16 Jahre, so lange wie kein anderer, hat Kai Diekmann als Chefredakteur der BILD bestimmt, worüber Deutschland spricht - jetzt spricht er erstmals selbst und gewährt exklusive Einblicke hinter die Kulissen von Europas größter Boulevardzeitung. Er erzählt von Wulffs legendärem Anruf, von der Abhöraffäre Wallraff, von Putins Badehose und Erdogans Ausfälligkeiten, von der tiefen Freundschaft zu Helmut Kohl und dem einzigen Interview, das Trump je einem deutschen Journalisten gab. Auf Basis bislang unbekannter Dokumente entsteht eine überraschend andere Geschichte der Berliner Republik - eine rasante Erzählung voller Enthüllungen.Ungekürzte Autorenlesung mit Kai Diekmann2 mp3-CDs ca. 15 h 12 min
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.05.2023Ganz bei sich
In seiner Autobiografie „Ich war Bild“ ergründet Kai Diekmann intensiv das Innere von Kai Diekmann.
Und findet dabei auch ein paar Wahrheiten über den Springer-Konzern
VON NILS MINKMAR
Niemand entscheidet sich dafür, zur Welt zu kommen. Man wird geboren und muss dann mühsam alles lernen: Wer die Eltern sind, wer die Geschwister oder die Freunde und dann, wer man selbst ist. Das dauert am längsten. Darum ist die Literatur voller Bücher, in der es um die Identität und die Geschichte ihrer Entstehung geht. Im Reden und Schreiben über die eigene Geschichte liegt ein Element der Bewältigung verborgen, auch etwas Selbstaufklärung und Staunen: „Wenn ich die Dinge nicht aufschreibe“, so beginnt die Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux ihren neuen Roman „Der junge Mann“, „dann sind sie nicht vollendet, dann habe ich sie nur erlebt.“ Es könnte das Motto der Autobiografie des einstigen Chefredakteurs der Bild-Zeitung Kai Diekmann sein, die nun unter dem Titel „Ich war Bild“ erscheint. Es ist, als sei die Hektik und die Bedeutung seines früheren Jobs derart intensiv gewesen, dass der Autor im Nachhinein ergründen muss, was er da eigentlich angestellt hat. Wer er war, und, untrennbar damit verbunden, wer er heute ist oder noch werden möchte.
Die Schlüsselszene des materialreichen und sehr detailliert erzählten Buchs spielt nicht in Berlin, sondern in Köln-Ehrenfeld. Dort trifft Diekmann den legendären Antagonisten der Bild-Zeitung und des Springer-Konzerns, den Autor und Aufklärer Günter Wallraff. Diekmann erzählt, dass er mal halbnackt im Flur seines Hamburger Wohnhauses stand und dann, Jahre später, passierte ihm das in einem amerikanischen Hotel: Er schlafwandelt.
Wallraff erzählt, auch er sei als Kind und Jugendlicher Schlafwandler gewesen. Er berichtet von einem Erlebnis in New York Jahre später, als er einmal in weinseliger Laune beschloss, auf dem Dach zu schlafen. Seine Frau spielt darin eine Rolle und auch eine Verletzung an der Hand. Klarer wird es nicht, man muss wohl dabei gewesen sein, um den Sinn der Story zu erfassen, aber das Motiv inspiriert das ganze, dicke Buch. Wie ein Schlafwandler die Erzählung der anderen braucht, um zu erfahren, was er in der Nacht so anstellt, so sucht Diekmann in diesem Buch seine eigene Geschichte anhand von Dokumenten. Er folgt den Briefen, Mails und Akten aller Art wie einer Spur. In seiner Sammel-und Erzählwut liegt etwas Absurdes, etwas Komisches auch, wie man es bei Walter Kempowski entdecken kann. Denn Diekmann sammelt nahezu jeden Zettel, der Auskunft geben könnte über Kai Diekmann. Lobende Erwähnungen sind darunter, Aktenvermerke, Zeitungsausschnitte, sein Terminkalender. Man findet Briefe zur weitgehend vergessenen Strafanzeige, die Franz Müntefering einst gegen die Bild stellte, oder einen Ausschnitt aus der taz, in dem Diekmann in den „Klub der Kotzbrocken“ aufgenommen wird, an der Seite von Dieter Bohlen, Guido Westerwelle und, last not least, Adolf Hitler.
So bewundert und gelobt wurde Kai Diekmann, Chefredakteur der Bild-Zeitung, so gehasst und verachtet aber auch – und Kai Diekmann, der Mann in den besten Jahren, der Autor, studiert diese Puzzleteile und legt sie uns nun vor, damit wir uns mit ihm gemeinsam einen Reim machen können: Auf ihn, auf die Medien, auf Wulff, Merkel, Kohl und Putin, auf die gemeinsame Zeit. Obwohl sein Abschied von der Leitung der Zeitung erst sechs Jahre her ist, führt die Lektüre in eine ferne, versunkene Welt. Man ermisst, wie stark die Pandemie (bei der die Bild unter Julian Reichelt ins coronaskeptische Lager abgedriftet ist) und der Krieg in der Ukraine die Welt verändert haben.
Die Bild ist heute nicht mehr dieses mächtige Printprodukt, sondern eine multimediale Marke mit schwindender Relevanz. Springer findet seit Monaten nicht aus einem selbstgebauten Labyrinth aus Intrigen und Skandalen. Wer dazu in diesem Buch etwas erwartet, wird enttäuscht sein: Diekmann wendet sich dafür mit großer Akribie früheren Skandalen zu. Den Beginn macht seine ausgiebige Darstellung der Affäre um den früheren Bundespräsidenten Christian Wulff. Ältere mögen sich noch an dessen Mailboxansage erinnern, an die quälenden Monate der Skandale und die immer nur so halb klugen Verteidigungsversuche Wulffs.
