Hermann Hesse ist Ende zwanzig und bereits für sein Frühwerk berühmt, als er sich mit seiner neun Jahre älteren Frau Mia Bernoulli in ein abgelegenes Dorf am Bodensee zurückzieht. Hier versuchen sie sich als Selbstversorger, gründen eine Familie. Doch je mehr sich der Schriftsteller von der Welt abgeschnitten fühlt, desto mehr wächst die Unzufriedenheit. Literarisch will ihm bald kaum noch etwas gelingen, er sieht sich in einer Schaffenskrise und beginnt, an allem zu zweifeln.
Atmosphärisch und mit unvergesslichen Figuren erzählt Thomas Lang von einer ebenso problematischen wie faszinierenden Lebensphase des späteren Literaturnobelpreisträgers.
Ein Künstlerroman für Hörer von Klaus Modicks »Konzert ohne Dichter«, Hans Pleschinskis »Königsallee« und Michael Kumpfmüllers »Die Herrlichkeit des Lebens«.
Atmosphärisch und mit unvergesslichen Figuren erzählt Thomas Lang von einer ebenso problematischen wie faszinierenden Lebensphase des späteren Literaturnobelpreisträgers.
Ein Künstlerroman für Hörer von Klaus Modicks »Konzert ohne Dichter«, Hans Pleschinskis »Königsallee« und Michael Kumpfmüllers »Die Herrlichkeit des Lebens«.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.11.2016Das gebrechliche Genie
Thomas Langs raffinierter Hermann-Hesse-Roman „Immer nach Hause“
Die große Hermann-Hesse-Welle der Siebzigerjahre hat Thomas Lang, Jahrgang 1967, nicht direkt miterlebt, die Zeit, als jener schwäbische Pfarrerssohn eine sensationelle Wiederentdeckung erfuhr. Lang muss viel später auf die Gruppe Steppenwolf und ihr „Born to Be Wild“ gestoßen sein, und Hesses spezifische Künstler-Bürger-Problematik kann für ihn in der Originalversion der Zwanziger- wie in der Coverversion der Siebzigerjahre eigentlich nur einen merkwürdigen Nachhall bilden. Aber just dieser Nachhall muss es sein, der Lang zu einem lustvoll irrlichternden Hermann-Hesse-Roman verführt hat: „Immer nach Hause“ ist ein eigentümliches Buch, das quer zur Gegenwart zu stehen scheint und dennoch von ihr gezeichnet ist.
Es ist nicht der berühmte Hesse des „Steppenwolf“, um den es hier geht. Der Roman umfasst mit einigen Rückblenden ungefähr die Jahre von 1904, als der 27-jährige Hesse seine erste Frau Maria Bernoulli heiratet und sich mit ihr in das Bodenseedorf Gaienhofen zurückzieht, bis 1919, als er ohne seine Frau und die drei Kinder nach Montagnola ins Tessin flieht. Diese frühe Phase ist durch die spätere Hesse-Rezeption der Hippies und Beatniks meist überdeckt worden. Der romantische Wolkenschauroman „Peter Camenzind“ wurde 1904 zwar ein großer Erfolg, aber Hesse musste sich gegen die Zuweisungen als „Volksschriftsteller“ und „Idyllenschreiber“ wehren, er wollte etwas anderes, Wilderes, wusste aber nicht so recht, worin das bestehen sollte.
Thomas Lang zeigt diesen zweifelnden, sehnsüchtigen und selbstsüchtigen Hesse in vielen Facetten. Und es ist durchaus mutig und riskant, wie er das tut: Er fühlt sich in die Art und Weise, wie ein junger, ehrgeiziger, zwischen sich und der Welt zerrissener Schriftsteller damals seine Umgebung wahrnahm, unmittelbar ein. Er versenkt sich in die Sprache dieser Wahrnehmung, in die entsprechenden Gefühle, in den Lebensalltag. Und er sendet dabei keine eindeutigen Ironiesignale aus unserer Epoche, er inszeniert keine Erzählerstimme, die aus einer sicheren Distanz heraus Hesses Sprache und Denken von damals relativiert. Dennoch mehren sich allmählich kleine Widerhaken, der Erzähler ist mal mehr, mal weniger weit von seinem Protagonisten entfernt und lässt ihn in einem charakteristischen Zwielicht erscheinen. Dieser anscheinend stille, sich zurücknehmende Roman ist raffinierter und anspielungsreicher, als er auf den ersten Blick wirkt.
