Eigentlich will Darkus nur herausfinden, wieso sein Vater verschwunden ist. Doch plötzlich wird er von seinen Nachbarn eingesperrt und von einer Horde Käfer wieder befreit. Seine neuen krabbelnden Freunde muss er nun unbedingt vor einer exzentrischen Modedesignerin beschützen. Ein verrücktes Abenteuer - charmant und witzig gelesen von Sebastian Rudolph.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.09.2016Gepanzerte Kleinigkeiten
Der Jugendroman "Käferkumpel" von M. G. Leonard hat feine Fühler
Wenn's im Hirn hinterher komisch kribbelt, hat ein Jugendbuch alles richtig gemacht. Die Leserin und der Leser von M. G. Leonards "Käferkumpel" werden, wenn sie im Laufe der Lektüre nur stets so vorgehen, wie die Insektenforschung das ihren Bodentruppen vorschreibt, nämlich Details sammeln, sie sicher bei sich behalten und am Ende das, was sie vorher wussten, mit dem vergleichen, was sie da erfahren haben, eine ganze Reihe von Motiven, Szenen, Typen nicht mehr aus dem Kopf schütteln können: Es gibt in diesem Buch einen Möbelwald, Geheimgänge unterm Naturkundemuseum, einen dicken sowie einen knochigen Clown, unübersehbar zahlreiche Tassen (nur wenige davon im Schrank) und vor allem mehr kleine Fühlertierchen, als Noah je in seinem Bart gefunden hat.
Allein die Generalmobilmachung der Krabbelkrieger auf Seite 253, kurz vor dem Höhepunkt der Geschichte, stellt die Aufzählung von Waffengattungen berühmter Schlachten in dicksten Wälzern zur Militärgeschichte in den Schatten: "Mistkäfer, Eichenprachtkäfer, Giraffenhalskäfer, Goliathkäfer, Hirschkäfer, Bombardierkäfer, Glühwürmchen, Rosmarinkäfer, Marienkäfer, Atlaskäfer, Herkuleskäfer und Riesenbockkäfer, Sandlaufkäfer, Nashornkäfer, Teppichkäfer, Totenuhren und Schwarzkäfer oder Toktokkies, die mit Köpfen und Hinterleibern mit aller Kraft gegen die Tassen klopfen."
Die wissenschaftlichen und volkstümlichen Bezeichnungen der vielen Arten sind das eine, die Individualitäten der Einzelkäfer das andere: Mit etwas Beobachtungswillen sieht man, so lehrt das Buch, diesen Geschöpfen durchaus Persönlichkeiten an, und kann ihnen folglich Eigennamen geben, wie das die jungen Leute hier daher auch tun. Bertolt, ein kleiner Einstein mit Brille, nennt seinen Krabbler "Newton", weil das Viech so neugierig ist wie der große Physiker. Novak, die verträumte, weltfremde Tochter aus reichem Haus, tauft ihr Insekt "Hepburn" nach der schönen Schauspielerin, der es nacheifert, wenn es sich im Glanz seiner Flügelchen selbst ausstellt. Virginia, die verwegene junge Rebellin, ruft ihren Schwirrer "Marvin" nach Marvin Gaye, weil sie einen ausgezeichneten Musikgeschmack hat. Darkus Cuttle schließlich, der tapfere Halbwaisenjunge im Zentrum der Geschichte, verleiht seinem Nashornkäfer den Namen "Baxter", weil so ja wohl ein Actionheld heißen muss, der die schiefgegangene Welt wieder geraderücken kann.
Baxters dreizehnjähriges Herrchen ist allerdings nicht nur auf den Retter im Chitinpanzer, sondern auch auf die genannten gleichaltrigen Menschen und ihre jeweiligen Insekten angewiesen, um seinen Forschervater aus der Gefangenschaft zu befreien, in die ihn eine geldgierige und größenwahnsinnige Genetikerin verschleppt hat. Diese schrille Schreckschraube hat die Romanautorin mit allen schiefen Zügen der besten Disney-Hexen zwischen Cruella De Vil und Maleficent ausgestattet, anstatt davor zurückzuschrecken, dass man ihr diesen Einfall als Missgriff in jene uralte frauenfeindliche Mottenkiste verübeln könnte, auf der das Etikett "Damen, die wissen, was sie wollen, sind des Teufels" prangt.