Diekmann geht den Skandal mit geradezu forensischer Genauigkeit durch, als wolle er sich noch einmal vergewissern, in was er hineingeraten war und dass er richtig gehandelt hat. Diekmann ist ein konservativer Mann: So ein Konflikt mit dem ersten Mann im Staat ist nichts, was er auf die leichte Schulter nimmt. Vater-Sohn-Beziehungen, Fragen des Erbes, der Autorität und der richtigen Führung durchziehen das Buch wie ein Wasserzeichen. Im Falle Wulff finden sich Passagen, bei denen man nur staunen kann. Einmal, da sind der Bundespräsident und Chefredakteur noch keine Feinde, bat Wulff den Bild-Chef sogar um Rat. Es ging um das Gerücht, die Ehefrau des Präsidenten habe eine Rotlicht-Vergangenheit, es gab richtige Recherchen in der Sache. Diekmann verfiel auf den Plan, dem präsidialen Ehepaar einen schriftlichen Fragenkatalog zu unterbreiten, der im Wesentlichen also die Frage klären sollte, ob Bettina Wulff je als Sexarbeiterin in Hannover tätig war. Die Fragen sollten die Wulffs wahrheitsgemäß negativ beantworten, die Bild würde ihre Recherchen einstellen, es die Konkurrenz wissen lassen und dann sei das Gerücht aus der Welt. Man weiß nicht, ob man lachen oder weinen soll: Untauglicher kann man ein Gerücht nicht bekämpfen, und wer sich auf solche Sachen mit einer Boulevardzeitung einlässt, dem ist nicht mehr zu helfen.
Diekmann belegt in dem Kapitel seine Version der Geschichte, immer wieder staunend, als könne er selbst nicht glauben, wen die Union da ins Schloss Bellevue gewählt hat. Das ist die tiefere Dimension, die in diesem Buch ausgelotet wird. Wulff war der Kandidat der CDU, Angela Merkel hatte ihn durchgesetzt.
Das große Idol von Diekmann, der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl, stand einst auch für diese Partei, und Springer war ihre publizistische Heimat, aber die Zeiten haben sich geändert. Und nun prüft Walter Kohl, Sohn von Helmut Kohl, schon rechtliche Schritte gegen den Verlag. Diekmann beschreibt im Buch die Beziehung zwischen Kohl, seinen beiden Söhnen und seiner zweiten Ehefrau Maike Kohl-Richter und listet auch angebliche Details zu Streitigkeiten um das Erbe auf. Viele dieser Darstellungen seien falsch, ließ Kohl die dpa am Dienstag wissen.
2015 stand Diekmann auf der Seite von Angela Merkel, als es darum ging, syrische Geflüchtete zu empfangen. Seine Frau Katja Kessler und er nahmen einen Mann und seine Kinder auf. Hier schildert Diekmann, dass und warum diese Geschichte leider kein Happy End hatte – so wie er an vielen Stellen darüber schreibt, was ihm nicht gelungen ist, wo er überheblich rüberkam oder schlicht auf dem falschen Dampfer unterwegs war.
Zuverlässigkeit ist Diekmann wichtig, das Einhalten von Absprachen, aber auch die Liebe zur belegbaren Wahrheit und eine persönliche Offenheit und Großzügigkeit. Nun wird es genügend Leserinnen und Leser geben, die etwa mit Rekurs auf Bildblog.de nachweisen können, dass die Bild-Zeitung diesen Standards nicht immer genügte. Aber in diesem Buch lässt sich dessen ungeachtet eine konservative Selbsterforschung miterleben, die auch die Vergangenheit von Springer betrifft. Diekmann verspricht Günter Wallraff, aufzuklären, wie das damals mit der Abhöraktion gegen ihn war, als die Bild womöglich mit der Hilfe staatlicher Stellen das private Telefon des Schriftstellers angezapft hatte. Doch die Recherchen im eigenen Hause bringen keine Aufklärung, sondern führen in die Finsternis des kalten Krieges.
Ehemalige Größen des Verlags wie Günter Prinz signalisieren Diekmann und noch lebenden Zeitzeugen, dass sich die Wahrheit von damals nicht für den Transparenzwahn von heute eignet. Auch die Fälle Gerhard Schröder und Wladimir Putin sind facettenreiche Studien über die Launen des Schicksals, menschliche Abgründe und kriminelle Energie, die zu spät bemerkt wurde. Wie so viele Deutsche seines Alters ist Diekmann ein mittelbarer Schüler von Jürgen Habermas: Er kommt mit allen kommunikativen Stilen klar, die offen und wahrhaftig gepflegt werden. Aber seine Mittel versagen, wenn ihn jemand anlügt, damit rechnet er nicht, und er mag es auch nicht unterstellen.
Die Erosion von Macht, die Bedeutung zwischenmenschlicher Verbindlichkeiten, die Verblendung durch Status und das schnelle Leben, die Frage nach Männlichkeit und dem, was einen guten Vater ausmacht – das sind nur einige der Themen, die in diesem intensiven, für Autor und Publikum gleichermaßen schonungslosen Buch verhandelt werden. Es sind Jahre, die kaum vergangen sind und uns dennoch rätselhafter erscheinen als das spätrömische Reich. Heute ist sein politisches Lager geprägt von den Julian Reichelts und Tucker Carlsons dieser Welt. Fakten sind ihnen wurscht, die Wissenschaft optional, und der politische Gegner ist der Feind. Diekmanns Suche hat gerade erst begonnen.
Zur aktuellen Springer-Krise
sagt er nichts, er wendet sich
lieber früheren Skandalen zu
Er schreibt von Jahren, die
rätselhafter erscheinen als
das spätrömische Reich
Es ist, als sei die Bedeutung seines früheren Jobs so intensiv gewesen, dass er jetzt ergründen muss, was er da eigentlich angestellt hat: Kai Diekmann im Jahr 1999, damals noch Chefredakteur der „Welt am Sonntag“.
Foto: Stefan Hesse/dpa
Kai Diekmann: Ich war Bild. Autobiografie.
Deutsche Verlagsanstalt, München 2023.
544 Seiten, 34 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
In seiner Autobiografie „Ich war Bild“ ergründet Kai Diekmann intensiv das Innere von Kai Diekmann.