Die Werke Hesses tauchen nur am Rande auf. Gegen Ende hat er aber immerhin den „Demian“ geschrieben, den die Gymnasiasten der Siebzigerjahre mit bebenden Lippen rezipieren werden. Im Mittelpunkt steht die Beziehung des Schriftstellers zu seiner ersten, neun Jahre älteren Frau. Sie ist Mitte dreißig, als er sie kennenlernt, eine Fotografin am Beginn der Frauenemanzipation, unabhängig und künstlerisch selbstbewusst. Am Ende wird sie psychisch schwer erkrankt sein und Hesse, sich selbst hochfahrend antibürgerliches Bewusstsein zuschreibend, wird seine Familie hinter sich lassen. Unter der Hand wird in Langs Roman Hesses Selbstbild konterkariert. So suggestiv der Schriftsteller des „magischen Theaters“ und des „Wegs nach innen“ in seinen Anfängen aufgerufen wird, so deutlich werden auch seine einengenden pietistischen Prägungen und seine Genie-Gebrechlichkeiten. Man bleibt nah bei dem Künstler. Seine Schwierigkeiten beim Schreiben, bei der Suche nach Größe werden plastisch dargestellt. Als heimliche Heldin des Romans erweist sich aber „Mia“, seine Frau, die an der Familie und den neurasthenisch-herrischen Verhaltensweisen ihres Mannes zerbricht.
Unaufdringlich sind in den Text genaue Recherchen über die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg eingegangen, über die Natur-, Vegetarier- und Freikörperkultur beispielsweise, über die diversen Befreiungsbewegungen. Wenn Thomas Lang Hermann Hesse zunächst im bürgerlich-pseudomondänen Locarno und dann auf dem alternativen Monte Verità kuren lässt, kreuzt er kauzige Bewohner dieses Kultorts, Sinnsucher und Erweckungskünstler. Den bissigen Paar-Beobachtungen im saturierten Locarno stehen aufregende Sinnesreize auf dem Berg entgegen. Und es gibt eine kühne Abschweifung über den „Heiler“ Arnold Ehret, einen Apostel des Apfels, die über den Drogenguru Timothy Leary in den Sechzigern bis zum Apple-Gründer Steve Jobs reicht. Eine starke Sehnsucht nach Sinnlichkeit, schwüle Stimmungen werden in Hesse wach, das Karge, Nackte zieht ihn an, und vorübergehend gelingt es ihm tatsächlich, „sich leer“ zu machen. Der Roman denunziert seinen Protagonisten nicht, aber er erklärt ihn vor dem Hintergrund seiner Zeit. Es ist eine Dekonstruktion mit literarischen Mitteln.
Ein postraffaelitischer One-Night-Stand in einem verlassenen Bootshaus nach einer abendlichen Kahnfahrt auf dem Bodensee gehört zu den markantesten Ereignissen, die Thomas Lang für Hesse imaginiert. Und wie der sich erotisch verzehrende Schwabe im Speisewagen unversehends D. H. Lawrence trifft, den großen Sexualforscher um „Lady Chatterley“, ist beiläufig und augenzwinkernd in Szene gesetzt. Im slapstickhaften Dialog mit Lawrence wird auch der Titel des Buches eingeführt, „Immer nach Hause“, eine romantische Reminiszenz an Novalis. Doch dieses Motto bekommt im Lauf des Romans eine immer sarkastischere Note, es steht hier eher für Irrungen und Vergeblichkeiten.
Die vermeintliche Idylle in Gaienhofen am Bodensee erweist sich als ein Gefängnis für Hesse, der alles seinem Schreiben und dem Künstlertum unterwirft, genauso wie für seine Frau. Prägnante Szenen werden behutsam nebeneinandergesetzt, ohne erklärende Worte. Einmal wird das Gedicht „Traum“ in seiner Entstehung nachempfunden und „das Vorgefühl des Schreibens“ aufgespürt, und das ist so fein gesponnen und differenziert, dass das eigentliche Gedicht – das heute zeitverhaftet und klischeehaft wirkt – in den Hintergrund tritt. Und bei einem Spaziergang mit den Söhnen werden das Scheitern der Familie, die fehlende Vertrautheit umso deutlicher, je mehr Hesse in seinem Schreiben sich nach Innigkeit sehnt.
Einmal denkt Hesse daran, wie seine protestantische Heimatstadt Calw geprägt ist von einem „Übermaß an Ständern und Schwellen, Andreaskreuzen und Streben“. Das ist voller Doppeldeutigkeiten, die zu den psychoanalytischen Themen passen, die in diesem Roman verhandelt werden. Dass der reale erste Psychoanalytiker Hesses „Lang“ hieß, wie der Autor des vorliegenden Romans, ist dessen letzte, verschwiegene Pointe.
