht gestreut sind. Nelly Arcan beschreibt viel mehr einen universellen, unhintergehbaren Gewaltzusammenhang, dessen lediglich grellste Manifestation der Sex ist. Und hier beginnen die erheblichen ästhetischen Einwände.
Vermutlich hat sich die Autorin, die mit ihrer Protagonistin ein literaturwissenschaftliches Studium und die Erfahrung der Prostitution gemein hat – vermutlich hat sich Nelly Arcan vor allem vor den Gefahren des Voyeurismus gefürchtet. Diesen hat sie nun so weiträumig umgangen, dass vom stofflichen Substrat ihres Gegenstands nur mehr ein abstraktes Begriffsgeklapper übrig geblieben ist. Natürlich werden hier auf jeder Seite Schwänze gelutscht, aber in einer Weise, die dem Leser signalisiert: Dies ist nur eine sehr physische Chiffre für einen viel grundsätzlicheren Komplex moralischer Verworfenheit. Das führt zu dem seltsamen Paradox: je unverblümter Arcans Sprache, desto mehr gleicht sie dem erhobenen Zeigefinger. Jedes physiologische Detail hat seinen festen Ort als Symbol im Setzkasten der psychoanalytisch kontrollierten Deutungsmuster.
Die Welt der Schlumpfinen
„Hure” erzählt von einer Studentin, die unter dem Namen Cynthia als Edelnutte arbeitet. Zu sagen, sie leide unter ihrem Beruf, wäre zu wenig. Er bringt sie zur Verzweiflung, er scheint sie in den Tod zu treiben – aber auf eine Weise, die es nicht erlaubt, der Verzweiflung durch einen Berufswechsel zu entkommen. Gäbe sie ihren Beruf auf, es wäre ein Akt der Unaufrichtigkeit. Denn – so muss man ihre Geschichte verstehen – indem sie sich den Männern verkauft, bringt sie doch nur in besonders artikulierter Weise die Wahrheit der Welt zu Tage.
Denn in dieser Welt gibt es nur vier Sorten von Menschen: „Larven” (wie der Protagonistin Mutter), die innerlich absterben, um sich vor dem Schmutz der Welt zu schützen; „Schlumpfinen”, die sich vor dem Spiegel herrichten, weil sie wissen, dass es ewig und einzig ihre Aufgabe sein wird, den Männern zu gefallen; „Freier”, die ins Bordell gehen, um nicht ihre Töchter zu missbrauchen; und „Huren”, die davor zittern, dass irgendwann ihr eigener Vater im Puff auftaucht.
Diese sehr holzschnittartige Welt erlaubt es Nelly Arcan, ihren Verzweiflungsmonolog in stets apokalyptischen Tönen zu instrumentieren, sich biblischen Pathos’ zu bedienen und in ihrer Leidensgeschichte die Fallgeschichte des Kosmos seit dem Urknall überhaupt aufscheinen zu lassen. Das wirkt prätentiös. Es macht aber auch jede psychologische Durcharbeitung der Figuren unmöglich. Alle Erklärung muss dann beim Vier-Typen-Modell verharren: Cynthia wurde Hure, um keine Larve wie ihre Mutter zu werden und um ihrem Vater zu beweisen, dass auch er nur ein Freier ist.
Nirgends ist Nelly Arcan das Risiko einer Gegenfigur eingegangen. Weil ihr die Zwischentöne fehlen, mag sie geahnt haben, dass eine solche Gegenfigur dann automatisch als Retter oder Erlöser erschienen wäre. Und das durfte nicht sein, schließlich sollte das Buch ja zeigen, dass an den Märchen kein Wort wahr ist. Dieser absolute Negativismus allerdings hat auch etwas akademisches: Denn Arcan pinselt das Schwarz ihrer Welt mit einer solchen Eifrigkeit und Regelmäßigkeit, wie es die akademischen Idyllenmaler vor hundertfünfzig Jahren mit dem Rosa ihrer Sonnenuntergänge taten.
Das ist vielleicht das Irritierendste an „Hure”: Die zuletzt sehr spießbürgerliche Moral. Das mangelnde Begehren zwischen Vater und Mutter, der Liebesakt ohne echte Liebe, aus dem die Tochter hervorging, soll Cynthias Berufslaufbahn erklären. Und weil bei der Hurerei Freier ihre Ehefrauen hintergehen und sich eine Tochter-Stellvertreterin suchen, wäre ein Ende dieses Sumpfes nur in Sicht, wo es keine Vater-Tochter-Inzest-Phantasie mehr gäbe – und das Begehren sich in den Grenzen der monogamen Ehe einschließen ließe. „Hure” ist auch ein puritanisches Buch.
IJOMA MANGOLD
NELLY ARCAN: Hure. Ein Roman. Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller. Verlag C.H. Beck, München 2002. 191 Seiten, 19,90 Euro.
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