Und findet dabei auch ein paar Wahrheiten über den Springer-Konzern
VON NILS MINKMAR
Niemand entscheidet sich dafür, zur Welt zu kommen. Man wird geboren und muss dann mühsam alles lernen: Wer die Eltern sind, wer die Geschwister oder die Freunde und dann, wer man selbst ist. Das dauert am längsten. Darum ist die Literatur voller Bücher, in der es um die Identität und die Geschichte ihrer Entstehung geht. Im Reden und Schreiben über die eigene Geschichte liegt ein Element der Bewältigung verborgen, auch etwas Selbstaufklärung und Staunen: „Wenn ich die Dinge nicht aufschreibe“, so beginnt die Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux ihren neuen Roman „Der junge Mann“, „dann sind sie nicht vollendet, dann habe ich sie nur erlebt.“ Es könnte das Motto der Autobiografie des einstigen Chefredakteurs der Bild-Zeitung Kai Diekmann sein, die nun unter dem Titel „Ich war Bild“ erscheint. Es ist, als sei die Hektik und die Bedeutung seines früheren Jobs derart intensiv gewesen, dass der Autor im Nachhinein ergründen muss, was er da eigentlich angestellt hat. Wer er war, und, untrennbar damit verbunden, wer er heute ist oder noch werden möchte.
Die Schlüsselszene des materialreichen und sehr detailliert erzählten Buchs spielt nicht in Berlin, sondern in Köln-Ehrenfeld. Dort trifft Diekmann den legendären Antagonisten der Bild-Zeitung und des Springer-Konzerns, den Autor und Aufklärer Günter Wallraff. Diekmann erzählt, dass er mal halbnackt im Flur seines Hamburger Wohnhauses stand und dann, Jahre später, passierte ihm das in einem amerikanischen Hotel: Er schlafwandelt.
Wallraff erzählt, auch er sei als Kind und Jugendlicher Schlafwandler gewesen. Er berichtet von einem Erlebnis in New York Jahre später, als er einmal in weinseliger Laune beschloss, auf dem Dach zu schlafen. Seine Frau spielt darin eine Rolle und auch eine Verletzung an der Hand. Klarer wird es nicht, man muss wohl dabei gewesen sein, um den Sinn der Story zu erfassen, aber das Motiv inspiriert das ganze, dicke Buch. Wie ein Schlafwandler die Erzählung der anderen braucht, um zu erfahren, was er in der Nacht so anstellt, so sucht Diekmann in diesem Buch seine eigene Geschichte anhand von Dokumenten. Er folgt den Briefen, Mails und Akten aller Art wie einer Spur. In seiner Sammel-und Erzählwut liegt etwas Absurdes, etwas Komisches auch, wie man es bei Walter Kempowski entdecken kann. Denn Diekmann sammelt nahezu jeden Zettel, der Auskunft geben könnte über Kai Diekmann. Lobende Erwähnungen sind darunter, Aktenvermerke, Zeitungsausschnitte, sein Terminkalender. Man findet Briefe zur weitgehend vergessenen Strafanzeige, die Franz Müntefering einst gegen die Bild stellte, oder einen Ausschnitt aus der taz, in dem Diekmann in den „Klub der Kotzbrocken“ aufgenommen wird, an der Seite von Dieter Bohlen, Guido Westerwelle und, last not least, Adolf Hitler.
So bewundert und gelobt wurde Kai Diekmann, Chefredakteur der Bild-Zeitung, so gehasst und verachtet aber auch – und Kai Diekmann, der Mann in den besten Jahren, der Autor, studiert diese Puzzleteile und legt sie uns nun vor, damit wir uns mit ihm gemeinsam einen Reim machen können: Auf ihn, auf die Medien, auf Wulff, Merkel, Kohl und Putin, auf die gemeinsame Zeit. Obwohl sein Abschied von der Leitung der Zeitung erst sechs Jahre her ist, führt die Lektüre in eine ferne, versunkene Welt. Man ermisst, wie stark die Pandemie (bei der die Bild unter Julian Reichelt ins coronaskeptische Lager abgedriftet ist) und der Krieg in der Ukraine die Welt verändert haben.
Die Bild ist heute nicht mehr dieses mächtige Printprodukt, sondern eine multimediale Marke mit schwindender Relevanz. Springer findet seit Monaten nicht aus einem selbstgebauten Labyrinth aus Intrigen und Skandalen. Wer dazu in diesem Buch etwas erwartet, wird enttäuscht sein: Diekmann wendet sich dafür mit großer Akribie früheren Skandalen zu. Den Beginn macht seine ausgiebige Darstellung der Affäre um den früheren Bundespräsidenten Christian Wulff. Ältere mögen sich noch an dessen Mailboxansage erinnern, an die quälenden Monate der Skandale und die immer nur so halb klugen Verteidigungsversuche Wulffs.
Diekmann geht den Skandal mit geradezu forensischer Genauigkeit durch, als wolle er sich noch einmal vergewissern, in was er hineingeraten war und dass er richtig gehandelt hat. Diekmann ist ein konservativer Mann: So ein Konflikt mit dem ersten Mann im Staat ist nichts, was er auf die leichte Schulter nimmt. Vater-Sohn-Beziehungen, Fragen des Erbes, der Autorität und der richtigen Führung durchziehen das Buch wie ein Wasserzeichen. Im Falle Wulff finden sich Passagen, bei denen man nur staunen kann. Einmal, da sind der Bundespräsident und Chefredakteur noch keine Feinde, bat Wulff den Bild-Chef sogar um Rat. Es ging um das Gerücht, die Ehefrau des Präsidenten habe eine Rotlicht-Vergangenheit, es gab richtige Recherchen in der Sache. Diekmann verfiel auf den Plan, dem präsidialen Ehepaar einen schriftlichen Fragenkatalog zu unterbreiten, der im Wesentlichen also die Frage klären sollte, ob Bettina Wulff je als Sexarbeiterin in Hannover tätig war. Die Fragen sollten die Wulffs wahrheitsgemäß negativ beantworten, die Bild würde ihre Recherchen einstellen, es die Konkurrenz wissen lassen und dann sei das Gerücht aus der Welt. Man weiß nicht, ob man lachen oder weinen soll: Untauglicher kann man ein Gerücht nicht bekämpfen, und wer sich auf solche Sachen mit einer Boulevardzeitung einlässt, dem ist nicht mehr zu helfen.