HELMUT BÖTTIGER
Das Karge, Nackte zieht
den Sinnsucher an. Sich „leer“
zu machen wird sein Ideal
Thomas Lang:
Immer nach Hause.
Roman. Berlin Verlag,
Berlin 2016.
384 Seiten, 20 Euro.
E-Book 16,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Thomas Langs raffinierter Hermann-Hesse-Roman „Immer nach Hause“
Die große Hermann-Hesse-Welle der Siebzigerjahre hat Thomas Lang, Jahrgang 1967, nicht direkt miterlebt, die Zeit, als jener schwäbische Pfarrerssohn eine sensationelle Wiederentdeckung erfuhr. Lang muss viel später auf die Gruppe Steppenwolf und ihr „Born to Be Wild“ gestoßen sein, und Hesses spezifische Künstler-Bürger-Problematik kann für ihn in der Originalversion der Zwanziger- wie in der Coverversion der Siebzigerjahre eigentlich nur einen merkwürdigen Nachhall bilden. Aber just dieser Nachhall muss es sein, der Lang zu einem lustvoll irrlichternden Hermann-Hesse-Roman verführt hat: „Immer nach Hause“ ist ein eigentümliches Buch, das quer zur Gegenwart zu stehen scheint und dennoch von ihr gezeichnet ist.
Es ist nicht der berühmte Hesse des „Steppenwolf“, um den es hier geht. Der Roman umfasst mit einigen Rückblenden ungefähr die Jahre von 1904, als der 27-jährige Hesse seine erste Frau Maria Bernoulli heiratet und sich mit ihr in das Bodenseedorf Gaienhofen zurückzieht, bis 1919, als er ohne seine Frau und die drei Kinder nach Montagnola ins Tessin flieht. Diese frühe Phase ist durch die spätere Hesse-Rezeption der Hippies und Beatniks meist überdeckt worden. Der romantische Wolkenschauroman „Peter Camenzind“ wurde 1904 zwar ein großer Erfolg, aber Hesse musste sich gegen die Zuweisungen als „Volksschriftsteller“ und „Idyllenschreiber“ wehren, er wollte etwas anderes, Wilderes, wusste aber nicht so recht, worin das bestehen sollte.
Thomas Lang zeigt diesen zweifelnden, sehnsüchtigen und selbstsüchtigen Hesse in vielen Facetten. Und es ist durchaus mutig und riskant, wie er das tut: Er fühlt sich in die Art und Weise, wie ein junger, ehrgeiziger, zwischen sich und der Welt zerrissener Schriftsteller damals seine Umgebung wahrnahm, unmittelbar ein. Er versenkt sich in die Sprache dieser Wahrnehmung, in die entsprechenden Gefühle, in den Lebensalltag. Und er sendet dabei keine eindeutigen Ironiesignale aus unserer Epoche, er inszeniert keine Erzählerstimme, die aus einer sicheren Distanz heraus Hesses Sprache und Denken von damals relativiert. Dennoch mehren sich allmählich kleine Widerhaken, der Erzähler ist mal mehr, mal weniger weit von seinem Protagonisten entfernt und lässt ihn in einem charakteristischen Zwielicht erscheinen. Dieser anscheinend stille, sich zurücknehmende Roman ist raffinierter und anspielungsreicher, als er auf den ersten Blick wirkt.
Die Werke Hesses tauchen nur am Rande auf. Gegen Ende hat er aber immerhin den „Demian“ geschrieben, den die Gymnasiasten der Siebzigerjahre mit bebenden Lippen rezipieren werden. Im Mittelpunkt steht die Beziehung des Schriftstellers zu seiner ersten, neun Jahre älteren Frau. Sie ist Mitte dreißig, als er sie kennenlernt, eine Fotografin am Beginn der Frauenemanzipation, unabhängig und künstlerisch selbstbewusst. Am Ende wird sie psychisch schwer erkrankt sein und Hesse, sich selbst hochfahrend antibürgerliches Bewusstsein zuschreibend, wird seine Familie hinter sich lassen. Unter der Hand wird in Langs Roman Hesses Selbstbild konterkariert. So suggestiv der Schriftsteller des „magischen Theaters“ und des „Wegs nach innen“ in seinen Anfängen aufgerufen wird, so deutlich werden auch seine einengenden pietistischen Prägungen und seine Genie-Gebrechlichkeiten. Man bleibt nah bei dem Künstler. Seine Schwierigkeiten beim Schreiben, bei der Suche nach Größe werden plastisch dargestellt. Als heimliche Heldin des Romans erweist sich aber „Mia“, seine Frau, die an der Familie und den neurasthenisch-herrischen Verhaltensweisen ihres Mannes zerbricht.
