Produktdetails
- Verlag: Komplett Media
- Gesamtlaufzeit: 155 Min.
- Sprache: Deutsch
- ISBN-13: 9783896728173
- Artikelnr.: 10503166
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.09.2001Sophies Wort im Bild
Ein Wort sagt mehr als tausend Bilder. Dieses eine Wort, es heißt Logos. Die vielen Bilder, das sind Mythos, Sagen, Geschichten, die einst die Welt erklärten oder über die Unzulänglichkeiten der menschlichen Existenz hinwegtrösteten. Philosophie, sagen die Philosophen, beginnt mit der Überwindung des Mythos durch den Logos: durch das Wort, den Begriff, die Vernunft. Merkwürdigerweise jedoch gibt es viele verschiedene Versionen der einen Vernunft, oft organisiert in Schulen, die sich meistens in den Haaren liegen. So etwas läßt sich schön erzählen, außerdem ist man selbstredend neugierig auf die Gründe dieser ewigen Streitereien. Damit entstand die Geschichte der Philosophie. Sie neigt stark dazu, ins Biographische, ins Anekdotische, in Klatsch und Tratsch abzugleiten. Das geht so von Diogenes Laertios' "Leben und Meinungen der Philosophen" im dritten Jahrhundert nach Christus bis zu dem Versuch Jacob Bruckers und anderer im achtzehnten Jahrhundert, die philosophischen Systeme auf die Lebensumstände ihrer Urheber zurückzuführen. Aber das Publikum ist natürlich immer dankbar für Geschichten, selbst wenn sie letztlich bloß von der Vernunft handeln. Leider jedoch paßte den Philosophen irgendwann die ganze Richtung nicht mehr. Daß die Philosophiehistoriker zu sehr dem Drang nachgaben, in die Niederungen der zufälligen Entstehung philosophischer Ideen hinabzusteigen, hat man ihnen übelgenommen. Denker wie Hegel haben aus ihrer Abneigung sogar einen Teil ihres philosophischen Systems gemacht. Die historische Betrachtung geistiger Phänomene machte er als die Perspektive von Kammerdienern verächtlich. Das Gezänk der Philosophen reinigte er von den Beimischungen des Individuellen und Zufälligen. Übrig blieben die Gegensätze zwischen Ideen. In einem Strudel aufeinanderfolgender Gegensätze entwickelt sich der Geist und treibt unausweichlich der einen Wahrheit entgegen. Dabei schlüpft er in individuelle, historische Gestalten: Schaum, der das Geschehen an der Oberfläche sichtbar werden läßt, aber dann verschwindet wie platzende Luftblasen. Hegel wollte sich mit diesem künstlichen Mythos von der Vernunft in der Geschichte aus einem alten Dilemma befreien: Wenn die Wahrheit ewig ist, dann fällt sie nicht in die Sphäre des Vorübergehenden und hat keine Geschichte. Wenn sie aber eine Geschichte hat, so ist in ihr die Wahrheit nicht zu finden; denn die Wahrheit ist nicht ein Vergangenes. Manche glauben, daß sich dieses Dilemma durch den Sieg der modernen Einzelwissenschaften über die Universalwissenschaft Philosophie von selbst erledigt hat. Ist denn nicht die Geschichte der Philosophie nur ein Rückzugsgefecht des metaphysischen Denkens gegenüber einem experimentalwissenschaftlichen Wissen, das immer weiter auch in den Bereich des Geistigen vordringt? Und sind wir nicht ganz und gar historistisch? Aber so zu denken ist anmaßend. Wie zäh nämlich die Metaphysik ihr Territorium verteidigt, zeigt eine soeben erschienene illustrierte Geschichte der Philosophie, die Hegels Dilemma in verklausulierter Form wiederholt: "Wer erzählt, was einmal war, droht seinen Gegenstand zu verfehlen. Denn er stellt die Gedanken als Vergangenheit vor, obwohl sie auf Gegenwart zielen" (Otfried Höffe: "Kleine Geschichte der Philosophie". Verlag C. H. Beck, München 2001. 341 S., 180 Abb., 48,- DM). Danach ist die Philosophie noch immer ein überzeitliches "Streitgespräch der (großen) Philosophen mit- und gegeneinander". Dabei gehe es um die berühmten Fragen der von Kant erneuerten Metaphysik: Was kann ich wissen, was soll ich tun, was kann ich hoffen? Diese Grundfragen bedrängten "sogar die gesamte Menschheit". Aber große Denker antworten auch "auf die gesellschaftlichen und kulturellen Umbrüche ihrer Zeit". Zumindest scheinen sie im neunzehnten Jahrhundert kurz in diese Verlegenheit zu kommen. Trotzdem schweben die ewigen Gedanken oberhalb von Politik, Gesellschaft und Kultur. Unsere Sucht nach Anschaulichkeit, nach Bildern und Geschichten enttäuscht deshalb auch diese mit Bildern "werbende Einführung" in den Logos - nach den immerhin verblüffenden Diagrammen im dtv-Atlas der Philosophie und der etwas läppischen Rahmenerzählung aus "Sophies Welt".