Diekmann belegt in dem Kapitel seine Version der Geschichte, immer wieder staunend, als könne er selbst nicht glauben, wen die Union da ins Schloss Bellevue gewählt hat. Das ist die tiefere Dimension, die in diesem Buch ausgelotet wird. Wulff war der Kandidat der CDU, Angela Merkel hatte ihn durchgesetzt.
Das große Idol von Diekmann, der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl, stand einst auch für diese Partei, und Springer war ihre publizistische Heimat, aber die Zeiten haben sich geändert. Und nun prüft Walter Kohl, Sohn von Helmut Kohl, schon rechtliche Schritte gegen den Verlag. Diekmann beschreibt im Buch die Beziehung zwischen Kohl, seinen beiden Söhnen und seiner zweiten Ehefrau Maike Kohl-Richter und listet auch angebliche Details zu Streitigkeiten um das Erbe auf. Viele dieser Darstellungen seien falsch, ließ Kohl die dpa am Dienstag wissen.
2015 stand Diekmann auf der Seite von Angela Merkel, als es darum ging, syrische Geflüchtete zu empfangen. Seine Frau Katja Kessler und er nahmen einen Mann und seine Kinder auf. Hier schildert Diekmann, dass und warum diese Geschichte leider kein Happy End hatte – so wie er an vielen Stellen darüber schreibt, was ihm nicht gelungen ist, wo er überheblich rüberkam oder schlicht auf dem falschen Dampfer unterwegs war.
Zuverlässigkeit ist Diekmann wichtig, das Einhalten von Absprachen, aber auch die Liebe zur belegbaren Wahrheit und eine persönliche Offenheit und Großzügigkeit. Nun wird es genügend Leserinnen und Leser geben, die etwa mit Rekurs auf Bildblog.de nachweisen können, dass die Bild-Zeitung diesen Standards nicht immer genügte. Aber in diesem Buch lässt sich dessen ungeachtet eine konservative Selbsterforschung miterleben, die auch die Vergangenheit von Springer betrifft. Diekmann verspricht Günter Wallraff, aufzuklären, wie das damals mit der Abhöraktion gegen ihn war, als die Bild womöglich mit der Hilfe staatlicher Stellen das private Telefon des Schriftstellers angezapft hatte. Doch die Recherchen im eigenen Hause bringen keine Aufklärung, sondern führen in die Finsternis des kalten Krieges.
Ehemalige Größen des Verlags wie Günter Prinz signalisieren Diekmann und noch lebenden Zeitzeugen, dass sich die Wahrheit von damals nicht für den Transparenzwahn von heute eignet. Auch die Fälle Gerhard Schröder und Wladimir Putin sind facettenreiche Studien über die Launen des Schicksals, menschliche Abgründe und kriminelle Energie, die zu spät bemerkt wurde. Wie so viele Deutsche seines Alters ist Diekmann ein mittelbarer Schüler von Jürgen Habermas: Er kommt mit allen kommunikativen Stilen klar, die offen und wahrhaftig gepflegt werden. Aber seine Mittel versagen, wenn ihn jemand anlügt, damit rechnet er nicht, und er mag es auch nicht unterstellen.
Die Erosion von Macht, die Bedeutung zwischenmenschlicher Verbindlichkeiten, die Verblendung durch Status und das schnelle Leben, die Frage nach Männlichkeit und dem, was einen guten Vater ausmacht – das sind nur einige der Themen, die in diesem intensiven, für Autor und Publikum gleichermaßen schonungslosen Buch verhandelt werden. Es sind Jahre, die kaum vergangen sind und uns dennoch rätselhafter erscheinen als das spätrömische Reich. Heute ist sein politisches Lager geprägt von den Julian Reichelts und Tucker Carlsons dieser Welt. Fakten sind ihnen wurscht, die Wissenschaft optional, und der politische Gegner ist der Feind. Diekmanns Suche hat gerade erst begonnen.
Zur aktuellen Springer-Krise
sagt er nichts, er wendet sich
lieber früheren Skandalen zu
Er schreibt von Jahren, die
rätselhafter erscheinen als
das spätrömische Reich
Es ist, als sei die Bedeutung seines früheren Jobs so intensiv gewesen, dass er jetzt ergründen muss, was er da eigentlich angestellt hat: Kai Diekmann im Jahr 1999, damals noch Chefredakteur der „Welt am Sonntag“.
Foto: Stefan Hesse/dpa
Kai Diekmann: Ich war Bild. Autobiografie.
Deutsche Verlagsanstalt, München 2023.
544 Seiten, 34 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.05.2023Diekmann und wie er die Welt sieht
Getrieben von manischem Enthüllungsdrang: Der frühere Chefredakteur der "Bild"-Zeitung hat seine Memoiren geschrieben. Es ist glücklicherweise kein reines Angeberbuch geworden. Vielmehr taugt es als Zeitgeschichte der Irrtümer.
Es fehlte nicht viel, und dieses Buch wäre nie geschrieben worden. Dann hätte Kai Diekmann gar nichts zu erzählen gehabt. Er wäre nicht der dienstälteste Chefredakteur der "Bild"-Zeitung geworden, der sich im Dezember 2016, nach sechzehn Jahren, von seiner Redaktion, von seiner "Familie" verabschiedet. "Es war mir eine Ehre", sagt er, schwer angefasst, und senkt den Kopf. Und dann, als er eigentlich schon weg ist, setzt der "Terrier", der "Bohrer" und "Krawallheini" noch seinen letzten Scoop. "We have President Trump for you!!!", lautet die SMS. Und tatsächlich bekommt Diekmann das Interview mit dem neuen amerikanischen Präsidenten, der Journalisten für gewöhnlich verabscheut: Trump pur, so wie ihn die ganze Welt in den kommenden Wochen kennenlernen wird. Ein Bombeninterview. Was für ein Abgang. Besser geht es nicht. "Wann ist der richtige Zeitpunkt abzutreten? Jetzt."