Unaufdringlich sind in den Text genaue Recherchen über die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg eingegangen, über die Natur-, Vegetarier- und Freikörperkultur beispielsweise, über die diversen Befreiungsbewegungen. Wenn Thomas Lang Hermann Hesse zunächst im bürgerlich-pseudomondänen Locarno und dann auf dem alternativen Monte Verità kuren lässt, kreuzt er kauzige Bewohner dieses Kultorts, Sinnsucher und Erweckungskünstler. Den bissigen Paar-Beobachtungen im saturierten Locarno stehen aufregende Sinnesreize auf dem Berg entgegen. Und es gibt eine kühne Abschweifung über den „Heiler“ Arnold Ehret, einen Apostel des Apfels, die über den Drogenguru Timothy Leary in den Sechzigern bis zum Apple-Gründer Steve Jobs reicht. Eine starke Sehnsucht nach Sinnlichkeit, schwüle Stimmungen werden in Hesse wach, das Karge, Nackte zieht ihn an, und vorübergehend gelingt es ihm tatsächlich, „sich leer“ zu machen. Der Roman denunziert seinen Protagonisten nicht, aber er erklärt ihn vor dem Hintergrund seiner Zeit. Es ist eine Dekonstruktion mit literarischen Mitteln.
Ein postraffaelitischer One-Night-Stand in einem verlassenen Bootshaus nach einer abendlichen Kahnfahrt auf dem Bodensee gehört zu den markantesten Ereignissen, die Thomas Lang für Hesse imaginiert. Und wie der sich erotisch verzehrende Schwabe im Speisewagen unversehends D. H. Lawrence trifft, den großen Sexualforscher um „Lady Chatterley“, ist beiläufig und augenzwinkernd in Szene gesetzt. Im slapstickhaften Dialog mit Lawrence wird auch der Titel des Buches eingeführt, „Immer nach Hause“, eine romantische Reminiszenz an Novalis. Doch dieses Motto bekommt im Lauf des Romans eine immer sarkastischere Note, es steht hier eher für Irrungen und Vergeblichkeiten.
Die vermeintliche Idylle in Gaienhofen am Bodensee erweist sich als ein Gefängnis für Hesse, der alles seinem Schreiben und dem Künstlertum unterwirft, genauso wie für seine Frau. Prägnante Szenen werden behutsam nebeneinandergesetzt, ohne erklärende Worte. Einmal wird das Gedicht „Traum“ in seiner Entstehung nachempfunden und „das Vorgefühl des Schreibens“ aufgespürt, und das ist so fein gesponnen und differenziert, dass das eigentliche Gedicht – das heute zeitverhaftet und klischeehaft wirkt – in den Hintergrund tritt. Und bei einem Spaziergang mit den Söhnen werden das Scheitern der Familie, die fehlende Vertrautheit umso deutlicher, je mehr Hesse in seinem Schreiben sich nach Innigkeit sehnt.
Einmal denkt Hesse daran, wie seine protestantische Heimatstadt Calw geprägt ist von einem „Übermaß an Ständern und Schwellen, Andreaskreuzen und Streben“. Das ist voller Doppeldeutigkeiten, die zu den psychoanalytischen Themen passen, die in diesem Roman verhandelt werden. Dass der reale erste Psychoanalytiker Hesses „Lang“ hieß, wie der Autor des vorliegenden Romans, ist dessen letzte, verschwiegene Pointe.
HELMUT BÖTTIGER
Das Karge, Nackte zieht
den Sinnsucher an. Sich „leer“
zu machen wird sein Ideal
Thomas Lang:
Immer nach Hause.
Roman. Berlin Verlag,
Berlin 2016.
384 Seiten, 20 Euro.
E-Book 16,99 Euro.
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
»Thomas Lang gelingt ein großartiges Ehe-Porträt, eben weil er die Schuldfrage nicht stellt. Beinah therapeutisch begleitet er Mia und Hermann, scharfsichtig, mitfühlend. Getragen von einem sensibel-poetischen Ton, glückt Lang ein spannender, farbiger Künstler-Roman. Aus einem Paar-Schicksal macht er ein paradigmatisches Buch über das Scheitern der Liebe.« Frankfurter Neue Presse 20161205