Sinas Papa muss ins Gefängnis. Er hat etwas Schlimmes getan und muss nun dafür geradestehen. Sina versteht das alles nicht. Sie hat keine Ahnung von dem Ort, an dem ihr Papa jetzt lebt. Vom ersten Tag an begleiten wir Sinas Papa. Wir erfahren alles über den Alltag hinter Gittern: Was es dort zu essen gibt, wer dort alles lebt und arbeitet, wie ein Haftraum aussieht, was die Gefangenen den ganzen Tag lang machen. Und wie es ist, wenn man wieder rauskommt.
buecher-magazin.deEs zählt wohl mit zum beliebtesten Lesevergnügen, einem Erzählstrang zu folgen, der von der Lösung eines Verbrechens erzählt, das im besten Fall damit endet, dass die Verbrecher im Gefängnis landen. So weit, so gut. Aber dann? Was passiert in einem Gefängnis? Wie sieht es dort aus? Wie lebt es sich dort? Diesen Fragen sind Monika Osberghaus und Thomas Engelhardt in monatelangen Recherchen und Interviews nachgegangen. Ein erzählendes Sachbuch ist entstanden. Erzählend, denn es geht einerseits um Sina, ihre Mutter und besonders ihren Vater, der einen Raubüberfall begangen hat und dafür einsitzen muss. Abwechselnd werden ihre Sicht auf die Dinge, ihre Gefühle, die großen Nöte wie die kleinen Freuden geschildert. Andererseits ein Sachbuch, denn immer wieder gesellt sich zur besonderen Familiengeschichte eine Faktenebene, die anschaulich und nichts beschönigend, dennoch kindgerecht den Weg vom Verbrechen über das Gerichtsverfahren, die Gefängnisjahre und die Wiedereingliederung danach beschreibt. Diese Kombination ist nicht nur ausgesprochen klug gewählt, sondern auch bestens gelungen, denn das ungewöhnliche Thema ist sachlich wie emotional genau und detailreich ausgeleuchtet.
© BÜCHERmagazin, Jana Kühn (jk)
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.04.2018Der Ort, den man nicht kennt
Ein Kinderbuch über das Leben im Gefängnis
"Ich finde das unfair, das (sic!) man als Kind seinen Papa weggenommen kriegt, nur weil der Papa was Blödes gemacht hat", schreibt Sina an ihren Vater. Da hat sie natürlich recht. In diesem Fall sitzt ein Vater hinter Gittern, dem sehr klar ist, dass er durch sein Verbrechen seiner Familie, vor allem seiner Tochter, enorm geschadet hat. Das Kind kann nichts dafür - und wird doch mitbestraft.
Es muss durch die Zeit der Haft kommen, genau wie die Erwachsenen. Sina beschreibt, wie das ist: das erste Mal, als der Vater nicht mit am Abendbrottisch sitzt, ihre Scham, die Angst, dass die Kinder in der Schule herauskriegen, was los ist. Die langen Tage, die sie gebraucht hat, um ihrer besten Freundin Emma zu erzählen, was passiert ist: dass ihr Vater eine Tankstelle überfallen hat, weil er Geld für seine Spielsucht brauchte.
Von alledem hatten seine Frau und seine Tochter keine Ahnung - bis der Vater verhaftet wurde. Sina ist acht Jahre alt, und es fällt ihr schwer, sich vorzustellen, dass sie schon zehn oder elf Jahre alt sein wird, bis der Vater zu Hause sein darf. Und erst recht schwer fällt es ihr, sich seinen neuen Alltag vorzustellen.
Das Gefängnis ist eine andere Welt. Zwar spielen Kinder Verbrecher und Polizei, sie wissen, dass diejenigen, die etwas Böses tun, gefangen werden. Nur wie es da ist, wo sie hinkommen, wissen nicht mal jene Kinder, deren Eltern an diesem Ort sind, dem Ort, den man nicht kennt. Etwa 100 000 Kinder in Deutschland sind das. In vielen Fällen könnte Wissen dazu beitragen, mit der Situation besser leben zu können. Ein Buch zum Erklären und zum Mut machen will "Im Gefängnis - Ein Kinderbuch über das Leben hinter Gittern" sein, für alle Kinder, nicht nur diejenigen, die das Wort "Gefängnis" aus ihrem Familienalltag kennen.
Auch die Autoren Monika Osberghaus und Thomas Engelhardt wären, wie sie in ihrem ausführlichen Nachwort freimütig zugeben, nicht von selbst auf das Thema gekommen. Die Gefängnispsychologin Susanne Jacob, die das Schicksal der "mitgefangenen" Kinder aus ihrem Berufsalltag kennt, hat das Kinderbuch angeregt.
