Traudl Junge war von 1942 bis 1945 Hitlers Privatsekretärin. Eine Augenzeugin - aber nicht im Auge des Sturms, sondern: im toten Winkel. Denn wo der späte Hitler war, da wurde nicht mehr entschieden, sondern nur noch auf das wohlverdiente Ende gewartet. Angeleitet von dem Künstler André Heller und dem Filmemacher Othmar Schmiderer, erinnerte sich Traudl Junge kurz vor ihrem Lebensende noch einmal an das, was sie damals sah, was sie empfand. Eine ehrliche und bewegende Bestandsaufnahme, ein überzeugendes menschliches Dokument auch echt empfundener Reue.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.07.2003Volltreffer!
Jetzt lässt mich das Leben frei: Traudl Junge erzählt
Traudl Junge ist einem größeren Publikum bekannt geworden durch André Hellers und Othmar Schmiderers Film „Im toten Winkel – Hitlers Sekretärin”. Sie hat nach ihrer Pensionierung ehrenamtlich als Vorleserin für Blinde gearbeitet. Aber ihre schön gewählte und schön geformte Sprache muss auf ihre frühe Erziehung zurückgehen. Was sie Heller erzählt hat, sind keine historischen Neuigkeiten: Hitler als freundlicher Herr, besorgt um seine Gesundheit, angstvoll vor Berührungen, seinem Schäferhund zu- und Blumen in Vasen abgeneigt.
Den Hörer fesselt eine integre Persönlichkeit, die ihr Leben lang dem Mädchen, das sie war, dessen Blindheit nicht verzeihen kann. Jugend, so stellt die Achtzigjährige klar, ist keine Entschuldigung. Traudl Junge wurde nach dem Krieg als jugendlicher Mitläufer ohne weitere Belastungen entnazifiziert. Sie war nie NSDAP-Mitglied gewesen. Sie war eine gläubige Anhängerin, die zufällig, durch Auswahl und Jasagen, im Alter von zweiundzwanzig Jahren Hitlers Sekretärin wurde. Niedertracht hatte sie sich nicht vorzuwerfen. Sie war damals an Politik nicht interessiert, deshalb lud sie die Schuld eines austauschbaren wie unentbehrlichen Zahnrädchens auf sich.
Als sie mit Helmut Goebbels und seinen fünf Geschwistern um einen Tisch saß, hörten sie den Schuss, mit dem Hitler sein Leben beendete. Der Knabe kommentierte in der Annahme, eine Detonation außerhalb des Bunkers zu hören: „Volltreffer!” Vom sechsfachen Mord von Mutter Goebbels an ihren Kindern zu berichten, fällt Traudl Junge am schwersten. Die ahnungsvoll traurigen Augen der zehnjährigen Helga vergisst sie nicht. Dieser Kindermord ist das unheimlichste Verbrechen, das Traudl Junge persönlich miterlebt hat. Dem Weinen nahe unterbricht sie die Aufnahmen. Von dem draußen tobenden Bösen wusste sie nichts. Sie vergleicht die nächste Umgebung des Führers mit dem stillen Kreis im Zentrum einer Explosion. Wobei sie betont: sie hätte mehr wissen können.
Der Film beschränkt sich auf zwei Einstellungen: Traudl Junge direkt, vor der immer gleichen Kulisse ihres Zimmers mit dem Brockhaus hinter ihr und einer Puppe auf dem Regal. Und Traudl Junge bei der Abnahme des Films. Sie bewegt beim Hören ihrer eigenen Stimme ihre Lippen, sie sieht sich sprechen ohne Eitelkeit, es geht ihr allein darum, Zeugnis abzulegen. Hier versagt das Hörbuch, weil die Tonspur des Films nicht bearbeitet worden ist. Immer mal wieder wechselt die eigentlich nahe Stimme in ein fernes Hallen. Wer den Film kennt, sieht nun Frau Junge die ersten Filmaufnahmen kritisch betrachten und ergänzen. So nennt sie hier ihre Erinnerungen banal und unwichtig gegen die Gesamtwirkung des Diktators und seiner Helfer. Auf dem Hörbuch klingen diese Worte, die uns die Zeitzeugin so nahe bringen, durch das hier nicht erklärte Hallen wie ein sinnloser Effekt oder ein Fehler.
Außerdem sparsam ins Hörbuch eingefügt sind einige Informationen über Traudl Junge. Ernst Meinecke spricht diese Einschübe mit schneidender Stimme. Dabei muss die bewegende Erlösungstat Traudl Junges, die diese Aufnahmen sind, jeden Hörer erweichen. Sie starb wenige Stunden, nachdem der Film erstmals öffentlich gezeigt worden war. „Ich habe den Film freigegeben, jetzt lässt mich das Leben frei”, sagte sie, als sie die Endfassung des Filmes gesehen hatte. Den strengen Ton Meineckes hat die belehrte und reumütige Greisin nicht verdient. Die Herstellungskosten für eine DVD dürften kaum über denen für eine Audio-CD liegen. Doch obwohl das Hörbuch hier zum Nebenprodukt gemacht wurde, ist das Zeugnis von Traudl Junge über die Last ihres Lebens gravierend.
MARTIN Z. SCHRÖDER
ANDRÉ HELLER, OTHMAR SCHMIDERER: Im toten Winkel. Hitlers Sekretärin. Originalaufnahme Traudl Junge. 85 Minuten. Deutsche Grammophon, 2003. 2 CD, 18 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Jetzt lässt mich das Leben frei: Traudl Junge erzählt
Traudl Junge ist einem größeren Publikum bekannt geworden durch André Hellers und Othmar Schmiderers Film „Im toten Winkel – Hitlers Sekretärin”. Sie hat nach ihrer Pensionierung ehrenamtlich als Vorleserin für Blinde gearbeitet. Aber ihre schön gewählte und schön geformte Sprache muss auf ihre frühe Erziehung zurückgehen. Was sie Heller erzählt hat, sind keine historischen Neuigkeiten: Hitler als freundlicher Herr, besorgt um seine Gesundheit, angstvoll vor Berührungen, seinem Schäferhund zu- und Blumen in Vasen abgeneigt.