Zu dieser Geschichte, die uns Kai Diekmann in seinem Buch "Ich war Bild" ganz zum Schluss erzählt, wäre es fast nicht gekommen. Und zwar nicht, weil er seine Karriere als "Bild"-Chef mit einer kapitalen Pleite begann. Die bestand darin, dass das Boulevardblatt am 29. Juni 2001, da war Diekmann 36 Jahre alt und seit 28 Tagen im Amt, ein Bild des damaligen Umweltministers Jürgen Trittin brachte, in dessen Beschreibung von einer Demonstration vermummter Autonomer, einem "Schlagstock" und einem "Bolzenschneider" die Rede ist. Das allerdings war, wie Diekmann nach dem Erscheinen schnell klar wird, "blanker Unsinn". Ein Handschuh und ein Seil sind zu sehen. Diese Panne hätte dem frischbestallten Chefredakteur zum Verhängnis werden können. Als "Dead man walking" habe er sich gefühlt, lässt er uns wissen. Der Marsch durch die Institution "Bild" ging dann aber noch eine ganze Weile weiter.
Das Aus für Diekmann hätte indes schon viel früher kommen können. 1997 nämlich, als Springer noch nicht der von Mathias Döpfner geführte Konzern mit der Verlegerwitwe Friede Springer und amerikanischen Finanzinvestoren war, sondern dort ein interner Machtkampf mit dem Großaktionär Leo Kirch tobte. Dem damaligen Springer-Vorstandschef Jürgen Richter kam dieser junge Ehrgeizling Diekmann gefährlich vor und so - warf er den damaligen Politikchef und stellvertretenden Chefredakteur der "Bild" kurzerhand raus. Der ging erst einmal auf Abstand und tourte in einem "alten Ford Bronco", wie er sich erinnert, durch Panama, als sich das Blatt, auch durch das Zutun seines Mentors Pepe Boenisch, wendete: Richter flog raus, Diekmann kam zurück.
Dass ein Journalist sich mit einem Vorstandschef anlegt und nicht der Angestellte, sondern der Boss fliegt, der meinte, er könne mal eben in die Redaktion reinregieren, geschieht nicht alle Tage. Kai Diekmann flicht das in seinem Fall allerdings sehr geschickt und en passant als Randnotiz ein. Dabei dürfte er in dieser existenziellen Lage mehr als eine Lektion für sein gesamtes Berufsleben gelernt haben: Nicht der erste Aufschlag bringt den Sieg, man muss auf jeden miesen Trick gefasst sein, auf Täuschung und üble Nachrede, braucht Nehmerqualitäten, Ausdauer, die richtigen, verlässlichen Verbündeten und vor allem - davon ist in diesem Buch viel die Rede - Vertrauen.
Vertrauen hat Diekmann im Laufe seiner Karriere auch bei denen aufgebaut, die er als Gegner ansah. Zu Gerhard Schröder zum Beispiel, der bekanntlich mit "Bild, BamS und Glotze" zu regieren können meinte, in Wahrheit aber - wie die SPD insgesamt - vor allem davon zehrte, dass die "Bild" auf ihn eindrosch und er auf die Zeitung. Oder zu Günter Wallraff, dem Mann, "der bei ,Bild' Hans Esser war"; der offenlegte, mit welch brutalen Methoden das Boulevardblatt zu seinen Geschichten kam und der von dessen Kölner Redaktion - wahrscheinlich unter tätiger Mithilfe des Verfassungsschutzes - eine Zeit lang abgehört wurde. Wer es noch nicht wusste, erkennt hier: Wallraff und Diekmann sind sich in ihrem manischen Enthüllungsdrang sehr ähnlich.
Diekmanns Vertrauensverhältnis zu Helmut Kohl indes ist von einzigartiger Qualität. Das Kapitel über den verstorbenen Altkanzler zeugt von tiefer Freundschaft, von einer fast familiären Verbundenheit, welche den beiden Söhnen Kohls einen Platz als Unwürdige der Geschichte zuweist, denen es immer nur ums Geld gegangen sei und deren kleinkariertes Gehabe der Größe ihres Vaters Hohn spricht. Dass Walter Kohl im "Spiegel" Diekmann "zynische und unwahre" Unterstellungen und eine "tendenziöse, unvollständige und einseitige Darstellung unserer Familiengeschichte" vorwirft, verwundert nicht.
Das Bild wiederum, das Diekmann von dem früheren Bundespräsidenten Christian Wulff zeichnet, hat sich nicht verändert. Auch Wulff erscheint ihm bis heute als unwürdige Figur, als jemand, der das Amt nie ausgefüllt und begriffen habe, sich größenwahnsinnig und unbelehrbar aufführte, seinen loyalen und gestählten Pressesprecher Olaf Glaeseker verschliss, ganz allein an seinem Niedergang schuld war und schließlich den fatalen Fehler beging, Diekmann am 12. Dezember 2011 um 18.19 Uhr auf die Mailbox zu sprechen, die "Bild" möge mit der Geschichte über den Kredit für sein Privathaus noch warten, man könne dann immer noch besprechen, "wie wir den Krieg führen", der "Rubikon" sei überschritten.
Diesen Anruf setzte Diekmann nicht gleich in seine eigene Zeitung, das taten andere für ihn. Den ersten Hinweis darauf gab die F.A.Z. Für sich behalten hatte Diekmann die Nachricht, für die sich Wulff anschließend entschuldigte, nämlich nicht. Er fragte den Chefredakteur der "Zeit", Giovanni di Lorenzo, und den verstorbenen Mitherausgeber der F.A.Z., Frank Schirrmacher, um Rat und spielte solchermaßen über Bande. Für Wulff war das der Anfang vom Ende, das Diekmann bis heute für folgerichtig hält.