Und "Im Gefängnis", geschrieben von Osberghaus und Engelhardt, illustriert von Susann Hesselbarth, löst als erzähltes Sachbuch, das von einem Glossar in "Gefängnisdeutsch" und "Knastsprache" sowie den Adressen von Selbsthilfeeinrichtungen begleitet wird, geradezu vorbildlich ein, was es sich vorgenommen hat. Nicht nur mit der Gefängnispsychologin Jacob, auch mit Gefängnisleitern, Vollzugsbeamten und Häftlingen, mit Müttern und Kindern haben die Autoren Gespräche geführt, und ihre Besuche in deutschen Gefängnissen schlagen sich auf vielfache Weise nieder.
In sachlicher, gut verständlicher Sprache wird etwa erläutert, was ein "Einschluss" ist, dass es "Haftraum" heißt und nicht Zelle, dass nicht jeder Gefangene, der gerne arbeiten möchte, hinter Gittern auch einen Arbeitsplatz findet - alles Informationen, die belebt sind durch die Personalisierung. Kapitel für Kapitel geht es, anhand von Roberts Alltag, durch den Strafvollzug: von der Tat über Haftantritt zum Freigang bis zu dem Moment, als Robert endlich wieder zu Hause ist.
Grau unterlegt sind alle Seiten, die mit Roberts Haft zu tun haben, rot zählt das Buch dort rückwärts, von "noch 730 Tage" bis "noch 0 Tage". Weiß ist das, was Sina erzählt, und ein rot-weiß gestreifter Balken markiert sinnvollerweise die Grenzübertritte von Sinas Welt in die des Vaters. Susann Hesselbarths schlichte Illustrationen haben hier und da einen kleinen Twist, wie sie da so über die Seiten gestreut den Text strukturieren und begleiten, dass die Aufmerksamkeit auf den thematischen Schwerpunkt gelenkt wird.
Und Platz für Gefühle ist darin auch. Denn obwohl Osberghaus und Engelhardt in ihrem Nachwort zugeben, mit Sina und Robert einen beinahe idealen Fall zu schildern, in dem alles für alle Beteiligten noch einmal gut ausgeht, bringen sie gerade die Schwierigkeiten zur Sprache: Angst, Einsamkeit, Wut, auch die Existenzsorgen der Mutter, der das Einkommen des Vaters fehlt.
Sina erzählt in einem eigenen kindlichen Ton, dass sie einfach keine Lust mehr hat, tapfer und eine Stütze ihrer Mutter zu sein. Die Noten werden immer schlechter, und eines Tages will sie auch nicht mitkommen zur Besuchszeit im Gefängnis. Manchmal versucht sie dann, ihren Vater einfach zu vergessen. Dass die Liebe helfen kann, auch Gitter zu überwinden, wird dadurch nicht weniger wahr.
EVA-MARIA MAGEL.
Thomas Engelhardt, Monika Osberghaus: "Im Gefängnis".
Mit Bildern von Susann Hesselbarth. Verlag Klett Kinderbuch, Leipzig 2018. 96 S., geb., 14,- [Euro]. Ab 8 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Kinderbuch über das Leben im Gefängnis
"Ich finde das unfair, das (sic!) man als Kind seinen Papa weggenommen kriegt, nur weil der Papa was Blödes gemacht hat", schreibt Sina an ihren Vater. Da hat sie natürlich recht. In diesem Fall sitzt ein Vater hinter Gittern, dem sehr klar ist, dass er durch sein Verbrechen seiner Familie, vor allem seiner Tochter, enorm geschadet hat. Das Kind kann nichts dafür - und wird doch mitbestraft.
Es muss durch die Zeit der Haft kommen, genau wie die Erwachsenen. Sina beschreibt, wie das ist: das erste Mal, als der Vater nicht mit am Abendbrottisch sitzt, ihre Scham, die Angst, dass die Kinder in der Schule herauskriegen, was los ist. Die langen Tage, die sie gebraucht hat, um ihrer besten Freundin Emma zu erzählen, was passiert ist: dass ihr Vater eine Tankstelle überfallen hat, weil er Geld für seine Spielsucht brauchte.
Von alledem hatten seine Frau und seine Tochter keine Ahnung - bis der Vater verhaftet wurde. Sina ist acht Jahre alt, und es fällt ihr schwer, sich vorzustellen, dass sie schon zehn oder elf Jahre alt sein wird, bis der Vater zu Hause sein darf. Und erst recht schwer fällt es ihr, sich seinen neuen Alltag vorzustellen.