Tatsächlich verhunzt die Gestalt das Buch nicht, denn die böse Lucretia Cutter mag zwar ein garstiges Stereotyp sein, wird aber durch ihr Konterbild Virginia mit seiltänzerischem Geschick ausbalanciert: Die junge Frau ist nicht weniger stur und selbstsicher als die ältere, man erkennt also problemlos die Mitteilungsabsicht, dass ein Dickschädel an sich nichts schaden muss, es sei denn, man verliert die Empathiefähigkeit, verbittert und verschrullt im eigenen Mutwillen, was aber wiederum Männern (etwa dem kauzig-grusligen Duo Humphrey und Pickering) ganz genauso passieren kann wie der gefährlichen Verrückten, denn die übelsten antisozialen Laster sind nun mal geschlechterunabhängig.
Frau Leonard weiß also, dass in einem Buch für junge Leser Klischees gar nicht zu vermeiden sind, weil komplexere Gestalten die Handlung, die für so ein Publikum die Hauptsache beim Lesen ist, hemmen und bremsen müssten. So hat sie sich denn, praktisch weise, dafür entschieden, ihre Klischees mit Gegengewichten in ihr buntes, wildes Romanmobile einzubauen und ansonsten der Kritikfähigkeit ihrer Leserinnen und Leser zu vertrauen. Deren Gegenwartssensibilitäten biedert sich das Buch keine Sekunde an; die Käfer sind zwar "cool" (Virginia), werden dem Publikum aber nicht aufgedrängt wie die Saurier in einigen unerquicklichen Buchbeiträgen zum Dinowahn Mitte der Neunziger. Internet und Handys spielen in "Käferkumpel" keine Rolle; ein Insektenbestimmungsbuch tut's als Datenbank auch, und statt Meinungen, die im World Wide Web bekanntlich wie Unkraut zwischen den Auskünften wuchern, gibt es zuckerfrei servierte, brutal wahre Feststellungen: "Es ist eine traurige Tatsache, dass die Zahl der Insekten rückläufig ist. Indem wir ihren Lebensraum zerstören, zerstören wir auch die Spezies, dabei brauchen wir sie dringend. Wenn sämtliche Säugetiere des Planeten aussterben würden, würde der Planet aufblühen - wenn aber alle Insekten verschwänden, wäre bald alles tot."
So hart das gesagt ist, eine Moral des abenteuerlichen Buches ist es nicht; denn das hat keine. Moral verlangt ja auch bloß Gesinnungen, aber ein Abenteuer? Ein Abenteuer will, dass man etwas unternimmt.
DIETMAR DATH
M. G. Leonard: "Käferkumpel".
Aus dem Englischen von Britt Somann-Jung. Verlag Chicken House, Hamburg 2016. 336 S., geb., 14,99 [Euro]. Ab 10 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Jugendroman "Käferkumpel" von M. G. Leonard hat feine Fühler
Wenn's im Hirn hinterher komisch kribbelt, hat ein Jugendbuch alles richtig gemacht. Die Leserin und der Leser von M. G. Leonards "Käferkumpel" werden, wenn sie im Laufe der Lektüre nur stets so vorgehen, wie die Insektenforschung das ihren Bodentruppen vorschreibt, nämlich Details sammeln, sie sicher bei sich behalten und am Ende das, was sie vorher wussten, mit dem vergleichen, was sie da erfahren haben, eine ganze Reihe von Motiven, Szenen, Typen nicht mehr aus dem Kopf schütteln können: Es gibt in diesem Buch einen Möbelwald, Geheimgänge unterm Naturkundemuseum, einen dicken sowie einen knochigen Clown, unübersehbar zahlreiche Tassen (nur wenige davon im Schrank) und vor allem mehr kleine Fühlertierchen, als Noah je in seinem Bart gefunden hat.
Allein die Generalmobilmachung der Krabbelkrieger auf Seite 253, kurz vor dem Höhepunkt der Geschichte, stellt die Aufzählung von Waffengattungen berühmter Schlachten in dicksten Wälzern zur Militärgeschichte in den Schatten: "Mistkäfer, Eichenprachtkäfer, Giraffenhalskäfer, Goliathkäfer, Hirschkäfer, Bombardierkäfer, Glühwürmchen, Rosmarinkäfer, Marienkäfer, Atlaskäfer, Herkuleskäfer und Riesenbockkäfer, Sandlaufkäfer, Nashornkäfer, Teppichkäfer, Totenuhren und Schwarzkäfer oder Toktokkies, die mit Köpfen und Hinterleibern mit aller Kraft gegen die Tassen klopfen."