Das Wulff-Kapitel, das bei Diekmann "Ziemlich beste Feinde" heißt, ist das schwächste des Buchs. Denn ausgerechnet hier lässt Diekmann Qualitäten vermissen, die er vom Journalismus fordert und die er sich selbst bescheinigt: das eigene Tun zu hinterfragen, sich in die Lage des Gegenübers zu versetzen, nicht mit dem Rudel zu jagen, wie es viele Journalisten tun, nicht zu feige sein, einen abweichenden Standpunkt einzunehmen, selbst im stärksten Schlagzeilengewitter innezuhalten und - sei es im Nachhinein -, eigene Fehler zu erkennen und zu benennen.
Nicht nur Politikern fällt es schwer, Fehler zuzugeben, Journalisten sind ihnen darin ähnlich. Wer glaubt, Diekmann habe nicht gewusst, wie die Sache mit Wulff laufen würde, müsste spätestens bei dem Foto stutzig werden, das den "Bild"-Chef im Flugzeug mit Satellitentelefon zeigt, wie er auf dem Weg nach New York (da muss er irgendwie dauernd hin) mit der Redaktion in Sachen Wulff telefoniert. Und wer glaubt, beim Rücktritt Wulffs habe die Presse (F.A.Z. und der Verfasser inbegriffen) eine allein rühmliche Rolle gespielt, verdrängt, wie die Treibjagd damals wirklich aussah.
Das ist im Falle von Kai Diekmann vielsagend. Und es ist erstaunlich, bezeugt er in weiteren Kapiteln doch, dass er nicht meint, die Weisheit mit Löffeln verspeist zu haben. Und er offenbart, wie das im Boulevardjournalismus so läuft - mit den vermeintlich heimlich aufgenommenen Pseudoprivatfotos von Prominenten zum Beispiel. Er produziert Merksätze, die sich jeder in diesem Beruf hinter die Ohren schreiben kann, weist den berühmten Spruch von Hanns Joachim Friedrichs, dass sich ein Journalist mit keiner Sache gemein mache, auch nicht mit einer guten, als Unfug und verlogen aus und beweist Größe durch Humor im Umgang mit der "taz", die sich zumeist witzfrei an ihm und an der "Bild" abarbeitete und schließlich eine sechzehn Meter hohe Skulptur seines Gemächts an der Fassade hängen hatte, was Diekmann mit lässigem Unernst quittiert.
Im persönlichsten Kapitel von "Ich war Bild" geht es um die Bedrohung, der Diekmann und seine Familie ausgesetzt waren. Linksextremisten zündeten den Privatwagen der Diekmanns an, Islamisten formulierten einen Fatwa-ähnlichen Mordaufruf. Der Brandanschlag zeigte, wie kurz der Weg vom hetzerischen Wort zur verbrecherischen Tat sein kann, über die Satiriker gleichwohl noch Witze rissen.
Erstaunlich ist, dass Diekmann bei dem Versuch, eigene und solche Irrtümer zu ergründen, die große Teile der deutschen Publizistik und Politik im Umgang mit Wladimir Putin begangen haben, im Kreis geht. Auch Diekmann ließ sich von Putin beeindrucken. Freimütig beschreibt er die Show, die der russische Machthaber zunächst als vermeintlicher Friedensstifter bei Interviews abzog (er lud Diekmann zum Jetskifahren ein, und der zwängte sich tatsächlich in eine Badehose) und die sich allmählich ins Despotische wandelte. Doch misst Diekmann jenen Parolen nachhaltig Bedeutung zu, mit denen Putin den Angriffskrieg gegen die Ukraine begründet und die er selbst im Gespräch mit Michail Gorbatschow hört: Der Westen sei schuld, er habe das Vertrauen Russlands mit der NATO-Osterweiterung missbraucht. Dabei ist Putin schon mit Mord an die Macht gekommen, als Kai Diekmann Chefredakteur wurde.
Er wolle keine Anekdoten ausbreiten, schreibt Diekmann, sondern "Geschichten, die Geschichte erzählen. Zeitgeschichte". Das gelingt ihm. Er macht nicht mehr den dicken Max mit gegeltem Haar, das seine lockige Naturkrause an den Schädel pappt, mit Dandy- oder Kampfmodusattitüde. Inszenieren und schreiben kann er, das musste ihm die frühere "Bild"-Kollegin Doris Schröder-Köpf (der er da und dort einen mitgibt) nicht erst beibringen, seine Ehefrau Katja Kessler dürfte, was Diekmann zugibt, als Lektorin eine bedeutende Rolle gespielt haben.
Lohnenswert ist die Lektüre vor allem als Zeitgeschichte der Irrtümer. Diese reicht bis in die jüngste Gegenwart heran, zu der auch gehört, dass es die "Bild"-Zeitung, die Kai Diekmann "war", heute nicht mehr gibt. Was früher "Bild" war, sind heute "Spiegel", Böhmermann und Reschke. Den Gossip des Tages verbreiten Tausende Nichtchefredakteure in Echtzeit und machen vor Hetze nicht halt. "Bild" und Springer machen derweil nicht mehr selbst Skandalschlagzeilen, sie sind vor allem deren Gegenstand. Die Zeit nach ihm bei "Bild" sei "Stoff für ein nächstes Buch. Warten Sie es ab", raunt Diekmann am Ende seiner ganz und gar subjektiven Zeitreise als Cliffhänger. Der Mann ist Profi, das muss man ihm lassen. MICHAEL HANFELD
Kai Diekmann: "Ich war Bild". Ein Leben zwischen Schlagzeilen, Staatsaffären und Skandalen.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2023. 544 S., Abb., geb., 34,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Getrieben von manischem Enthüllungsdrang: Der frühere Chefredakteur der "Bild"-Zeitung hat seine Memoiren geschrieben. Es ist glücklicherweise kein reines Angeberbuch geworden. Vielmehr taugt es als Zeitgeschichte der Irrtümer.