Den Hörer fesselt eine integre Persönlichkeit, die ihr Leben lang dem Mädchen, das sie war, dessen Blindheit nicht verzeihen kann. Jugend, so stellt die Achtzigjährige klar, ist keine Entschuldigung. Traudl Junge wurde nach dem Krieg als jugendlicher Mitläufer ohne weitere Belastungen entnazifiziert. Sie war nie NSDAP-Mitglied gewesen. Sie war eine gläubige Anhängerin, die zufällig, durch Auswahl und Jasagen, im Alter von zweiundzwanzig Jahren Hitlers Sekretärin wurde. Niedertracht hatte sie sich nicht vorzuwerfen. Sie war damals an Politik nicht interessiert, deshalb lud sie die Schuld eines austauschbaren wie unentbehrlichen Zahnrädchens auf sich.
Als sie mit Helmut Goebbels und seinen fünf Geschwistern um einen Tisch saß, hörten sie den Schuss, mit dem Hitler sein Leben beendete. Der Knabe kommentierte in der Annahme, eine Detonation außerhalb des Bunkers zu hören: „Volltreffer!” Vom sechsfachen Mord von Mutter Goebbels an ihren Kindern zu berichten, fällt Traudl Junge am schwersten. Die ahnungsvoll traurigen Augen der zehnjährigen Helga vergisst sie nicht. Dieser Kindermord ist das unheimlichste Verbrechen, das Traudl Junge persönlich miterlebt hat. Dem Weinen nahe unterbricht sie die Aufnahmen. Von dem draußen tobenden Bösen wusste sie nichts. Sie vergleicht die nächste Umgebung des Führers mit dem stillen Kreis im Zentrum einer Explosion. Wobei sie betont: sie hätte mehr wissen können.
Der Film beschränkt sich auf zwei Einstellungen: Traudl Junge direkt, vor der immer gleichen Kulisse ihres Zimmers mit dem Brockhaus hinter ihr und einer Puppe auf dem Regal. Und Traudl Junge bei der Abnahme des Films. Sie bewegt beim Hören ihrer eigenen Stimme ihre Lippen, sie sieht sich sprechen ohne Eitelkeit, es geht ihr allein darum, Zeugnis abzulegen. Hier versagt das Hörbuch, weil die Tonspur des Films nicht bearbeitet worden ist. Immer mal wieder wechselt die eigentlich nahe Stimme in ein fernes Hallen. Wer den Film kennt, sieht nun Frau Junge die ersten Filmaufnahmen kritisch betrachten und ergänzen. So nennt sie hier ihre Erinnerungen banal und unwichtig gegen die Gesamtwirkung des Diktators und seiner Helfer. Auf dem Hörbuch klingen diese Worte, die uns die Zeitzeugin so nahe bringen, durch das hier nicht erklärte Hallen wie ein sinnloser Effekt oder ein Fehler.
Außerdem sparsam ins Hörbuch eingefügt sind einige Informationen über Traudl Junge. Ernst Meinecke spricht diese Einschübe mit schneidender Stimme. Dabei muss die bewegende Erlösungstat Traudl Junges, die diese Aufnahmen sind, jeden Hörer erweichen. Sie starb wenige Stunden, nachdem der Film erstmals öffentlich gezeigt worden war. „Ich habe den Film freigegeben, jetzt lässt mich das Leben frei”, sagte sie, als sie die Endfassung des Filmes gesehen hatte. Den strengen Ton Meineckes hat die belehrte und reumütige Greisin nicht verdient. Die Herstellungskosten für eine DVD dürften kaum über denen für eine Audio-CD liegen. Doch obwohl das Hörbuch hier zum Nebenprodukt gemacht wurde, ist das Zeugnis von Traudl Junge über die Last ihres Lebens gravierend.
MARTIN Z. SCHRÖDER
ANDRÉ HELLER, OTHMAR SCHMIDERER: Im toten Winkel. Hitlers Sekretärin. Originalaufnahme Traudl Junge. 85 Minuten. Deutsche Grammophon, 2003. 2 CD, 18 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
An Traudl Junges "integrer Persönlichkeit" will Martin Z. Schröder keinen Zweifel lassen. "Niedertracht hat sie sich nicht vorzuwerfen." Hitlers Sekretärin wurde sie als jugendliche Mitläuferin "durch Auswahl und Jasagen", und sie hat es sich selbst ihr Leben lang nie verziehen, wie sie auch nicht die unheimlichen Erlebnisse in Hitlers und Goebbels Umkreis hat und von denen sie Zeugnis ablegt. Mit dem aus dem Dokumentarfilm von Andre Heller und Othmar Schmiderer hervorgegangenen Hörbuch ist Rezensent Schröder dennoch nicht ganz zufrieden. Er hätte sich gewünscht, dass nicht einfach nur die Hörspur des Films unbearbeitet übernommen worden wäre. Denn ohne die Bilder mache vieles keinen Sinn, wie etwa der Wechsel zwischen naher Stimme oder fernem Hall, der sich im Film dadurch ergibt, dass Traudl Junge die bereits gedrehten Bilder kommentiert. Zudem moniert er, dass die Hörbuchfassung zu sparsam mit weiterführenden Informationen umgehe.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH