Der internationale Bestseller aus Südkorea zeigt die junge Frau Kim Jiyoung auf ihrem Weg zur Emanzipation in einer von Ungleichheit und Frauenfeindlichkeit geprägten Gesellschaftsordnung. Cho Nam-joos Roman, eindringlich gelesen von Nele Rosetz und Felix von Manteuffel, erzählt das Schicksal einer Mittdreißigerin, die in einer kleinen, aufgeräumten Wohnung am Rande der Metropole Seoul lebt und zunehmend unter psychischen Störungen leidet.
Kim Jiyoung hat erst kürzlich ihren Job im Marketing aufgegeben, um sich um ihre neugeborene Tochter zu kümmern - wie es von koreanischen Frauen erwartet wird. Doch schon bald zeigt sie seltsame Symptome, die ihren Ehemann, ihre Eltern und Schwiegereltern beunruhigen: Jiyoung wird zur Stimme anderer Frauen, seien sie lebendig oder tot. Als die Psychose sich verschlimmert, schickt sie ihr unglücklicher Ehemann zu einem Psychiater. Dort erfahren wir Jiyoungs Geschichte und von einem Leben, das stets von Männern überwacht und gelenkt wurde.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Kim Jiyoung hat erst kürzlich ihren Job im Marketing aufgegeben, um sich um ihre neugeborene Tochter zu kümmern - wie es von koreanischen Frauen erwartet wird. Doch schon bald zeigt sie seltsame Symptome, die ihren Ehemann, ihre Eltern und Schwiegereltern beunruhigen: Jiyoung wird zur Stimme anderer Frauen, seien sie lebendig oder tot. Als die Psychose sich verschlimmert, schickt sie ihr unglücklicher Ehemann zu einem Psychiater. Dort erfahren wir Jiyoungs Geschichte und von einem Leben, das stets von Männern überwacht und gelenkt wurde.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.05.2021Eklat der Ehrlichkeit
Cho Nam-Joos Bestseller erzählt vom ganz normalen Wahnsinn eines südkoreanischen Frauenlebens
Eine Frau in den Dreißigern mit Mittelstandswohnung, süßem Kind und smartem Ehemann in Seoul verhält sich plötzlich auffällig, nuckelt am Daumen, redet in den Stimmen anderer und - ein Sakrileg in Korea - widersetzt sich der Schwiegermutter und dem patriarchalen Joch der Küchenarbeit beim Erntedankfest. Erst im Schlusskapitel entpuppt sich Cho Nam-Joos Roman "Kim Jiyoung, geboren 1982" als aus Therapiegesprächen von einem Psychologen zusammengestellte Lebenschronik einer typischen Koreanerin mit Allerweltsnamen: Das Buch erörtert die Trauer und Tragik verstellter Lebensläufe und die Genese eines schrittweisen Karriereverzichts und Persönlichkeitsverlusts.
Der im Original 2016 erschienene Band, der von Koreas MeToo-Bewegung über K-Pop-Stars bis hin zu ranghohen Politikern rezipiert, viel gepriesen und gern auch gebasht wurde, ist Koreas feministisches literarisches Manifest. Es wurde als Beklagen des fehlenden Beklagens zum Bestseller. Ohne größere stilistische Ambition oder Feindbilder rekapituliert die Autorin Cho Nam-Joo schlicht die in der Summe für die weibliche Psyche tödliche Aneinanderreihung von Anzüglichkeiten, Altherrenwitzen, Übergriffigkeiten und strukturellen Ungerechtigkeiten.
Sachbuchartige Details wie die niedrige Geburtenrate, späte Heirat, Koreas Lohngefälle zwischen Männern und Frauen (das größte innerhalb der OECD) oder die geringe Zahl von Frauen in Führungspositionen (2014 nur achtzehn Prozent) geben Kim Jiyoungs Erlebnissen etwas Universelles. Es ist eine exemplarische Unterdrückungs-, aber auch Ermächtigungsgeschichte von der Ungnade weiblicher Geburt (wegen der im Konfuzianismus bevorzugten Söhne) über Schikane und Degradierung in Schule und Hochschule bis zu Beruf und Heirat.
In den achtziger Jahren waren Geschlechtsbestimmung und Abtreibung weiblicher Föten gesellschaftlich akzeptiert. So trieb Jiyoungs Mutter ihre dritte Tochter ab, bis "endlich" ein Sohn geboren wurde. Vom Ende der neunziger Jahre an - 1999 wurde ein Gesetz gegen Geschlechterdiskriminierung erlassen, 2001 ein Frauenministerium gegründet - gab es dann einen emanzipatorischen Aufschwung, als koreanische Frauen ermuntert wurden, "alles erreichen zu wollen und zu können".
Drei Generationen stehen im Roman für den Wandel des Frauenbildes. Da ist die Großmutter, die dem Enkelsohn das Gros des Essens zuschustert. Dann die zwischen Tradition und Moderne hin- und hergerissene Mutter, die selbst ihren Traum zugunsten der Familie aufgab, Jiyoungs älterer Schwester deren Traumberuf einer Fernsehproduzentin ausredet und dabei aus Mitleid "mit der jungen Frau, die sie einmal gewesen war", weint. Und schließlich eben Jiyoung, die zunächst eigene Wege geht, studiert und bei einer Marketingagentur anheuert.
Doch Gleichberechtigung auf dem Papier geht mit patriarchaler Praxis, sexistischen Sprüchen und verlogener Sonderbehandlung von Frauen als "Blumen" am Arbeitsplatz einher. Das Dekanat verfasste nur für männliche Studenten Empfehlungsschreiben (denn kluge Frauen würden nur Scherereien machen), beim Vorstellungsgespräch werden Bewerberinnen nach ihrem Verhalten bei sexueller Belästigung abgefragt. In der Marketingfirma, wo Frauen Tätigkeiten wie das Kaffeekochen übernehmen, steigt der Männeranteil auf jeder Hierarchieebene. Elternzeit oder Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind wegen geringer Akzeptanz und des Problems der Kinderbetreuung eher theoretische Konzepte.
Schließlich geben Jiyoung und ihr vordergründig verständiger Ehemann Daehyon dem Druck des Kinderkriegens und den Diskussionen mit den Verwandten über Familienplanung nach - und auch der klassischen Rollenverteilung von Produktion und Reproduktion: Jiyoung kündigt wie jede fünfte verheiratete Koreanerin ihren Job. Doch Kindererziehung führt in die karrieretechnische Sackgasse, denn wie in Jiyoungs Fall bleibt der Wiedereinstieg auf dem Arbeitsmarkt oft auf Mindestlohnniveau stecken.
Cho erzählt von der Diskriminierung Schwangerer in der U-Bahn und über Klischeevorstellungen von schmarotzenden Müttern, die das Geld ihrer Gatten verjubeln. Sie übt Kritik an der Religion namens Mutterliebe als konfuzianisches Rollenspiel: "Ich werde vielleicht alles verlieren, meine Jugend, meine Gesundheit, mein soziales Umfeld genauso wie meine Arbeitsstelle . . . Aber was verlierst du?"
Das Horrorkabinett von Männern wie dem Lehrer, der das Mobbing der Mitschüler als Necken verharmlost, oder dem Vater, der Jiyoungs kurzen Rock für Stalking verantwortlich macht, von Grapschern im Bus und Taxifahrern, die auf ihrer ersten Tagesfahrt nie Frauen mitnehmen, von Firmenkunden, die Anzüglichkeiten als im Preis enthalten ansehen - es führt zu Jiyoungs Persönlichkeitsspaltung.
Cho prägt Bilder des Frauseins wie das der "Legofigur, deren Torso und Beine man in verschiedene Richtungen zog". Ihr Roman untergräbt wirkungsmächtig das Patriarchat in Korea, auch wenn das Land für Jiyoungs Generation noch eines der konfuzianischen Korsette ist, ein Diskriminierungslabyrinth ohne Exit-Strategie: "Fleißig und gewissenhaft arbeitend, hatte sie nach einem Ausgang gesucht, den es, wie sie nun erkannte, von Anfang an nicht gegeben hatte." Für Jiyoungs Tochter bleibt deshalb der Auftrag, "noch größer, höher und weiter" zu träumen.