Das Gefängnis ist eine andere Welt. Zwar spielen Kinder Verbrecher und Polizei, sie wissen, dass diejenigen, die etwas Böses tun, gefangen werden. Nur wie es da ist, wo sie hinkommen, wissen nicht mal jene Kinder, deren Eltern an diesem Ort sind, dem Ort, den man nicht kennt. Etwa 100 000 Kinder in Deutschland sind das. In vielen Fällen könnte Wissen dazu beitragen, mit der Situation besser leben zu können. Ein Buch zum Erklären und zum Mut machen will "Im Gefängnis - Ein Kinderbuch über das Leben hinter Gittern" sein, für alle Kinder, nicht nur diejenigen, die das Wort "Gefängnis" aus ihrem Familienalltag kennen.
Auch die Autoren Monika Osberghaus und Thomas Engelhardt wären, wie sie in ihrem ausführlichen Nachwort freimütig zugeben, nicht von selbst auf das Thema gekommen. Die Gefängnispsychologin Susanne Jacob, die das Schicksal der "mitgefangenen" Kinder aus ihrem Berufsalltag kennt, hat das Kinderbuch angeregt.
Und "Im Gefängnis", geschrieben von Osberghaus und Engelhardt, illustriert von Susann Hesselbarth, löst als erzähltes Sachbuch, das von einem Glossar in "Gefängnisdeutsch" und "Knastsprache" sowie den Adressen von Selbsthilfeeinrichtungen begleitet wird, geradezu vorbildlich ein, was es sich vorgenommen hat. Nicht nur mit der Gefängnispsychologin Jacob, auch mit Gefängnisleitern, Vollzugsbeamten und Häftlingen, mit Müttern und Kindern haben die Autoren Gespräche geführt, und ihre Besuche in deutschen Gefängnissen schlagen sich auf vielfache Weise nieder.
In sachlicher, gut verständlicher Sprache wird etwa erläutert, was ein "Einschluss" ist, dass es "Haftraum" heißt und nicht Zelle, dass nicht jeder Gefangene, der gerne arbeiten möchte, hinter Gittern auch einen Arbeitsplatz findet - alles Informationen, die belebt sind durch die Personalisierung. Kapitel für Kapitel geht es, anhand von Roberts Alltag, durch den Strafvollzug: von der Tat über Haftantritt zum Freigang bis zu dem Moment, als Robert endlich wieder zu Hause ist.
Grau unterlegt sind alle Seiten, die mit Roberts Haft zu tun haben, rot zählt das Buch dort rückwärts, von "noch 730 Tage" bis "noch 0 Tage". Weiß ist das, was Sina erzählt, und ein rot-weiß gestreifter Balken markiert sinnvollerweise die Grenzübertritte von Sinas Welt in die des Vaters. Susann Hesselbarths schlichte Illustrationen haben hier und da einen kleinen Twist, wie sie da so über die Seiten gestreut den Text strukturieren und begleiten, dass die Aufmerksamkeit auf den thematischen Schwerpunkt gelenkt wird.
Und Platz für Gefühle ist darin auch. Denn obwohl Osberghaus und Engelhardt in ihrem Nachwort zugeben, mit Sina und Robert einen beinahe idealen Fall zu schildern, in dem alles für alle Beteiligten noch einmal gut ausgeht, bringen sie gerade die Schwierigkeiten zur Sprache: Angst, Einsamkeit, Wut, auch die Existenzsorgen der Mutter, der das Einkommen des Vaters fehlt.
Sina erzählt in einem eigenen kindlichen Ton, dass sie einfach keine Lust mehr hat, tapfer und eine Stütze ihrer Mutter zu sein. Die Noten werden immer schlechter, und eines Tages will sie auch nicht mitkommen zur Besuchszeit im Gefängnis. Manchmal versucht sie dann, ihren Vater einfach zu vergessen. Dass die Liebe helfen kann, auch Gitter zu überwinden, wird dadurch nicht weniger wahr.
EVA-MARIA MAGEL.
Thomas Engelhardt, Monika Osberghaus: "Im Gefängnis".
Mit Bildern von Susann Hesselbarth. Verlag Klett Kinderbuch, Leipzig 2018. 96 S., geb., 14,- [Euro]. Ab 8 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»So ist ein äußerst informatives Sach- und Lese- und Bilderbuch entstanden, das bei aller Ernsthaftigkeit auch eine gewisse Leichtigkeit bewahren kann.« Stuttgarter Nachrichten, Hans Jörg Wangner, 19.07.2018