CHRISTOPH ALBRECHT
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Wort sagt mehr als tausend Bilder. Dieses eine Wort, es heißt Logos. Die vielen Bilder, das sind Mythos, Sagen, Geschichten, die einst die Welt erklärten oder über die Unzulänglichkeiten der menschlichen Existenz hinwegtrösteten. Philosophie, sagen die Philosophen, beginnt mit der Überwindung des Mythos durch den Logos: durch das Wort, den Begriff, die Vernunft. Merkwürdigerweise jedoch gibt es viele verschiedene Versionen der einen Vernunft, oft organisiert in Schulen, die sich meistens in den Haaren liegen. So etwas läßt sich schön erzählen, außerdem ist man selbstredend neugierig auf die Gründe dieser ewigen Streitereien. Damit entstand die Geschichte der Philosophie. Sie neigt stark dazu, ins Biographische, ins Anekdotische, in Klatsch und Tratsch abzugleiten. Das geht so von Diogenes Laertios' "Leben und Meinungen der Philosophen" im dritten Jahrhundert nach Christus bis zu dem Versuch Jacob Bruckers und anderer im achtzehnten Jahrhundert, die philosophischen Systeme auf die Lebensumstände ihrer Urheber zurückzuführen. Aber das Publikum ist natürlich immer dankbar für Geschichten, selbst wenn sie letztlich bloß von der Vernunft handeln. Leider jedoch paßte den Philosophen irgendwann die ganze Richtung nicht mehr. Daß die Philosophiehistoriker zu sehr dem Drang nachgaben, in die Niederungen der zufälligen Entstehung philosophischer Ideen hinabzusteigen, hat man ihnen übelgenommen. Denker wie Hegel haben aus ihrer Abneigung sogar einen Teil ihres philosophischen Systems gemacht. Die historische Betrachtung geistiger Phänomene machte er als die Perspektive von Kammerdienern verächtlich. Das Gezänk der Philosophen reinigte er von den Beimischungen des Individuellen und Zufälligen. Übrig blieben die Gegensätze zwischen Ideen. In einem Strudel aufeinanderfolgender Gegensätze entwickelt sich der Geist und treibt unausweichlich der einen Wahrheit entgegen. Dabei schlüpft er in individuelle, historische Gestalten: Schaum, der das Geschehen an der Oberfläche sichtbar werden läßt, aber dann verschwindet wie platzende Luftblasen. Hegel wollte sich mit diesem künstlichen Mythos von der Vernunft in der Geschichte aus einem alten Dilemma befreien: Wenn die Wahrheit ewig ist, dann fällt sie nicht in die Sphäre des Vorübergehenden und hat keine Geschichte. Wenn sie aber eine Geschichte hat, so ist in ihr die Wahrheit nicht zu finden; denn die Wahrheit ist nicht ein Vergangenes. Manche glauben, daß sich dieses Dilemma durch den Sieg der modernen Einzelwissenschaften über die Universalwissenschaft Philosophie von selbst erledigt hat. Ist denn nicht die Geschichte der Philosophie nur ein Rückzugsgefecht des metaphysischen Denkens gegenüber einem experimentalwissenschaftlichen Wissen, das immer weiter auch in den Bereich des Geistigen vordringt? Und sind wir nicht ganz und gar historistisch? Aber so zu denken ist anmaßend. Wie zäh nämlich die Metaphysik ihr Territorium verteidigt, zeigt eine soeben erschienene illustrierte Geschichte der Philosophie, die Hegels Dilemma in verklausulierter Form wiederholt: "Wer erzählt, was einmal war, droht seinen Gegenstand zu verfehlen. Denn er stellt die Gedanken als Vergangenheit vor, obwohl sie auf Gegenwart zielen" (Otfried Höffe: "Kleine Geschichte der Philosophie". Verlag C. H. Beck, München 2001. 341 S., 180 Abb., 48,- DM). Danach ist die Philosophie noch immer ein überzeitliches "Streitgespräch der (großen) Philosophen mit- und gegeneinander". Dabei gehe es um die berühmten Fragen der von Kant erneuerten Metaphysik: Was kann ich wissen, was soll ich tun, was kann ich hoffen? Diese Grundfragen bedrängten "sogar die gesamte Menschheit". Aber große Denker antworten auch "auf die gesellschaftlichen und kulturellen Umbrüche ihrer Zeit". Zumindest scheinen sie im neunzehnten Jahrhundert kurz in diese Verlegenheit zu kommen. Trotzdem schweben die ewigen Gedanken oberhalb von Politik, Gesellschaft und Kultur. Unsere Sucht nach Anschaulichkeit, nach Bildern und Geschichten enttäuscht deshalb auch diese mit Bildern "werbende Einführung" in den Logos - nach den immerhin verblüffenden Diagrammen im dtv-Atlas der Philosophie und der etwas läppischen Rahmenerzählung aus "Sophies Welt".
CHRISTOPH ALBRECHT
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main