STEFFEN GNAM
Cho Nam-Joo: "Kim Jiyoung, geboren 1982". Roman.
Aus dem Koreanischen von Ki-Hyang Lee. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2021. 208 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Cho Nam-Joos Bestseller erzählt vom ganz normalen Wahnsinn eines südkoreanischen Frauenlebens
Eine Frau in den Dreißigern mit Mittelstandswohnung, süßem Kind und smartem Ehemann in Seoul verhält sich plötzlich auffällig, nuckelt am Daumen, redet in den Stimmen anderer und - ein Sakrileg in Korea - widersetzt sich der Schwiegermutter und dem patriarchalen Joch der Küchenarbeit beim Erntedankfest. Erst im Schlusskapitel entpuppt sich Cho Nam-Joos Roman "Kim Jiyoung, geboren 1982" als aus Therapiegesprächen von einem Psychologen zusammengestellte Lebenschronik einer typischen Koreanerin mit Allerweltsnamen: Das Buch erörtert die Trauer und Tragik verstellter Lebensläufe und die Genese eines schrittweisen Karriereverzichts und Persönlichkeitsverlusts.
Der im Original 2016 erschienene Band, der von Koreas MeToo-Bewegung über K-Pop-Stars bis hin zu ranghohen Politikern rezipiert, viel gepriesen und gern auch gebasht wurde, ist Koreas feministisches literarisches Manifest. Es wurde als Beklagen des fehlenden Beklagens zum Bestseller. Ohne größere stilistische Ambition oder Feindbilder rekapituliert die Autorin Cho Nam-Joo schlicht die in der Summe für die weibliche Psyche tödliche Aneinanderreihung von Anzüglichkeiten, Altherrenwitzen, Übergriffigkeiten und strukturellen Ungerechtigkeiten.
Sachbuchartige Details wie die niedrige Geburtenrate, späte Heirat, Koreas Lohngefälle zwischen Männern und Frauen (das größte innerhalb der OECD) oder die geringe Zahl von Frauen in Führungspositionen (2014 nur achtzehn Prozent) geben Kim Jiyoungs Erlebnissen etwas Universelles. Es ist eine exemplarische Unterdrückungs-, aber auch Ermächtigungsgeschichte von der Ungnade weiblicher Geburt (wegen der im Konfuzianismus bevorzugten Söhne) über Schikane und Degradierung in Schule und Hochschule bis zu Beruf und Heirat.
In den achtziger Jahren waren Geschlechtsbestimmung und Abtreibung weiblicher Föten gesellschaftlich akzeptiert. So trieb Jiyoungs Mutter ihre dritte Tochter ab, bis "endlich" ein Sohn geboren wurde. Vom Ende der neunziger Jahre an - 1999 wurde ein Gesetz gegen Geschlechterdiskriminierung erlassen, 2001 ein Frauenministerium gegründet - gab es dann einen emanzipatorischen Aufschwung, als koreanische Frauen ermuntert wurden, "alles erreichen zu wollen und zu können".
Drei Generationen stehen im Roman für den Wandel des Frauenbildes. Da ist die Großmutter, die dem Enkelsohn das Gros des Essens zuschustert. Dann die zwischen Tradition und Moderne hin- und hergerissene Mutter, die selbst ihren Traum zugunsten der Familie aufgab, Jiyoungs älterer Schwester deren Traumberuf einer Fernsehproduzentin ausredet und dabei aus Mitleid "mit der jungen Frau, die sie einmal gewesen war", weint. Und schließlich eben Jiyoung, die zunächst eigene Wege geht, studiert und bei einer Marketingagentur anheuert.