Es fehlte nicht viel, und dieses Buch wäre nie geschrieben worden. Dann hätte Kai Diekmann gar nichts zu erzählen gehabt. Er wäre nicht der dienstälteste Chefredakteur der "Bild"-Zeitung geworden, der sich im Dezember 2016, nach sechzehn Jahren, von seiner Redaktion, von seiner "Familie" verabschiedet. "Es war mir eine Ehre", sagt er, schwer angefasst, und senkt den Kopf. Und dann, als er eigentlich schon weg ist, setzt der "Terrier", der "Bohrer" und "Krawallheini" noch seinen letzten Scoop. "We have President Trump for you!!!", lautet die SMS. Und tatsächlich bekommt Diekmann das Interview mit dem neuen amerikanischen Präsidenten, der Journalisten für gewöhnlich verabscheut: Trump pur, so wie ihn die ganze Welt in den kommenden Wochen kennenlernen wird. Ein Bombeninterview. Was für ein Abgang. Besser geht es nicht. "Wann ist der richtige Zeitpunkt abzutreten? Jetzt."
Zu dieser Geschichte, die uns Kai Diekmann in seinem Buch "Ich war Bild" ganz zum Schluss erzählt, wäre es fast nicht gekommen. Und zwar nicht, weil er seine Karriere als "Bild"-Chef mit einer kapitalen Pleite begann. Die bestand darin, dass das Boulevardblatt am 29. Juni 2001, da war Diekmann 36 Jahre alt und seit 28 Tagen im Amt, ein Bild des damaligen Umweltministers Jürgen Trittin brachte, in dessen Beschreibung von einer Demonstration vermummter Autonomer, einem "Schlagstock" und einem "Bolzenschneider" die Rede ist. Das allerdings war, wie Diekmann nach dem Erscheinen schnell klar wird, "blanker Unsinn". Ein Handschuh und ein Seil sind zu sehen. Diese Panne hätte dem frischbestallten Chefredakteur zum Verhängnis werden können. Als "Dead man walking" habe er sich gefühlt, lässt er uns wissen. Der Marsch durch die Institution "Bild" ging dann aber noch eine ganze Weile weiter.
Das Aus für Diekmann hätte indes schon viel früher kommen können. 1997 nämlich, als Springer noch nicht der von Mathias Döpfner geführte Konzern mit der Verlegerwitwe Friede Springer und amerikanischen Finanzinvestoren war, sondern dort ein interner Machtkampf mit dem Großaktionär Leo Kirch tobte. Dem damaligen Springer-Vorstandschef Jürgen Richter kam dieser junge Ehrgeizling Diekmann gefährlich vor und so - warf er den damaligen Politikchef und stellvertretenden Chefredakteur der "Bild" kurzerhand raus. Der ging erst einmal auf Abstand und tourte in einem "alten Ford Bronco", wie er sich erinnert, durch Panama, als sich das Blatt, auch durch das Zutun seines Mentors Pepe Boenisch, wendete: Richter flog raus, Diekmann kam zurück.
Dass ein Journalist sich mit einem Vorstandschef anlegt und nicht der Angestellte, sondern der Boss fliegt, der meinte, er könne mal eben in die Redaktion reinregieren, geschieht nicht alle Tage. Kai Diekmann flicht das in seinem Fall allerdings sehr geschickt und en passant als Randnotiz ein. Dabei dürfte er in dieser existenziellen Lage mehr als eine Lektion für sein gesamtes Berufsleben gelernt haben: Nicht der erste Aufschlag bringt den Sieg, man muss auf jeden miesen Trick gefasst sein, auf Täuschung und üble Nachrede, braucht Nehmerqualitäten, Ausdauer, die richtigen, verlässlichen Verbündeten und vor allem - davon ist in diesem Buch viel die Rede - Vertrauen.
Vertrauen hat Diekmann im Laufe seiner Karriere auch bei denen aufgebaut, die er als Gegner ansah. Zu Gerhard Schröder zum Beispiel, der bekanntlich mit "Bild, BamS und Glotze" zu regieren können meinte, in Wahrheit aber - wie die SPD insgesamt - vor allem davon zehrte, dass die "Bild" auf ihn eindrosch und er auf die Zeitung. Oder zu Günter Wallraff, dem Mann, "der bei ,Bild' Hans Esser war"; der offenlegte, mit welch brutalen Methoden das Boulevardblatt zu seinen Geschichten kam und der von dessen Kölner Redaktion - wahrscheinlich unter tätiger Mithilfe des Verfassungsschutzes - eine Zeit lang abgehört wurde. Wer es noch nicht wusste, erkennt hier: Wallraff und Diekmann sind sich in ihrem manischen Enthüllungsdrang sehr ähnlich.
Diekmanns Vertrauensverhältnis zu Helmut Kohl indes ist von einzigartiger Qualität. Das Kapitel über den verstorbenen Altkanzler zeugt von tiefer Freundschaft, von einer fast familiären Verbundenheit, welche den beiden Söhnen Kohls einen Platz als Unwürdige der Geschichte zuweist, denen es immer nur ums Geld gegangen sei und deren kleinkariertes Gehabe der Größe ihres Vaters Hohn spricht. Dass Walter Kohl im "Spiegel" Diekmann "zynische und unwahre" Unterstellungen und eine "tendenziöse, unvollständige und einseitige Darstellung unserer Familiengeschichte" vorwirft, verwundert nicht.
Das Bild wiederum, das Diekmann von dem früheren Bundespräsidenten Christian Wulff zeichnet, hat sich nicht verändert. Auch Wulff erscheint ihm bis heute als unwürdige Figur, als jemand, der das Amt nie ausgefüllt und begriffen habe, sich größenwahnsinnig und unbelehrbar aufführte, seinen loyalen und gestählten Pressesprecher Olaf Glaeseker verschliss, ganz allein an seinem Niedergang schuld war und schließlich den fatalen Fehler beging, Diekmann am 12. Dezember 2011 um 18.19 Uhr auf die Mailbox zu sprechen, die "Bild" möge mit der Geschichte über den Kredit für sein Privathaus noch warten, man könne dann immer noch besprechen, "wie wir den Krieg führen", der "Rubikon" sei überschritten.