Die wissenschaftlichen und volkstümlichen Bezeichnungen der vielen Arten sind das eine, die Individualitäten der Einzelkäfer das andere: Mit etwas Beobachtungswillen sieht man, so lehrt das Buch, diesen Geschöpfen durchaus Persönlichkeiten an, und kann ihnen folglich Eigennamen geben, wie das die jungen Leute hier daher auch tun. Bertolt, ein kleiner Einstein mit Brille, nennt seinen Krabbler "Newton", weil das Viech so neugierig ist wie der große Physiker. Novak, die verträumte, weltfremde Tochter aus reichem Haus, tauft ihr Insekt "Hepburn" nach der schönen Schauspielerin, der es nacheifert, wenn es sich im Glanz seiner Flügelchen selbst ausstellt. Virginia, die verwegene junge Rebellin, ruft ihren Schwirrer "Marvin" nach Marvin Gaye, weil sie einen ausgezeichneten Musikgeschmack hat. Darkus Cuttle schließlich, der tapfere Halbwaisenjunge im Zentrum der Geschichte, verleiht seinem Nashornkäfer den Namen "Baxter", weil so ja wohl ein Actionheld heißen muss, der die schiefgegangene Welt wieder geraderücken kann.
Baxters dreizehnjähriges Herrchen ist allerdings nicht nur auf den Retter im Chitinpanzer, sondern auch auf die genannten gleichaltrigen Menschen und ihre jeweiligen Insekten angewiesen, um seinen Forschervater aus der Gefangenschaft zu befreien, in die ihn eine geldgierige und größenwahnsinnige Genetikerin verschleppt hat. Diese schrille Schreckschraube hat die Romanautorin mit allen schiefen Zügen der besten Disney-Hexen zwischen Cruella De Vil und Maleficent ausgestattet, anstatt davor zurückzuschrecken, dass man ihr diesen Einfall als Missgriff in jene uralte frauenfeindliche Mottenkiste verübeln könnte, auf der das Etikett "Damen, die wissen, was sie wollen, sind des Teufels" prangt.
Tatsächlich verhunzt die Gestalt das Buch nicht, denn die böse Lucretia Cutter mag zwar ein garstiges Stereotyp sein, wird aber durch ihr Konterbild Virginia mit seiltänzerischem Geschick ausbalanciert: Die junge Frau ist nicht weniger stur und selbstsicher als die ältere, man erkennt also problemlos die Mitteilungsabsicht, dass ein Dickschädel an sich nichts schaden muss, es sei denn, man verliert die Empathiefähigkeit, verbittert und verschrullt im eigenen Mutwillen, was aber wiederum Männern (etwa dem kauzig-grusligen Duo Humphrey und Pickering) ganz genauso passieren kann wie der gefährlichen Verrückten, denn die übelsten antisozialen Laster sind nun mal geschlechterunabhängig.
Frau Leonard weiß also, dass in einem Buch für junge Leser Klischees gar nicht zu vermeiden sind, weil komplexere Gestalten die Handlung, die für so ein Publikum die Hauptsache beim Lesen ist, hemmen und bremsen müssten. So hat sie sich denn, praktisch weise, dafür entschieden, ihre Klischees mit Gegengewichten in ihr buntes, wildes Romanmobile einzubauen und ansonsten der Kritikfähigkeit ihrer Leserinnen und Leser zu vertrauen. Deren Gegenwartssensibilitäten biedert sich das Buch keine Sekunde an; die Käfer sind zwar "cool" (Virginia), werden dem Publikum aber nicht aufgedrängt wie die Saurier in einigen unerquicklichen Buchbeiträgen zum Dinowahn Mitte der Neunziger. Internet und Handys spielen in "Käferkumpel" keine Rolle; ein Insektenbestimmungsbuch tut's als Datenbank auch, und statt Meinungen, die im World Wide Web bekanntlich wie Unkraut zwischen den Auskünften wuchern, gibt es zuckerfrei servierte, brutal wahre Feststellungen: "Es ist eine traurige Tatsache, dass die Zahl der Insekten rückläufig ist. Indem wir ihren Lebensraum zerstören, zerstören wir auch die Spezies, dabei brauchen wir sie dringend. Wenn sämtliche Säugetiere des Planeten aussterben würden, würde der Planet aufblühen - wenn aber alle Insekten verschwänden, wäre bald alles tot."
So hart das gesagt ist, eine Moral des abenteuerlichen Buches ist es nicht; denn das hat keine. Moral verlangt ja auch bloß Gesinnungen, aber ein Abenteuer? Ein Abenteuer will, dass man etwas unternimmt.
DIETMAR DATH
M. G. Leonard: "Käferkumpel".
Aus dem Englischen von Britt Somann-Jung. Verlag Chicken House, Hamburg 2016. 336 S., geb., 14,99 [Euro]. Ab 10 J.
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