Doch Gleichberechtigung auf dem Papier geht mit patriarchaler Praxis, sexistischen Sprüchen und verlogener Sonderbehandlung von Frauen als "Blumen" am Arbeitsplatz einher. Das Dekanat verfasste nur für männliche Studenten Empfehlungsschreiben (denn kluge Frauen würden nur Scherereien machen), beim Vorstellungsgespräch werden Bewerberinnen nach ihrem Verhalten bei sexueller Belästigung abgefragt. In der Marketingfirma, wo Frauen Tätigkeiten wie das Kaffeekochen übernehmen, steigt der Männeranteil auf jeder Hierarchieebene. Elternzeit oder Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind wegen geringer Akzeptanz und des Problems der Kinderbetreuung eher theoretische Konzepte.
Schließlich geben Jiyoung und ihr vordergründig verständiger Ehemann Daehyon dem Druck des Kinderkriegens und den Diskussionen mit den Verwandten über Familienplanung nach - und auch der klassischen Rollenverteilung von Produktion und Reproduktion: Jiyoung kündigt wie jede fünfte verheiratete Koreanerin ihren Job. Doch Kindererziehung führt in die karrieretechnische Sackgasse, denn wie in Jiyoungs Fall bleibt der Wiedereinstieg auf dem Arbeitsmarkt oft auf Mindestlohnniveau stecken.
Cho erzählt von der Diskriminierung Schwangerer in der U-Bahn und über Klischeevorstellungen von schmarotzenden Müttern, die das Geld ihrer Gatten verjubeln. Sie übt Kritik an der Religion namens Mutterliebe als konfuzianisches Rollenspiel: "Ich werde vielleicht alles verlieren, meine Jugend, meine Gesundheit, mein soziales Umfeld genauso wie meine Arbeitsstelle . . . Aber was verlierst du?"
Das Horrorkabinett von Männern wie dem Lehrer, der das Mobbing der Mitschüler als Necken verharmlost, oder dem Vater, der Jiyoungs kurzen Rock für Stalking verantwortlich macht, von Grapschern im Bus und Taxifahrern, die auf ihrer ersten Tagesfahrt nie Frauen mitnehmen, von Firmenkunden, die Anzüglichkeiten als im Preis enthalten ansehen - es führt zu Jiyoungs Persönlichkeitsspaltung.
Cho prägt Bilder des Frauseins wie das der "Legofigur, deren Torso und Beine man in verschiedene Richtungen zog". Ihr Roman untergräbt wirkungsmächtig das Patriarchat in Korea, auch wenn das Land für Jiyoungs Generation noch eines der konfuzianischen Korsette ist, ein Diskriminierungslabyrinth ohne Exit-Strategie: "Fleißig und gewissenhaft arbeitend, hatte sie nach einem Ausgang gesucht, den es, wie sie nun erkannte, von Anfang an nicht gegeben hatte." Für Jiyoungs Tochter bleibt deshalb der Auftrag, "noch größer, höher und weiter" zu träumen.
STEFFEN GNAM
Cho Nam-Joo: "Kim Jiyoung, geboren 1982". Roman.
Aus dem Koreanischen von Ki-Hyang Lee. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2021. 208 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Steffen Gnam sieht in Cho Nam-Joos Roman von 2016 eine subversive Betrachtung des Frauseins in Korea über drei Generationen einer Familie, mit all den Degradierungen, Demütigungen und Übergriffigkeiten, die damit verbunden seien. Dass sich der Text erst gegen Ende als Therapiesitzung entpuppt, keine stilistischen Ambitionen zeigt, dafür eingängige Bilder findet für die Diskriminierung und Tragik weiblicher Lebensläufe, lässt Gnam das Buch als Manifest begreifen. Männer bilden im Buch ein veritables Horrorkabinett aus mobbenden Lehrern, Grapschern und anzüglichen Taxifahrern, erklärt er.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Cho Nam-Joos feministischer Roman ist nicht nur ein mutiger Text über das moderne Südkorea, sondern ein Buch über Frauenbilder, das nicht umsonst weltweit einen Widerhall findet.« Meike Stein SR 2 Kulturradio 20210217