Diesen Anruf setzte Diekmann nicht gleich in seine eigene Zeitung, das taten andere für ihn. Den ersten Hinweis darauf gab die F.A.Z. Für sich behalten hatte Diekmann die Nachricht, für die sich Wulff anschließend entschuldigte, nämlich nicht. Er fragte den Chefredakteur der "Zeit", Giovanni di Lorenzo, und den verstorbenen Mitherausgeber der F.A.Z., Frank Schirrmacher, um Rat und spielte solchermaßen über Bande. Für Wulff war das der Anfang vom Ende, das Diekmann bis heute für folgerichtig hält.
Das Wulff-Kapitel, das bei Diekmann "Ziemlich beste Feinde" heißt, ist das schwächste des Buchs. Denn ausgerechnet hier lässt Diekmann Qualitäten vermissen, die er vom Journalismus fordert und die er sich selbst bescheinigt: das eigene Tun zu hinterfragen, sich in die Lage des Gegenübers zu versetzen, nicht mit dem Rudel zu jagen, wie es viele Journalisten tun, nicht zu feige sein, einen abweichenden Standpunkt einzunehmen, selbst im stärksten Schlagzeilengewitter innezuhalten und - sei es im Nachhinein -, eigene Fehler zu erkennen und zu benennen.
Nicht nur Politikern fällt es schwer, Fehler zuzugeben, Journalisten sind ihnen darin ähnlich. Wer glaubt, Diekmann habe nicht gewusst, wie die Sache mit Wulff laufen würde, müsste spätestens bei dem Foto stutzig werden, das den "Bild"-Chef im Flugzeug mit Satellitentelefon zeigt, wie er auf dem Weg nach New York (da muss er irgendwie dauernd hin) mit der Redaktion in Sachen Wulff telefoniert. Und wer glaubt, beim Rücktritt Wulffs habe die Presse (F.A.Z. und der Verfasser inbegriffen) eine allein rühmliche Rolle gespielt, verdrängt, wie die Treibjagd damals wirklich aussah.
Das ist im Falle von Kai Diekmann vielsagend. Und es ist erstaunlich, bezeugt er in weiteren Kapiteln doch, dass er nicht meint, die Weisheit mit Löffeln verspeist zu haben. Und er offenbart, wie das im Boulevardjournalismus so läuft - mit den vermeintlich heimlich aufgenommenen Pseudoprivatfotos von Prominenten zum Beispiel. Er produziert Merksätze, die sich jeder in diesem Beruf hinter die Ohren schreiben kann, weist den berühmten Spruch von Hanns Joachim Friedrichs, dass sich ein Journalist mit keiner Sache gemein mache, auch nicht mit einer guten, als Unfug und verlogen aus und beweist Größe durch Humor im Umgang mit der "taz", die sich zumeist witzfrei an ihm und an der "Bild" abarbeitete und schließlich eine sechzehn Meter hohe Skulptur seines Gemächts an der Fassade hängen hatte, was Diekmann mit lässigem Unernst quittiert.
Im persönlichsten Kapitel von "Ich war Bild" geht es um die Bedrohung, der Diekmann und seine Familie ausgesetzt waren. Linksextremisten zündeten den Privatwagen der Diekmanns an, Islamisten formulierten einen Fatwa-ähnlichen Mordaufruf. Der Brandanschlag zeigte, wie kurz der Weg vom hetzerischen Wort zur verbrecherischen Tat sein kann, über die Satiriker gleichwohl noch Witze rissen.
Erstaunlich ist, dass Diekmann bei dem Versuch, eigene und solche Irrtümer zu ergründen, die große Teile der deutschen Publizistik und Politik im Umgang mit Wladimir Putin begangen haben, im Kreis geht. Auch Diekmann ließ sich von Putin beeindrucken. Freimütig beschreibt er die Show, die der russische Machthaber zunächst als vermeintlicher Friedensstifter bei Interviews abzog (er lud Diekmann zum Jetskifahren ein, und der zwängte sich tatsächlich in eine Badehose) und die sich allmählich ins Despotische wandelte. Doch misst Diekmann jenen Parolen nachhaltig Bedeutung zu, mit denen Putin den Angriffskrieg gegen die Ukraine begründet und die er selbst im Gespräch mit Michail Gorbatschow hört: Der Westen sei schuld, er habe das Vertrauen Russlands mit der NATO-Osterweiterung missbraucht. Dabei ist Putin schon mit Mord an die Macht gekommen, als Kai Diekmann Chefredakteur wurde.
Er wolle keine Anekdoten ausbreiten, schreibt Diekmann, sondern "Geschichten, die Geschichte erzählen. Zeitgeschichte". Das gelingt ihm. Er macht nicht mehr den dicken Max mit gegeltem Haar, das seine lockige Naturkrause an den Schädel pappt, mit Dandy- oder Kampfmodusattitüde. Inszenieren und schreiben kann er, das musste ihm die frühere "Bild"-Kollegin Doris Schröder-Köpf (der er da und dort einen mitgibt) nicht erst beibringen, seine Ehefrau Katja Kessler dürfte, was Diekmann zugibt, als Lektorin eine bedeutende Rolle gespielt haben.
Lohnenswert ist die Lektüre vor allem als Zeitgeschichte der Irrtümer. Diese reicht bis in die jüngste Gegenwart heran, zu der auch gehört, dass es die "Bild"-Zeitung, die Kai Diekmann "war", heute nicht mehr gibt. Was früher "Bild" war, sind heute "Spiegel", Böhmermann und Reschke. Den Gossip des Tages verbreiten Tausende Nichtchefredakteure in Echtzeit und machen vor Hetze nicht halt. "Bild" und Springer machen derweil nicht mehr selbst Skandalschlagzeilen, sie sind vor allem deren Gegenstand. Die Zeit nach ihm bei "Bild" sei "Stoff für ein nächstes Buch. Warten Sie es ab", raunt Diekmann am Ende seiner ganz und gar subjektiven Zeitreise als Cliffhänger. Der Mann ist Profi, das muss man ihm lassen. MICHAEL HANFELD
Kai Diekmann: "Ich war Bild". Ein Leben zwischen Schlagzeilen, Staatsaffären und Skandalen.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2023. 544 S., Abb., geb., 34,- Euro.
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»Ich war ein Junkie. Und BILD meine Droge.« Kai Diekmann